Als ich Sabine Rennefanz um ein Interview bat, war ich tatsächlich etwas aufgeregt, denn seit „Eisenkinder“, ihrem ersten Buch, bin ich großer Fan von ihr. Mit einer erstaunlichen Leichtigkeit, kann sie Dinge so wunderbar nüchtern auf den Punkt bringen. Jetzt ist ihr drittes Buch erschienen. „Mutter to go“ heißt es und darin sind viele wunderbare Kurzgeschichten aus dem Leben als Mutter. Sabine Rennefanz ist 44 Jahre alt, hat zwei Kinder (2 und 4 Jahre) und lebt in Berlin. Mit ihr hab ich übers Mutterwerden, über Gleichberechtigung und natürlich über ihr neues Buch gesprochen.
Hauptstadtmutti: Wann bist du denn auf die Idee gekommen, Mutter zu werden?
Sabine Rennefanz: Es gibt Frauen, die wissen schon recht früh genau, sie wollen mehrere Kinder haben und setzen das zielstrebig um. So jemand war ich nicht. Bei mir hat das mit Ende 20, Anfang 30 eingesetzt, dass ich dachte, ich sehne mich nach einem Kind. Das war ein eher abstrakter Wunsch. Die Männer, mit denen ich damals zusammen war, wollten keine Kinder.
Mir war recht früh klar, dass ich einen Partner möchte, der mit mir alle Pflichten teilt. Es ist gar nicht so einfach, jemanden zu finden, der das auch will. Als ich meinen späteren Mann kennenlernte, sagte ich ihm schon beim zweiten Date: „Ich will Kinder. Kannst du dir das auch vorstellen?“. Wenn er dann „Nein“ gesagt hätte, wäre das wahrscheinlich nichts geworden. Dann hätten wir uns den Aufwand des näheren Kennenlernens sparen können. Er hat aber „Ja!“ gesagt.
Hauptstadtmutti: Das ist aber sehr direkt.
Sabine Rennefanz: Ja, das war direkt. Im Nachhinein weiß ich auch gar nicht, ob er nur so „Ja“ gesagt hat. So von wegen „Ja, ja, red’ nur, trink erst mal was …“. Aber, wir sind tatsächlich zusammen gekommen und zusammen geblieben, haben geheiratet und dann dachte ich, irgendwann werde ich schwanger. Es passierte aber nichts. Wir haben uns beide untersuchen lassen, medizinisch war alles OK. Nach einer Zeit fing ich an, über künstliche Befruchtung nachzudenken, verwarf den Gedanken aber wieder. Wir haben das Übliche versucht , also Sex nach Kalender und so weiter. Aber nichts hat geklappt. Irgendwann hab ich gesagt: „Ok. dann wird es eben nichts. Man kann auch ohne Kinder glücklich sein.“ Und dann wurde ich doch schwanger und hatte eine frühe Fehlgeburt. Das hat mich aus der Bahn geworfen. Aber die Frauenärztin meine ganz lakonisch, dass wir es einfach weiter versuchen sollen. Mit 39 war ich dann erneut schwanger und diesmal blieb ich es.
Hauptstadtmutti: Und wie hat sich das angefühlt?
Sabine Rennefanz: Also die Schwangerschaft war super, eine der schönsten Zeiten in meinem Leben. Gerade im zweiten Trimester fühlte ich mich so, als hätte ich die besten Drogen der Welt genommen. Ich war so glücklich wie nie. Und dann kam das Kind auf die Welt und die erste Zeit war für mich schon ein wenig ein Schock. Ich beschreibe das ja in meinem Essay „Mutterland“, das ich mich überfordert gefühlt habe. Das mit dem Stillen hat nicht so richtig geklappt, das Kind war nachts stundenlang wach und ich bin jede Nacht im Kreis durchs Wohnzimmer gelaufen. Die Erschöpfung nach der Geburt, die Probleme beim Stillen, der Schlafmangel zehrten an mir. Und ich konnte mir nicht vorstellen, dass es jemals anders wird.
Hauptstadtmutti: Hattest du die Idee zu deinem neuen Buch „Mutter to go“ schon vorher oder ist sie dann erst entstanden?
Sabine Rennefanz: Während ich schwanger war, hab ich mein zweites Buch „Die Mutter meiner Mutter“ geschrieben. In den ersten Monaten, als mein Sohn, auf der Welt war, habe ich das fertig geschrieben. Ich war vor der Geburt umgeben von Frauen, die offensichtlich entspannte Babys hatten und mir sagten, dass die Kinder in den ersten Monaten sowieso nur schlafen und ich mein Buch locker fertig machen kann. Ich dachte am Anfang, ich mache irgendwas falsch, weil mein Kind so viel weinte. Ich wusste nicht, dass schon Babys sehr unterschiedlich sein können. Das war eine irrsinnige Zeit, aber ich habe es überstanden und das Buch fertig gemacht.
