Dieser Gastbeitrag von Aileen Puhlmann erschien ursprünglich im Sommer 2020 im Online Magazin Ohhhmhhh. Aileen hat danach u.a. ZEIT online ein Interview zum Thema gegeben, das ihr hier findet. Für die Lotsinnen hat sie das Thema unter dem Titel „Die Kita sollte ein Ort sein, an dem mein Kind sicher ist“ erneut untersucht. Ihr findet bei Familiar Faces den Beitrag „Wie erkläre ich meinen Kindern Rassismus“. Ihr könntet aber auch das Interview mit mit Olaolu Fajembolaund Tebogo Niminde-Dundadengar lesen: „Jedes Kind muss sich wieder erkennen können“ – Mit Kindern über Rassismus sprechen. Danke Aileen, dass dein Beitrag hier veröffentlicht werden kann und hoffentlich noch mehr Leute erreichen wird.
Foto: Fynn Kohls
Ich bin wütend, so richtig wütend. Irgendetwas läuft verdammt schief und ich finde nicht die richtigen Worte, um dem Ausdruck zu verleihen. Es ist der zweite Elternabend in der neuen Kita meiner dreijährigen Tochter. Die Kita im hippen, vermeintlich toleranten und vorzeige-Antifa Hamburger Stadtteil St.Pauli war mir empfohlen worden. Sie war auch eine der einzigen Kitas, die mir die Betreuungszeiten garantieren konnte, auf die ich als alleinerziehende und vollzeitarbeitende Mutter schlichtweg angewiesen bin. Ich war noch im Ausland als ich den neuen Job in meiner Heimatstadt zugesagt bekam. Und ich dachte, dass ich mir über Diversität auf St. Pauli keine Sorgen machen müsste. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass meine Tochter nur eines von zwei Schwarzen Kindern in einer Kita mit über 120 Kindern war. Auch jegliche andere Form von Diversität und Inklusion fand hier augenscheinlich nicht statt.
Das böse R-Wort
Ein Vater hatte die Erzieherinnen Wochen vor dem Elternabend darauf aufmerksam gemacht, sein Sohn hätte gesagt, nur Afrikaner würden ihren Müll auf die Straße schmeißen. Er war davon überzeugt, dass sein Sohn dies aus der Kita haben müsse, denn zu Hause, so beteuerte er, würde er dies nicht zu Ohren bekommen — derselbe Vater begrüßte meine Tochter morgens öfters mit Betitelungen wie „Brownie“ oder „Schokoladenkind“, beides höchst problematische Fetischisierungen. Dieser besagte Vater bat nun die Erzieherinnen dies irgendwie aufzuarbeiten. Und das taten sie auch. Mit viel Hingabe konzentrierten sie sich auf ein Müllprojekt, welches die Kinder wohl allesamt toll fanden.
Da sitzen wir also beim Elternabend. Die anderen Eltern – allesamt in Doppelbesetzung, alle weiß – loben das Müllprojekt mit großer Inbrunst. Sie singen quasi Lobeshymnen, unerträgliche zehn Minuten lang. Ich bin also wütend und wage es zu fragen, wie die Kita denn mit dem rassistischen Teil der Aussage des Kindes umgegangen sei. Ja, ich habe das böse R-Wort benutzt. Um mich wird es still… und mir wird heiß. Ich als einzige Schwarze Frau, allein unter weißen Elternpaaren, habe es gewagt, den positiven Vibe zu stören. Ich fange an zu stottern. Ich versuche zu erklären, dass die Situation für meine Tochter und mich eine andere sei, da wir gerade erst aus Südafrika zurückgezogen seien. Ich artikuliere meine Sorge , dass die Kinder die Aussage auch auf meine Tochter projizieren könnten und thematisiere, dass meine Tochter öfter gesagt bekommt, sie könne nicht „Elsa“ spielen, da sie keine blonden Haare hätte –nur eins von unzähligen Beispielen.
Dann bricht die erste Mutti ihr Schweigen und erwidert, dass ihre Tochter braune Haare hätte und demnach dann ja auch nicht Elsa sein könnte. Die nächste stimmt mit ein, sie wurde als Kind auch wegen ihrer blonden Locken gehänselt. Ein Vater drängt auf die Zeit. Die Erzieherinnen sitzen überfordert da und stammeln etwas davon, dass die Kinder zu klein seien um zu verstehen. Und dann geht es einfach weiter im Programm. Ich bin unzufrieden, fühle mich allein und hilflos. Mir wird auf einmal bewusst, dass mir die Worte fehlen, um auszudrücken was hier gerade geschieht. Worte, um zu benennen, was mir und meiner Tochter tagtäglich wiederfährt.
