Hauptstadtmutti

Zwischen Bauern und Berlin: Ida und Jana

Ida und Jana sind zwei junge Frauen, die dieses Jahr einen Shitstorm erleben durften. Ida, weil sie es gewagt hat, ehrlich zuzugeben, dass ihr das Feiern fehlt, und Jana, weil, nun ja, Jana etwas gesagt hat, was sogar einen Ordner dazu veranlasste, die Weste hinzuschmeißen.

Viele von euch werden sich zunächst auch gar nicht an Ida erinnern können. Ida wurde irgendwie nachts oder abends auf der Straße in einer Großstadt etwas gefragt und dabei gefilmt. Geantwortet hat sie das hier: „“Ich war jetzt seit März nicht mehr feiern und das ist schon traurig. Ich brauche das eigentlich.”

Bekommen hat sie dafür einen dieser mini Shitstorms, währenddessen richtig schön sarkastisch rumgestänkert wurde und nach zwei Tagen war alles vergessen. Ich mein, hey, ich habe auch kurz gelacht, und den Kopf geschüttelt, aber das hat sie nicht mitgekriegt. Gifs, Memes, Artikel, Meinungsstücke und die übliche Einstimmigkeit über den Verfall der Gesellschaft, aber zumindest der Jugend waren das Resultat.

Das alles ging so weit, dass sogar der Mensch, der den ursprünglichen Post auf Twitter gepostet hatte, das Ding löschen musste: „Dass ungesunde Debattenkultur das hier so eskalieren lässt, habe ich unterschätzt.“

Es gab auch viele Reaktionen, die in eine andere Richtung gingen. Vor allen Dingen, weil Ida einfach nur ein Bedürfnis geäußert hat, niemanden angegriffen hat, und sich per se auch nicht gegen die Maßnahmen ausgesprochen hat. Egal, Zack Boom, Hasskommentare. Ich hätte so einen Lockdown auch nicht geil gefunden mit Anfang 20, da bin ich mir sicher. Nach einem kleinen Unfall musste ich mal mehrere Wochen während der Semesterferien im Bett rumliegen. Und ja, da gab es schon Internet. Vielleicht noch kein Instagram oder Netflix, aber wir hatten früher auch unsere Mittel und Wege, Serien zu suchten bis der Laptop rauschte. Früher war übrigens vor zehn Jahren. 

Ich habe es gehasst. Ich war einsam, alleine, und völlig genervt, gelangweilt und konnte es nicht erwarten, wieder zu arbeiten, in die Uni zu gehen, und unter Menschen zu sein. Äh ja, und zu feiern! Die meisten Menschen in meinem Freundeskreis arbeiteten in der Gastro, das heißt die hatten abends nicht mal Zeit, mit mir ein Bierchen vorm Fernseher zu trinken. Oder ich durfte keinen Alkohol trinken, weil frisch operiert? Irgendwas war da. 

Jedenfalls erinnere ich mich an das Gefühl und ich habe es kaum ausgehalten. Ja, ich habe mich eingesperrt gefühlt, und ja, es war anstrengend, und ja, es war ein First World Problem. Am Ende des Tages sind so gut wie alle unserer Probleme First World Problems. Shit, selbst wenn ich Hartz IV beziehe, ist es ein First World Problem, weil es ähnliche Maßnahmen in den meisten Ländern erst gar nicht gibt. Woher also der Wunsch, in diesem Jahr noch mehr auf die anderen haten, als es sonst schon üblich ist. Was ist denn das für ein Abfuck, Menschen nicht mal sagen zu lassen, was sie vermissen? 

Häme ist nicht Hass

Viele von uns empfanden pure Katharsis, als der Ordner seine Weste abgab. Was für ein symbolischer Moment, für uns alle, egal ob wir wie Ida das Feiern vermissen, oder wie Senior*innen ihre Enkel, oder wie wir Eltern die Kinderbetreuung. Dass endlich, endlich mal jemand auf so einer Querdenker-Veranstaltung sagt, dass es reicht. Ein großes, herzliches ‚Fickt euch‘ von jemandem mit klarem Verstand. Brudi, wir fühlten dich. Nächsten Sommer kommst du zum Grillen vorbei, du bist jetzt ein Kuseng. 

Nach #janaauskassel war ich für ein paar Tage dankbar fürs Internet. Endlich wieder herzlich lachen, göttliche Tweets, super Parodien, und alles gipfelte in diesem Musical:

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Bis zu einem gewissen Grad können wir uns auch über Ida lustig machen, haben offensichtlierweise auch genug gemacht, aber wir müssen sie nicht dafür hassen, dass sie vor laufender Kamera eine Frage ehrlich beantwortet hat. Vielleicht war es ein bisschen mimimi, aber mei, sie hat niemandem damit weh getan. Sich selbst mit jemandem wie Sophie Scholl zu vergleichen, ohne ein Gramm von Angst, dass sie das für immer in Internet-Stein meißeln könnte, ist unfassbar. Hoffentlich haben die Menschen, die nur ein bisschen mit der Querdenker-Bewegung liebäugelten, ganz ganz fix den Kopf geschüttelt haben und verstanden, dass auch sympathisieren mit solchen Leuten nicht ungefährlich ist. 

