Hauptstadtmutti

Ach Süße!

Warum halbherzige Oberflächlichkeit in echten Freundschaften nichts zu suchen hat und wie man eine richtig gute Freundin wird.

Der Flirt bei Tinder meldet sich nicht mehr. Der Chef hat die doofe Kollegin befördert. Schon wieder das Fahrrad geklaut. Manchmal fühlt sich das ganze Leben an wie ungewaschene Haare. Die Stimmung ist im Keller. Alles nervt. Man ist zu enttäuscht, um sich mit einem Buch abzulenken oder einfach zu down für eine Runde Sport. Wenn das Leben Kacke ist, ruft man den Menschen an, den man am meisten mag: Die beste Freundin.

Egal, ob nebenan zuhause oder nach Kasachstan verzogen, das Band zwischen Euch ist so fest, dass ihr einen gemeinsamen Periodenkalender habt. Oft über Jahre gewachsen und an Ereignissen gereift, fußt die Verbindung auf drei entscheidenden Faktoren:
1. Ihr habt den gleichen Humor.
2. Ihr verachtet die gleichen Leute.
3. Wenn die andere nachts um vier einen Rat, einen Dietrich oder ein Alibi braucht, fragst Du nur kurz, ob’s noch’n Schnaps dazu sein darf.

Es ist Liebe! Keine Frage. Aber was für welche? Ja, das muss schon genau benannt werden in DIN-Deutschland. Liebe gibt es nach jetzigem Wissensstand in drei Kategorien. Die Erste ist verordnete Liebe wegen Blutsverwandtschaft. Familienliebe. Der Glaube an die Verwandtschaft muss reichen, man braucht in der Regel keinen DNA-Test. Macht man doch einen und das Ergebnis ist negativ, gibt’s oft Liebesentzug in Kategorie B. Die Paarbeziehung. Hier ist die Liebe freiwillig. Naja, so halbwegs. Die Liebe kommt wegen Geruch und Hormonen, steigert sich zu komplett wahnhafter Idealisierung und endet nicht selten in Enttäuschung und Frust. Oft hat man an diesem Punkt schon neue Mitglieder für Kategorie A produziert. Um dann nicht total durchzudrehen, gibt es Kategorie C. Die Liebe zu Freunden. Sie ist leider ein bisschen wie das mittlere Kind und bekommt zu wenig Aufmerksamkeit. Wegen Social Media glaubt man, wenn sich beide mit einem Glas Prosecco vor die Kamera klemmen, ist alles tutti paletti. Problemfreie Zone. Lieblingsmensch. BFF. Die Mädels. Küsschen Süße! –  Was für ein Blödsinn.

Während man mit dem Lesen von Ratgebern über gute Beziehungen zu Partnern oder Familienmitgliedern bis an sein Lebensende beschäftigt wäre, gibt es kein einziges Buch darüber, wie man eine gute Freundschaft pflegt. Merkwürdigerweise sehen wir die Verbindungen zu unseren Freunden als komplette Selbstläufer. Es gilt, die Paarbeziehung um jeden Preis zu erhalten. Das ist der Kern unseres Lebens, daher wird die Liebe, aus der sie hervorgeht, so stark verhandelt wie nie zuvor. Soll man mehrere Partner lieben oder nur einen? Was ist überhaupt Liebe, wenn wir sie gar entfesseln? Medien und Paartherapeuten sind sich einig: Egal, welche Form, wichtig ist, dass man sich einander zuwendet und an der Beziehung arbeitet. Und die Liebe zu Freunden fällt vom Himmel oder was? Gerade unsere Freundschaften kommen dem Ideal von freier Liebe am nächsten. Sicherheit, Verbindlichkeit, Bedingungslosigkeit sind die vielbeschworenen Geister, die heilend in unser Leben treten sollen, wenn wir in guten Beziehungen leben. Aber genau das gilt doch auch für Freundschaften, warum dann so lieblos mit ihnen?

