Na, heute schon zwei Stunden auf Insta, TicToc oder Twitter rumgescrollt? Kommentare auf Facebook oder Insta gelesen? Es dann gleich besser gewusst? Verurteilt? Vielleicht sogar das ein oder andere Verschwörungsvideo geguckt, weil es der Kumpel, mit dem ihr noch auf Facebook befreundet seid (auch wenn ihr vergessen habt, ob ihr den eigentlich wirklich kennt), geshared hat.
Vielleicht habt ihr ja aber auch nach DIY-Anleitungen für Spülmittel, Sauerteig, Frühlingsnägel oder Osterbasteleien gesucht, das trendet ja gerade. Oder ihr habt mit eurem Halbwissen irgendwo kommentiert, weil das heute jeder kann – ohne nachdenken, einfach zack, Senf, senden. Einfach irgendwas schreiben, nicht so richtig drüber nachdenken, aber der Senf, der muss jetzt einfach raus. Mein Impuls sagt mir: ich kann mich noch 11 Sekunden konzentrieren also los jetzt. Einfach mal eine Runde haten, kritisieren oder den vermeintlichen Schlaubi raushängen lassen. Weil ich weiß es ja wohl besser als der andere und der hat eine andere Meinung? Geht gar nicht!
Ich mach es kurz und direkt, weil Blümchen sind nicht so meine Sache: ich hasse es. Ich langweile mich im Internet inzwischen zu Tode, mich nerven die Kommentare, bei denen ich – wie in der Schule – rufen möchte: THEMAVERFEHLUNG, SETZEN SECHS oder auch die, die meinen, ihr schlechtes (Öko)halbwissen zu verbreiten – ey, Leute, ich sach so: ich bin was Öko angeht, ein Zeuge Jehova – ich rede euch in Grund und Boden! Das gilt allerdings sonst für gar nix.
Das Internet ist mein Job. Und ich merke, dieser Job macht mir gerade keinen Spaß (deswegen macht Elina auch viel mehr Instagram als ich, weil ich gern dauernd Dummheits-Watschn verteilen möchte, aber wir sind ja eigentlich ein netter, gesitteter Haufen, also mach ich das was ich am besten kann: ich mach nicht mit.)
Update. Das echte Leben
Ich fluche sehr viel. Leise, so dass es niemand hört und laut. So, dass mein Mann schon manchmal hörbar einatmet. Verständlich. Nicht nur ich fluche am Esstisch, im Bad, in der Küche oder auf dem Balkon. Der Ton draussen und auch im Internet wird rauer und ich bin soweit: ich schalte es ab.
Wir sharen was und werden geteilt – ich freu mich im ersten Moment, was, mensch DIE, boa, super und dann sehe ich die Tonalität und das Wort „scheiß“ und denke mir: war das so nötig? Ist immer alles gleich „scheiß“, nur, weil wir halt einfach tatsächlich nicht immer alles wissen können? Und sorry: weil die Bubble uns so extrem einschränkt, dass die Scheuklappen immer größer werden?
Wie man sich erfolgreich in die Haare kriegt
Hier wird zur Zeit viel gestritten. Darf ich das sagen? Es ist nichts weltbewegendes, wir sind politisch zur Zeit vielleicht nur sehr häufig unterschiedlicher Meinung. Mein Mann ist Pragmatiker, sehr klug und lebt als Journalist mit „gefährlichem Halbwissen“ in eben irgendwie allen Bereichen, während ich Wissen aus dem Spiegel, dem Tagesspiegel und dem Insta-Stammtisch sauge und dann vorgebe, ich wüsste alles. Ich werde regelmäßig auseinander genommen. Meistens leider zurecht. Manchmal will ich es aber einfach nicht glauben. Neulich fiel mal das Wort Populist. Das gibt mir zu denken.
Mein Instafeed und die Medien (die ich lese) streuen mir derzeit das Bild der leidenden Eltern so krass vor die Linse, dass ich es irgendwann selbst so sehr aufgesaugt habe und mich davon runterziehen lasse. Mir geht es schlecht. Die Kitas sind schon wieder zu. Ich habe vielleicht sogar eine Depression (zumindest bin ich inzwischen nah am Wasser gebaut).
Und natürlich diskutieren wir das zu Hause. Die bösen Arbeitgeber, die Eltern schlecht behandeln, die Politiker, die Eltern übersehen, ihr kennt das, wenn ihr selbst im Netz unterwegs seid und dem ein oder anderen Profil mit diesen Inhalten folgt. Dabei gäbe es ja Lösungen. Sagt mein Mann. Urlaub nehmen, auf Kind krank machen. Sowas.
Und ich stelle für mich gerade fest: ich muss eine Runde raus aus dieser Bubble. Das „richtige“ Leben ist derzeit schon fordernd genug und vielleicht hilft es meinem Gehirn auch, sich mal wieder auf andere Themen zu fokussieren. Und ey: ich habe ungefähr 150 ungelesene Bücher hier, die ich alle noch lesen wollte.
