Hauptstadtmutti

„Den Muttertag hassen ist ein Privileg“

Ich hasse Muttertag. So viel vorgefertigter Bullshit. Aber jetzt fehlt er mir. Ich kenne keine einzige Frau, die behaupten würde, Muttertag sei ihr wirklich wichtig und würde ihr viel bedeuten.

Dabei ist er das. Muttertag ist wirklich wichtig. Es ist sogar wichtig, dass es ein Tag ist, wie jeder andere, im Leben einer Mutter. Morgens um halb sechs vom aufgeregten Kita-Kind geweckt zu werden, weil es kurzfristig vergessen hat, dass Muttertag nicht gleichzusetzen ist mit Kindergeburtstag. Oder dem Geburtstag der Mutter. 

Ganz früh schon lernen Kinder, dass es wichtig ist, an diesem speziellen Tag ganz besonders tolle Kinder für die Mama zu sein. So wie Geburtstag, so wie Weihnachten. Bloß, dass Mama nichts machen darf, weil die Kinder müssen ja irgendwie was machen. Ich glaube, im Leben von Drei- bis Fünfjährigen gibt es wohl kaum einen aufregenderen Tag. Sie sind verantwortlich, dass es klappt.

Wochenlang basteln sie im Kindergarten Sachen. Ein Licht. Einen verzierten Blumentopf. Ein ausgeschnittenes Herz. Handabdrücke. Niemand kann sich vorstellen, was für ein riesiges Thema Muttertag für Kinder ist. Ich kann das. Ich bin Erzieherin. Ich war jahrelang verantwortlich für das aufgeregte Nervenbündel am Bett der Mutter, die eigentlich nur davon träumt, auszuschlafen. Sonntags. Nur ein Mal.

Es ist doch Muttertag. 

Ging mir auch schon so. Damals war ich alleinerziehend. Der Tag war eine Herausforderung für meine zwei-Personen-Familie. Ich habe ein paar Jahre gebraucht, zu akzeptieren, dass Muttertag ist, wie er ist. Mir hat noch nie jemand Blumen zum Muttertag geschenkt. Pralinen, Schmuck, Parfüm, Wein. Gibt es wirklich Frauen, die so reich beschenkt werden? 

Viel zu spät habe ich verstanden, dass es eigentlich darum geht, sich gegenseitig einen schönen Tag zu machen. Den Kindern ein bisschen die Verantwortung aus der Hand zu nehmen. Erwartungen an Dinge wie ausschlafen einfach zu streichen. Stattdessen könnte man gemeinsam Mittagsschlaf machen, ist eh so gemütlich.

Muttertag ist nicht ein Tag, an dem Mutti mal frei haben soll. Muttertag ist ein Tag, den man hat, weil man Kinder hat. Den man mit Kindern hat. Mit Alltag, mit Stress, mit Chaos, mit Streit, mit kleinen klebrigen Patschehänden, schlabberigen Kinderküssen. Mit hektisch gemalten Bildern, eins nach dem anderen, wie am Fließband wird Liebe produziert. Mutter weiß es kaum zu schätzen.

Bastelarbeiten im Kindergarten werden von Erzieher*innen lange im Voraus im Kalender geplant. Es gibt Teambesprechungen zu „was machen wir am Muttertag“. Ich weiß gar nicht, ob Eltern das wissen. Wie Ostern, Nikolaus, Sankt Martin, Fasching, Kindertag, Halloween, ist Muttertag fest im Kindergarten- Jahreskalender verankert. „Wir“ wollen für den Muttertag etwas vorbereiten. Weil wir unsere Mama so lieb haben.

Wie kann es sein, dass ich keine Frau auf der Welt kenne, die sagt, ihr sei Muttertag wichtig?

Mir ist Muttertag wichtig. Jetzt. Ich habe verstanden, worum es geht. Es geht darum, dass man Mutter ist. Darum, dass man ein oder mehrere Kinder hat. Ohne diese, hätte man keinen Muttertag. 

Ich habe zwei Söhne. Der Große hat mir früher mal Bilder gemalt, jetzt ist ihm der Tag egal, weil ich jahrelang gepredigt habe, mir sei der Tag nicht wichtig. Bin ich blöd. 

