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Lisa Roy: „Kann ich mir meine Haltung zu Social Media leisten?“

Lisa Roy hat ein Buch nur für mich alleine geschrieben. So fühlt es sich zumindest an. Keine gute Geschichte hat mich so glücklich gemacht beim Lesen, dass ich es auch bei meinem Gastauftritt bei den Vorleser_innen vorgestellt habe.

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Liebe Lisa, stell dich bitte vor und sag mal, was würdest du immer in einer Bäckerei kaufen?
Ich bin Lisa, Mitte 30, Autorin, Freundin, Mutter eines Zweieinhalbjährigen. Ich schreibe diese Zeilen in einem Zug nach Essen. In der Bäckertüte: Ein Schoko-Donut und ein Schoko-Croissant. 

Wie sieht dein persönlicher Alltag aus?
In den letzten Wochen stehe ich um kurz nach 5 auf, wenn mein Sohn „Aufstehen! Bitte sofort aufstehen!“ ruft. Bis ungefähr 08:30 Uhr werden dann Bücher gelesen, gefrühstückt, gemeinsam Wäsche aufgehängt. Ich bringe meinen Sohn zur grausamen Fremdbetreuung (Scherz: Menschen, die mein Kind fünf Tage die Woche sieht, sind keine Fremden und grausamer wäre ne Mutter, die den Verstand verloren hat, weil sie nur funktioniert, wenn sie Zeit allein und in ihrem Kopf verbringen kann). Dann schreibe ich so lange wie möglich, mache den Krams, der sonst so anfällt, hole mein Kind wieder ab und hänge bei Freund*innen und auf Spielplätzen rum. 

Und wie sieht euer Alltag als Großstadtfamilie aus?
Viel Arbeit, hohe Miete, unsichere Kinderbetreuung, Autolärm. 

Deine Frage stürzt mich hier in ne kleine Sinnkrise. Es gibt auf jeden Fall auch total viel Tolles am Großstadtleben, frag am besten im Sommer noch mal!  

Wo treffen wir dich an einem Sonntagvormittag?
Entweder hatte ich Samstag eine Lesung, sitze Sonntagmorgen bei einem Hotelfrühstück, steige dann in einen Zug nach Hause, schreibe, schweige, lese – gerade endlich und mit Begeisterung „Ein Spiegel für mein Gegenüber“ von Nadire Biskin.

Oder ich stehe um kurz nach fünf auf. Wahrscheinlich sind Freund*innen zu Besuch. Irgendwer besorgt Brötchen. Mein Kind hat glücklicherweise mein Sitzfleisch geerbt und so wird lange gegessen, geredet, irgendwann geht es raus. 

Sag mal Lisa, was war denn dein letzter Kinofilm und welches Kino?
Wenn es um Filme geht, bin ich wie so ein Typ, der die Schullektüre als seine Lieblingsbücher bezeichnet, einfach weil er sonst nichts gelesen hat. Will sagen: Ich habe keine Ahnung. Ich gehe so ungefähr zweimal jährlich ins Kino, meistens wenn mein Vater zu Besuch ist. Zuletzt haben wir „Anatomie eines Falls“ gesehen im Odeon in Köln. Ansonsten schaue ich ausschließlich „Love is Blind“ und warte geduldig auf die dritte Staffel von „The Bear“. 

Wie kommt man nach Köln, wenn man in Leipzig geboren wurde und im Ruhrgebiet aufgewachsen ist?
Das habe ich mich seit der letzten Mieterhöhung auch häufig gefragt. 

Unsere Essener WG hat sich vorletztes Jahr aufgelöst und weil wir keine Familie in Essen haben und zu dem Zeitpunkt gerade auch keine Jobs hatten, haben mein Mann und ich entschieden, mit unserem Kind nach Köln zu ziehen. Ich habe in Köln an der Kunsthochschule studiert (beziehungsweise tue es immer noch, aber finde einfach keine Zeit für eine Diplomarbeit). Heißt, ich habe kreative Freund*innen hier und freue mich, jetzt näher an anderen Leuten zu sein, die diesen komischen, wundervollen Schreibberuf teilen und die spezifischen Sorgen und Freuden, die mit diesem Leben einhergehen. 

