Oma sitzt mit Enkelin am Wasser

Wie Oma von der Hauptstadtenkelin Öko lernt

Ein Text über Wasserverschwendung, verpesteter Luft und darüber, was Kaugummi mit Ameisen zu tun hat. Die Oma einer Hauptstadtmutti und zwei Hauptstadtenkelinnen berichtet von einem Besuch, bei dem Oma etwas über Öko lernt.

Ich hatte Pech! Großes Pech!!! Mein nächster Berlinaufenthalt war geplant, das Zugticket online gebucht und die Sehnsucht nach den Kindern, die kleinen wie die großen riesig groß. In ein paar Tagen sollte es soweit sein. Zahlreiche Telefonate, Videocalls und Whatsapp-Nachrichten mit endlos aneinandergereihten Emojis, wie Pferde, Tiere aller Art, wilde Tänzerinnen, Sonne, Mond und Sterne, läuteten die baldige „echte“ gemeinsame Zeit ein. Doch irgendetwas war anders. Nein, nicht gefühlsmäßig, keine Bange, da sind wir in unserer heißblütigen Liebe zueinander stabil – etwas  Körperliches bahnte sich an.

Mein Rücken tat weh, jeden Tag ein bißchen mehr und dann passierte es: eine Rückenblockade legte mich lahm. Bis zu diesem unsäglichen Tag hatte ich dieses Wort noch nie gehört: Rückenblockade! Eine Blockade ist eine Sperre und eine Rückenblockade eben eine Vollsperrung. Eine Bewegungssperre, die Bewegungsabläufe nur noch schwer, bis überhaupt nicht möglich macht. Es blieb mir nichts anderes übrig als die „Moabiter“ anzurufen und meinen Aufenthalt abzusagen.

Wenn Oma nicht nach Berlin kommt…

Nach mitleidvoll bekundeten Genesungswünschen meiner Tochter, als auch meiner nunmehr sechsjährigen Enkeltocher, ab jetzt ist man “groß und vernünftig“, beendete ich traurig und niedergeschlagen das Telefonat. Immerhin getröstet und mit der herrlichen Ausicht, mich in den folgenden  Tagen mal so richtig auszukurieren. Als das Telefon zirka eine Stunde später klingelte, hoffte ich auf weitere gute Besserungswünsche und rasch recherchierte Rückenblockadetipps.

Doch da posaunte mir fröhlich und aufgeregt ein „ich habe gebucht, wir kommen“ entgegen. Wie jetzt, wann jetzt? „Mama, keine Bange, morgen sind wir da. Ich habe gebucht, du müsstest uns dann nur aus Köln abholen, das mit dem Umsteigen ist immer so nervig und stresst. Das schafft du schon. Wir können dann anschließend gleich ins Schokoladenmuseum, ist ja gleich um die Ecke, das wollten wir doch schon lange mal machen“.  Ich war heilfroh, das dies kein Videocall war, sonst hätte meine Tochter in das völlig entsetzte Gesicht einer 62-jährigen Rückenblockierten geschaut, die nichts lieber, als völlig bewegungslos im Bett bleiben wollte. Mir fiel sozusagen die Kinnlade herunter und ich schwankte zwischen Freude, Panik und Entsetzen.

Wie sollte ich das schaffen, wie sollte das gehen???

Als leidenschaftliche Großmutter und Mutter, stammelte ich ein „oh, wie schön“, ähm, das freut mich sehr“ und hörte nur noch die euphorische Stimme meiner Tocher sagen, „okay, bis morgen dann, ich schick dir die Details noch zu, jetzt muss ich packen“.

Eine Generation im Verstehensprozess

So ging der Westen nicht in den Osten, sondern die geballte Energie einer Hauptstadtmutti kam in den westlichsten Zipfel der Republik.  Dass ich es schaffte, am nächsten Tag pünktlich im Hauptbahnhof in Köln auf dem richtigen Bahnsteig zu stehen, ist diverser MIttel und Mittelchen zu verdanken, einem Wärmegürtel und dem eisernen Willen die beste Oma der Welt sein zu wollen.

