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Mutter und Autorin Julia Grosse: ‚Ein Leben lang. Was wir von unseren Großeltern über die Liebe lernen können‘

Ich lese seit ein paar Wochen ein Buch, das ich eigentlich nur in die Hände genommen habe, weil das Buch der Autorin auf den ersten Blick nicht nach Herzi-Schnucki-Mausi klang. Das war mir wichtig. Das Buch heißt Ein Leben lang. Was wir von unseren Großeltern über die Liebe lernen können und ist eine Sammlung von Geschichten, die Julia Grosse für uns gesammelt hat.

Sie hat Liebespaare getroffen, die auch nach vielen Jahren, tiefen Einschnitten und gemeisterten Krisen in der Gewissheit leben, ihren Seelenverwandten gefunden zu haben. Herausgekommen sind hinreißende Porträts die zeigen, dass die Liebe zwar nicht immer wie im Märchen verläuft, dass man aber trotz allem gemeinsam glücklich bis ans Lebensende sein kann.

Wir wollten Julia fragen, was sie so gelernt hat, von all diesen Menschen, die es so lange miteinander ausgehalten haben. Sie hat uns erlaubt, ihr ein paar Fragen zu stellen.

Hauptstadtmutti: Hallo Julia, stell dich doch mal vor.

Julia: Ich bin Kunsthistorikerin und Journalistin und bin Chefredakteurin der Kunstmagazine Contemporary And (C&) und (seit kurzem) Contemporary And (C&) América Latina. Beide Magazine fokussieren sich im weitestens Sinne auf zeitgenössische Kunst aus Afrika und der Diaspora.

Hauptstadtmutti: Wie hat das angefangen?

Julia: C& wurde 2013 gegründet mit Mitteln des Auswärtigen Amtes und dem ifa, dem Institut für Auslandsbeziehungen. Wir sind mit diesem Fokus auf „global art“ inzwischen eines der wichtigsten internationalen Kunstmagazine mit den meisten Lesern in den USA.

Hauptstadtmutti: Hast du Kinder?

Julia: Zwei Töchter.

Hauptstadtmutti: Und wo kommst du her?

Julia: Ich komme aus dem Ruhrgebiet, Bochum!

Hauptstadtmutti: Yay, NRW! Dein Buch beschreibt verschiedene Paare, die über 50 Jahre zusammen waren. Wie hast du diese Paare gefunden?

Julia: Über Freunde, aus Diamanthochzeitsanzeigen in den Lokalblättern, über Seniorenstifte von München bis Manhattan.

Hauptstadtmutti: Hast du auch Paare interviewt, die es nicht in das Buch geschafft haben?

Ja natürlich, da man ja vorher nicht weiß, ob die beiden, die einem da gegenübersitzen, tatsächlich diese Idee von der langen, liebevollen Zweisamkeit vermitteln.

Hauptstadtmutti: Hast du ein Lieblingspaar?

Julia: Clare und Blanche, die ihre Männer in den 60ern verlassen haben, um beisammen zu sein als Paar, fand ich in ihrer absolut freien, unerschrockenen Art sehr toll. Aber ich konnte mich in alle auf eine gewisse Art reinfühlen!

Hauptstadtmutti: Was ich an dem Buch mag, ist dass du deine Sichtweise auch zeigst. Du berichtest von deinem Alltag als afrodeutsche Mutter und Ehefrau in Berlin. Wolltest du in dem Buch von Anfang an auch von dir berichten?

Julia: Unbedingt, denn der Zugang zum Thema ist ja eine privater, nämlich die 70 Jahre dauernde Beziehung meiner Großeltern. Das war im Grunde mein Ausgangspunkt für das Buch. Ohne diese eigene Beziehung zum Thema hätte ich es wahrscheinlich nicht geschrieben.

Hauptstadtmutti: Ich hab nach den ersten Kapiteln ein bisschen Bauchschmerzen gehabt. Eine große Liebe, ja, aber viele fingen ähnlich an. Mann arbeitet, hat kaum/nichts mit dem Haushalt oder den Kindern zu tun, sie ist zu Hause und hält ihm den Rücken frei. Funktioniert es nur dann? Wenn man eine komplette Aufteilung macht? Nur ein Partner arbeitet, nur einer macht ‚den Rest’?