Während der Zeit habe ich Notizen gemacht, auf dem Handy oder hab mir Sprachnachrichten draufgesprochen. Das Mutterwerden ist so eine überwältigende Erfahrung, alles ändert sich, der Körper, die Hormone, die Beziehungen zu anderen und sich selbst, irgendwann wollte ich was darüber schreiben.
Als ich dann wieder anfing zu arbeiten, hat mich mein Chef bei der Berliner Zeitung gefragt, ob ich nicht eine Kolumne über Familie schreiben möchte. Ich habe kurz vor der Geburt meiner Tochter damit angefangen, also Januar 2017. Am Anfang war es nur als Zeitungskolumne geplant. Ich dachte gar nicht an eine Buchveröffentlichung.
Viele dieser Kolumnen sind kontrovers diskutiert worden. Die einen sagten: Warum schreiben Sie über diese banalen Mutti-Themen? Die anderen meinten: Endlich schreibt mal jemand auf, wie es wirklich ist. Es gab viele Leserbriefe, viele Leserreaktionen und viele haben gefragt, wann es die Kolumnen als Buch gibt. So entstand die Idee. Exklusiv für das Buch habe ich aber den Essay „Mutterland“ geschrieben sowie eine Kolumne über das Schreiben mit Kindern.
Hauptstadtmutti: Ich finde das sehr schön, dass man erst die Einleitung liest und dann zu den vielen kleinen Geschichten gelangt. Du hast eine Anekdote erzählt, nämlich, dass du, wenn du Ruhe brauchst, ins Bad gehst, die Tür zu schließt und das Licht ausmachst, um einfach für dich zu sein, Machst du das immer noch?
Sabine Rennefanz: Ja, das mache ich immer noch. Ich bin jemand, der gerne alleine ist, um die Batterien wieder aufzuladen. Mein Mann zum Bespiel ist ganz anders. Er mag es total, Trubel um sich zu haben. Ich brauch auf jeden Fall Ruhe, hab aber gemerkt, es gibt so wenig Räume, wo man wirklich Ruhe hat. Bei uns im Büro, Großraum, ist es auch immer laut. Zu Hause ist es immer laut. Das Badezimmer ist der Raum für mich geworden. Das klingt etwas absurd. Aber ich kann da abschließen und die Kinder respektieren das inzwischen auch. Ich mach das ja nicht lange. Manchmal wenn ich einen Gedanken oder eine Idee für einen Text habe, den ich kurz notieren muss, oder merke, es wird alles zu viel und es würde allen gut tun, dann schließ ich ab und zieh mich kurz zurück.
Hauptstadtmutti: Neben dem Bücherschreiben arbeitest du aber auch noch. Vollzeit?
Sabine Rennefanz: Ja, 40 Stunden.
Hauptstadtmutti: Wie regelst du das mit deinem Mann? Wie teilt ihr euch auf?
Sabine: Als wir nur ein Kind hatten, haben wir beide Teilzeit gearbeitet. Ich habe dann aber sehr schnell gemerkt, dass man mit der vollzeitnahen Teilzeit, also 30 Stunden, doch so viel macht, als würde man 40 Stunden arbeiten, aber weniger Geld bekommen. Das machte keinen Sinn. Innerhalb des Verlages habe ich meinen Job gewechselt. Ich bin jetzt Reporterin fürs Magazin und die Seite 3 und ich kann mir meine Zeit vergleichsweise frei einteilen
Ich bringe morgens die Kinder in die Kita und mein Mann, der Teilzeit arbeitet, holt sie ab. Ich hole sie ungefähr ein Mal in der Woche ab.
Hauptstadtmutti: Habt ihr viel darüber diskutiert, wie ihr es aufteilt?
Sabine Rennefanz: Er kommt aus London und hat seinen Job als Art Director dort aufgegeben, als er nach Berlin zog. Es war von Anfang an so, dass ich die mit der Festanstellung war und er als Freiberufler arbeitete, damit die war die Aufteilung schon vorgeben. Außerdem muss ich sagen, dass ich wahrscheinlich die beruflich Ehrgeizigere von uns beiden bin. Er genießt es wiederum sehr, eine innige Beziehung zu den Kindern zu haben.
Hauptstadtmutti: Sammelst du täglich von allen möglichen Leuten Geschichten oder sind es eher autobiografische Erfahrungen, die du verarbeitest?
Sabine Rennefanz: Ich höre bei Gesprächen gut hin, bin aber vorsichtig mit direktem Material von Freunden. Die Ideen für die Kolumne gehen mir auf jeden Fall nicht aus. Mutterschaft ist ein irre komplexes Thema, mit sehr vielen Facetten.
