Ja, ja Feminismus. Klar, bin ich dafür. Doch, doch, ist ja auch wichtig. Gleichberechtigung muss schon sein. – So halbseiden sieht oft die Antwort aus, wenn man Menschen nach ihrer Meinung zum Thema Feminismus befragt. Ist ja irgendwie eine gute Sache, aber eigentlich wird auch gleich mit den Augen gerollt, weil viele glauben, wir wären schon so emanzipiert, aufgeklärt und gleichgestellt. Ist jetzt auch mal gut. Feminismus nervt schon so´n bisschen. Aber in Wahrheit stehen wir Frauen immer noch vor dem Problem eines männlichen Machtanspruchs, der dir im schlimmsten Fall sogar nach dem Leben trachtet. Klingt übertrieben? Ist es leider keinesfalls. 139 Femizide im Jahr 2020 in Deutschland sprechen eine deutliche Sprache.
Das Buch „Femizide – Frauenmorde in Deutschland“
Die Autorinnen Julia Cruschwitz und Carolin Haentjes haben zum Thema „Frauenmorde in Deutschland“ recherchiert und ein Buch veröffentlicht, dass vor allem aufzeigt, welche patriarchalen Strukturen hinter diesen schrecklichen Gewalttaten an Frauen stehen. Das Buch „Femizide – Frauenmorde in Deutschland“ verdeutlicht anhand von Interviews mit Überlebenden welcher Hilflosigkeit betroffene Frauen ausgeliefert sind. Fälle werden rekonstruiert und so die desaströsen behördlichen Fehlentscheidungen offengelegt, die dazu führen, dass Opferschutz für Frauen, die Gewalt erleben, in Deutschland keine Priorität hat. Vor allem zeigt das schonungslose Buch eines: Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind! Und dahinter verbirgt sich weder ein psychisch kranker Täter, noch eine Tat im „Liebeswahn“. Es handelt sich auch nicht um bedauernswerte Einzelfälle.
Das Buch deckt ein strukturelles Problem auf, das mit ganz klaren und wiedererkennbaren Mustern tief in unserer Gesellschaft verankert ist. Es beschreibt die tödlichen Folgen des Patriarchats, die Auswirkungen toxischer Männlichkeit und die zerstörerische Kraft von alten Rollenbildern. Die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist, muss als gesamtgesellschaftliches Problem gesehen werden.
Es kann jede treffen
Deswegen ist die Leitfrage dieses Buches: Was können wir als Gesellschaft tun, um Femizide zu verhindern? Allein im Jahr 2020 wurden 139 Frauen in Deutschland Opfer von tödlicher Gewalt durch ihren Ehemann, Freund oder Ex-Partner. Die getöteten Kinder sind in dieser Statistik nicht mitgezählt. Der Mord an ihnen gilt ebenfalls als Mittel, der Frau die größtmögliche Gewalt anzutun, sie zu vernichten. Die Täter bewegen sich mit diesen Tötungsabsichten in einer patriarchalen Tradition, die Frauen ihr Recht auf ein eigenes Leben abspricht, Besitzansprüche auf den Körper der Frau erhebt und ihre Emanzipation nicht zulassen will. Der männliche Kontrollverlust durch die Ablehnung, Abkehr oder Selbstbestimmung einer Frau, wird zum Mordmotiv. Daher ist statistisch gesehen, der gefährlichste Mensch im Leben einer Frau ihr Partner.
Jeden 3. Tag geschieht ein Femizid
Und spätestens jetzt begreift man die Wucht, die sich hinter den harten Fakten verbirgt: Mindestens jede 4. Frau ist in ihrem Leben von partnerschaftlicher Gewalt betroffen. Jeden 3. Tag geschieht ein Femizid. Nur zu gern möchten wir diese entsetzlichen Taten in bildungsferne Milieus oder migrantische Kontexte mit offen frauenfeindlichen Traditionen abschieben, aber Tatsache ist: Tötungsdelikte auf dem Hintergrund von Paarkonflikten ereignen sich in allen Bildungs-, Einkommens- und Erwerbsgruppen. Die Gewalt in schwierigen sozialen Lagen ist lediglich häufiger sichtbar, weil diese Frauen eher auf staatliche Hilfen wie z.B. Frauenhäuser angewiesen sind. Auch kündigt sich nicht jeder Femizid durch vorhergehende häusliche Gewalt an. Kritische Momente sind Trennungen, wenn der Ex unmittelbar begreift, dass er die Kontrolle über die Frau verloren hat und sich damit die Lebenskatastrophe manifestiert.
In der Logik des männlichen Täters ist die Frau sein Besitz. Jegliche Loslösung von seiner Kontrolle stellt seine Dominanz und damit seine (toxische) Männlichkeit infrage. Kontrolle, Stalking und schließlich Gewalt bis hin zu Tötungen sind ein ultimatives Machtgebärden und das kann wirklich jede Frau treffen. Je mehr wir also über die Gewaltmuster und Beziehungsdynamiken wissen, die zu diesen antifeministischen Gräueltaten führen, desto besser können wir als Gesellschaft Täter und Opfer verhindern.
