„Eine Familie muss man pflegen“

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Nadine (36) hat zwei davon: Sie ist Mutter von Romy-Marta (6) und Janosch (8) und hat in Neukölln ihren eigenen Salon aufgemacht, den ZINS Organic Haircare Salon, in dem sie versucht, so viel Stress wie möglich aus dem Friseurberuf zu nehmen. So will sie für sich und ihr Team eine Atmosphäre schaffen, in der alle zusammenhalten und auch noch für die letzte Kundin des Tages genug Energie haben.

Hauptstadtmutti (HSM): Nadine, du bist eigentlich aus Schöneberg, warum hast du deinen Salon in Neukölln aufgemacht?

Nadine: Ich bin in Schöneberg aufgewachsen, lebe aber seit zehn Jahren in Neukölln. Es gibt hier den Reuter- und den Schillerkiez, aber dazwischen, in der Matrix, ist irgendwie nichts. Hier wollte ich meinen eigenen Laden haben, und dann ging alles eigentlich sehr schnell.

HSM: Das war vor einem Jahr, wie lange warst du davor schon im Geschäft?

Nadine: Mittlerweile bin ich jetzt inklusive Ausbildung seit 20 Jahren dabei – mit Pause zwischendurch, weil ich keine Lust mehr hatte.

HSM: Warum?

Nadine: Ich war nicht mehr in meine Arbeit verliebt, hatte viel zu wenig verdient und viel zu viel gearbeitet. Außerdem konnte ich diese Welt nicht mehr ertragen in diesen großen schicken teuren Salons, wo von den Friseuren ununterbrochene innere und äußere Perfektion verlangt wird, sie aber mies bezahlt und zur Aufstockung zum Arbeitsamt geschickt werden.

HSM: Was hast du während deiner Auszeit gemacht?

Nadine: Ich bin viel umhergereist, habe gefeiert wie ein Rockstar und als Maskenbildnerin beim Film gearbeitet, wo ich auch meinen Mann kennengelernt habe. Die Arbeit beim Film war aber nichts für mich, ich bin eher Handwerkerin und brauche eine gewisse Sicherheit. Dann habe ich erst einmal Kinder bekommen und nach dem zweiten Kind habe ich bei einem kleinen Szenefriseur in Neukölln angefangen. Da habe ich meine Liebe fürs Haareschneiden wiederentdeckt. Es war dort lustiger und lockerer und ich wurde auch fairer bezahlt. Trotzdem, die Arbeit als Friseur ist sehr hart, es ist nicht nur Handwerk, sondern auch Service. Wenn es um Haare geht, sind viele sehr empfindlich. Damit muss man umgehen können und das kostet sehr viel Energie. Der Beruf schlaucht, und die Motivation dafür muss aufrecht erhalten werden.

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HSM: Also wolltest du deinen eigenen Laden gründen.

Nadine: Richtig, ich wollte es ausprobieren. Ich wusste aber, dass ich das nur schaffe, wenn ich den Stress herunterschraube: keine laute Waschmaschine, keine laute Musik, kein ständiges Telefongeklingel. Daher machen wir alle Termine nur über Online-Booking. Das funktioniert sehr gut, man muss seine Kunden nur daran gewöhnen. Ich will auch noch für die letzte Kundin des Tages fit sein, das ist aber nur möglich, wenn man den Stress zügelt. Nur so kann man auch seine Angestellten halten. Ich will hier eine Familie um mich haben, die zusammenhält und motiviert genug ist, gute Arbeit zu leisten. Ich möchte mich auf sie verlassen können. Das funktioniert einerseits mit Geld und einer angenehmen stressfreien Atmosphäre, andererseits mit Lob und regelmäßigen Unternehmungen, zum Beispiel zusammen essen gehen. Eine Familie muss man pflegen.

HSM: Wie viele Leute seid ihr?

Nadine: Wir sind drei Hairstylists. Ich hätte gern auch noch einen Friseur und vielleicht mehr Assistenten für die Zwischenschritte, sodass wir noch mehr Zeit für die Kunden haben.

HSM: Wer ist deine Klientel?

Nadine: Du und ich. Der harte Kern ist von Ende 20 bis Mitte 50, aber es gibt auch viele ältere und jüngere. Kinderhaarschnitte kommen auch gut an, aber ich möchte keinen ganz kleinen Kindern mehr die Haare schneiden, das schaffe ich wirtschaftlich nicht. Bei zu kleinen Kindern dauert der ganze Prozess einfach zu lange, etwa eine Stunde, und ein Kinderhaarschnitt kostet ja nur 15 Euro. Ich habe mir aber überlegt, einen Haarschneidekurs für Eltern anzubieten, weil es mir leid tut, Kinderhaarschnitte einfach aus dem Programm zu nehmen.

HSM: Tolle Idee! Fällt es dir leicht, Familie und den Salon unter einen Hut zu bringen?

