Bis zur Wahrheit startet am 20. November in der ARD. Nach der Erstausstrahlung auch in der ARD Mediathek. Regie geführt hat die wundervolle Saralisa Volm.
Martina ist eine erfolgreiche Neurochirurgin, glücklich verheiratet und Mutter einer pubertierenden Tochter. Ihr Leben ist nahezu perfekt, bis im gemeinsamen Familienurlaub mit dem befreundeten Paar Jutta und Torsten und ihrem Sohn Mischa etwas passiert, was Martina völlig aus der Bahn wirft: Nach einer ausgelassenen Strandparty wird Martina von Mischa, Juttas Sohn, vergewaltigt. Martina reist ab und kehrt zurück in ihr bislang so geordnetes Leben. Doch nach dem Urlaub hat sie zunehmend Schwierigkeiten, das Geschehene zu verdrängen und ihr Leben so zu führen, als wäre nichts passiert. Auch ihr Umfeld beginnt, die Veränderungen bei Martina wahrzunehmen. Sie offenbart das Geschehen ihrem Mann Andi. Als der die Freunde mit der Tat ihres Sohnes konfrontiert, muss sich Martina nicht nur ihrem Trauma stellen, sondern auch mit den skeptischen und ablehnenden Reaktionen ihres Umfelds umgehen. Martina kämpft verzweifelt und schließlich mit allen Mitteln um ihre Selbstbestimmung und gegen die zerstörerischen Auswirkungen der Tat auf ihre Familie und Freundschaften.
ARD
Gespräch mit Saralisa Volm
Was war dir in der Inszenierung des Films Bis zur Wahrheit besonders wichtig?
Mir ist es immer wichtig, komplexe und glaubwürdige Figuren zu entwickeln, die Identifikationspotential liefern und beim Betrachten etwas in uns auslösen. Gerade bei diesem Film war es mir wichtig, dass wir präzise arbeiten und jeder Rolle Zeit geben, sich zu offenbaren. Außerdem war es mir ein Anliegen, hier einen Fall sexualisierter Gewalt so darzustellen, wie ihn Opfer häufig erleben, wir ihn aber selten im Film zu sehen bekommen. Statt eine laute, übertriebene und visuell gelernte Gewalttat zu zeigen, um Eindeutigkeit um jeden Preis herzustellen, wollte ich die Tat so darstellen, wie sie sich aus Sicht vieler Opfer abspielt.
Wie hast du mit den Schauspieler*innen zusammengearbeitet und ihr Vertrauen aufgebaut? Hat deine eigene Erfahrung als Schauspielerin dabei eine Rolle gespielt?
Im Idealfall haben wir in der Vorbereitung viel Zeit, uns mit den Rollen zu befassen. Dann teile ich mit den Schauspielenden gerne Filme, Literatur oder Bilder und Fotografien, um eine gemeinsame Vorstellung zu entwickeln. Außerdem muss man viel reden und auch mal etwas unternehmen, was im Zusammenhang mit dem Film steht. Darüber entwickelt sich dann automatisch eine Verbundenheit und ein Vertrauen. Außerdem sind Probentage wichtig, damit die Projektbeteiligten sich kennenlernen. Das steigert signifikant die Qualität von Filmen. Als Schauspielerin hatte ich diesen Prozess leider nur selten, aber wenn es ihn gab, war ich mehr als dankbar dafür. Vielleicht ist es mir deshalb heute so wichtig. Auch als Regisseurin merke ich, wie schwer es ist, eine ausreichende Vorbereitungszeit einzufordern oder gar zu etablieren. Ich hoffe jedoch, dass wir aus den Erfahrungen lernen und der Vorbereitungszeit wieder einen höheren Stellenwert beimessen. Sie sind für alle Gewerke Gold wert.
Du hast dich auch für eine sehr körperliche Inszenierung entschieden, auch Martinas Sinnlichkeit wird viel Raum gegeben. Warum war das wichtig?
Es ist mir immer eine Freude, wenn es gelingt, Teile einer Geschichte nicht nur in Dialogen zu vermitteln, sondern die Figuren in ihrem Tun erlebbar zu machen. In unserer Körperhaltung und unseren Bewegungsabläufen zeigt sich oft mehr als im bloßen Text. Im Fall von Martina ging es weniger um Sinnlichkeit als darum, ihr gesundes Verhältnis zu ihrem Körper und ihrer Sexualität zu zeigen. Martina treibt Sport. Martina masturbiert. Martina hatte schon mal eine Affäre. Wäre sie ein Mann, wäre es vollkommen normal, das zu zeigen. Bei Frauen tun sich viele noch schwer damit, deren Unabhängigkeit und Körperlichkeit zu akzeptieren.
Wie bereitest du dich und die Schauspieler*innen auf solche intimen Szenen vor, und wie war es als Regisseurin, solche Szenen zu drehen?
Dieser Film beinhaltet die Darstellung von Intimität, von Sexualität und von Gewalt. Während ich für Szenen, die eine starke Verbundenheit von Menschen zeigen, gerne die Schauspielenden mit ihren eigenen Erfahrungen mitnehme und die psychologische Arbeit im Vordergrund steht, sind es bei Gewaltszenen ergänzend auch technische Anforderungen, die uns helfen, möglichst realistische Darstellungen zu erreichen. Dafür arbeiten wir mit Stuntkoordinator*innen. Bei Sexszenen oder Szenen, die sexualisierte Gewalt beinhalten, heißen diese Intimitätskoordinator*innen. Sie finden mit uns gemeinsam gute Positionen, mögliche Griffe und gute Winkel. Für mich gibt es bei Szenen ansonsten keine Pauschalisierung. Es ist nicht leichter oder schwerer oder schöner oder anstrengender, eine Sexszene oder einen Gewaltakt zu drehen. Vielmehr geht es darum, ob es uns gelingt, etwas Glaubwürdiges, Berührendes herzustellen. Schaffen wir das, dann verlasse auch ich das Set sehr emotional und es war ein guter Drehtag.
Auf dem Filmfest München hast du sinngemäß gesagt, wenn Menschen von Szenen des Filmes getriggert werden, hast du was richtig gemacht. Was meinst du damit?
Ich bin der Meinung, dass es ein Wert von Kunst ist, wenn sie berührt, wenn sie uns aufwühlt und zum Nachdenken bringt. Es ist bewegend, wenn wir uns mit Menschen im Film verbunden fühlen, weil wir ihr Handeln und ihre Gedanken nachspüren können. Ich suche solche Momente, die triggern, sowohl als Zuschauerin als auch als Regisseurin. Wichtig ist, dass sie gut moderiert sind und entsprechend eingebettet, so dass wir alle einen Gewinn daraus ziehen können.
Wenn es um sexualiserte Gewalt geht: Wie stehen sich die Filmemacherin und die Feministin Saralisa hier gegenüber?
Die Filmemacherin und die Feministin Saralisa sind eine Person. Sie teilen sich Perspektiven, Haltungen und Überzeugungen. Dazu gehören prinzipielle Überlegungen zu den Themen Gerechtigkeit, Klassismus, Gesellschaft und Gleichberechtigung. Das spiegelt sich hoffentlich sowohl in meiner Art zu arbeiten, denken, publizieren als auch in meiner Art zu leben. Diese Grundlagen spielen auch eine Rolle, wenn es um das Thema „sexualisierte Gewalt“ geht, ob im Film oder im Leben. Sie geben ein bestimmtes Framing und einen Blickwinkel vor, den es immer wieder mit neuen Eindrücken und Erkenntnissen abzugleichen gilt.
Quelle: ndr.de/presse