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Quäl Dich, Du Sau – Der Kaiserschnitt und sein Imageproblem

Entbindungen mit medizinischer Hilfe werden als Geburten zweiter Klasse stigmatisiert. Besonders der Kaiserschnitt hinterlässt bei Müttern oft ein Gefühl des Versagens. Schuld ist das kompromisslose Diktat der „natürlichen“ Geburt. Das ist bigott und sogar frauenfeindlich.

„Bloß keinen Kaiserschnitt!“ war meine Antwort auf die Frage, was ich mir sonst so für die Geburt wünschen würde. „Bitte alles tun, um einen Kaiserschnitt zu verhindern!“ bat ich inständig. Ich war das zweite Mal schwanger und wurde ein paar Wochen vor dem errechneten Geburtstermin in der Klinik vorstellig, in der ich das Kind zu Welt bringen wollte. Dort war 10 Jahre zuvor auch meine Tochter zur Welt gekommen. Die Geburt wurde damals mit einer Saugglocke beendet. Ich war vollkommen überwältigt von den Wehen, hatte viel zu viel Angst, um mich darauf einzulassen, war nicht vorbereitet. Wie soll man darauf vorbereitet sein? Mächtig wie eine Naturgewalt versuchte sich das Leben seinen Weg zu bahnen. „Dir fehlt die Tiefenentspannung.“ erklärte meine Hebamme und veranlasste erst eine PDA (Periduralanästhesie, auch Rückenmarksnarkose) und dann die Saugglocke als die Herztöne schlechter wurden.
Ich brachte meine Tochter gesund zur Welt. Als ich zwei Tage später entlassen wurde, nahm ich mein rosiges Baby und die Überzeugung mit, dass meine Unfähigkeit zur Entspannung die Geburt so dramatisch machte. Ich war also gerade erst Mutter geworden und fühlte mich schon schuldig. Herzlichen Glückwunsch.

Angstfrei zu Baby Nummer zwei

Nun, 10 Jahre später war ich fest entschlossen, dass es dieses Mal eine verdammte Bilderbuchgeburt wird. Ich wollte mich auf alles einlassen, so tiefenentspannt sein, wie es nur geht, Vertrauen haben, loslassen und jede Wehe wie ein Geschenk feiern, bloß keine Angst haben. Es ist doch alles ganz natürlich. Ich landete also beim Thema Hypnobirthing – eine Art Selbsthypnose, die Schmerzen mittels Atemtechniken und Entspannungsübungen lindern soll. Ohne Angst vor Schmerzen könnte ich mich entspannen und dann flutscht es auch, ne?!
Dann kam die erste wirksame Wehe. Scheiß Geschenke waren das. Sie taten, was sie sollten und das Baby folgte den Kontraktionen schon langsam Richtung Welt. Da erkannte die Hebamme, dass sich das Kind in der sogenannten hinteren Hinterhauptslage befand. Es war ein Sternengucker, lag falsch herum. Zwar mit dem Kopf im Becken, aber eben mit dem Gesicht zum Schambein. Wir hätten uns direkt ansehen können, hätte ich den Jungen heroisch aus mir selbst herausgezogen. Hab ich aber nicht, denn diese kindliche Lage zählt zu den möglichen Komplikationen unter der Geburt und bedeutet, dass das Kind nicht ideal durch den Geburtskanal passt. Das Baby braucht mehr Platz als es mit korrekter Lage bräuchte. Ergo: Es ist schwerer rauszukriegen.

Ich kniete, ich lag, ich hockte, ich hing in den Seilen. Das Kind kam nicht. Ich hätte auch einen Handstand gemacht, wenn es der Geburt zuträglich gewesen wäre. Nach drei Stunden Presswehen, entschied die Hebamme, es mit einer PDA zu versuchen. Die Hoffnung war, dass ich mich kurz erholen kann, um das Kind dann endlich auf die Welt zu bringen. Ich war so kraftlos, dass ich zwischen den Wehen einschlief. Die Schwester schob das Baby wieder ein Stück zurück, sodass ich mich überhaupt aufsetzen konnte. Leider presste ich auch mit der PDA meinen ungeborenen Sohn immer nur gegen die Beckenknochen. Die Herztöne wurden schlechter. Schlussendlich doch der Kaiserschnitt. – Da war sie nun, die Katastrophe.