Während der WM 2006 war ich eine sehr, sehr frischgebackene Abiturientin. In irgendeiner Stadt, vor oder nach irgendeinem Spiel, ordentlich betrunken, habe ich irgendeinem Fernsehsender ein paar Fragen beantwortet. Vielleicht habe ich etwas gegrölt, und gelallt und überhaupt war ich radikal euphorisch. Abends lief das dann in irgendeiner Nachrichtensendung. Es waren vielleicht vier Sekunden, hat fast kein Mensch aus meinem Freundeskreis gesehen und vor allen Dingen nicht aufgenommen. Meine größte Sorge zu der Zeit? Dass Stefan Raab es finden würde, und ich zu einem Knopfdruck werden würde. Es war eine prä-Meme-Angst. 

Heutzutage wird jeder zum Raab, wenn er glaubt, er hat einen lustigen Snippet oder ein Bild gefunden, und legt los, ohne Rücksicht auf Verluste. Gibt auch Videos von Buzzfeed zu dem Thema ‚I accidentally became a meme‘. Ich höre sie schon, die ewig Klugen, von hinten, wie sie rufen: „Ja, äh, hömma, dann pack doch dein Zeug nicht ins Internet, dann wirste auch kein Meme!“

Vermissung an meine Party Days

Junge, jeder hat ein Smartphone, absolut jeder. Du kannst ein Eis falsch essen in Buxtehude und dabei kleckern, und morgen bist du ein Meme. Du kannst auch mal was in die Kamera sagen, was vielleicht nicht ganz so klug war, oder vielleicht in Menschen etwas ausgelöst hat, weil du als junge gesunde Frau nichts zu meckern hast, und weil es leicht ist auf Frauen zu hassen. Ich habe lange, lange überlegt, warum diese Erklärung bei Ida zieht, bei Jana aber nicht. 

Idas Gefühl ist ich-bezogen und spontan. Sie spricht aus, was wir alle empfinden: Vermissung. Man schluckt aber tagtäglich runter, und denkt sich, wird schon, auch wenn es hart ist. Denn, ja, am Ende des Tages ist es nicht so hart, wie vieles andere, aber hart genug. Ida erlaubt sich, Vermissung auszudrücken, die wir alle uns verkneifen, da ja parallel auch Menschen sterben. Deshalb hassen wir ein bisschen auf Ida, denn ‚wie kann man nur‘, was für eine Göre, aber insgeheim wollen wir auch grad auf ein Festival, in einen Flieger oder zum Fußball ins Stadion. Deshalb gucken wir Bilder von leeren Clubs an und werden traurig, obwohl wir genau wissen, wie es da gerade riecht.

Bier gegen Nazis

Janas Gefühl ist geschmacklos und geplant. Ausgedrückt auf einer Bühne, auf die sie sich selbst gestellt hat, vor sehr, sehr vielen Kameras und mit der vollen Intention, Menschen zu erreichen, von denen sie glaubt, dass sie ihr zustimmen würden. Die zynische PR Frau in mir fragt sich, ob das nicht alles geplant war, aber dann sehe ich sie wieder, wie sie ihr Mikrofon in die Ecke pfeffert und weint. Und natürlich der Satz der Sätze: ‚Ich habe doch gar nichts gesagt.‘ Doch. Und zwar schon vorher, beispielsweise im September. Und auch danach, nachdem sie sich gefangen hat, führte sie ihre Rede fort. Auf einer angemeldeten Demo und geschützt von der Polizei. 

Es gibt diesen Meme Spruch: ‚You keep using this word, I am not sure you know what it means.‘ Jana spricht vom Widerstand, in anderen Reden auch von Diktatur. Weiß sie wirklich, was die Worte bedeuten? Klar weiß sie das. Jana ist angehende Psychologie Studentin, sie ist aktiv in dieser Szene und sie meldet Versammlungen an, für die sie Reden schreibt und auf denen sie auftritt. Jana ist nicht dumm, sondern überzeugt, dass das, was sie da gerade macht, richtig ist. Sie ist nicht nur eine passive Mitläuferin der Querdenker-Szene, sie unterstützt sie auch aktiv, so wie sehr, sehr viele andere zur Zeit. 

Im schlimmsten Fall profitieren Jana und ihre Szene gerade von der hämischen Aufmerksamkeit, Klicks sind Klicks. Viele Plattformen haben irgendwann angefangen, die Aufmerksamkeit auf Sophie Scholl zu lenken, statt Jana noch mehr Free Publicity zu schenken. 

Alles was ich sagen wollte: Es ist doch ok, das Feiern zu vermissen, vergleicht es halt nur nicht mit einer Diktatur, wenn wir zeitweise auf Saufen und Tanzen gehen vermissen müssen. Und übrigens, unter uns: Feiern gehen wie früher ist das Geilste und ich vermisse es andauernd, seitdem ich Mutter bin. Ständig ist man schwanger, gebärt, stillt, muss aufstehen, und geht arbeiten. Ich sag euch eins, nach diesem Lockdown fahr ich zum ersten Mal nach Malle oder Ibiza und gehe auf eine Schlagerparty.

Hey Jana, wenn man an der Humboldt studiert, ist Antifaschismus Teil des Decors: „Den im Krieg gegen den Hitlerfaschismus Gefallenen – Ihr Tod ist unsere Verpflichtung“

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