Der Kleine. Der Kleine hat mich gelehrt, wie wichtig mir Muttertag ist. Er wäre jetzt zwei Jahre und sieben Monate alt. Er fehlt mir. Jeden Tag. An einem Tag wie Muttertag tut es mir noch mehr weh.

Früher ist mir nicht aufgefallen, wie viel Werbung für den Muttertag gemacht wird. Gewinnspiele, Kuchenrezepte, Bastelanleitungen, Blumenarrangements, Spendenaktionen. Der Hype ist fast größer als zu Adventszeit. Zeig deiner Mama, wie lieb du sie hast. Mach es ihr richtig schön. Seit Wochen schon schreit mir voll Hohn eine riesige Leere entgegen. 

Ätsch. Du gehörst nicht mehr dazu. 

Vielleicht hallt es sogar ein bisschen. Auf allen Kanälen wird mir seit Wochen gezeigt, was ich für immer verpasse. Ich wünsche mir Muttertags- Bullshit und ich wünsche mir, sagen zu können, dass Muttertag mir total kack egal ist. Ich wünsche mir, gleichgültig mit den Schultern zu zucken und ein bisschen arrogant sagen zu können, dass es einfach ein Tag, wie jeder andere ist. Dass man ja eh alles machen muss, so wie sonst, dass man die gleiche Arbeit hat, wie jeden Tag. Sowas können nur Mütter von lebenden Kindern sagen. Dabei ist genau das das größte Geschenk. Wirklich.

Bei all dem Gemache um den Muttertag, werden Frauen vergessen, deren Kinder nicht mehr da sind. Die Gesellschaft sieht eine Frau ohne Kind, nicht eine trauernde Mama. 

Ich habe, anders als die meisten Mütter, zweimal Muttertag. Am ersten Sonntag im Mai ist Muttertag für die Mütter, die ihr Kind verloren haben. Er soll darauf hinweisen: Mütter, die ihre Kinder verloren haben, gibt es auch. Eigentlich soll er der Inklusion dienen. Weltweit sollen sie an diesem Tag besonders wertgeschätzt werden. Dieser Tag soll vor allem den anderen Menschen die Möglichkeit geben, Müttern, die ihre Kinder nicht mehr bei sich haben, sagen zu können, dass man weiß, welches Leid sie aushalten, ohne ihr Kind sein zu müssen. Ironischerweise wissen das nur Frauen, die ihr Kind verloren haben.

Ich gehe zwei Mal unerkannt durch die Welt.

Mein Sohn Juli ist mit 14 Monaten und zwei Tagen an einem sehr seltenen, genetisch bedingtem Stoffwechseldefekt gestorben. Die Zeit mit Juli war die schönste Zeit meines Lebens.

Jedes Mal, wenn mir der Muttertag irgendwo begegnet, fühlt es sich an wie ein Faustschlag ins Gesicht. Ich bin Mutter. Wenn niemand eine Mutter kennt, der Muttertag wichtig ist: 

Hier bin ich. Heute würde ich Muttertag lieben. Ich würde einiges dafür geben, dass mich jemand morgens um halb sechs weckt, um mir zu sagen, dass ich die allerbeste Mama der Welt bin. Ist es nicht einfach obertoll, Kinder zu haben, noch dazu welche, die dafür brennen es einem richtig schön zu machen? 

Liebe Mütter. Ich kenne keine Mutter, die sagt, Muttertag sei ihr wichtig. Aber ich kenne inzwischen ziemlich viele Frauen, die aus verschiedenen Gründen am Muttertag sehr leiden. Vielleicht ist es an der Zeit, einfach wertzuschätzen, dass es solche Tage gibt, die nur dafür da sind, sich bewusst zu machen, mit welchem Reichtum man gesegnet ist.

Vielen Dank, liebe Ginka.

Ihr findet Ginka auf Instagram unter @ginkita

Ein Kommentar zu “„Den Muttertag hassen ist ein Privileg“

  1. Du wundervolle Ginka! Du bist Mama und Philosophin, Dichterin auch. Durch deine Worte lerne ich immer immer wieder stehen zu bleiben,mich im Strudel umzuschauen und Gefühle neu zu ergründen,sie zu ermessen. Danke für die schöne Erinnerung zum Muttertag.

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