Femizide sind keine irren Einzeltaten – Sie erwachsen aus patriarchalen Strukturen
Ich habe mit einer der beiden Co-Autorinnen des Buches gesprochen. Die Journalistin Julia Cruschwitz hat dieses wichtige Thema zusammen mit Caroline Haentjes eindrücklich aufgearbeitet und hat mir einige Fragen beantwortet.
Liebe Frau Cruschwitz, warum ist der Begriff Femizid so wichtig, um die tödlichen Gewalttaten an Frauen zu unterscheiden?
Dieser Begriff macht vor allem die Hintergründe dieser Taten klar. Er bezeichnet die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist. Und dieser Fakt hängt mit patriarchalen Strukturen zusammen. Die so geprägten Verhaltensmuster, die durch erlernte Rollen- und Männlichkeitsbilder entstehen, zeigen sich in diesen Verbrechen. Auch die mediale Darstellung dieser Taten reproduziert diese Denkweisen wieder. Die Bezeichnung solcher Tötungsdelikte als „Ehedrama“, „Beziehungstragödie“ oder „Ehekrieg“ suggeriert immer auch eine Mitschuld des Opfers und verharmlost die Morde zu schicksalhaften Einzeltaten. Diese Fehlbezeichnungen sind deswegen so gefährlich, weil sie einerseits die Mechanismen verschleiern, die dahinter stecken, und andererseits die Taten in den Kontext von bedauerlicher Tragik rücken. Der Begriff Femizid ist also ein politischer Begriff, der die patriarchalische Gesellschaft kritisiert, in der Frauen sterben, weil sie Frauen sind.
Wo muss unsere Gesellschaft ansetzen, um patriarchale Strukturen, die zu Tätern und Opfern in Partnerschaftsbeziehungen führen, zu verhindern?
Es muss ein stärkeres Bewusstsein geben für die patriarchalen Strukturen und Rollenbilder, die in uns allen so tief verwurzelt sind. Oft werden wir gefragt, was denn die Frau tun kann, um diese Taten zu verhindern? Die Frage, was der Täter tun kann, um nicht zum Täter zu werden, wäre der eigentlich angemessenere Ansatz. In allen Fällen, die wir in unserem Buch beleuchten, gab es weder eine Aufarbeitung der Gewaltgeschichten der Täter, noch eine Möglichkeit für potentielle Täter, Hilfe zu erhalten. Täterarbeit ist Opferschutz. Es ist wichtig, das zu verstehen.
Wir brauchen ein breites Verständnis dafür, wie diese Gewaltspirale entsteht und sich wiederholt und wir brauchen Akteure, die Kenntnisse und ein Bewusstsein dafür haben, um rechtzeitig einzugreifen. Polizist:innen, Richter:innen und Sozialarbeiter:innen müssen zusammenarbeiten und Gesetze auch anwenden, die Opfer schützen. Das passiert zu selten.
In Deutschland fühlen wir uns schon sehr emanzipiert. Die Debatten um Gleichberechtigung auf allen Ebenen sind topaktuell. Wie sehen sie den Zusammenhang zwischen Feminismus und der Anerkennung von Femiziden?
Der feministischen Bewegung ist überhaupt erst zu verdanken, dass das Thema in der Öffentlichkeit eine wahrnehmbare Rolle spielt. Erst die weltweit vernetzte Frauenbewegung hat dafür gesorgt, dass die Anliegen der Frauen und ihr Schutz in die Parlamente getragen wurden. Auch Frauenhäuser und Gewaltschutzgesetze sind durch feministisches Engagement erkämpft worden. Erschreckend ist jedoch, dass in Hinblick auf die Vielzahl von Forschungen zum Thema Gewalt und Beziehungsdynamiken und die nahezu unüberschaubare Bibliothek dazu, so wenig in der Realität umgesetzt wird, obwohl das Wissen bereits da ist.
Es ist leider so, dass jede Bewegung auch eine Gegenbewegung hervorruft und so zeigt sich, dass gestandene Mitarbeiter:innen von Frauenhäusern oder feministische Aktivist:innen die Entwicklungen als stockend ja geradezu rückschrittlich wahrnehmen. Mit dem Blick auf eine vermeintlich emanzipierte Gesellschaft erwächst eine konservative Gegenhaltung, die ein traditionelles Frauenbild heraufbeschwört und das verhindert offenbar eine stringente Weiterentwicklung der Gleichberechtigung und vor allem des Opferschutzes bei häuslicher Gewalt, Stalking oder den Ausbau eines bundeseinheitlich finanzierten Frauenhauskonzeptes. Wir sind tatsächlich nicht so emanzipiert in strukturellen Fragen von Frauen*anliegen, wie wir glauben. Um das zu erkennen, braucht es nicht mal den Blick auf Femizide, da reicht schon das Thema Gender Pay Gap und gerechte Aufteilung von Care Arbeit. Oder wir schauen auf Kinderbücher, in denen die hilflose Frau vom Märchenprinzen gerettet wird. Wenn ein männliches Dominanz- und Kontrollverhalten schon sehr früh internalisiert wird, kann das gefährliche Auswirkungen für Beziehungen haben.
