Am Hamburger Dreiländereck Pauli / Schanze / Altona treffen wir den Autor Sebastian Stuertz. Und zwar direkt vor dem Atelier Royal TS, dem Workspace, den er sich mit seiner Frau Tara Wolff teilt. „Sie ist Fotografin und wir arbeiten beide in unserem Souterrain und machen hier auch Veranstaltungen – Salons, Lesungen, Meet Ups – und wenn sie lieb sind, dürfen unsere Söhne hier auch mit ihren Freund:innen feiern.“
Sebastian behauptet, er wäre „hauptberuflich Vollidiot.“ Nun denn, aber nebenher schreibt er Bücher und Romane, macht Motion Design für TV und Film, veranstaltet Literaturshows und erfindet, theoretisch zumindest, sehr viele nützliche Dinge. Aber gefühlt ist er Musiker, dessen großer Durchbruch kurz bevorsteht.

Was macht dich gerade glücklich?
Dass dieses Jahr bald rum ist und ich nächstes Jahr viel Zeit fürs Schreiben und auch wieder für meine arg vernachlässigte große Liebe Musik haben werde. Ich kann mir aufgrund von abartigem Arbeitseinsatz und schönen Schreibaufträgen ein Jahr ohne stressige Motion Design Jobs erlauben. Zudem habe ich mehrere Monate lang Residencies – werde also viel Zeit für meine Kunst haben. Und von Dezember 2025 – Januar 2026 werden wir das erste Mal im Süden überwintern – dann ist nämlich auch der „kleine“ Sohn fertig mit der Schule und reist um die Welt oder macht einen Master im Chillen – und Weihnachten feiern wir dann in Italien … der Gedanke daran macht mich glücklich. Ich habe schon immer davon geträumt, dem Hamburger Winter zu entfliehen. Bin ja auch sehr stressanfällig, und Weihnachtsstress PLUS Dunkelheit PLUS Kälte treiben mich leider zuverlässig in die Depression.
Was macht dich gerade wütend?
Die Dummheit der Menschen. Wie kann man auf solche Vollpfosten wie Donald Trump, Bernd Höcke, Alice Weidel oder Elon Musk hereinfallen? Ich bin so wütend und verzweifelt wie noch nie in meinem Leben. Als junger Mann, in den Neunzigern, waren die Faschos eine irgendwie „unkonkrete“ Bedrohung, überwiegend dumme Skinheads. Es gab ein paar in der Nachbarstadt, aber die Republikaner (damalige rechtsradikale Partei) kamen nicht mal über die 5%-Hürde. Mittlerweile werden die faschistoiden Regierungen und Autokratien, auch in Europa, immer mehr, das ist zum Verzweifeln. Und die USA werden gerade zu einem faschistischen Staat umgebaut, wo eventuell bald Abtreibung verboten wird. Das muss man sich mal vorstellen – zurück ins Mittelalter! Ich hoffe für unser Land, dass die Flachpfeife Merz Wort hält und nach den Neuwahlen nicht mit den Faschisten koaliert. Aber der Typ ist so ehrenlos, dem ist alles zuzutrauen. Man muss sich ernsthaft überlegen, wohin man auswandern kann, falls hier alles wieder von vorne losgeht – und es sieht ganz danach aus, als könnte sich die Geschichte wiederholen.
Wo bist du gerne?
In Italien, in meinem Bett, unter der Dusche.
Wo bist du gerne in deiner Stadt?
Im französischen Bistro Carmagnole bei uns um die Ecke. Am liebsten mit Freundinnen und Freunden allein im 12-Leute-Separé. Und natürlich in unserem Atelier Royal TS.

Hast du Tipps für Eltern in deiner Stadt?
Wer Kinder im Alter von 7 – 12 hat und noch nie auf einem DEINE FREUNDE Open Air im Stadtpark war, sollte das dringend mal nachholen! Die verkaufen das jeden Sommer drei Mal aus (mind. ½ Jahr vorher Tickets besorgen!). Und DEINE FREUNDE sind die coolste Kinderband der Welt, ihre Konzerte ein echtes Erlebnis und genauso wie die Musik und die Texte nicht nur für Kinder, sondern auch für Eltern.
Meinen Style würde ich beschreiben als…
Style, hahaha … minimalistisch, pragmatisch, anti-Brand, contra-Trend.
Mode ist mir wichtig, weil…
Mir ist Mode in dem Sinne nicht wichtig, ganz im Gegenteil: Ich finde es absurd, dass ich Geld für das Spazierentragen eines Logos zahlen soll. Ich schätze jedoch Marken, wenn sie für Qualität bürgen. Dann kaufe ich mir auch lieber die Jeans einer bekannten Marke, als den Fast-Fashion-Schrott. Aber bestimmte Brands aus Imagegründen oder wegen eines Trends zu tragen, finde ich geradezu peinlich. Das ist so ein durchsichtiger Kapitalismus-und Marketing-Opfer-Move. Ich will niemanden mit versteckten Codes irgendetwas signalisieren oder zu irgendetwas scheinbar dazugehören. Eine Zeit lang habe ich eingestickte Logos aus meiner Kleidung herausgetrennt, aber inzwischen kaufe ich mir überhaupt keine Kleidung mit Logos mehr.
Worauf würdest du zehn Jahre sparen?
Das Konzept SPAREN funktioniert bei mir nicht. Ich kann gar nicht so weit in die Zukunft denken. Ich bevorzuge es, JETZT den Spaß zu haben, und nicht erst in zehn Jahren. Außerdem steuern wir auf ein Zeitalter zu, das die größten Umwälzungen der Menschheitsgeschichte bereithält. Wir werden das Verschwinden von Geld, wie wir es kennen, sicherlich noch erleben. Und dann hat man zehn Jahre umsonst gespart.
Welches Kleidungsstück deiner Eltern hat dich geprägt?
Taubenblauer Hoodie. Wir alle hatten so Kapuzenpullover in ausgewaschenem rot und blau, herrlich.
Welches Kleidungsstück aus deiner Kindheit hättest du gerne noch?
Den taubenblauen Hoodie. Ich durfte mir eine Rückennummer wünschen, die meine Mutter dann draufgenäht hat. Ich habe mir aus nicht nachvollziehbaren Gründen die 26 gewünscht.
Welches Kleidungsstück aus deiner Jugend hast du noch?
Eine von meiner Oma geknüpfte schwarze Mütze – ein Zwitter aus Beanie und Baskenmütze.
Welches Kleidungsstück hast du wahrscheinlich am Längsten?
Diese Mütze von Oma.