Sprache ist Macht
Das war der Zeitpunkt, an dem meine Suche begann – die Suche nach den richtigen Worten. Ich landete schließlich bei einem Empowerment-Workshop für Schwarze Eltern. Geleitet von der derzeit oft zitierten und unglaublich kompetenten Autorin und Antirassismus-Trainerin Tupoka Ogette. Dieser Workshop war alles was ich brauchte: ein geschützter Raum in dem mir bestätigt wurde, dass das Fehlen der richtigen Worte unter anderem darauf zurückzuführen sei, dass der rassismuskritische Diskurs in Deutschland noch sehr jung ist. Viele Worte werden eins zu eins aus dem Englischen übernommen, wie zum Beispiel People of Colour (POC) – welches als Selbstbezeichnung aus der Bürger*innenrechtsbewegung der USA der 1960er Jahre stammt und deshalb nicht übersetzt wird. Oder das Wort race, welches sich nicht einfach in „Rasse“ übersetzen lässt, sondern einen ganzen Diskurs beschreibt. Oder Mikroaggressionen, ein Begriff geprägt durch den Psychiater Chester Pierce in den 1970ern. Dieser fasst die täglichen Sticheleien zusammen, die einem als nicht weiß gelesene Person / (als nicht weißer Mensch) widerfahren. Dieser bezeichnet den Effekt, den diese Vorfälle in ihrer Wiederholung auf die Psyche der Betroffenen haben können. Ein oft wiederkehrendes Beispiel für Mikroagressionen ist die Frage nach der Herkunft: „Woher kommst Du?“ ist vergleichbar mit einem Mückenstich. Ein einzelner Stich nervt, macht aber nicht viel aus. Je mehr Stiche kommen, desto mehr machen sie einen verrückt. Kurzum – es ist die Summe der Stiche, die den Zustand unerträglich machen.
Ich fing an zu lesen, Bücher, Artikel und Social Media Beiträge und merkte über die nächsten Monate, dass ich immer sicherer wurde. Aber es war Arbeit, verdammt viel Arbeit. Ich hatte zuvor 15 Jahre im Ausland gelebt und auf Englisch war ich durch Studium und Arbeit sehr gut gewappnet. Auf Deutsch fehlten mir jedoch die Begrifflichkeiten. Sprache ist Macht, das war mir schlagartig bewusst.
Zurück zum Elternabend. Endlich ist er vorbei. Die Erzieherinnen bitten mich noch zu bleiben. Überraschenderweise bedanken sie sich für meine Einwände und geben zu unvorbereitet gewesen zu sein. Auf meinen Vorschlag hin versprechen sie, bei der nächsten Bücherbestellung auf Diversität zu achten und fragen nach einer Referenzliste. Heute hätte ich gesagt „Google it“ aber zu dem Zeitpunkt war ich einfach froh, dass wenigstens die, auf die es ankam, mich zu hören schienen und es gab mir Hoffnung. Den anderen Eltern ging ich von nun an wenn möglich aus dem Weg.
Ungeschützte Räume
Aber es dauerte nicht lange und das Unvermeidliche geschah: klare rassistische Vorfälle, die ich mittlerweile auch als solche benennen konnte. Die Kinder sind nun fünf. Ich bin auf Dienstreise in Ruanda und bekomme einen Anruf von meiner Mutter und meiner völlig aufgelösten Tochter. Kinder aus der Kita hatten behauptet, sie sähe aus wie Schokolade und hätte einen komischen Körper Ich rede meine Tochter gut zu, stärke sie, versichere ihr, dass sie genauso wie sie ist, richtig, wichtig und schön ist. Was blieb mir anderes übrig?
Nach meiner Rückkehr spreche ich den Vorfall in der Kita an. Die Erzieherin fragt, was denn nun wirklich vorgefallen sei. Sie fordert, dass meine Tochter doch bitte sofort Bescheid sagen solle, da die Erzieherinnen nicht immer alles mitbekommen könnten. In einem zehnminütigen Redeschwall versichert sie mir das Kinder ja gar nicht rassistisch sein können. Aus meiner Recherche weiß ich aber, Kinder können sehr wohl rassistische Bilder und Haltungen wiedergeben und projizieren. Der viel kopierte „Doll Test“ bewies dies erstmals in den 1940er Jahren. Kenneth Bancroft Clark und Mamie Phillips Clark testeten anhand von vier Puppen die sich nur durch ihre Hautfarbe unterschieden wie Kinder Zuschreibungen kategorisieren und Hautfarbe bewerten. Der Großteil der Kinder im Vorschulalter,- auch Schwarze-, sprachen der weißen Puppe Merkmale wie „schön“ und „gut“ zu und der Schwarzen Puppe Merkmale wie „böse“ und „hässlich“.