Ja, lieblos ist das. Wo wären wir denn ohne unsere Freunde? Am Arsch, lautet die Antwort. Viel zu oft erwarten wir Verständnis, kümmern uns nur um unsere eigenen Angelegenheiten und gehen dann gestresst und pflichtschuldig schnell auf einen Kaffee vorbei, um die aktuellen Lebensereignisse zu kommentieren. Aber reicht das? Manchmal vielleicht. Wir sollten mehr investieren, besser zuhören, uns wirklich auseinandersetzen, denn eine ehrliche Hinwendung zahlt nicht nur auf das Wohlbefinden unserer Freunde ein, wir haben die Chance, eine echte Verbindung zu schaffen, die uns auch selbst stärkt.

Denn unsere Beziehungen, sind das, was uns ausmacht. Wenn wir lernen, unsere Freundschaftsbeziehung als geschützten Raum wahrzunehmen, haben wir auch einen Platz, uns so zu zeigen, wie wir wirklich sind. Die Verbindung ist wegen ihrer absoluten Freiwilligkeit viel weniger von emotionalen Abhängigkeiten und Machtstrukturen durchwirkt als in Paarbeziehungen oder familiären Bindungen. In Freundschaften können emotionale Bedürfnisse freier ausgehandelt werden. Nimmt man sein Gegenüber ernst und ist wirklich interessiert, sollte uns diese Form der Unterstützung als Leitbild für unsere anderen Liebesbeziehungen dienen, die sonst viel stärker von Erwartungshaltungen und emotionalen Altlasten geprägt sind. Üben wir lieben in unseren Freundschaften, geht es auch unseren anderen Beziehungen besser. Dafür muss man zuhören und weg von ignoranten Floskeln. Hier sind vier Beispiele ehrlicher Freundschaftspflege aus Liebe:

Problem: Der Vermieter kündigt wegen Eigenbedarf.

Du sagst: Ach Süße!

Du meinst: Komm, hör jetzt auf rumzujammern, ich will jetzt über meinen Kram reden und Du ziehst die Stimmung hier echt runter.

Gib Dir mehr Mühe: Frag zuerst, ob du den Brief vom Vermieter sehen kannst, dann hilfst du bei der Suche nach einem Anwalt für Mietrecht und wenn doch alles sinnlos war, hängst du Zettel mit Wohnungsgesuch in der Nachbarschaft auf. Manche Nachrichten erwischen einen so kalt, dass man wie gelähmt ist, dann hilft jemand, der ganz konkret Hilfe anbietet. Sei dieser Jemand!

Problem: Der Freund ist weg. Seine Neue ist Schauspielmodelsängerin und hat mit 25 schon zwei Doktortitel.

Du sagst: Andere Mütter haben auch schöne Söhne.

Du meinst: Ich hab nie verstanden, was Du an dem fandest. Der Typ ist es nicht wert. Hier ist Tinder!

Gib Dir mehr Mühe: Hör dir alles an, auch zum 23. Mal. Verfluch den Tag seiner Geburt und pack alle peinlichen Geschichten über ihn aus, die dir einfallen. Lass sie bei dir übernachten und wenn die schlimmste Heulerei vorbei ist, zeig ihr, dass sie auch einen Teil der Schuld trägt. Wenn du dabei helfen kannst, zerstörerische oder ungesunde Beziehungsmuster zu erkennen, tu das. Auch, wenn’s weh tut. Halte aus, dass sie sauer auf Dich wird. Sei keine Gut-Wetter-Freundin nur weil’s einfacher für Dich ist.

Problem: Depressionen. Angststörung. Krebs.

Du sagst: Hey, das wird schon wieder!

Du meinst: Ich hab Schiss, dass es nicht wieder wird.

Gib Dir mehr Mühe: Sag, dass du auch verdammten Schiss hast und halte es mit ihr zusammen aus. Hör zu. Sei da. Frag nach, was du tun kannst. Lerne, wie du besser helfen kannst. Informiere dich über die Krankheit. Wasch die Wäsche. Koch Essen und bleib, solange du musst.

Problem: Der Vater ist gestorben. Viel zu früh. Sie ist ein Papa-Kind.

Du sagst: Scheiße!

Du meinst: Scheiße!

Gib Dir mehr Mühe: Sag nichts. Heult zusammen!

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Foto: Kai Senf

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