Kriegt dich das Ruhrgebiet eines Tages zurück?
Vielleicht? Ich bin gerade unterwegs in die alte Heimat und ein wenig nostalgisch  – Shoutout hier an die wundervolle Jelena Ivanovic, die nicht nur Tänzerin und Choreographin ist, sondern auch die Kulturreihe „Theatino“ organisiert, moderiert, kuratiert und mich für heute nach Essen eingeladen hat. 

Klingt vielleicht nicht wie ein Kompliment, aber ein Plus im Ruhrgebiet ist, dass es noch nicht so völlig übersättigt ist, dass da noch Raum und Bedarf für tolle neue Projekte und Reihen wie die von Jelena ist.

Wie schreibst du am Liebsten?
In absoluter Stille. Wann und wo und in welcher Verfassung ist (fast) egal, aber ich brauche es ruhig. Außerdem: Mit einer Dringlichkeit als würde mein Leben dranhängen. Irgendwie tut es das auch. Es gibt wirklich wenig, wobei ich mich so – for better or worse – wie ich selbst fühle, wie wenn ich morgens nach dem Gang zum Tagesvater am Schreibtisch sitze und erstmal schreibe, schreibe, schreibe, bis ich leer bin.  

Wie kam es zu der Idee mit dem Buch und wie war der Schreibprozess?
Auf die Frage nach der Idee habe ich keine gute Antwort. Ich will den Schreibprozess nicht komplett mystifizieren (90% ist einfach zur Arbeit auftauchen, mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der ich zu jedem anderen Job erscheinen würde). Und gleichzeitig sind die Ideen einfach da, mein Kopf voller Geschichten und meine Aufgabe besteht vor allem darin, still zu sein und hinzuhören, damit ich die Figuren kennenlernen kann, die mir dann schon sagen, worum es geht. 

Der Schreibprozess war lang (sechs Jahre zwischen erster Zeile und Erscheinen des Romans) und schön und schrecklich – ich habe viel mit Fragen um Zeitform und Perspektive gerungen und wusste schlichtweg nicht, ob ich diesen Marathon in mir habe, ob ich tatsächlich einen Roman schreiben kann.

Worum es geht: Um Arielle, die nach einer psychischen Krise in ihre alte Heimat zurückkehrt und da mit ihrer Vergangenheit konfrontiert ist. Außerdem: Identität, weibliches Verschwinden, die Selbstvergewisserung einer Tochter, die sich von der Liebe ihrer Mutter durchs Leben getragen fühlt. 

Für wen ist dein Buch?
Laut Widmung für Katrin und Mustafa, meine Eltern. In Wirklichkeit natürlich: Für alle! 

In ‚Keine gute Geschichte‘ ist das wie bei dem Album von Rihanna: Unapologetic. Es ist einfach wie es ist, aber teilweise auch scheiße. Vielleicht ist meine Lieblingsszene die, in der Arielle im Supermarkt auf ihre alte Bekannte Jana trifft und dann mit zu ihr nach Hause geht, zu einer Kerzenparty. Ich lebe ja in einer Jana-Gegend. Diese Partys finden hier wirklich statt. Sind wir neidisch auf Jana oder tut sie uns leid?
Arielle würde wahrscheinlich antworten: weder noch. Sie findet Jana einfach nur spießig, versteht nicht, wie man sich für so ein Leben entscheiden kann, versteht ja sowieso überhaupt nicht, wie man sich für Mutterschaft entscheiden kann. Ich bin vielleicht ein kleines bisschen neidisch auf Jana, weil sie so gesettled ist, keine ewig Suchende. 