Warum gibt es in Deutschland eine Verweigerung, die Gewalt an Frauen als das anzuerkennen, was es ist: Eine Entwertung und Entrechtung von Frauen?
Vielleicht weil es so schrecklich ist. Selbst mir ging es so, dass es mir unvorstellbar erschien, diese Schreckenstaten als gesellschaftliches Problem zu sehen und nicht als irren Einzelfall. Tatsächlich sind die allermeisten Täter voll schuldfähig. Der irrationale Wahnsinn ist leichter zu akzeptieren als der Fakt, dass es alle angeht und potentiell jeder Frau passieren könnte. Wir kennen Femizide aus z.B. lateinamerikanischen Ländern, wo die patriarchalen Strukturen noch viel offensichtlicher herrschen und dann erkennt man mit Blick auf die Tötungen von Frauen in Deutschland, dass wir im Grunde ebenso tief in dem Problem stecken und bei Weitem noch nicht in einer Gesellschaft angekommen sind, wo diese Morde unwahrscheinlicher werden.
Welche Schritte raten Sie jemandem, der Gewalt gegen Frauen im Umfeld vermutet oder erkennt? Wie kommen wir vom „Das geht mich nichts an. Sie ist doch selbst Schuld.“ hin zu einer echten Hilfestellung für Betroffene von Gewalt in partnerschaftlichen Beziehungen?
Ich empfehle das bundesweite Hilfetelefon, dort kann sich jeder melden, der Gewalt gegen Frauen* in seinem Umfeld erlebt. Die Beratung ist anonym und kann sehr spezifisch erfolgen, denn die Situationen der betroffenen Frauen sind so unterschiedlich, dass es eben kein Grundrezept geben kann. Egal, ob Freund*innen, Angehörige oder Betroffene, unter der Nummer 08000 116 016 findet in 17 Sprachen eine individuelle und unverbindliche erste Unterstützung statt. Ich würde mich erst vom Hilfetelefon oder einer Beratungsstelle für von Gewalt betroffene Frauen beraten lassen, egal ob als Angehörige, Freundin oder selbst Betroffene, bevor ich zur Polizei gehe. Denn von Gewalt betroffene Frauen empfinden oft Scham. Die Gesellschaft reagiert eben immer noch mit der sogenannten Schuldumkehr, also z.B. mit der Frage: „Warum hast Du ihn denn nicht verlassen?“ Das ist schwer zu ertragen für die Opfer von Gewalt.
Der Gang zur Polizei löst oft einen Vorgang aus, dessen Ausgang schwer zu kontrollieren ist und nicht immer im Sinne der Betroffenen. Bei der Polizei ist schon sehr viel passiert, was Schulungen zum Thema Häusliche Gewalt angeht und Sensibilität für Betroffene. Aber trotzdem machen Frauen dort immer noch schlechte Erfahrungen, es kommt sehr darauf an, an welche/n Beamt:in frau gerät. Grundsätzlich ist mein Rat der, das Gespräch zu suchen und vor allem Angebote zu machen und zu begleiten soweit möglich.
Wie haben Sie die Recherchen zu dem Buch zurückgelassen?
Mir war das Ausmaß der strukturellen Einflüsse auf Femizide vorher so nicht klar. Außerdem ist es erschütternd, zu sehen wie die Anliegen von betroffenen Frauen bei Behörden nicht gehört, ja geradezu unterdrückt werden. Häusliche Gewalt ist schwer nachzuweisen und oft fehlt eben das Bewusstsein für Gewaltmuster und Täterstrategien, um rechtzeitig einzugreifen.
Die Institutionen wie Polizei, Jugendamt und Gerichte arbeiten zu wenig miteinander und haben den Opferschutz zu wenig im Fokus bei in der Gesetzesauslegung. Auch mit den jetzt bestehenden Gesetzen wäre viel mehr möglich beispielsweise im Strafrecht oder Familienrecht, wenn es beispielsweise um den Umgang mit den gemeinsamen Kindern geht. Sowohl beim Kindschaftsrecht als auch im Strafrecht wird häufig sehr täterfreundlich geurteilt. Die Finanzierung von Frauenhäusern ist prekär und es gibt zu wenige – vor allem in ländlichen Gebieten – , sodass es letztlich manchmal nur Glück oder Pech ist, ob eine Frau rechtzeitig in ein Frauenhaus kommt. Wir müssen außerdem mehr Täterarbeit betreiben, um dort anzusetzen, wo der Schaden verursacht wird. Eine große Hoffnung sind die Aktivist:innen und Akteure des Feminismus, die lautstark aufmerksam machen auf Frauenmorde und sich auf allen Ebenen engagieren. Das ist wichtig, es bleibt aber noch viel zu tun, um Femizide zu verhindern.
Das Buch „Femizide – Frauenmorde in Deutschland“ von den Autorinnen Julia Cruschwitz und Caroline Haentjes ist am 25.11.2021 im Hirzel Verlag erschienen und kostet 18 Euro.
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Foto: Kai Senf