Welches Kleidungsstück hast du dir zuletzt gekauft?
Fair und nachhaltig produzierte Sneaker, und vegan. Sind aber noch nicht angekommen.
Worin willst du begraben werden?
Habe ich noch nie drüber nachgedacht. Aber gute Idee, schließlich habe ich die Playlist für meine Beerdigung schon fertig! Vermutlich einfach bequeme Lieblingskleidung. Oder doch einen Anzug denn …
Was geht jeden Tag?
Ich wünschte, ich könnte oder würde jeden Tag Anzüge tragen. Das ist mir jedoch zu pflegeintensiv und auch nicht wirklich bequem. Aber prinzipiell finde ich, kann man mit einem schlichten Anzug (aber bitte ohne Hemd oder Krawatte!) nie etwas falsch machen. Ich habe auch relativ viele Anzüge und nehme mir immer wieder vor, sie öfter zu tragen. Aber richtig praktisch sind die leider nicht.
Hey Sebastian, was hast du an?

Die Cap ist nicht etwa von stüssy – wer genau hinsieht, erkennt, dass es „stuertzy“ heißt. Mein Bruder ist auch Grafiker, und er hat uns beiden jeweils eine dieser Mützen gemacht.
Ich habe eine Jacke von A.D.DEERTZ an. Wibke Deertz macht die allerbeste Herrenkleidung. Mit eigenem Laden in der Torstraße 106 in Berlin. Ich kaufe seit Jahren all meine Jacken immer nur bei ihr. Sie pflegt persönliche Kontakte zu ihren Näherinnen in Polen, reist regelmäßig dorthin, und ist auch viel allein in Afrika unterwegs, was sich ganz dezent in dem ein oder anderen Stück ihrer Kollektion wiederfindet. Wibke ist eine liebe, alte Freundin meiner Frau aus Studientagen, und eine ganz großartige Person, die ich gerne unterstütze. Wenn schon Mode, dann ihre. Ich empfehle allen Berliner:innen einen Besuch in ihrem Laden. Und wenn ihr es macht grüßt sie von mir!

Meine Jeans ist ein bekannter Klassiker, dafür mache ich keine Werbung. Ich habe Jahrzehnte gebraucht, um mich dazu zu überwinden, diese Marke zu kaufen. In meiner Jugend trugen vor allem „Popper“ diese Jeans, deshalb war ich natürlich strikt dagegen. Aber da ich Shoppen gehen hasse, habe ich mir „im Alter“ angewöhnt, mir die perfekten Standards zu merken – die ich dann blind nachkaufen kann, wenn ich neue brauche. Bei Socken, Unterwäsche und Jeans shoppe ich also seit Jahren immer die gleichen Modelle vom selben Hersteller und muss dafür nicht das Haus verlassen. Das sind bekannte Marken – aber die garantieren mir in diesem Fall gleichbleibenden Qualität. Und niemand sieht das Logo.
Die Sneaker sind von dem französischen Label ASPHALTE – die produzieren nachhaltig in Europa und haben ein unterstützenswertes Konzept: Sie sammeln erst Vorbestellungen, damit nicht zu viel produziert wird. Sie nehmen sogar Wünsche und Feedback entgegen, man kann also theoretisch noch auf die Produkte einwirken. Alle Kleidungsstücke sind hochwertig produziert und zeitlos, ohne Logos oder Schnickschnack. Eine Marke, die eine gewisse Manufactum-Boomerhaftigkeit mit einem zeitgemäßen Nachhaltigkeitskonzept auf positiv dreht. Das gefällt mir! Ich warte seit ein paar Monaten auf meine neuen Sneaker, herrlich – wenn die kommen, habe ich schon vergessen, dass ich sie bestellt habe.

ZWEISILBER ist die Schmuckbrand unseres Sohns Len (23). Er studiert Kommunikationsdesign und hat mit seinem Kindheitsfreund Leo das Label gerade gestartet. Sie haben sich einen 3D-Drucker gekauft, damit erstellen sie custom designte Vorlagen, lassen diese in Silber gießen und Len veredelt und finalisiert die Schmuckstücke dann per Hand. So entstehen Einzelstücke – Siegelringe mit eigenem Logo sind bei seinen jungen Designer-Kumpels sehr beliebt. Aber auch seine holländische Omi freut sich über eine Kette mit Tulpen-Verschluss. Len macht auch lustige Making-Of-Clips, unbedingt mal mit Tonspur checken.
Auch geil: die Pärchenringe mit den Kosenamen „Hasi“ und „Mausi“, die ein Kumpel seiner Freundin zum 3-Jährigen Jahrestag geschenkt hat.
Heute habe ich eine von Len handgehämmerte Kette getragen. Für „meinen“ Siegelring warte ich noch immer auf die zündende Idee …
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