Der wunderbare zweiwöchige Aufenthalt meiner Liebsten stand ganz unter dem Zeichen: Bio ist wichtig, der ökologische Fußabdruck noch wichtiger und was Kaugummi mit Ameisen zu tun hat. Ich nehms schon mal vorweg: Oma sollte ordentlich dazu lernen. 

Doch alles von Anfang an. Wir schlenderten bei herrlichem Oktoberwetter den Rhein entlang Richtung Schokomuseum. Ich prophezeite meiner Enkeltochter die köstlichste Schlemmerei am Schokobrunnen, wo die Schokolade nonstop fließt und man nur seinen Rüssel reinhalten muss um glücklich zu sein. Was für eine Enttäuschung, dass der Schokobrunnen leider in der Coronazeit geschlossen bleibt. Ups, das war nicht gerade klug und ein „Oma, hast du dich nicht im Internet erkundigt“, war die berechtigte Frage meiner Enkeltochter.

Ich war ein wenig geneigt, sie ab sofort heimlich als altklug und naseweis zu bezeichnen. Aber was wissen Sechsjährige schon davon, wieviel Nerven es kostet, im etwas höheren Alter digital mitzuhalten . Sie gehört schließlich zu den Digital Natives.

Da ich einer kleinen Wohnung lebe und das praktisch gelegene Airbnb-Appartement in meiner Straße Corona zum Opfer fiel,hatte ich alles, so gut wie es in der Kürze der Zeit ging,vorbereitet. Tochter und Baby schliefen auf dem Schlafsofa gleich neben der Waschmaschine und mein Goldstück und ich, in meinem sehr komfortablem Boxspringbett. Die Höhe ist mittlerweile erklimm-, besser erspringbar. Dieses Bett ist so gemütlich, das das Aufstehen fast unmöglich ist.

Wer bestimmt die Regeln: Mama oder Oma?

Unmöglich vor allem deshalb, weil sich ein riesengroßer Flachbildschirmfernseher im gleichen Zimmer befindet. Für eine Berliner Göre mit sendungsbewussten Eltern: kein Fernsehen, keine Süßigkeiten und Essen im Bett geht gar nicht, eine große, ja sehr große Herausforderung. Ich intervenierte sogleich, auch im eigenen Sinne und sagte: hier bestimme ich die Regeln. Wozu das während des Aufenthaltes führte, hört sich etwa so an.

„Mein Kind guckt sowieso schon von allen Kindern in Berlin am meisten fern“, schrie meine Tochter, nach einer 90minütigen Session im königlichen Bett vor dem Riesenfernseher, was mich ziemlich pikierte, denn wir hatten ganz viel Spaß mit Bibi, Tina und Checker Tobi. Doch vor allem eins schien mir an diesem Ausbruch mütterlicher Besorgtheit erstaunlich: sie hatte wohl ganz vergessen, das sie überhaupt keinen Fernseher besitzen. Seit Jahren nicht, sehr zu meinem Leidwesen, wie ich gestehen muss. Doch darum geht es wohl in einer zukunftsorientierten Welt: Gewohnheiten ablegen!

Ich begriff schnell, okay, so geht das nicht weiter, ich muss mich anpassen und hatte auch schon zig Ideen parat. Ich kaufte einen Webrahmen samt Wolle, Unmengen an Bastelutensilien, weitere Scheren, Klebstoff, Papiere und wir stürmten die Bücherinsel der Kirchengemeinde meines Viertels. Jetzt stand zwar die „Bude“ – Oma ich liebe dein „Büdchen“ – Kopf, man brauchte einen Kompass um zum Bad zu gelangen, aber der Kreativität waren jetzt keine Grenzen gesetzt.

