Hauptstadtmutti

„Psyche? Hat doch jeder!“ // Psychotherapeutin und Autorin Lena Kuhlmann im Hauptstadtmutti-Interview

Lena Kuhlmann ist Psychotherapeutin und schreibt seit einigen Jahren auf ihrem Blog freud mich über ihre tägliche Arbeit mit psychischen Erkrankungen, da sie gemerkt hat, dass viele Menschen doch recht wenig darüber wissen. Jetzt hat sie das Buch Psyche? Hat doch jeder! veröffentlicht, das sehr genau und ziemlich anschaulich erklärt, welche Behandlungsmethoden es gibt und wofür diese da sind, an wen man sich wenden kann, wenn die Notwendigkeit besteht und wie lange man auf Termine warten muss. Das ganze ist mit Anekdoten und echten Geschichten aus ihrer Praxis gespickt und sie gibt auch noch eine Menge praktischer Tipps für den Alltag. Im Interview erzählt sie aus ihrem Therapeutenalltag.

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Was meinst Du? Sind wir tatsächlich alle etwas »psycho«?

LENA KUHLMANN: Das ist gar nicht leicht zu beantworten, denn die Grenzen zwischen psychisch gesund und psychisch krank laufen häufig wie Wasserfarben ineinander. Da ist es auch als Expertin nicht immer einfach, das Verhalten oder Empfinden des Gegenübers einzuordnen. Ein guter Hinweis ist aber der Leidensdruck, also inwiefern der Mensch durch seine Symptome in seinem Alltag beeinträchtigt ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch betonen, dass niemand von uns eine Garantie dafür hat, nicht psychisch krank zu werden. Auch ich nicht. Statistisch gesehen ist jede/r dritte Deutsche mindestens einmal in seinem Leben von einer psychischen Krankheit betroffen. Und wer nicht selbst erkrankt ist, der hat mit Sicherheit eine/n Betroffene/n im Familien- oder Bekanntenkreis. Deswegen ist es so wichtig, dass wir mehr über dieses Thema reden und die Versorgungsmöglichkeiten verbessert werden.

Wie wird jemand überhaupt psychisch krank?

LENA KUHLMANN: Es gibt viele verschiedene Erklärungen für die Entstehung psychischer Krankheiten und deshalb ganz unterschiedliche Expertenmeinungen. MedizinerInnen suchen die Ursache im Körper, VerhaltenstherapeutInnen dagegen gehen von falsch erlerntem Verhalten aus. Und wir TiefenpsychologInnen schauen uns die Vergangenheit der Patienten Patienten an, auf der Suche nach inneren Konflikten. Einigen kann man sich darauf, dass bei der Entstehung psychischer Erkrankungen immer mehrere Faktoren zusammenkommen.

In welchem Alter haben die meisten Menschen psychische Probleme?

LENA KUHLMANN: Generell sind Übergänge immer eine Herausforderung für die Psyche, wie der Wechsel auf eine weiterführende Schule, der Eintritt ins Berufsleben oder die Geburt des ersten Kindes. Manchmal fängt es sogar schon mit der Einschulung an. Und dann gibt es Erkrankungen, für die sich die Wahrscheinlichkeit betroffen zu sein, mit zunehmendem Alter erhöht. Das ist beispielsweise bei der Depression der Fall.

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Sind Frauen und Männer gleich häufig von psychischen Erkrankungen betroffen?

LENA KUHLMANN: Es gehen mehr Frauen zum Therapeuten als Männer. Man vermutet allerdings, dass die Dunkelziffer bei den Männern relativ hoch ist. Denn die Störung wird ja nicht aktenkundig, wenn keine Hilfe in Anspruch genommen wird.

Sind psychische Erkrankungen immer noch ein Tabuthema in unserer Gesellschaft?

LENA KUHLMANN: Ich denke schon. Viele Menschen, die offen darüber sprechen, fühlen sich den kritischen Bemerkungen des Umfeldes ausgesetzt. Da heißt es dann, man solle »sich mal zusammenreißen« oder es wird hinten rum erzählt, dass der- oder diejenige schon lange nicht mehr »alle Tassen im Schrank hat«. Oft herrscht im sozialen Umfeld Verunsicherung, wie man mit einem psychisch kranken Menschen umgehen soll und leider werden psychische Erkrankungen immer noch mit Schwäche in Verbindung gebracht wird. Hinzu kommt, dass das Bild des komplett durchgeknallten Psychiatriepatienten von der Filmindustrie immer weiter unterfüttert wird, ebenso wie die Psychiatrie selbst immer wieder als Ort des Schreckens und die Behandler als noch kränker als ihre Patienten dargestellt werden. Dennoch freue ich mich, dass das Thema aktuell in den Medien gerade ein bisschen mehr Interesse erfährt.