Halbwissen macht Angst

Am nächsten Tag kam die diensthabende Schwester ins Zimmer und sagte nach einem kurzen Blick auf das Baby und mich: „Na, Vor 100 Jahren wären Sie beide noch gestorben. Har, har, har.“
Das ist korrekt. – Unsensibel, aber korrekt. Meine Geburtskomplikationen waren im Schwesternzimmer offenbar schon Thema gewesen. Vielleicht auch wegen der Ironie, dass ausgerechnet die, die sich so gegen den Kaiserschnitt gesträubt hatte, ihm schlussendlich das Glück des Lebens zu verdanken hatte. Ja, der Kaiserschnitt rettet Leben. Wer auf die Schnelle googelt, stößt trotzdem auf den Vergleich, dass die Müttersterblichkeit bei einem Kaiserschnitt drei Mal höher ist als bei einer vaginalen Geburt.
Waaaaas? Dreimal höher? Auch deswegen stand die Schnittgeburt bei mir nicht besonders hoch im Kurs: Kaiserschnitt bedeutet Tod – so einfach hat mein schwangeres, halb informiertes Gehirn diesen statistischen Vergleich abgespeichert. Ich wollte neues Leben schenken, aber doch nicht mein eigenes dafür hergeben. Ergo: Bloß keinen Kaiserschnitt! Die nackten Zahlen erzählen aber nur die halbe Wahrheit.

Risiko is sowieso

Erstmal zur Klärung: In Folge einer Schwangerschaft zu sterben ist in Deutschland sehr, sehr unwahrscheinlich. Im Jahr 2017 gab es 762.343 Entbindungen, davon waren 232.505 Schnittgeburten. Insgesamt starben in diesem Jahr laut RKI 22 Frauen in Folge von Schwangerschaft oder Geburt. Neun dieser tragischen Vorfälle ereigneten sich im Zusammenhang mit einem Kaiserschnitt. (Die Statistik verzeichnet einen Todesfall von 25.000 Frauen, die per Kaiserschnitt entbinden) „Jedoch ist das Risiko bei einem Notfalleingriff deutlich höher als bei einem geplanten Kaiserschnitt.“, hält der Berufsverband der Frauenärzte e.V. fest.
Katharina Quack Lötscher ist Fachärztin für den Bereich Prävention und Public Health und erforscht die Müttersterblichkeit in der Schweiz. In einem Interview mit der NZZ erklärt die Expertin die Sachlage so: „Das heißt nun aber keineswegs, dass ein Kaiserschnitt die Mutter mehr gefährdet als eine normale Geburt. Denn in den meisten Fällen kam es zu einem Kaiserschnitt, weil das Leben der Mutter und/oder des Kindes in Gefahr war – zum Beispiel bei der Schwangerschaftsvergiftung.“ Die Lebensgefahr gab es also schon, bevor der Chirurg das Skalpell angesetzt hatte. Die moderne Medizin kann mithilfe des Kaiserschnitts die allermeisten Geburten zu einem glücklichen Ende bringen. In manchen Fällen vermag sie es nicht. Menschliche Fehler sind dabei genauso tragisch wie die Verkettung von verhängnisvollen Umständen. Eine Geburt ohne Risiko gibt es nicht.

Frauen werden leidgeprüft

Während der moderne Mensch jede Innovation zur Erleichterung des Lebens beklatscht und begrüßt, herrscht beim Thema Geburt gesellschaftlich eine merkwürdige, ja fast schon irrationale Rückbesinnung auf die Natur:

Hilfe beim Frühstück durch ein selbstheizendes Buttermesser? Na logi! Das ist Fortschritt.

Hilfe bei der Geburt durch Schmerzmittel oder Kaiserschnitt? DAS IST NICHT NATÜRLICH!

