Weihnachten – Endlich wieder streiten!

Es gibt Gesetze, die stehen in Büchern, und es gibt Gesetze, die stehen nirgendwo, müssen aber trotzdem befolgt werden. Und so kommt es, dass seit Generationen das heilige Weihnachtsgesetz gilt: Egal, wo Du wohnst, zu den Festtagen machst Du den Lachs und kehrst an Deinen Geburtsort zurück oder wenigsten dorthin, wo die Personen wohnen, die Deine Geburt zu verantworten haben. Sicher, Du kannst es mit Verweigerung versuchen, mit Stress argumentieren oder lieber zu Dir nach Hause einladen, aber irgendwo hockt immer eine traditionsbewusste, einsame Großmutter, der die Anreise zu Deinem Wohnort nicht zugemutet werden kann.

Also sitzt Du in der Falle und fährst eben wieder nach Hause, zur Familie. Von der behaupten wir doch das ganze Jahr, sie wäre das Wichtigste für uns. Allerdings stellt die feiertagsbedingte Verringerung des Sicherheitsabstandes zu so manchem Meinungsdurchfall unsere Nächstenliebe ganz schön auf den Prüfstand. Der buckelige Teil der Verwandtschaft zwingt einen bei Lichterglanz und Weihnachtsgans mit Kommentarspalten-Logorrhö unweigerlich in die Argumente-Arena.

Es gibt Streit.

Das Fest der Liebe beginnt also mit der Anreise bzw. der Weihnachtshetzerei. Seit 35 Jahren liefert Chris Rea den Soundtrack für die unausweichliche Fahrt in die alte Heimat. Bei dem klingt das so schön besinnlich, der hatte vielleicht auch eine intakte Familie und seine Reise mit der ersten Station schon ihr Endziel erreicht. Meine Verwandtschaft gleicht eher einer Handvoll Murmeln, die man in die Luft geworfen hat. Der Weihnachtsbesuch fühlt sich deswegen immer an wie drei Tage „Reise nach Jerusalem“ mit zu viel Braten, Vorwürfen und leider auch jeder Menge „eigener Meinung“.

Essen, Geschenke, Streit – weiter geht´s. Ein tierisches Gehetze begleitet von Wut und Völlegefühl. Man darf es mir also nicht verübeln, dass ich statt „Driving home for Christmas“ lieber „Highway to Hell“ auf der Fahrt summe. Nennt mich zynisch, aber es will sich einfach keine Weihnachtsstimmung einstellen, wenn man nach dem „Hallo“ direkt „Du rufst zu selten an!“ oder „Nicht die Nachbarn grüßen, die verklagen wir gerade.“ hört.

Geschenke, die man hoffentlich nie benutzt

Bei der Geschenkevergabe stellt sich dann heraus, dass man offenbar wirklich zu wenig anruft. Wie sonst ließe sich erklären, dass auch der vor zwei Jahren verstorbene Hund wieder ein Geschenk bekommt? Ich bemühe mich wirklich, in den Gaben eine liebevolle Geste zu erkennen, aber das zweite Jahr in Folge einen Feuerlöscher auszupacken, macht es ehrlich gesagt schwer. Vor allem, wenn man weiß, dass Opa Verbindungen zur Freiwilligen Feuerwehr hat und die Aussonderungsfrist des handlichen Brandbekämpfers schon 8 Monate überschritten ist.

Auch die Botschaft dieses Geschenks ist mir ein Rätsel. Offenbar geht man davon aus, dass in meinem Haushalt akute Brandgefahr besteht und zwar so sehr, dass der liebreizende Weihnachts-Feuerlöscher aus dem letzten Jahr die Gemüter nicht beruhigen konnte. Das mutige Freestyle-Schenken findet bei den Kleinen zum Glück keine Anwendung und so erhält jedes Kind ordnungsgemäß seine Weihnachtsbestellung. Alle freuen sich.

„Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“

Leider ist nach der Bescherung nun das Tischgespräch fällig und jetzt wird´s brenzlig, denn es gibt eigentlich jedes Jahr Streit. Es stimmt bekanntermaßen, was der Schriftsteller Kurt Tucholsky über Familie sagt: „Man kennt sich eben zu gut, um sich herzinniglich zu lieben und nicht gut genug, um noch aneinander Gefallen zu finden.“ Schwierige Themen werden also bestmöglich umschifft. Jedoch währt diese Strategie nur solange bis der Schnaps auf den Tisch kommt. Kaum ist die Zunge locker, gibt sie auch schon den Inhalt der verkrampften Gehirne frei. Kirschlikör und Obstbrand zünden all die Sätze, von denen man dachte, dass die nun wirklich keiner mehr ernst meinen kann. Früher hat man noch Gedichte aufgesagt, heute eben das Internet. Während die Kinder mit ihren Geschenken spielen, ringe ich das Bedürfnis nieder, den Feuerlöscher auszuprobieren, um Onkel Herberts flammender Rede gegen die „Sprachpolizei“ ein Ende zu bereiten. Stattdessen versuche ich galant, das Gespräch auf ein unverfängliches Thema zu lenken.

Traditionen sind für alle da

Bis hierher ging es ohne Zoff, aber dann wird mir klar, dass ich aus reiner Boshaftigkeit angefangen habe zu gendern. Es ist höchste Zeit zu gehen. Alle raffen ihr Zeug zusammen, bedanken und verabschieden sich. Die Tür fällt hinter uns zu. Endlich kann ich genervt ausatmen und plötzlich denke ich an Weihnachten als ich selbst noch ein Kind war. Wie die Vorfreude, der Festschmuck und das kerzenbeschiene Wohnzimmer dafür gesorgt haben, dass die Feiertage wirklich diese heimelige Stimmung hatten, die einfach schöne Erinnerungen macht. Es zählte viel mehr das Zusammensein und weniger der Anspruch an Familienmitglieder, dem eigenen Wertekanon zu entsprechen. Auf der Heimfahrt sitzen die Kinder mit rosigen Wangen glücklich im Auto und ich bin auf einmal doch froh, dass wir jedes Jahr nach Hause fahren, um Weihnachten zu feiern. Denn nicht zuletzt ist es doch so, dass das heilige Weihnachtsgesetz vom Nachhausekommen irgendwann auch für unsere Kinder gilt.

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Foto: Kai Senf

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