Und die Internet-Genervtheit ist nur die eine Seite
Ja, mich langweilt das Internet. Jeder kann seinen Senf zu allem dazugeben. Das hat schon so immense Auswirkungen, dass größere Accounts im Netz sich häufig schon gar nicht mehr trauen, einfach ihr Ding zu machen, sondern sich direkt im Beitrag noch rechtfertigen, damit sie bitte keiner angreift. Versteh doch, bitte.
Das andere, was mich nervt, ist die große Dummheit, die sich über die Jahre offensichtlich vergrößert. Es gibt inzwischen ja auch schon diverse Hirnstudien, die zeigen, wie schlecht das ständige Geflackere von Medien für unsere Hirnspeicherkapazität ist. Und die Pandemie macht es sicher nicht besser.
Schon 1999 (da war ich auch schon mehrere Jahre im Internet unterwegs und JUNG) warnte übrigens der Philosoph Walther Zimmerli davor, dass wir durch das Internet Teile unseres Wissens verlieren würden. Sein Standpunkt ist einfach erklärt: Wie viele Telefonnummern aus deinem Smartphone kannst du auswendig? Könntest du deine Frau/Freundin/Partnerin/Mann/Freund aus einer Telefonzelle (kennt ihr die noch) anrufen? Ich übrigens nicht. Ich kann die Telefonnummer meines Mannes nicht auswendig. Ich bin seit 12 Jahren mit ihm zusammen und ich könnte ihn nicht einfach so anrufen. Weil: mein Telefon merkt sich die Nummer ja.
Gleiches gilt natürlich auch für andere Informationen. Alles ist sofort abrufbar, warum soll ich es mir also merken, frage ich halt Google. Und nun ja, Google zeigt mir ja nicht unbedingt die richtige Info, sondern die mit dem besten SEO und den guten Backlinks. Es gibt so viele Information im Internet, wir KÖNNEN gar nicht alles speichern, lesen und wissen (und meine Stärke war das sowieso nie).
Gerald Hüther, Neurobiologe aus Göttingen hat den für mich sehr passenden Satz gesagt: „Dass man das Wichtige vom Unwichtigen nicht mehr auseinanderhalten kann“, so Hüther, „das ist das Merkmal der digitalen Medien.“
Leider hat er damit recht, denn so intensiv, wie wir unser Telefon und unsere Rechner nutzen – und ich nehme mich da nicht aus – werden unsere Wahrnehmungsgewohnheiten verändert. Texte, die länger sind, als ein kurzer Kommentar aus der BILD mit einem großen Foto, die sind schon echt eine Herausforderung.
TikTok Videos haben genau die richtige Länge und so ein Tweet, der ist schnell gelesen. Wer braucht schon Bücher. Dazu kommen 1849343 Nachrichten über alle Kanäle, die wir haben. Morgens geschrieben. Mittags vergessen.
Was darunter leidet: unsere Konzentration, unser Erinnerungsvermögen, unsere soziale Kompetenz und unsere Lernfähigkeit. Schon mal gecheckt, wie lange ihr euer Telefon täglich in der Hand habt? Wenn ich meine Tochter (14) frage, sagt sie, sie glaubt, sie hat eine Stunde Brawlstars gespielt. Wenn ich ihr dann erzähle, dass es dreieinhalb Stunden waren, kriegt sie große Augen. Zeit? Spielt keine Rolle, weil ich sie vergesse.
Was wir auch vergessen: das Soziale.
Wir haben klare Regeln zu Hause, gegessen wird bei uns ohne Telefon auf dem Tisch. Das ist auch der einzige Rahmen, bei dem wir uns alle sehen und die Muse haben, miteinander zu kommunizieren. Häufig landen Paare für den Rest des Abends in verschiedenen Zimmern und unterhalten sich über die Chatfunktion – mit anderen.
Für mich das Schlimmste: Mit Freunden unterwegs zu sein, die man eventuell eine Weile nicht gesehen hat und zu sehen, wie das Telefon eigentlich NIE aus der Hand gelegt wird. Weil es nicht geht. Es wird nicht mehr gekonnt. Man muss ja das Internet schnell nach dem Namen der Schauspielerin fragen, deren Film man so super fand oder das Essen abfotografieren oder ein Foto raussuchen oder oder oder. Das ist ziemlich traurig.
Die Zeit, die wir mit unserem Smartphone verbringen ist intensiv und viel zu lang. Wir nutzen es, um Zeit tot zu schlagen, um vermeintlich zu entspannen und den Tag abzuschalten oder einfach aus Langeweile. Wir machen es an, aus, an, aus, an, aus und stellen fest: Mist, in den letzten drei Minuten nichts Neues bei Insta passiert. Weglegen ist schwer bis nicht möglich. Unsere neuronalen Strukturen am Arsch!
Vielleicht habt ihr ihn auch gesehen, den Film „The Social Dilemma„. Es gab ein paar harte Punkte drin, die mich nachhaltig erschreckt haben und die Szene, in der das 10jährige Mädchen die Box zerschlägt, in der ihr Telefon während des Abendessens eingesperrt ist, die sollte uns eigentlich alle erschrecken!
