Hauptstadtmutti

Zwischen Bauern und Berlin: TikTok

Diese Geschichte erzähle ich genauso oft wie gerne. Ich war ein 25-jähriger Teaching Assistant an einer amerikanischen Uni und meine ca. 20-jährigen Studierenden so: Ms Penner, are you on Snapchat? Meine Antwort war 2012 natürlich ‚Isn’t that the one with the disappearing dick pics?‘ Die jungen Leute wollten mir ernsthaft einreden, ich solle dieser neuen Plattform beiwohnen. Nach maximal 60 Sekunden Bedenkzeit habe ich beschlossen und verkündet, dass ich zu alt dafür war. Mit 25.

Ich hasse Social Media wirklich

Twitter check ich nicht, rein technisch, aber auch menschlich nicht. Für mich war Twitter immer wie das Alligatorenbecken bei Asterix & Obelix. Fressen und gefressen werden oder irgendwie drüber und durch. Die einzige Funktion war es doch in den letzten Jahren nur noch, Menschen der hungrigen Meute zum Fraß zuzuwerfen. Spätestens nachdem Twitters Bürgermeisterin Chrissy Teigen endgültig ihren Account gelöscht hat, war die Plattform für mich durch. Sie war die eine Person, die es klug und cool gemacht hat.

YouTube? Nope. Ich kenne auch keine YouTuber oder checke Tutorials oder Hauls. Facebook habe ich gelöscht. Xing auch. LinkedIn ist zumindest noch einigermaßen praktisch, aber wenn man da länger als ein paar Minuten verbringt, merkt man recht schnell, dass das auch ein Möchtegern Facebook mit seltsamen Ansichten geworden ist.

Instagram ist Teil meines Jobs und ich bin Meme-süchtig. Außerdem kann ich Insta noch mit dem Schreiben verbinden, was ja nicht nur hier mein Job ist. Es gibt sehr viele schöne Accounts ohne Fitness-Tipps und Weltuntergangsstimmung, die sowohl unterhaltsam sowie informativ sind. Ansonsten vertrete ich die Ansicht wie Dani, dass das Internet dumm macht und zum Seriengucken gut ist. Gott, ich bin so ein Boomer. Jaja, natürlich hat das Internet auch massive Vorteile, ja, ja, ja.

Aber TikTok? Ich will es mir nicht mal runterladen um zu gucken. Obwohl ich teils sehr laut über Reels und echte TikTok Videos lache, sie zudem (noch) verstehe, wird kein Bierwagenlastenpferd dieser Welt mich jemals dazu zerren können, so ein Video zu produzieren. Never. Schwöre.

Hömma, ich Feier euch alle und euer alles, macht was ihr wollt. Aber ich bin zu alt für den Scheiß. Ich bin auch zu alt für FOMO. Vielleicht auch zu cool, aber most definitely zu alt.

Wer bitte hat denn die Zeit?

Ich red nicht von Leuten, die das professionell machen, sondern Leuten, die aus Spaß solche Videos machen. Ich mein, ich frag mich auch, wann Leute Zeit für Videospiele haben oder Staubwischen, denn jede freie Minute wird bei mir mit ordentlichem Bingen von Reality TV und Bücherlesen verbracht. Ich komme mir vor wie so eine alte Frau am Fenster, Kissen unter den Ellenbogen und auf der Fensterbank und rausgeblökt: Nä, nä, nä Kinners, macht ihr mal, ich bin zu alt.

Zeitverschwendung ist das sowieso alles, klar. Also diese ganzen Plattformen. Auch wenn ich unbewusst weiß, dass Menschen über Tweets sinnieren und Instagram Bilder stundenlang durchfiltern und erst nach ewigem Abwägen hochladen, kommt es mir nicht so vor, als ob viel Zeit dahintersteckt. Ich assoziiere die TikTok Videos sofort mit Arbeit, also in meinem Fall auch mit Erwerbstätigkeit, aber so oder so mit Aufwand. Das denken Leute auch, wenn sie anderen beim Backen, Lesen oder Joggen zugucken, versteh ich.