Hauptstadtmutti: Hast du ein Lieblingskapitel?
Sabine Rennefanz: Der Text „Mutterland“ ist mir sehr nah. Ich mag „Der Gott des Gemetzels“, wo es um die Berliner Spielplätze geht, dann aber auch Texte, in denen es eher um politische Themen geht, in denen ich eine Pflichtelternzeit für Väter fordere. Das „Nachtaktive Ungeheuer“ mag ich auch sehr.
Hauptstadtmutti: Dein Mann kommt ja aus Großbritannien. Gibt es einen Unterschied zwischen der britischen und der deutschen Mutterschaft oder Elternschaft?
Sabine Rennefanz: Diese starken sozialen Vorstellungen, wie eine gute Mutter zu sein hat, fürsorglich, aufopfernd, immer da, gibt es in Großbritannien auch. Obwohl es dort seit etwa drei Jahren auch Elterngeld für Väter gibt, nehmen das kaum Männer an. Kindergärten sind wahnsinnig teuer. Aber ich habe den Eindruck, es gibt eine größere Tradition, diese Normen auch kritisch zu reflektieren. Mir haben beispielsweise im ersten Jahr Texte von angelsächsischen Autorinnen wie Rachel Cusk, Adrienne Rich oder Anne Enright sehr geholfen.
Mein Mann hat auf dem Spielplatz ein paar Freunde, mit denen er sich am Nachmittag trifft und das sind alles Ausländer oder Ostdeutsche. Ich glaube schon, dass es zu dem westdeutschen Rollenmodell, man bleibt nach der Geburt mindestens drei Jahre zu Hause auch ein männliches Pendant gibt, nämlich den Ernährer, der das Geld verdient und für die Familie sorgt. Und das sitzt ganz tief drin, in der westdeutschen Gesellschaft noch mehr, als in der ostdeutschen. Das wird auch weitergetragen. Vielleicht sind wir die erste Generation, die das ändert.
Hauptstadtmutti: Meinst du, dass unsere ostdeutsche Generation, eine Art Vorreiter sein könnte?
Sabine Rennefanz: Für unsere Generation ist es selbstverständlicher, die Kinder in die Kita zu geben und die eigene Arbeit nicht aufzugeben. Das wird einfach weniger in Frage gestellt. Das sagen auch die Statistiken. Frauen im Osten arbeiten viel weniger Teilzeit, als im Westen. Dadurch ist der Gender Pay Gap auch im Osten viel geringer. Es gibt mehr weibliche Führungskräfte. Natürlich haben die Frauen im Osten auch das Glück, dass es die Infrastruktur aus DDR-Zeiten gibt. Es gibt viel mehr Kitas und Ganztagsschulen. Davon können Eltern in NRW oder Bayern ja nur träumen. Ich beobachte aber auch eine Art Rollback, also manche sagen auch, dass sie es schrecklich fanden, dass ihre Mütter im Osten nie zu Hause waren und sie es jetzt mit ihren eigenen Kindern ganz anders machen. Ich finde das alles total ok.
Ich fände es schön, wenn alle es so machen könnten, wie sie es am besten finden. Es ist wirklich so typisch deutsch, dass jeder denkt, dass er oder sie es mit dem Modell, dass er lebt, falsch macht. Mein Mann, als Engländer, versteht das oft auch nicht, dieses permanente Sich-infrage-stellen und Zweifeln.
Hauptstadtmutti: Ich hatte beim Lesen des Buches das Gefühl, dass deine Sprache extrem sanft geworden ist. Also vor allem das eine Kapitel mit den Großeltern. Das fand ich so berührend. Hast du auch das Gefühl, dass deine Sprache sich mit dem Muttersein verändert hat?
Sabine Rennefanz: Vielleicht ja. Vielleicht habe ich mich auch verändert und bin emotionaler geworden. Es ist das Krasseste am Elternsein, diese überwältigenden Gefühle. Ohne Kinder kann man sich dem ja ganz gut entziehen, die Kontrolle behalten, funktionieren, die Gefühle wegdrücken. Aber mit Kindern geht das nicht mehr. Man wird überwältigt, von Liebe, Stolz, von Wut, von Unsicherheit, Frustration. Und das Verhältnis zu meinen Eltern hat sich verändert, das stimmt, darum geht es ja in der Kolumne, die du angesprochen hast. Ich habe über die Kinder noch mal einen neuen Blick auf sie bekommen.
Ich lese gerade das Buch „Mutterschaft“ von Sheila Heti. Da ringt sie damit, ob sie ein Kind bekommen soll. Am Ende begründet sie, warum sie keins möchte. Sehr spannendes Buch. Trotzdem wuchs beim Lesen das Gefühl großer Dankbarkeit bei mir, für meine Kinder.
Dankeschön, liebe Sabine!