Hauptstadtmutti

Die Macht der Mode

Mode kann sehr selbstermächtigend sein. Wer sich für Mode interessiert, gilt jedoch als oberflächlich. Dabei geht es nicht nur um´s Rausputzen. Es geht um Identität und das Spiel mit den eigenen Facetten.

„Machst Du mir die Schuhe zu?“ frage ich meine Tochter. Wir haben´s eilig. Freunde haben zum Sonntagsbruch geladen. Mein Zeitmanagement ist mies, ich bin chronisch zu spät und mein Nagellack ist wieder mal nicht trocken. Wie ein Chirurg kurz vor der OP stehe ich mit affektiert erhobenen Händen im Flur und sehe auf das Kind herab. Mir gefällt die Pose nicht, es fühlt sich gebieterisch an. Als sie klein war, habe ich ihr die Schuhe gebunden, aber sie war hilflos, ich dagegen bin eitel.

Eitelkeit! Das ist kein zierliches Attribut, auch nicht in Zeiten von Selbstliebe und schon gar nicht als Mutter. Gefallsucht, Selbstsucht und ein bisschen Kaufsucht sind nicht mütterlich. Das ist Egoismus und riecht verdächtig nach einer Mutti first-Attitüde. Und damit hat man einen schlechten Stand, wenn es um das patriarchale Ranking für die Mutter des Jahres geht. Zu meinen rot lackierten Nägeln habe ich eine weiße Bluse und einen Bleistiftrock im Leo-Look kombiniert. An einem Sonntag. Um Freunde zu besuchen, ganz normale Leute mit vollgestellten Dreizimmer-Wohnungen im 4. Stock und Krediten fürs Auto. In der Fjällräven-Rucksack-Mittelschicht meiner 180.000 Einwohner Stadt gilt ein solcher Look gemeinhin als Kampfansage überall da, wo keine Presse erwartet wird.

Was glaubst Du, wer Du bist?

Kleider machen eben Leute und mit meinem Hang zur Extravaganz muss ich mir die Unterstellung gefallen lassen, dass ich mich selbst wichtiger nehme, als ich bin. Ich beanspruche also zu viel Raum, weil ich mich dem Normdruck von Veja-Sneakern und blauen Jeans nicht unterwerfen will. Mode macht mir Spaß, aber ich musste lernen, die bissigen Bemerkungen und die abschätzigen Blicke z.B. auf dem Spielplatz auszuhalten, wenn ich in hochhackigen roten Overknees vor der Rutsche stehe und mein Kind auffange. Mode hin, Straßenstrich her, da können die Stiefel noch so oft in der Vogue gewesen sein, es gilt das Gesetz der stillen Zurückhaltung für Frauen – und für Mütter sowieso.

Wer schön sein will, ist selbstverliebt und muss unter Kommentaren leiden. In jungen Jahren wird einem Mädchen der textile Exzess noch nachgesehen, wenn er bloß nicht zu aufreizend ist, aber ab einem bestimmten Alter und spätestens mit dem Status als Elternteil hat Frau sich in den uniformierten Konsens aus T-Shirt, Jeans und Blümchenkleid zu fügen. Alles andere ist schlichtweg eine Chuzpe für jeden, dessen Look nicht in der Boulevardpresse besprochen wird. Und das ist schon einigermaßen merkwürdig, denn während eine ganze Generation geradezu hysterisch die Stylingwut von Sex and the City feiert und Modeblogs auf Instagram heute mehr Zulauf haben als die katholische Kirche je zu träumen gewagt hat, sind High Heels und Nietenlederjacken an einem schnöden Donnerstag genug Provokation, um zum Stadtgespräch zu werden. Die stereotype Projektionsfläche ist einfach zu groß, erst recht, wenn man so gekleidet ein Baby auf dem Arm hat.

Still! – Dein Uterus arbeitet

Wie sehr wir das Muttersein mit bestimmten Erwartungen an Kleidung verknüpfen, sehen wir derzeit nirgends deutlicher als an der Schwangerschaft von Rihanna. Mit großen Ohs und Ahs werden ihre Schwangerschaftslooks in der Öffentlichkeit rezipiert und wohlwollend kommentiert. Dabei wird deutlich, wie überrascht wir von einer Schwangeren sind, die die Walle-Walle-Rüschenkleider verweigert und sich somit nicht dem überromantisierten Mutterbild ergibt. Leder, Strass und Netzteile sprechen eine furiose Sprache. Diese Lautstärke ist jedoch für Frauen in anderen Umständen nicht vorgesehen. Die Idee, dass eine Frau quasi mit der Empfängnis generell hinter den reaktionären Ansprüchen an Mutterschaft zurückzustehen hat, macht Rihannas Erscheinungsweise erst zu einer Attraktion.