Das sagt einem niemand so direkt ins Gesicht, wenn man berichtet, dass man mittels Kaiserschnitt entbunden hat. Es sind Sätze wie: „Mach Dir nichts draus.“ oder „Hauptsache gesund.“ die dann doch verraten, dass hier irgendwas bedauert werden muss, dass es ein Manko gibt, über das alle gnädig hinwegsehen, Punktabzug. Nämlich, dass die natürliche, also die vaginale Geburt nicht geklappt hat, dass die Mutter sie nicht leisten konnte oder wollte, dass sie versagt hat. Denn das Attribut „natürlich“ steht hier für den Umstand, dass man durch die Qualen der Geburt gegangen ist, ohne diesen Prozess zu verfälschen. Dass man die Gewalt des Gebärens durchlebt, den Wehenschmerz erduldet, die Unheimlichkeit der weiblichen Kraft erfahren und das Kind schließlich vaginal geboren hat. Jede Abweichung von diesem Verlauf bricht mit dem herrschenden Mutterideal und impft der frisch gebackenen Mutter ein diffuses Gefühl der Unzulänglichkeit ein.
Das ist symptomatisch für eine Gesellschaft, die für Frauen das selbstlose Ertragen jedweder Qual zum Liebesbeweis vergoldet. Das klaglose Erleiden des schmerzhaften Geburtsprozesses ist so eng mit Mutterliebe verbunden, dass hier der gleiche Irrglaube herrscht, wie in toxischen Beziehungen: Viel Leid bedeutet auch viel Liebe. Die Gretchenfrage für angehende Mütter lautet also: Wie hältst Du´s mit der Leidensfähigkeit?

Ibu 400 wächst nicht am Baum

Von Nasenspray bis Insulin, im Alltag nutzt fast jeder ganz selbstverständlich die moderne Medizin. In der Hausapotheke sind Medikamente zur Schmerzbehandlung simple Grundausstattung. Wie jeder vernünftige Mensch hole ich einfach eine Ibu 400 aus dem Schrank und werfe sie gegen den fiesen Kater-Brummschädel ein. Körperlichen Schmerz zu ertragen, macht mich nicht zu einem besseren Menschen. Und trotzdem bin ich, wie die meisten schwangeren Frauen, dem Glauben erlegen, dass es ganz doll wichtig ist, sich irre zu quälen und man auf gar keinen Fall vom natürlichen Fahrplan der Geburt abweichen darf, weil man nur so zu einer „richtigen“ Mutter wird. Ich habe allerdings noch nie gehört, dass auch Männer irgendwo ihre Leidprüfung ablegen, um zu „richtigen“ Vätern zu werden. Die ganzen Narrative um die Worte „richtig“, „echt“ oder „natürlich“ sind Zwangskategorien, die gemeines, frauenfeindliches Anspruchsdenken am Leben halten. Bah!

Heilige Schmerzen

In einer Welt der Optimierung und der luxuriösen Erleichterung für jede Lebenslage ist es daher ziemlich merkwürdig, dass unsere Gesellschaft es geschafft hat, ausgerechnet die Grenzerfahrung Geburt mit dem Gebot der Natürlichkeit zu versehen. Niemals wäre es denkbar, dass sich irgendein Thomas den Kreuzbandriss vom letzten Lokalderby bei vollem Bewusstsein operieren lässt, um zu beweisen, wie sehr er seinen Freizeitfußballverein liebt. Könnte es sein, dass wir die Doktrin des maximalen Quälens beim Entbinden dem Patriarchat zu verdanken haben? Ist dieser Anspruch vielleicht längst überholte Folkore? Misogyner Überrest aus grauer Vorzeit?
Schon in der Bibel ist Geburtsschmerz ein Fluch Gottes. Eine Strafe, weil Eva Schuld ist an der Vertreibung aus dem Paradies: „Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären (…).“ OK Gott, alles klar.

