Der eigene Zyklus, puh. Mysterium oder easy? Gehört ihr zu der Kategorie ‚wundert sich warum ich schon wieder denke, dass die Welt untergeht‘ oder ‚ach in 36 Stunden ist ja wieder Eisprung, daher die Energie‘? Tatsächlich gibt es inzwischen Fertility-Tracker, die ziemlich gut dabei helfen können, den eigenen Zyklus zu verstehen.
Zu den Menschen, die sich richtig gut mit den Fertility-Trackern auskennen, gehört Natalie Rechberg-Egly, die 2014 Daysy gegründet hat. Damit tritt sie in die Fußstapfen ihres Vaters Dr. Hubertus Rechberg, der 1987 mit dem sogenannten Lady-Comp den Fertility-Markt revolutionierte. Daysy ist ein smarter Lifestyle-Fertility-Tracker, der auf Basis der Basaltemperatur-Messmethode fruchtbare sowie unfruchtbare Tage ermittelt.
Viel Spaß beim Lesen des Interviews mit der FemTech Gründerin und Mutter Natalie.
Natalie, du bist FemTech-Unternehmerin, hast einen Fertility-Tracker entwickelt, der Frauen dabei hilft, ihren eigenen Zyklus besser kennenzulernen. Wie kamst Du auf diese Idee?
Das Thema “Fertility-Tracking” begleitet mich quasi schon mein Leben lang: Mein Vater hat, nachdem meine Mutter die Pille nicht vertrug, schon in den 1980er Jahren nach einer Möglichkeit gesucht, mit der Frauen ihren Zyklus auf natürliche Weise beobachten und ihre fruchtbaren Phasen genau bestimmen können. Zusammen mit Expert*innen aus den Bereichen der Natürlichen Familienplanung, Medizin, IT und Design entwarf er damals den weltweit ersten Zykluscomputer: Der “Lady-Comp” kam 1986 auf den Markt und begeistert bis heute mehr als eine halbe Million Frauen.
Damals genauso wie heute war es wahnsinnig wichtig, dass Frauen ihren Zyklus kennen, denn mit dem Wissen können sie selbst über ihre Familienplanung entscheiden. Deshalb habe ich die Arbeit meines Vaters fortgeführt und mit Daysy selbst einen Fertility-Tracker entwickelt, der zeitgemäß und einfach zu bedienen ist.
War es schwer, sich in der Tech-Branche als Frau durchzusetzen?
Ehrlicherweise ist es als Frau in der Technologie-Branche – und vor allem in der Medizintechnik – nicht leicht. Es fühlt sich immer so an, als müsste man sich extra beweisen und es braucht länger, um ernst genommen und gehört zu werden. Anders als heute gab es 2008, als ich in diesem Bereich gestartet bin, noch weniger Frauen in der Tech-Branche und auch weniger weibliche Vorbilder. Deshalb freue ich mich über die Entwicklung, dass immer mehr Frauen wie Victoria Engelhardt von Keleya oder Lia Grünhage von AVERY sich trauen, die Technologie-Branche aufzumischen und richtige “Fem-Tech” Produkte zu entwickeln, die das Leben von Frauen smarter und besser machen! Obwohl der Druck, zu performen, so hoch ist, war mein Credo stets, mir selbst treu zu bleiben. Gerade, weil von allen Seiten Stimmen laut werden und Ratschläge kommen, wie ich mein Geschäft führen sollte, ist es wichtig, der eigenen Linie treu zu bleiben. Ich vertraue auf mein Bauchgefühl und wenn mir ein Rat zusagt, dann nehme ich ihn an. Wenn nicht, dann nicht.
Wer bespricht beruflich Menstruationszyklen?
Gibt es Momente, die Dir besonders in Erinnerung geblieben sind?
Als ich meinen Vater zum ersten Mal auf eine Messe begleitete, war ich schockiert!
Unzählige Geschäftsleute diskutierten über Menstruationszyklen und ich war die einzige Frau im Raum.
Natalie Rechberg-Egly
Ich beobachtete, wie mein Vater wichtige Vertriebsgespräche führte – in dem Moment wusste ich, dass es hier eine weibliche Stimme braucht. Noch immer ist die MedTech-Branche von Männern dominiert. Oft sitze ich als einzige Frau am Tisch und spreche ganz offen über die individuellen Bedürfnisse von Frauen. Mittlerweile erkenne ich sehr schnell, mit wem es sich lohnt zu diskutieren und mit wem nicht.
Tatsächlich ist “Mansplaining” sehr stark verbreitet: Insbesondere in Gruppen kommen immer wieder Aussagen wie “Das schaffst Du nicht”, “Das ist nicht umsetzbar” oder “Schöne Idee, aber das kann keinen Erfolg haben”. Solche Reaktionen von Männern begleiten mich tagtäglich. Aber dies darf Frauen nicht davon abhalten, anders zu denken. Es ist wichtig, die eigenen Ziele und Träume weiter zu verfolgen, auch wenn nicht jeder(mann) dahinter steht. Femsplaining ist hier angesagt!
Warum ist es so wichtig, dass Frauen Sichtbarkeit in der Tech-Branche erhalten?
