Hauptstadtmutti

Kerstin Heuer von Futurepreneur: „In Schweden ist Entrepreneur-Training verpflichtend in den Lehrplänen“

Ich habe Kerstin Heuer, 53 Jahre, Mutter von 3 Töchtern und Gründerin und Geschäftsführerin von Futurepreneur in Hamburg beim XING New Work Experience Day* getroffen. Futurepreneur ist eine Bildungsinitiative, die sich darum kümmert, dass Kinder und Jugendliche verstehen, dass sie eine Menge können und die sie ermutigt und aktiviert, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen als Lebensunternehmer und Zukunftsgestalter.

Futurepreneur gibt es seit 2012. Die Methode hat mittlerweile mit 2.000 Jugendlichen über 50.000 Ideen entwickelt. Wie das Ganze funktioniert und wie sie als Mutter arbeitet, wollten wir von Kerstin Heuer genauer wissen.

 

Hauptstadtmutti: Hallo Kerstin, du hast Futurepreneur alleine entwickelt?

Kerstin Heuer: Ja, ich habe alleine im Homeoffice mit einer Spende Papier für den Drucker gegründet.

Hauptstadtmutti: Wie bist du auf die Idee gekommen? Waren deine Kinder gerade in dem Alter?

Kerstin Heuer: Da gab es mehrere Anstöße. Zum einen habe ich lange Zeit in Schweden gelebt. Ich habe dort erlebt, wie anders man mit Kindern, Jugendlichen und auch Mitarbeitern umgeht. Dann habe ich hier erlebt, wie es meinen Kindern im Schulsystem ging. Außerdem habe ich in einer  lange Zeit Kleinunternehmer in der Gründung und in der Krise beraten.  In der Beratung bin ich 2009 auf ein schwedisches Konzept  aufmerksam gemacht worden. Mir war sehr schnell klar, dass Gründer mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreicher wären, wenn sie schon als Jugendliche an diesem Programm hätten teilnehmen dürfen.

Es hängt sehr stark vom Mindset ab, ob jemand erfolgreich wird oder nicht. Es gibt eigentlich  immer eine Geschichte hinter der Geschichte.

Hauptstadtmutti: Das bedeutet, in Schweden profitieren alle Kinder von  diesem Konzept?

Kerstin Heuer: Nein, das Programm Sommerunternehmer ist zwar landesweit verbreitet, aber nicht jeder Schüler nimmt in Schweden daran teil. Das Thema Entrepreneurship Education ist allerdings dort verpflichtend in den Lehrplänen verankert, schon ab dem Kindergarten.

Wir haben hier für Deutschland zwei Programme adaptiert und entwickelt. Ein Programm heißt Campusunternehmer. Das sind 4tägige Projektwochen in Kooperation mit Schulen. Unser zweites Programm heißt – wie in Schweden – Sommerunternehmer. Ein Projekt, das die ganzen Sommerferien läuft; Schüler entwickeln eine eigene Geschäftsidee und setzen diese dann vor allem auch mehrere Wochen um.

Hauptstadtmutti: Für welches Alter sind die Programme?

Kerstin Heuer: Die Programme sind für Kinder ab 14 Jahre. Es geht darum, dass die Kinder alleine etwas auf die Beine stellen, eigene Projekte initiieren und umsetzen und nicht von Erwachsenen an die Hand genommen werden, die ihnen zeigen, wie es geht. Sondern sie sollen sich eigenverantwortlich ausprobieren können. Das geht ab 14 sehr gut.

Hauptstadtmutti: Müssen die Kinder Vorkenntnisse haben oder schon eine Idee haben, wenn sie zu einem Kurs kommen?

Kerstin Heuer: Nein, jeder kommt so wie er/sie ist – es werden keine Vorkenntnisse oder Ideen vorab gebraucht. Die einzige Voraussetzung ist, dass sie neugierig sind und sich in ihrem Leben schon einmal für irgendetwas begeistert haben.

Hauptstadtmutti: Sich für irgendetwas begeistert haben sich doch sicherlich alle Kinder irgendwann mal, oder?

Kerstin Heuer: Ja fast. Grundsätzlich kommen alle Kinder als die perfekten Entdecker und Erforscher auf die Welt. Sie sind die perfekten Entrepreneure. Sie fallen 1.000 Mal auf die Nase und stehen jedes Mal wieder auf. Und entdecken und entdecken und entdecken. Diese Entdeckerfreude; Neugier und der Spaß am Lernen gehen später sehr häufig verloren. Kinder sammeln in den ersten Jahren sehr viel Erfahrungswissen aber sobald sie in die Schule kommen, geht es eher um reine Wissensvermittlung.