Kann man eine psychische Erkrankung eigentlich vollkommen heilen?

LENA KUHLMANN: Das kommt natürlich auf die Erkrankung an und auch auf die Frage, was man unter »Heilen« versteht. Ich hatte mal einen Patienten, der unter einer Angsterkrankung litt und sich erhoffte, dass durch unsere Zusammenarbeit seine Ängste komplett verschwinden würden. Dann muss man erklären, dass das natürlich nicht geht, weil Angst zum Leben dazu gehört und weil jeder Mensch Ängste verspürt. Eine Therapie kann aber dabei helfen, wieder am Alltag teilzunehmen. Wir Therapeuten sprechen daher statt von Heilung lieber von einem oder mehreren Therapiezielen. In der Regel erarbeitet man diese gemeinsam mit dem/den PatientInnen zu Beginn einer Therapie.

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Kommen manchmal Patienten zu Dir in die Praxis und glauben sie haben ihr Problem längst selbst diagnostiziert? (Also z.B. jemand, der glaubt er sei depressiv, der aber nur eine harte Phase hat?)

LENA KUHLMANN: Viele Menschen haben meiner Erfahrung nach vor einem Termin bei uns schon Dr. Google nach seiner Meinung befragt. Da haben einige dann eine sehr treffende Einschätzung ihrer Störung und andere machen sich große Sorgen, weil sie Erfahrungsberichte lesen und ihr Leiden dadurch vollkommen überbewerten. Es gibt eben solche und solche. Für mich ist weniger die Diagnose interessant, sondern viel mehr die Person, die dahinter steht und was sie in ihrem Leben verändern will. Je früher jemand kommt, desto besser. Dann kann man eine mögliche negative Weiterentwicklung oder Folgeschäden vielleicht vorher verhindern.

Du wirst sicherlich ständig auch von Freunden oder sogar Unbekannten um Rat gefragt, nervt das manchmal?

LENA KUHLMANN: Das ist tatsächlich gar nicht immer so einfach. Manchmal werde ich von wildfremden Leuten zwischen Tür und Angel auf einer Feier nach einem schnellen Genesungstipp gefragt. Über den Blog werde ich ziemlich oft von Ratsuchenden angeschrieben. Daran merkt man deutlich, wie verzweifelt viele Menschen sind. Wenn jemand im Freundeskreis eine Krise hat, versuche ich natürlich, zu helfen und zu unterstützen – allerdings nie zu behandeln. Das lässt sich nicht mit der therapeutischen Haltung vereinbaren, da man in eine persönliche Beziehung verwickelt ist.

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Sind psychische Probleme ein Phänomen unserer Zeit oder wurde ihnen in der Vergangenheit nur weniger Beachtung geschenkt?

LENA KUHLMANN: Man geht davon aus, dass psychische Erkrankungen nicht zugenommen haben, dass sich aber der Blick darauf verändert hat. In diesem Zusammenhang gibt es beispielsweise veränderte Diagnosekriterien. Zum Glück ist auch das öffentliche Interesse an der Thematik gestiegen und es wird dadurch offensichtlicher, wie viele Betroffene es unter uns gibt.

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Hast du noch einen speziellen Tipp für Mütter, die ja viel um die Ohren haben und wenig Zeit für sich selbst. Wie können sie sich gezielt und mit geringem Zeitaufwand um ihre psychische Gesundheit kümmern?

LENA KUHLMANN: Ich bin ein riesiger Fan von Yoga. Selbst kurze Einheiten wirken sich nachweislich positiv auf Körper und Geist aus. Ich finde auch Achtsamkeitsübungen super. Man kann sie relativ leicht in den Alltag integrieren. Und dann empfehle ich, sich Hilfe und Unterstützung zu holen. Denn nur, wenn man mit sich im Reinen ist, kann man auch gut für andere da sein.

Dankeschön, liebe Lena!

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Fotos: Moritz Thau

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