Ist Menschen der Aufwand bewusst?

Ein gut inszeniertes Instagrambild oder eine fotografierte Strecke in einer Zeitschrift, da wissen wir, dass es produziert ist, oder? Also ist uns das wirklich bewusst? Oder checken wir eher bei TikTok Videos, dass da jemand stundenlang übt, probt, bearbeitet hochlädt? Unbewusst bleibt dieses Fingerschnipsen im Kopf. Bei mir zumindest. Meine erst Reaktion zu diesen Shoe Drop oder Finger Snap Videos war eher noch Verwirrung, wenn nicht ein bisschen Wut. Mit einem Fingerschnipsen ist die Küche sauber oder das komplette Glam-Make-Up sitzt so schnell wie bei Harry Potter.

Let People Enjoy Things

Daran glaube ich. Das ist mein Mantra, immer und immer wieder sage ich das Menschen. Reality TV, Fußball und ja auch Fast Fashion und Fleisch. Ich glaube nicht an die Schuld des Individuums. Wir sind hier nicht in der katholischen Kirche. Lasst die Menschen Gefallen finden an den Dingen, die ihnen Spaß machen. Mein Millennial Brain transformiert immer mehr Richtung Boomer und denkt sich wie schon bei der Tide-Pod-Challenge, what’s the Point, Gen Z? Wie viele Stunden verbringt ihr damit? Aber dann, fair enough, wie viele Stunden verbringe ich mit sinnlosem Kack? Jeder Mensch kann mit den Stunden machen, was er oder sie will. Nicht wahr, Momo? Sind unsere Stunden.

Das Eine, wirklich das Eine, was mich wurmt, sind die Bite-sized-Häppchen die wir via Twitter, Instagram oder TikTok kriegen. Im Januar hab ich Serien gefastet. KRAAAAAAASSSSSSS wie viel Zeit ich plötzlich hatte! Das war so viel Zeit, ich habe noch mehr lesen können. Der Kopf war morgens frischer ohne Laptop Gedudel bis 23 Uhr. Der Hype ist ja auch weg. Die Serien sind so gut, oder so trashy, dass man auch nicht mehr weiß welche jetzt grade hypeworthy ist.

Wir kritisieren die Fast Fashion Industrie dafür alle sechs Wochen eine neue Kollektion rauszubringen, konsumieren aber ohne mit der Wimper zu zucken jede Woche eine neue Serie. Ich zelebriere zur Zeit die finale Staffel Kardashians, und dass ich jede Woche eine neue Folge kriegen, lässt mich an die Aufregung vor der finalen Staffel Game of Thrones denken. Vor zwei Jahren. Wie viele Staffeln von TeenDrama und Buntem Comedy habe ich seitdem konsumiert, nur um am nächsten Tag eine S1F1 anzufangen?

Ich fühle mich schon überfordert und ich höre nicht mal zig Podcasts nebenher. Alle gucken alles, alle hören alles und alle lesen alles, solange es in eine Instagram Caption passt oder ins Galerie Format.

Neben Hauptstadtmutti fotografiert Dani und ich schreibe Bücher. Wir haben zahlreiche andere Engagements und, völliger Wahnsinn, die Familien, Ehemänner und Kinder gibt es auch noch in echt! Im Übernahmeinterview habe ich davon gesprochen, dass alleine Instagram in der zweijährigen HSM-Ruhephase das ganze Instagram-Mom astronomisch hat explodieren lassen. Wir respektieren jeden Menschen für seinen individuellen Hustle, aber ich kann euch versichern, ihr werdet von uns keine crazy Social Media Ideen inklusive Reels und fancy Shit kriegen. Nicht während einer Pandemie ohne Kinderbetreuung.

Wir sind nämlich zu alt und zu müde und haben zu wenig Zeit für TikTok. Das macht mich auch nicht traurig, das erleichtert mich. Mit Anfang/Mitte 30 bin ich froh, nicht mehr alles mitmachen zu müssen. Man reiche mir die Werthers Original für meine Handtasche.