Das Schöne ist aber, dass sich diese Entdeckerfreude und Neugier tatsächlich bei fast allen Kindern und Jugendlichen innerhalb kurzer Zeit reaktivieren lässt.

Hauptstadtmutti: Laufen alle Kurse regelmäßig?

Kerstin Heuer: Das Projekt Sommerunternehmer läuft jeweils in den Sommerferien. Hierfür müssen sich Jugendliche bewerben. 2019 bieten wir Sommerunternehmer in Hamburg und in Hannover an, Jugendliche können sich jetzt bewerben.

Darüberhinaus gibt es noch die viertägigen Projekte CAMPUSUNTERNEHMER. Diese führen wir in Kooperation mit Schulen das ganze Jahr über durch, zur Zeit noch primär in Norddeutschland. Jeweils zwei Futurepreneur Coaches nehmen die Schüler mit an außerschulische Lernorte, arbeiten mit ihnen vier Tage und am Ende sind alle Lehrer und Schulleiter eingeladen und dürfen schauen, was passiert ist, was möglich ist.

Hauptstadtmutti: Wie ist die Reaktion der Lehrer?

Kerstin Heuer: Die sind total geflasht! Sie sind wirklich sehr beeindruckt darüber, was möglich ist, wenn man die Schüler anders abholt.

Hauptstadtmutti: Gibt es dann auch Lehrer, die bei euch eine Weiterbildung machen wollen?

Kerstin Heuer: Ja, das gab es schon. Das machen wir aber bisher nicht. Es funktioniert einfach nicht so gut, wenn Lehrer unserer Programme umsetzen würden. Der Lehrer hat in Deutschland in diesem Bildungssystem eine andere Rolle. Er hat die Rolle des Wissensvermittlers und des Notengebers und des Bewerters. Es wäre für Kinder und Jugendliche nicht glaubwürdig, wenn er die Rolle für eine Woche wechseln würde.

Es braucht diese risikofreien Handlungsräume, in denen sich die Kinder und Jugendlichen ausprobieren dürfen und können, ohne dass sie bewertet werden und Noten dafür bekommen. Da kann auch mal was schieflaufen aber das ist dann einfach eine Erfahrung. Nichts desto trotz zeigen wir den Lehrern im Anschluss, wie und wo sich der entrepreneurial Mindset auch in ihrer Schule verstetigen lässt. Möglichkeiten gibt es immer.

Hauptstadtmutti: Wäre das dann nicht das ideale Schulmodell, in dem Kinder sich ausprobieren können?

Kerstin Heuer: Ich halte erfahrungsbasiertes Lernen für sehr nachhaltig und zielführend. Das muss dann auch nicht immer mit der Entwicklung einer Geschäftsidee verknüpft sein. Es geht einfach darum, dem Kind einen altersgemäßen Rahmen zu geben, in dem es sich eigenverantwortlich, selbstbestimmt und intrinsisch motiviert ausprobieren kann und dafür auch die Verantwortung übernimmt.  Ziel ist es, einen bestimmten Mindset zu trainieren. Ob ich das dann New Work oder Future Skills oder Entrepreneurial Mindset nenne ist nicht so entscheidend.  Aber früh anfangen ist gut.

Hauptstadtmutti: Kann man das als Eltern auch selber machen?

Bei ganz kleinen Kindern heißt das dann beispielsweise, dass sie entscheiden was sie anziehen. Ob die Hose dann rot, blau oder auch zu klein ist, ist egal, das kann das Kind selbst entscheiden. Ich, als Eltern, habe nur die Verantwortung dafür, dass es  ansatzweise zu den Temperaturen passt. Ich kann meinem Kind Erfahrungsräume ermöglichen und Chancen geben, damit es sich ausprobieren kann und selbstbestimmt, intrinsisch motiviert, irgendwas auf die Beine stellt, dafür auch altersgemäß Verantwortung übernimmt und lernt, dass es nicht schlimm ist, wenn etwas nicht klappt.

Hauptstadtmutti: Gibt es denn Projekte, die tatsächlich zu Geschäftsmodellen geworden sind?