Kinder frühstücken ausschließlich Avocado und Frischkäse, lieben vegane Schnitzel und Würstchen – iiiihhhh – und sind überhaupt äußerst aufgeklärt und wachsam. Beim Getränkeeinkauf blieb mir fast die Spucke weg, als ich die Trinkflasche meiner Enkeltochter von ihrem faden Leitungswasser entleeren wollte, um sie mit Eistee zu füllen. „Oma, das ist Wasserverschwendung“, platzte es aus meiner Enkeltochter heraus und der ernste Blick ließ keinen Zweifel daran, das sie lieber auf den Eistee verzichtete, als das Schlückchen Leitungswasser in die Hecke zu schütten.

Das war ein Statement. Das war Haltung.

Als sie mir wenige Tage später riet, mit dem E-Roller in die Stadt zu fahren, weil ich dann die Luft nicht verschmutzen würde, war ich restlos davon überzeugt, das unsere Erde noch eine Zukunft hat. Ja, ich war geradezu davon beseelt zu glauben: Es kommen bessere Zeiten. Der Wandel wird stattfinden. Die Veränderung, die unsere Gesellschaft so dringend braucht und zu der meine Generation nicht in der Lage ist. Und so lernte auch umzudenken und den  Worten meiner sechsjährigen Enkeltochter zu folgen.

Als sie mich dabei ertappte, wie ich eines ihrer herrlich rosa, dicken Kaugummis, so etwas kauft nur Oma und schlimmer sind nur Kaugummi-Zigaretten, aus dem Autofenster spucken wollte, wusste ich endgültig: es gibt kein Weiterso! „Oma, wenn du das tust, sterben die Ameisen“. Ich war so perplex, das ein kleiner Mensch in diesem Alter sich bereits Sorgen um die Popularität der hiesigen Ameisen machte, das ich restlos kapitulierte. Ich spuckte nicht, sondern ich schluckte. Nicht das Kaugummi, sondern die Botschaften meiner Enkeltochter. Meiner Hauptstadt-Enkeltochter.

Jetzt lernt Alt von Jung

Der Stadt, die den Ruf hat, am Puls der Zeit zu leben. Deren Menschen sich bemühen, den Klimawandel, die Mobilitätswende, kontrollierter Mediengebrauch, Nachhaltigkeit und gesunde Ernährung einfach umzusetzen. In Form einer aufklärenden Erziehung. Die verstanden hat, das die junge Generation zu denen gehört, für die dieser Veränderungsprozess im Verhalten lebensnotwendig ist. Ich ziehe meinen Hut vor der Jugend und bin hocherfreut, dass die Pädagogen und Pädagoginnen den Grundstein dafür legen.

Und natürlich die Mütter und Väter, die diesen schwierigen Prozess aktiv unterstützen und aushalten müssen. An den Kassen dieser Konsumgesellschaft, der massiven Werbung die allgegenwärtig ist, in einer Großstadt noch viel mehr, als auf dem Lande. Veränderung die spürbar ist – im Umgang und im Zusammenleben von Jung und Alt. 

Ach, hatte ich erwähnt, das ich seit der Abreise meiner Liebsten kein Stück Fleisch mehr gegessen habe? Nicht einmal eine Wurst. Und dabei war ich mein Leben lang, Expertin in Sachen Bock- und Bratwurst. Und habt ihr bemerkt, das ich gendergerecht schreibe? Denkt ihr, dass das selbstverständlich ist? Und darf ich gestehen, dass ich nicht gerne auf mein Auto verzichte?

In diesem Sinne: Verzichtet, aber lasst es trotzdem krachen. In Form von Umdenken, dazulernen und immer schön zuhören, wenn Sechsjährige etwas zu sagen haben!

Bettina Mennen ist eine glücklich geschiedene 62-jährige Oma, die uns aus ihrem Leben erzählen möchte. Sie lebt in Aachen, die Enkelkinder in Berlin. Ihren ersten Text über den Sommer mit den Berliner Enkelkindern könnt ihr hier lesen.

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