Über 50 Prozent der Weltbevölkerung ist weiblich. In klinischen Studien sind wir Frauen noch immer unterrepräsentiert. Glücklicherweise passiert hier aber schon ganz viel und das ist enorm wichtig. Frauen verfügen über ein ganz anderes System als Männer. Unser Körper reagiert, je nach individuellem Hormonhaushalt, ganz unterschiedlich, zum Beispiel auf Medikamente. Sind wir noch im Fortpflanzungsalter oder stehen wir in den Wechseljahren? All das spielt eine zentrale Rolle. Frauen haben ganz andere Bedürfnisse. Darum ist es so wichtig, das wir Frauen unsere eigenen Produkte gestalten. Gerade in der Tech-Branche fehlt oft der weibliche Input. Es ist großartig, dass immer mehr Frauen hier Fuß fassen.
Ohne feste Zeiten für meine Kinder geht gar nichts
Mit welchem Vorurteil muss dringend aufgeräumt werden?
„Mütter können nicht erfolgreich im Job sein.“ oder „nach der Geburt erreichen Frauen sowieso nichts mehr.“ sind Sätze, die mich unwahrscheinlich triggern. Ich bin selbst Mama von zwei kleinen Jungs – aber eben auch Geschäftsführerin eines erfolgreichen Business. Natürlich möchte ich für meine Jungs da sein und ihnen die Aufmerksamkeit schenken, die ihnen gebührt. Das kann im Alltag zwar ein ziemlicher Spagat sein, aber es hilft mir, feste Zeiten einzuplanen, wo meine Kids an erster Stelle stehen.
Seit ich Mama bin, ist die Priorisierung der eigenen Aufgaben während der Arbeitszeit noch wichtiger, als es vorher der Fall war. Die begrenzte Zeit für die Arbeit ist aber auch ein guter Filter für Aufgaben, die vielleicht einfach nicht wichtig genug sind. Und wenn Frauen eines können, dann ist es, alles zu schaffen, was sie erreichen wollen!
Wie schaffst Du es, trotz so viel Druck und Alltagsstress einen kühlen Kopf zu bewahren?
Ich habe zwei tägliche Reminder in meinem Kalender. Morgens nehme ich mir die Zeit, um etwas Sinnstiftendes zu tun: Ich nehme mir ein konkretes Problem vor und löse es. So beginne ich den Tag produktiv. Abends nehme ich mir Zeit und setze mich aktiv mit meinen Zielen und Träumen auseinander.
Das hilft, den inneren Kompass auf Spur zu halten und in die richtige Richtung zu steuern. In stressigen Situationen sage ich mir immer “Atme durch und schlaf drüber.” Am nächsten Tag, wenn sich die Gedanken einmal gesetzt haben, sieht man häufig klarer. Meinen ganz persönlichen Ausgleich finde ich auf dem Rücken meines Pferdes, im Stall und in der Natur. Danach sind meine Akkus wieder aufgeladen und der Kopf voller Ideen.
Warum ist es wichtig, sich mit dem eigenen Zyklus auszukennen?
Wissen empowered! Ich denke, dass jede Frau sich und ihren Körper irgendwann einmal kennenlernen möchte. So wird das Thema von alleine wichtig. Bei manchen Frauen früher bei manchen später. Aber je mehr Wissen wir verbreiten und je mehr Aufmerksamkeit wir dem Thema in der Öffentlichkeit widmen, desto mehr Aufklärung wird es geben. Aufklärung, Information und Wissen sind das A und O. Mit Daysy wollte ich allen, die menstruieren, ein Device an die Hand geben, mit dem sie ohne großen Aufwand und allein durch die tägliche Messung ihrer Körpertemperatur quasi ganz nebenbei ihren Körper und Zyklus kennenlernen können.
Durch die niedrige Eintrittsbarriere wollen wir möglichst vielen ihr Körperbewusstsein zurückgeben, die Gesundheit fördern und dadurch die weibliche Selbstbestimmung stärken – ganz egal wo sich die Nutzer:innen in ihrer reproduktiven Phase befinden. Mit Lady-Comp und Daysy dürfen wir bereits tausende Frauen weltweit auf dieser Reise begleiten und ich wünsche mir, dass wir noch mehr Frauen auf diese Weise empowern und Teil ihres Alltags sein dürfen!
Und was hat das Wissen um den eigenen Zyklus mit Empowerment zu tun?
Den Zyklus und damit auch den Körper zu kennen, bedeutet für mich, selbstbestimmt fundierte Entscheidungen treffen zu können. Denn nur, wer alle Informationen kennt, kann das Wissen für sich nutzen. So plane ich zum Beispiel wichtige Meetings immer um meinen Eisprung herum, weil ich weiß, dass ich während der Ovulation nur so vor Power und Selbstbewusstsein strotze, während ich die Zeit um meine Menstruation lieber dazu nutze, um mich zurückzuziehen, zu reflektieren und nachhaltig Prozesse anzustoßen.
Das Verständnis meines Körpers erlaubt mir auch, einiges zu akzeptieren und mit einigen Themen Frieden zu schließen, die mich vorher in den Wahnsinn getrieben haben. PMS ist zum Beispiel nur noch halb so schlimm, wenn man Stimmungsschwankungen, Krämpfe und Co. klar einordnen kann und die Ursache kennt. Seit ich genau weiß, was in meinem Körper vor sich geht zelebriere ich meinen Zyklus und nehme ihn als das Wunderwerk wahr, der er ist.