Kerstin Heuer: Bei uns geht es gar nicht darum, dass tolle Geschäftsmodelle entwickelt werden. Bei uns geht es darum, dass sie Ideen entwickeln und wir ihnen möglichst viele vielfältige Erfahrungen ermöglichen. Die Geschäftsideenentwicklung ist eigentlich nur Mittel zum Zweck. Wir sagen den Kindern; „Du bist der Boss, mach was du willst, wie du es willst. Wir unterstützen dich dabei. Das Geld, was du verdienst, kannst du behalten.“. Das ist für Jugendliche ziemlich cool. Damit aktivieren wir die Kinder. Es gibt bei uns kein „Nein.“.  Alle Ideen, die sie haben, dürfen sie umsetzen. Wir coachen sie so, dass es in kurzer Zeit legal realisierbar ist und das finden sie cool. Das ist ein einfaches Tool, was bei den Kindern sehr gut funktioniert. Viele setzen im Anschluss andere Projekte um. Es gibt Langzeitstudien der europäischen Union, dass tatsächlich 20% der Schüler, die während der Schulzeit unternehmerische Erfahrungen gesammelt haben, später gründen. Im Moment liegt die Gründerquote bei ca. 2%.

Es kann aber natürlich auch andere Mittel geben, um diesen Mindset zu trainieren. Das kann ein Schulwettbewerb mit einem selbst verantworteten Projekt sein oder natürlich so etwas Tolles wie das segelnde Klassenzimmer. Es muss nicht zwingenderweise die Entwicklung einer Geschäftsidee sein um zukunftsrelevante Denk- und Handlungsweisen zu trainieren.

Aber insbesondere bei der Entwicklung und Umsetzung einer Geschäftsidee muss ich bestimmte Eigenschaften üben und an den Tag legen, sonst funktioniert es gar nicht. Ich muss kreativ sein, um Ideen zu entwickeln. Ich muss gut kommunizieren, damit es im Team funktioniert. Ich kann nicht nur Pläne schmieden, ich muss sie auch umsetzen. Das weiß jeder Gründer. Spannend wird es immer erst nach dem Plan in der Umsetzung.

Hauptstadtmutti: Habt ihr hinterher noch Kontakt zu den Kindern? Wisst ihr, ob sie die Erfahrungen anwenden oder sich geändert haben?

Kerstin Heuer: Wir hatten mal einen Jungen, der hat uns hinterher gesagt, wir hätten es geschafft seinen Mindset zu ändern. Unsere jungen Futurepreneur können sich als Alumnis immer wieder auch mit uns treffen, Impulse erhalten und so auch im Thema bleiben.

Wir haben uns in 2017 von der Leuphana Universität Lüneburg evaluieren lassen. Da kam raus, dass sich 100% der Schüler verändern sich und 25% der Schüler richtig durch die Decke gehen. Bei denen ist es fast so, als hätten sie nur auf die Tools gewartet.

Das macht sehr viel Spaß!

Hauptstadtmutti: Ihr seid jetzt auch noch in Hannover?

Kerstin Heuer: Wir haben im November in Hannover gestartet, starten im Herbst in Friesland und führen gerade auch noch Gespräche an anderen Orten.

Hauptstadtmutti: Gibt es denn übergeordnete Ziele für euch? Wollt ihr beispielsweise mit den Bildungsministerien zusammenarbeiten? Wollt ihr eure Methoden in allen Schulen implementieren?

Kerstin Heuer: Hier in Hamburg haben wir das versucht und es ist uns bisher nicht gelungen. In Hannover arbeiten wir mit der Wirtschaftsregion zusammen, die uns jetzt auch mit fördern.

Perspektivisch schon. Uns ist es wichtig, den Schulen zu zeigen, dass sie auch in dem Rahmen des jetzigen Schulsystems Spielräume haben, die sie nutzen können. Wir versuchen die Lehrer zu sensibilisieren, ihre Schüler auch von einer anderen Seite zu sehen, Stärken zu stärken, sie zu ermutigen, ihnen etwas zuzutrauen und dazu anzuregen, einfach zu überlegen, was kann ich den Schülern anderes anbieten. Und da sind die Möglichkeiten vielfältig. Das kann eine Verantwortlichkeit in einem Schülercafé sein oder eine Fahrradwerkstatt oder ein Flüchtlingsprojekt auf die Beine zu stellen. Da hat eine Schule sehr viele Möglichkeiten, ohne dass man alles auf den Kopf stellen muss.

Ich bin der festen Überzeugung, dass man grundsätzlich mit Bildung viel erreichen kann aber man auch schon sehr früh anfangen muss, den Kindern zu zeigen, dass es sich lohnt und Spaß macht neugierig, wissbegierig, tatkräftig und kreativ zu bleiben und die Umgebung und das eigene Leben zu gestalten. Denn dieser Mindset ist in Zukunft entscheidend.