Als Frau in froher Erwartung ist eine extravagante Klamotte so passend wie eine Ballettaufführung zu Cotton Eye Joe. Die Gesellschaft erwartet nun Zurückhaltung. Erst mit Rihanna wird uns klar, wie sehr von werdenden Müttern verlangt wird, sich in ihre Rolle zu fügen. Nicht aufzufallen mit ihren Ansprüchen, ihrem Körper oder ihrer Art zu leben, um so für immer der eigentlichen Sensation Platz zu machen: Dem Baby. Dass wir den Bauch frei Look so ungewöhnlich finden, wenn er nicht die schmalste Stelle unserer Silhouette betont, zeigt, wie stark wir alle den Codes der Mutterschaft unterlegen sind.

Tiefgreifende Oberflächlichkeiten

Wie wir uns anziehen, hat einen großen Einfluss darauf, wie wir von unserer Umwelt wahrgenommen werden. Mit unserer Kleidung begehen wir jeden Tag ein soziales Ritual. Klischees und Rollenerwartungen sorgen für die entsprechenden Reaktionen auf unsere Looks. Wir kommunizieren mit unserer Kleidung jedoch nicht nur mit anderen, sondern vor allem mit uns selbst. In einer Studie fanden US Amerikanische Psychologen heraus, dass Kleidung auch einen autosuggestiven Effekt hat. Die Wissenschaftler ließen Probanden einen Konzentrationstest durchführen. Dabei schnitten sie in den Fällen besser ab, in denen sie einen Laborkittel trugen. Mit dem Kleidungsstück fühlten sie sich klüger und dies schlug sich direkt in der Leistungsfähigkeit nieder. So konnte die Theorie der „bekleideten Wahrnehmung“ für kognitive Prozesse bewiesen werden. Wir sind also auch das, was wir tragen und wenn wir uns wie eine Königin fühlen wollen, setzen wir in Zukunft einfach ein Diadem auf. Das ist jetzt keine Profilneurose mehr, sondern Wissenschaft.

Stichwort: Selflove!

Prada auf Rezept?

Mit dieser Maxime rettete ich auch meine anfällige Psyche durch die Pandemie. Kontaktverbote und Lockdown waren echte Stimmungskiller und mit jedem Tag war ich der Verwahrlosung ein Stück näher. Bis ich beschloss, dass die Jogginghose keine Macht mehr über mich haben sollte. Ich öffnete meinen Kleiderschrank und begann gnadenlos alles zu tragen, was er hergab. Ich trug Paillettentops, Lackhosen und Cocktailkleider nur um mit den Kindern am Küchentisch Geometrie zu üben oder Spaghetti mit Ketchup zu servieren. Auch mein Kaufverhalten änderte sich langsam. Ich shoppte vermehrt aus Langeweile. Wegen der Verunsicherung und Angst, die die Pandemie in mir hervorrief, bestellte ich anfangs von einem diffusen Wunsch nach Sicherheit und Wehrhaftigkeit getrieben Funktionsjacken und Combat Boots.

Um es im Belohnungszentrum meines Gehirns wieder etwas mehr knistern zu lassen, clickte ich immer öfter auf Abendkleider und Clutch Bags. Mit hoffnungsfrohen Erwartungen an die Zukunft, malte mir aus, zu welche Anlässen nach Corona ich diese Outfits brauchen würde. Zuhause trug ich sie schon mal Probe. Mit jedem Glitzerfummel ging es mir besser. „Mood enhancement dress“ nennt das die erste Mode-Psychologin der Welt Dr. Dawnn Karen vom renommierten Fashion Institute of Technology in New York. Es beschreibt nichts anderes als die heilende Kraft der Mode, die zwar kein Mittel gegen eine Depression ist, aber eindeutig auf die Stimmung einzahlt.

Wenn das Glitzerkleid reinkickt…

Das Rollenspiel in den der knallige Teil meiner Garderobe und meine Psyche während des ersten Lockdowns verwickelt waren, funktionierte so gut, dass ich an manchen Tagen aussah, als würde man mich bei den Oscars erwarten. Ich ließ einfach alles raus. Die Öffentlichkeit konnte nicht über mich richten, lediglich der DHL-Mann, der nun fast täglich bei uns klingelte, gewöhnte sich nur langsam an den Anblick. Ich steckte manchmal so tief in meinem autosuggestiven Hollywood-Film, dass ich jedes Mal, wenn er mir ein Paket überreichte den Reflex einer emotionalen Dankesrede niederringen musste. Als die ersten Corona-Lockerungen kamen und man wieder Leute treffen durfte, fuhr ich den Pandemie-Glamour-Modus wieder runter, denn auch der soziale Aspekt von Kleidung gehört zum Fashion Game dazu.Kontext und Kultur spielen eine Rolle und manchmal ist die Wahl des Looks auch einfach eine Frage des Respekts.