Mich langweilen ja Bücher über Mutterschaft meistens. Nicht aber über Tochterschaft. Wie ist Arielle so als Tochter?
Mmh. Arielle ist die Tochter abwesender Eltern; ihre Mutter ist verschwunden, ihren Vater kennt sie nicht. Das führt dazu, dass sie über ihren Vater gar nicht nachdenkt und ihre Mutter anhimmelt. Verschwundene Eltern haben es wohl leichter, können nicht nerven und nichts falsch machen. Arielle hat den ganzen anstrengenden Teenie-Krams um Abgrenzung und Rebellion mit ihrer Großmutter Varuna ausgehandelt, zu der sie die Art angespanntes Verhältnis hat, wie viele Menschen wohl zu ihren Eltern.

Nutzt du Social Media? Und wie ist dein Umgang mit und Verhältnis zu sozialen Netzwerken?
Nein und schlecht!

Vor circa einem Jahr habe ich mich von gutmeinenden Literaturbetriebs-Leuten zu einem Insta-Account überreden lassen und es dann sechs Monate ehrlich versucht. Und habe gemerkt, dass es mir nicht gut geht damit. Mein Grundgerüst scheint völlig ungeeignet für die große Influencer-Karriere: Ich bin kein offenes Buch, nicht besonders #relatable und mein Mittelungsbedürfnis beginnt und endet bei literarischem Schreiben. 

Wie bei den meisten Dingen, gegen die man sich entscheidet, steht natürlich auch einiges auf der pro-Seite. In meinem Fall war das vor allem der Kontakt zu anderen Autorinnen, insbesondere anderen Debütantinnen. Und dass mir Texten natürlich auch Spaß macht. 

Auf der contra-Seite steht: Was Social Media mit meiner Aufmerksamkeitsspanne macht, mit meiner Art, mich über die Welt zu informieren, mit meinem Selbstbild, meinen Ängsten, mit dem need, plötzlich den eigenen Alltag auf Verwertbarkeit abzuklopfen, dem Druck, mich bitte schnell und in Kachelform zum Weltgeschehen zu positionieren.

Und da ist noch nichts über Demokratiegefährdung und anorektische Teenager gesagt, das war jetzt nur, wie Social Media mein ganz privates Leben verschlechtert. 

Und gleichzeitig weiß ich nicht, ob ich mir diese Haltung leisten kann, in einem Betrieb, wo Follower-Zahlen und Netzwerken wichtig sind, wo Selbstvermarktung Teil der Jobbeschreibung ist.

Vielleicht kehre ich also bald zurück, poste Outfits, Veranstaltungshinweise und Lektüretipps und leugne, das da oben je gesagt zu haben. 

Wo kann man denn noch gut feiern und was trinkst du, wenn du weg gehst?
Ich hoffe mit „feiern“ meinst du Geburtstagsfeiern bei Freund*innen zu Hause und Abende in Restaurants. Ich tanze gerne, aber habe einen sozialen Akku, der nicht mehr als zwei Stunden in Lärm und Menschenmengen erlaubt, heißt wenig Club-Life für mich. Aperol Spritz. Weißwein. Prosecco auf Eis. Alles aus Anis (Pastis, Pernod, Raki). 

Hast du abschließend Tipps für andere Eltern?
Puh. Den Druck rausnehmen, wo es geht. Sich zugestehen, dass das alles krass ist, gnädig zu sich sein, stolz auf sich sein. 

Sich daran erinnern, was wirklich wichtig ist und beim Rest entspannt bleiben. Ich konnte nicht stillen, besitze keine Wickeltasche, mein Kind isst Süßigkeiten und trägt nichts aus Schurwolle.

Was mir wirklich wichtig ist: dass mein Sohn in einem liebevollen Haushalt mit klaren Regeln wohnt, dass er sein kann, wer er ist und sich dabei sicher begleitet fühlt. Dass er weiß, was für eine Freude es für mich ist, seine Mutter zu sein. Und das klappt. Und wenn es mal nicht klappt, entschuldige ich mich. Und er sagt, „Nicht schlimm, Mama“, weil ich das zu ihm sage, wenn er zum zweiten Mal am selben Morgen seinen Kakao auskippt. Und dann weiß ich, dass das hier echt gut läuft. 

Danke, liebe Lisa.

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