Nadine: Ich kann mich erinnern, wie uns bei der Ausbildung immer gesagt wurde, dass man auf keinen Fall beides haben kann. Ich muss schon sagen, dass ich Federn lasse, es ist ein heftiger Spagat. Ich habe immer das Gefühl, dass ich nichts mehr hundertprozentig mache. Zu Hause bin ich dann oft gestresst deswegen.

HSM: Bist du ein Organic-Freak und hast deshalb nur Produkte mit rein pflanzlichen Inhaltsstoffen aus kontrolliert biologischem Anbau im Programm?

Nadine: Ich habe Neurodermitis, daher habe ich lange nach gut verträglichen Produkten gesucht, weil ich die ja die ganze Zeit an den Händen habe. Wir stehen sehr hinter der Less is More-Linie, mit der wir im Salon arbeiten und sind auf jeden Fall Organic-Freaks, aber wir sind nicht fundamentalistisch. Deswegen haben wir auch Farben mit Chemie. Manchmal geht es einfach nicht anders.

HSM: Wohin gehst du selbst zum Friseur?

Nadine: Immer wieder woanders. Ich will nicht vergessen, wie es ist, auf der anderen Seite auf dem Stuhl zu sitzen. Das Gefühl bekomme ich nicht, wenn meine Kollegin mich nach der Arbeit schnell noch bei einem Glas Wein schneidet. So kann man der Betriebsblindheit vorbeugen. Außerdem bin ich auch gerne mal Kundin.

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HSM: Ihr habt hier extra Platz geschaffen für Mütter, die mit Kindern in den Salon kommen. Wie ist das Arbeiten mit frisch gebackenen Müttern. Entspannt?

Nadine: Ich habe hier manchmal sehr coole und lockere Muttis, die gerade erst Babys bekommen haben und trotzdem extrem entspannt sind. Dann gibt’s aber auch welche, die sehr angespannt sind. Letztes Jahr, als ich aufgemacht habe, hatte ich ganz viele Schwangere, die ich dann ein paar Monate später mit Baby wieder bedient habe. Das war interessant.

HSM: Hast du da jemals bemerkt, dass sich in der Zwischenzeit etwas geändert hat?

Nadine: Es gibt ja dieses Babyhaar, das ist ganz normal, dass sich das nach der Schwangerschaft ausdünnt. Da muss man dann neu organisieren und sich Übergangslösungen einfallen lassen. Ich fühle mich sehr wohl dabei, anderen Tipps geben zu können, weil ich all die Erfahrungen selbst gemacht habe. Ich kann sie beruhigen, dass die Haare wiederkommen. Als ich den Laden eröffnet habe, hat es mir viel Kraft gegeben, dass ich wusste, woher ich komme, was ich kann und was ich mitbringe.

HSM: Gibt es die typische Muttifrisur?

Nadine: Nein, aber viele fühlen sich nicht mehr so schick und jung und frisch. Man sieht einfach anders aus mit Ende 30, hat eine andere Figur, andere Haut, das ist einfach so. Viele kommen und wollen das dann mit einer ganz hippen Frisur ausgleichen, mit irgendwas Asymmetrischem zum Beispiel. Da bin ich dagegen. Das hätte vielleicht vor ein paar Jahren noch gut an denen ausgesehen, und man braucht ja auch eine Weile, um die Veränderungen an einem selbst zu registrieren. Viele wollen frech aussehen, wissen aber nicht wie und sehen dann irgendwas und wollen das.

HSM: Versuchst du dann, sie davon abzuhalten?

Nadine: Ich schicke auch Leute wieder raus, wenn ich denke, dass etwas nicht funktionieren wird. Ich bin streng, ich lasse nicht alles mit mir oder meinen Kollegen machen. Wenn sich jemand aus einer Laune heraus die Haare abschneiden will und ich sehe schon, wie diejenige zittert und aggressiv wird, dann ziehe ich eine Grenze. Man muss respektvoll miteinander umgehen. Das ist eine Gratwanderung: superprofessionell und freundlich sein und trotzdem sich treu bleiben und sichergehen, dass der Kunde zufrieden ist. Das ist eine ganz feine Linie.

HSM: Was brauchst du, damit du dich als Mutter wohl fühlst?

Nadine: Ich muss von Zeit zu Zeit mal allein sein. Ich bleibe manchmal länger im Salon und habe auch schon hier geschlafen, wenn ich keine Lust hatte, nach Hause zu gehen. Ich habe ja alles hier, was man braucht. Außerdem gehe ich gern mal ins KaDeWe, trinke Wein und kaufe mir Schlüpfer oder so was. Ich bin eben ein typisches Westberliner Mädel, ich liebe den Kudamm. Genauso wichtig ist es aber auch, mit der ganzen Familie mal rauszugehen, nach Brandenburg an die Seen.

Und wenn ihr jetzt denkt, zu Recht, dass ist der beste Friseur-Salon überhaupt und ihr seid auch noch vom Fach! Dann gibt es tolle Nachrichten: Nadine sucht sucht nämlich gaaaanz dringend neue Mitarbeiter!

Interview: Isa Grütering, Claudia Kahnt  // Fotos: Theresia Koch

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