Der Game Changer

Ob wir wollen oder nicht, mit unseren Klamotten senden wir eine Botschaft an andere. Von stiller Zurückhaltung über laute Statements bis hin zu einer wahren Schutzhülle – Unsere Aufmachung wird von einer mehr oder weniger subtilen Message begleitet. Gerade in emotional herausfordernden Situationen kann ein gutes Outfit sogar sehr selbstermächtigend sein. Das behauptet zumindest die Modepsychologin Dr. Karen.

Dass sie damit Recht hat, sah ich vor einigen Jahren bei einer freien Mitarbeiterin. Bevor sich Dr. Birgit Lammer unserer PR-Agentur anschloss, verantwortete sie die Kommunikation eines international agierenden Unternehmens. Sie war für ihre innovative Arbeit mit Preisen überhäuft worden. Auf der Suche nach einer neuen beruflichen Herausforderung, machte sich mit ihrer Marketing- und PR-Kompetenz schließlich selbständig. Mit ihrem Know How und ihrem Netzwerk avancierte sie schnell zu unserer absoluten Geheimwaffe. Die Zusammenarbeit war extrem erfolgreich und zu meinem Chef entwickelte sich darüber hinaus ein enges freundschaftliches Verhältnis. Irgendwann wurde sie schwanger, bekam einen Sohn und entschied sich nach nur wenigen Monaten, in den Beruf zurückzukehren.

Eine Rüstung aus Satin

Als wir für einen großen Etat eine Telefonkonferenz mit ihr abhielten, um die Herangehensweise für den Pitch zu besprechen, konnten sich mein Chef und Birgit nicht auf eine Strategie einigen. Unzufrieden beendete er das Telefonat abrupt. Anschließend ließ er sich minutenlang darüber aus, dass die einstige Grand Dame der Public Relations mit der Geburt ihres Kindes sowohl Schneid als auch Ehrgeiz eingebüßt hätte. Er beendet gerade den Satz: „Sie ist jetzt einfach Mutter und damit nutzlos für unsere Agentur.“, da meldete sich die diffamierte Person mit einem „Ich kann Euch noch hören!“ am anderen Ende der Leitung zu Wort. Er hatte aus Versehen gar nicht aufgelegt. Die Bestürzung war auf beiden Seiten groß, jedoch aus unterschiedlichen Gründen.

Brisant war die Situation auch deswegen, weil drei Tage später die große 20er Jahre Motto-Geburtstagsparty meines Chefs an stand und auch Dr. Birgit Lammer zu den Gästen gehörte, die dafür extra aus Frankfurt anreisen sollte. Sie kam. Und zwar in einem Revenge Dress, dass keine Fragen offen ließ. Sie trug ein raffiniert gerafftes, weißes Satin-Abendkleid im Gatsby-Stil, dass allseits mit funkelnden Steinen besetzt war. Dazu einen Turban mit einer 30 cm großen Pfauenfeder, die über ihrem Kopf aufragte, wie ein riesiges „Fuck you“! Ihr ganzes Styling war nicht weniger als die unüberhörbare Ansage, dass sie sich diese Abwertung, als Mutter weniger tough zu sein, nicht zuschreiben ließ.

Mode ist ein Spiel

Kleidung spielt sowohl eine zentrale Rolle für die eigene Identität, als auch für die Beziehungen zu unseren Mitmenschen. Kleidung ist daher ebenso eine Form der Selbstbetrachtung, wie der Selbstdarstellung. Wir kleiden uns so, wie wir uns fühlen, wie wir gesehen werden wollen oder wie wir gern sein möchten. Kleider machen also wirklich Leute. Wir sollten aber vorsichtig sein mit unserer Interpretation. Denn Mode ist auch ein Spiel mit der Wahrnehmung und führt uns nur allzu leicht in die Irre.

Als ich auf dem Sonntagsbruch ankomme, sind meine Nägel endlich trocken. Alle freuen sich über das Wiedersehen. Keiner meiner Freunde hier würde glauben, dass ich wegen eines Rocks und einer gebügelten Bluse eine arrogante Ziege bin oder eine schlechte Mutter.

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Foto: Kai Senf

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