Ich bin sprachlos – schon wieder. Augenblicklich wird mir klar, dass ich meine Tochter täglich in einen ungeschützten Raum gebe. Ein Raum in dem sie aufgrund optischer, naturgegebener Merkmale der Möglichkeit ausgesetzt ist, ausgegrenzt zu werden. Ich lege auf und fange an zu weinen. Genau davon hatten mir viele befreundete Schwarze Eltern bereits erzählt: Institutionen denen der Wille und die Kenntnis zur Selbstreflexion fehlen.
Schwarze Räume
Tagelang fühle ich mich machtlos und zu schwach, um einen solchen Kampf zu führen. Ich habe in der Kita keine Verbündeten, niemanden, dem ich vertraue, niemanden, den ich nach Unterstützung fragen kann. Die „Täterkinder“ wussten nicht einmal, dass sie etwas falsch gemacht hatten. Wie auch –¬– Erzieherinnen sowie Eltern entzogen sich ihrer Verantwortung und so lag der Auftrag einzig und allein bei mir, meine Tochter stark zu machen und dafür zu sorgen, dass sie einigermaßen unbeschädigt durch diese Zeit kommt. Sie ging nach wie vor fröhlich in die Kita, doch meine Sorgen wuchsen von Tag zu Tag. Der Erzieherin konnte ich Wochenlang nicht ins Gesicht schauen. Ich zog mich zurück in mehrheitlich Schwarze Räume. Wir fuhren zum Bundestreffen der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, um wenigstens für ein langes Wochenende Mehrheitsgefühl zu erleben. Nach unserer Rückkehr gründete ich eine Eltern-Kind-Gruppe für Schwarze Menschen. Seitdem ersehne ich die Einschulung meiner Tochter, mit der Hoffnung nicht mehr alleine zu sein.
Empathie? Fehlanzeige.
Fällt hier etwas auf? Die seelische Erschütterung haben meine Tochter und ich erlebt. Die Kita und ihr Personal haben mich lediglich als ungemütliche Political Correctness-Polizei abgespeichert. Erschöpft von einem 40-Stunden Arbeitsalltag hatte ich selten die Kraft noch größere Kämpfe zu führen.
Etwas später bei einem Elterngespräch fand ich jedoch den Mut meine Enttäuschung Ausdruck zu verleihen und anzusprechen, dass das Wohlergehen meines Kindes nie im Mittelpunkt stand. Ich legte den Erzieherinnen eine Referenzliste zu Diversitätsansätzen in der frühkindlichen Erziehung auf den Tisch und ging.
Mein sehnlichster Wunsch? Mal nicht kämpfen müssen.
Warum habe ich diese Erlebnisse beschrieben? Weil ich aufzeigen will, dass fehlende Sprache einhergeht mit der fehlenden Reflexion rund um das Thema Rassismus. Mir als betroffene Person wird das Leben unglaublich schwer gemacht durch genau die fehlende Bereitschaft von weißen Menschen zu reflektieren und zu lernen, so wie ich es letztendlich auch tun musste. Sich aktiv mit Rassismus und den diversen Formen in denen er sich zeigt zu beschäftigen kann nicht nur Aufgabe von betroffenen sein, denn aktiv verhindern können ihn nur weiße Menschen. Meine Geschichte ist nicht die Einzige, ich kenne tausende dieser Geschichten aus Kitas und Schulen im ganzen Land.
Es reicht nicht aus, wenn sich nur Schwarze Eltern mit Sprache auseinandersetzen, um die richtigen Worte zu finden und Wert auf Diversität in Kinderbüchern legen. Diese Arbeit muss von allen gemacht werden, denn es ist verdammt viel Arbeit die nur gemeinschaftlich bewältigt werden kann. Weiße Eltern dürfen keine Mühe sparen und müssen ihren Teil dazu beitragen, damit Schwarze Kinder und Kinder of Colour geschützt werden und in einem geschützten Raum aufwachsen. Sie müssen den Anspruch erheben, dass auch ihre Kinder auf eine vielfältige Gesellschaft vorbereitet sind, diese schätzen und sich bewusst sind das jeder Mensch wichtig und richtig ist. Denn das Privileg es zu kompliziert zu finden oder sich nicht damit zu beschäftigen haben wir Betroffenen einfach nicht.
Und was hätte ich mir damals beim Elternabend sehnlichst gewünscht? Verständnis, Bestätigung, Unterstützung und verbündete Eltern. Ich hätte mir gewünscht gehört zu werden. Am besten hätte die Elternvertretung übernommen mit der Kitaleitung über Weiterbildungen für das Personal zu sprechen, denn genau so sieht wirkliche Solidarität aus. Nehmt uns diese Kämpfe doch einfach mal ab!