Wir sollten es besser machen
Wie viel weißt du? Welche Fragen kannst du deinen Kindern beantworten? Kennst du unsere Politiker oder weißt du gerade mal, wer unsere Bundeskanzlerin ist (oder vielleicht nicht mal das)? Wer hat das höchste Amt in Deutschland? Und wie heißt nochmal der Baum, der da im Garten steht? Wo ist Georgien? Kannst du Fake von Wahrheit unterscheiden?
Oder noch einfacher: kannst du dein Telefon weglegen und es liegen lassen?
Es gibt ein neues Buch von Christoph Koch, für all diejenigen, die daran interessiert sind, ihr Mobiltelefon in seine Grenzen zu verweisen: Digitale Balance – Mit smarter Handynutzung leichter leben. Und ein Interview im Spiegel mit ein paar ersten Tipps.
Nach dem Film „The Social Dilemma“ habe ich alle Apps deinstalliert, die ich nicht brauche oder nicht so viel nutzen möchte. Facebook ist z.B. nicht auf meinem Handy installiert. Twitter und TicToc habe ich auch deinstalliert und alle anderen Apps stumm geschaltet. Es blinkt und piept also nicht den ganzen Tag durch, wenn im Netz wieder was los ist. Ich rate allen, wenn es wichtig ist, ruft mich auf dem Festnetz an, das höre ich.
Wir sollten neben all der Internetfluterei nicht vergessen uns nebenher auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren. Und vielleicht auch wieder ein bisschen lernen: Was sind die wichtigen Dinge und welche nicht!
Für mehr gute Laune
Eigentlich würde ich hier gerne noch ein paar Tipps hinzufügen, was gegen schlechte Laune helfen kann – aber ich muss zugeben, dass es gar nicht so einfach ist. Denn jeder hat ja andere Dinge, die ihn glücklich machen. Wenn ich meinem Mann sage, geh joggen, das schüttet Glückshormone aus, dann weiß ich, dass er mir einen Vogel zeigen wird. Ich versuche es dennoch – Dinge, die auch mit Kleinkind funktionieren können – und ohne Smartphone.
Lest einen fröhlichen Roman
Etwas leichtes, etwas, das nicht bedrückt muss jetzt her. Oder ein Reiseroman, einer, mit hellen, lichten Bildern, mit spannenden Reisegeschichten und Dingen, mit denen man etwas planen kann (z.B. Roadtrip – Eine Liebesgeschichte oder Auf Jesu Spuren von Nils Straatmann, der mit seinem Kumpel zu Fuß den Weg Jesu nachlaufen möchte.)
#coronamademedothis
Macht was. Im ersten Lockdown bin ich mit dem Kind in drei Monaten 10.000 Kilometer durch Brandenburg gefahren. Wir haben viel gesehen, sind durch jede Menge Wälder und Wiesen gerannt und es war wirklich eine schöne Zeit für uns beide – ganz ohne Spielplatz. Und das Wetter wird sicher auch 2021 bald besser.
Macht was: Die Wohnung umgestalten in groß oder in klein, z.B. nur mit Grünzeug. Stricken lernen. Sticken. Häkeln. Handlettering. Oder streicht einfach Teile eurer Bude endlich in der Lieblingsfarbe oder alles ganz neu. Macht eure Steuer (ok, mit Kind nehme ich das zurück). Sortiert mal aus. Sortieren geht mit Kind super. Meine hilft unfassbar gern dabei, Unordnung zu machen. Und auch Collagen lassen sich schon mit kleinen Kindern umsetzen – sofern ihr kurz das Perfektionisten-Gen abstellt.
Geh halt joggen
Sagt sich leicht. Ich war seit Monaten nicht mehr, weil es für das Kind im Wagen 1. zu kalt und 2. zu langweilig war. Und ja, ich war auch zu müde. Aber ich fange gerade wieder an. Meine langsamsten 3 Kilometer aller Zeiten bin ich neulich gelaufen. Das muss wieder besser werden und naja, das ist ja schon ein Ansporn.
Autogenes Training, Meditieren, Yoga oder kurz auf die Shakti Mat
Die Shakti Matte ist bei uns ein echtes Highlight, weil ALLE gern drauf rumliegen uns ich pieken lassen. Das Kleinkind tanzt auch barfuß drauf rum. All diese Dinge gehen mit Hilfe größerer Kinder, eines Erwachsenen oder zur Mittagszeit ganz gut.
Jeden Tag 10.000 Schritte
Mit Kind muss man sowieso raus. Warum also nicht jeden Tag einen anderen Spielplatz aufsuchen. So bewegen wir uns alle mehr und sehen jeden Tag auch mal was anderes. Licht und Bewegung helfen auf jeden Fall dabei, den Kopf mal durchzulüften.
Ich hoffe, ihr habt ein paar eigene Rettungsanker für eure Laune, findet die Zeit und vielleicht hilft es, statt Internet einfach etwas anderes zu machen. Ich werde es mal ausprobieren. Und gucken, was passiert.