Wir müssen Bildung umdenken. Das ist meine feste Überzeugung. Wir haben zu Anfang auch vereinzelt Projekte mit Studierenden und erwachsenen Mitarbeitern durchgeführt. Aber je älter der Mensch wird, desto schwieriger wird es, ihn in Bewegung zu setzen. Je früher, desto besser.

Wir sollten deshalb Lehrer tatsächlich anders ausbilden. Wir sprechen viel mit Lehrern. Die sagen uns, dass sie die Schüler nicht auf die Zukunft vorbereiten können und nicht wissen, was die Schüler erwartet. Da ist auf jeden Fall noch sehr viel Aufklärungsarbeit nötig oder wie Gerald Hüther sagte: „Die haben noch nicht mal die Bohne verstanden.“.

Hauptstadtmutti: Mit wem würdest du gern einmal zu dem Thema sprechen?

Kerstin Heuer: Auf jeden Fall möchte ich noch mit viel mehr Menschen sprechen, die etwas entscheiden und bewirken können – wir brauchen sehr viele Mut- Mit- und Möglichmacher, denn noch sind wir eine relativ kleine spendenfinanzierte Bildungsinitiative.

Hauptstadtmutti: Du hast selber drei Kinder? Leben die noch zu Hause? Und dein Mann hat auch drei Kinder mit in die Beziehung gebracht. Leben die auch noch zu Hause?

Kerstin Heuer: Ich habe drei Töchter. Sie sind 23, 21 und 16 Jahre alt. Die Jüngste wohnt noch zu Hause. Die Kinder von meinem Mann sind alle schon aus dem Haus.

Hauptstadtmutti: Du hast aber gegründet, als alle Kinder noch zu Hause wohnten. Wie habt ihr das gemacht mit den vielen Kindern? Wie habt ihr euch koordiniert?

Kerstin Heuer: Für mich war es lange Zeit ziemlich praktisch selbständig zu sein und auch viel im Homeoffice arbeiten zu können. Ich hatte 9 Jahre lang eine geniale Tagesmutter und selbständige Kinder. Das war es eigentlich.

Hauptstadtmutti: Wie groß ist dein Team jetzt?

Kerstin Heuer: In Hamburg sind wir fünf Personen und in Hannover zwei.

Hauptstadtmutti: Und jetzt arbeitet ihr auch nicht mehr im Homeoffice?

Kerstin Heuer: Viel weniger, weil auch persönlicher Austausch wichtig ist. Wir haben in Hamburg und auch in Hannover ein Büro.

Hauptstadtmutti: Hast du für andere Mütter Tipps, wie man die Selbständigkeit am besten gewuppt bekommen?

Kerstin Heuer: Ich finde, selbständig sein ist die beste Möglichkeit überhaupt, um als Mutter zu arbeiten. Ich war ganz am Anfang meiner Selbständigkeit als PR Beraterin alleinerziehend mit drei kleinen Kindern. Ich hätte anders überhaupt nur sehr schwer arbeiten können, wenn ich nicht selbständig gewesen wäre. Dank der Digitalisierung ging das auch sehr gut. Das wäre früher gar nicht möglich gewesen.

Ich habe damals gearbeitet, bevor die Kinder wach waren. Dann habe ich sie auf den Weg gebracht und gearbeitet, solange sie in der Schule und im Kindergarten waren. Nachmittags war Kinderzeit und abends, wenn die Kinder im Bett waren, kam die 3. Schicht. Das hält man auf Dauer nicht durch aber für eine Weile geht es, es war alternativlos.

Dankeschön, liebe Kerstin!

 

*Die XING New Work Experience findet jährlich in Hamburg statt. Es ist ein Tag voller spannender Vorträge und Workshops zum Thema „Neues Arbeiten“. Unter anderem waren dieses Jahr Gerald Hüter, Sascha Lobo, Joschka Fischer und Prof. Jutta Allmendinger da und haben teilweise ganz neue Ideen und Forschungsergebnisse präsentiert. Das Besondere an der Konferenz. Den ganzen Tag über, ist eine Kinderbetreuung von 0 – 12 Jahren gewährleistet. Die Kinder werden von einem erfahrenen Team aus mehreren geschulten Kindererziehern betreut.

 

Fotos: Ian Schneider on Unsplash und XING SE.

Newsletter Abo

„Wir sind sooooooooooo up-to-date, Schätzchen.”

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von 69e388e9.sibforms.com zu laden.

Inhalt laden

Schließen