Julia: Klar ist ja, dass es nicht darum ging, die Beziehungsmuster und Rollen dieser alten Paare auf unsere Praxis heute zu übertragen. Wenn ich wirklich erfahren will, wie es ist, siebzig Jahre lang mit jemandem zusammen zu sein, dann kann ich ja nur diese Menschen um Rat fragen. Dass es bei vielen von ihnen noch recht klassisch ablief, ist der Zeit geschuldet, klar. Was mich aber fasziniert hat, ist der Grad an Respekt, der in den Beziehungen herrschte und das ist es im Grunde auch, was mir an den Geschichten wichtig war. Dass er, die sechs Kinder großgezogen hat, seine Arbeiterheldin sieht, wie sie in ihm, der hart auf der Werft geschuftet hat, ihren Schiffsbaumeister. Was alle von ihnen betont haben, ist, dass wir Paare heute eventuell nicht mehr den anderen und dessen Wünsche im Blick hätten, sondern sehr auf uns konzentriert seien. Ich habe ja auch Paare getroffen, die im Alter noch einmal komplett ihre Rollen, die sehr klassisch waren, abgelegt haben: der egoistische Partner, der seine Karriere durchziehen konnte, tritt auf einmal in den Hintergrund, damit die Partnerin in den Vordergrund treten kann. Es geht wohl immer um die Balance. Die Offenheit , als Partner zu sehen, wenn man zuviel gibt oder zuviel nimmt. Das haben einige der Paare, wie erwähnt, auch erst im Alter gewusst gelernt.

Hauptstadtmutti: Sollte der Titel vielleicht heißen ‚Was wir von unseren Großeltern über die monogame Liebe lernen können’?

Julia: Nein, das soll damit nicht impliziert werden, denn Paare, wie z.B. Clare und Blanche deuten ja sogar offen an, dass sie die Siebziger realtiv „offen“ gelebt haben wie viele ihrer Freunde in der Zeit auch. Monogam und sich „treu“ bleiben, sind nicht die entscheidenden Punkte, sondern wie man seine ganz eigenen Regeln als Paar gleichberechtigt verhandelt. Denn eine wichtige Erkenntnis war ja, dass es so viele Wege in die perfekte Beziehung gibt, wie es Spielarten gibt.

Hauptstadtmutti: Gibt es den einen Tipp, den wir alle beherzigen können?

Julia: Toleranz nicht nur als Idee verinnerlichen, sondern diese konkret anwenden. Das war mir immer klar, wenn meine Großeltern mir sagten, wie wichtig diese sei. Erst beim Schreiben des Buches wurde mir klar, dass Toleranz ja schon anfängt bei der Art, wie der eine immer die Wäsche aufhängt, und der andere es „aushalten“ muss , dem anderen nicht hineinzureden. „Ich versuche ihn nicht zu verändern“, das war eines der Geheimnisse, dass alle Paare pflegten.

Hauptstadtmutti: Hast du Lieblingsorte in Berlin?

Julia: Mit und ohne Kind tatsächlich den Gleisdreieck Park, er erinnert mich so extrem an den Dumbo Park in Brooklyn.

Hauptstadtmutti: Was gefällt dir am Großstadtleben?

Julia: Die Diversität der Gesellschaft, die diversität der Szenen und ihrem Kulturangebot. Dass man hier scharfe Sauce aus Nigeria ebenso bekommt wie Honig aus der Schweiz.

Hauptstadtmutti: Wird es noch ein Buch geben?

Julia: Da es, wie gesagt, ein sehr persönliches Thema war, weiß ich nicht, ob es zumindest zu dem ähnlichen Thema noch ein Buch geben wird.

Hauptstadtmutti: Wann hast du geschrieben? Wie lange dauerte es, das Buch fertigzustellen?

Julia: Ein Jahr lang hatte ich Zeit, obwohl ich am Thema schon lange brüte, nur nie der Moment gekommen war, es auch anzugehen. Ich habe viel morgens vor der Arbeit schreiben und abends nach der Arbeit, wenn die Kinder im Bett waren. Anstrengend, aber bei einem Jahr Schreibzeit kann man es gut schaffen.

Hauptstadtmutti: Was ist denn jetzt das Problem von uns jungen, feministischen Frauen? Wollen wir zu viel? Denken wir zu viel nach? Ist die Revolution schon längst auf dem Weg?

Julia: Zu viel wollen kann man nie. Reflektiert durchs Leben gehen, ist ebenfalls wichtig. Man muss jetzt nur dranbleiben an realen Ungleichgewichten, die es noch gibt, Stichwort Gehälter.

Hauptstadtmutti: Was machen wir eigentlich mit den 2/3 aller deutschen Väter, die keine Elternzeit nehmen? Oder konzentrieren wir uns auf das eine Drittel, das auch mehr als zwei Monate hätte machen können?

Julia: Dahinter steckt ja eher ein größerer Komplex, nämlich, dass diese Paare den gleichen Start haben, frische Akademiker, und dann nicht ausdiskutiert wird, wie man sich das mit der Familienplanung eigentlich vorstellt. Resultat sehr oft: sie bleibt „erst Mal“ zuhause … und findet nach drei Jahren nicht mehr in ihre alte berufliche Struktur zurück. Super riskant …

Hauptstadtmutti: Ist es einfacher, wenn beide Partner aus der gleichen Welt kommen?

Julia: Gleiche Visionen sind wichtig. Aber das ewige Verhandeln wenn man aus zwei Kulturen kommt, kann die Beziehung auch sehr lange sehr lebendig und in Bewegung halten, oder?

Hauptstadtmutti: Danke, Julia!

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