Viele Wege führen ins Leben

Die Wissenschaft geht davon aus, dass ohne moderne Zivilisation und Medizin etwa jede hundertste Frau in Folge einer Schwangerschaft sterben würde. Das wäre nicht nur natürlich, sondern auch sehr traurig. „Der Moment der Geburt ist der gefährlichste im Leben eines Menschen“, sagt Wolfgang Henrich, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin der Charité und damit Leiter des größten geburtsmedizinischen Krankenhauses in Deutschland im Interview mit ZEIT Online. Heute ist der Kaiserschnitt die weltweit häufigste Operation bei Frauen. In Deutschland waren 29,7% der Geburten im Jahr 2020 Schnittgeburten. Jedes dritte Kind kam als sogenannte Bauchgeburt zur Welt. Der Wunschkaiserschnitt macht laut Schätzungen lediglich rund 2% der aktuellen Kaiserschnittrate aus. In 5,7 Prozent der vaginalen Geburten kam eine Saugglocke zum Einsatz, eine Zange in 0,5 Prozent der Fälle. 15 bis 20 % der Frauen nehmen eine PDA in Anspruch.

Das alles ist medizinische Geburtshilfe aus ganz unterschiedlichen Gründen. Egal wie – jede Frau hat ihr Kind geboren. Niemand hat das Recht, den Verlauf oder eine Entscheidung über die Art und Weise einer Geburt zu bewerten oder gar abzuwerten. Vor allem ist niemandem geholfen, wenn wir die „natürliche“ vaginale Geburt als alternativlosen Pfad der Tugend verklären und zudem so tun, als würde die Verantwortung für das Gelingen einer solchen Entbindung gänzlich bei den Gebärenden liegen. Frauen schenken Leben, aber sie sind nicht Gott. Komplikationen können immer unvorhergesehen auftauchen.

Geburtshilfe ist kein Gedöns

Angst macht die Sache ebenfalls komplizierter. Umso wichtiger ist es, dass Gebärende sich sicher fühlen, auch wenn die Realität plötzlich sehr abweicht vom allgegenwärtigen „Hecheln-Pressen-Herzlichen Glückwünsch“. Es ist wahnsinnig schön, wenn die vaginale Geburt ohne Probleme abläuft und sich das Versprechen der Natürlichkeit erfüllt. Das wünschen sich viele Frauen, denn die vaginale Geburt geht in der Tat mit Vorteilen für Mutter und Kind einher. Es gibt jedoch einen Haufen Gründe, wieso das anders läuft oder anders gewünscht ist. Die Natur ist nicht zimperlich und Menschen sind sehr verschieden. Leider sind eine Menge Frauen enttäuscht oder sogar traumatisiert, wenn ihre Vorstellung vom Kinderkriegen so gar nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Schönreden hilft nicht. Gebären ist hart, anstrengend, überwältigend und oft verläuft es ganz anders als gedacht.

Ein Kaiserschnitt ist eine moderne und sichere Geburts(hilfe)option

In Deutschland wird über die aktuelle Kaiserschnittrate viel diskutiert, da sie mit 29,7% fast doppelt so hoch ist, als von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen. Dass er so häufig Anwendung findet, hat auch mit strukturellen Problemen zu tun. Denn wie ein Land mit dem Thema Geburt umgeht, ist entscheidend dafür, wie geboren wird und wie Frauen sich dabei und auch hinterher fühlen. Um Schwangeren eine selbstbestimmte Geburt zu ermöglichen, müssen wir vollumfänglich aufklären und ehrlich über das Thema sprechen, immer wieder, aber vor allem vorurteilsfrei. Frauen müssen sich ernstgenommen fühlen und ihre Sorgen und Wünsche Gehör finden. Das Argument der Natürlichkeit beschwichtigt letztlich eine dramatische Grenzerfahrung, die wesentlich mehr Beachtung braucht als: „Das haben vor Dir schon zig andere geschafft.“

Ich wünschte, ich hätte vor meinen beiden Kindern so intensiv zu dem Thema recherchiert, wie für diesen Text. Ich bin sicher, ich hätte mir unnötige Angst erspart und danach weniger das Gefühl gehabt, dass es bei mir ja „nur“ mit Hilfe geklappt hat. Heute weiß ich, dass es keine Geburt zweiter Klasse gibt. Ich bin heilfroh, dass ich in einem Land Kinder bekommen habe, in dem Geburtshilfe für jedermann zugänglich und sicher ist. Das ist längst nicht auf der ganzen Welt selbstverständlich.

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Foto: Kai Senf

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