Ich kann mich gut an die Zeit erinnern, als meine beiden Töchter in die Pubertät kamen. Oftmals betete ich schon am frühen Morgen, Herr lass sie 18 werden und ausziehen. Ich schämte mich zwar sehr, solche Stoßgebete ins Orbit zu schicken, aber meine Kräfte und Nerven waren oftmals am Ende. Zwei pubertierende, kluge, hübsche und lebenslustige Mädchen zu erziehen und (ein wenig) zu leiten, ging so manches mal an die Substanz.
Doch irgendwann kam sie – die Zeit des Auszugs kurz nach dem Abitur. Sie war voller Aufregung, gefüllt mit Neugier, Lust aufs Leben, bangen Fragen was kommt, was will ich, schaffe ich das, voller Hoffnung und der unbändigen und positiven Kraft der Jugend. Als Mutter begleitet man diesen Prozess, fiebert mit, bangt und hofft, welche Zusagen würden kommen, welche Uni, welche Stadt würde es werden. Diese Zeit, als die Kinder ins Studium gingen war voller neuer Erfahrungen. Ja, auch für mich und ich erinner mich gerne an die vielen Telefonate, damals noch über Skype, die heiß herbei ersehnten Besuche und die ausgiebigen Stadtbummel voller Kultur und Klamotten. Das Geld war immer knapp und das Einkaufen mit meinen Töchtern, machte mich groß. Ich fühlte mich wie Krösus und Mutter Theresa in einer Person. Ich war stolz helfen zu können.
Vom Erwachsenwerden an Weihnachten
Diese wundervolle Zeit des Aufbruchs und Neubeginns, des Auszugs meiner Kinder, war auch für mich ein Aufbruch und bescherte auch mir so viel Neues. Das war eine herrliche Zeit. Ich entdeckte neue Städte, lernte interessante junge Menschen kennen und war mittendrin im dynamischen Leben meiner Kinder. Ich war (immer noch) ein Teil von ihnen.
Wenige Jahre später, die Kinder hatten feste Beziehungen, heirateten und bekamen Kinder, wurde mir klar, da kommt niemand mehr zurück. Die Familienzeit war Vergangenheit. Diese Erkenntnis haute mich um. Wie war das noch mit dem Loslassen, loslassen der Kinder in ihr eigenes Leben.
War nicht das Gedicht von Gibran Kahlil: „Deine Kinder sind nicht deine Kinder, sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst.“ Bereits mit 16 war es eines meiner Lieblingsgedichte! Denn ich spürte die Wahrheit darin. Und nun? Ich hatte also alles richtig gemacht, war die logische Antwort. Sie sind lebensfähig und unabhängig. Ziel erreicht.
Wenn das Herz nicht bricht, nur leiser bebt
Hatte ich also geglaubt, der Ablösungsprozess sei längst erledigt, dieser Prozess des Erwachenwerdens meiner Kinder sei in den letzten Jahren, mit Heirat, eigener Familie und Kinder kriegen vollständig, sozusagen completet, habe ich mich geirrt.
Das erste Weihnachtsfest, mit 62 Jahren, ohne meine Kinder und Enkelkinder hat mir gezeigt, der Prozess des Erwachsenwerdens, von Mutter und Kind, geht weiter. Weihnachten statt mit besinnlicher und aufregender Bescherung unter dem Weihnachtsbaum, nach dem das Glöckchen dreimal geklingelt hat, mit Kinderlachen und staunenden Kinderaugen voller Freude und Liebe zum Leben, Weihnachten ohne Familie zu verbringen, ist ein weiterer Schritt im Loslassen.
Wenn es auch ein wenig traurig klingen mag, war es doch eine wichtige Erfahrung. Weihnachten mit Freunden elegant, entspannt in ruhiger Atmosphäre, mit dezenter Jazzmusik im Hintergrund und intellektuellen Gesprächen, das feine Essen lobend zu verbringen, war auch schön. Stimmungsvoll, besinnlich, gefühlvoll, anders. Only Adults! Aber wie aus der Ferne, hörte ich während der Weihnachtstage oft die Stimme meiner Enkelin: Oma, bist du wach? Oma, spielst du mit mir? Und meine Stimme antwortet stets: Ja, mein Goldstück, ich bin wach!
Weihnachten ist vorbei. Ich freue mich auf das nächste Weihnachtsfest und wünsche mir von ganzem Herzen es mit meinen Kindern und Enkelkindern zu verbringen, aber ich weiß jetzt: ich kann beides!
Bettina Mennen ist eine glücklich geschiedene 62-jährige Oma, die uns aus ihrem Leben erzählen möchte. Sie lebt in Aachen, die Enkelkinder in Berlin. Zum Weiterlesen: