Wie lebt man eigentlich ein gutes Leben? Das an sich ist schon eine schwierige Frage, stellt man sie sich als Frau, ist das noch um einiges schwerer zu beantworten. Was von den Dingen, die wir für unser Leben entscheiden, ist denn wirklich frei gewählt? Und wo folgen wir ganz willfährig den gesellschaftlichen Normen, die uns das nervige Patriarchat beschert hat? Man muss sich ja irgendwie auch anpassen, reinpassen und den Erwartungen gerecht werden. Oder? Wir haben alle nur das EINE Leben und sollen wir das wirklich auf den Barrikaden verbringen? Man will ja auch mal seine Ruhe haben. Eine Frau in der heutigen Zeit muss doch nun langsam mal emanzipiert genug sein, um sich den Erwartungen an Mutterschaft, Weiblichkeit und Sexualität nicht einfach so zu hinzugeben.
Ja, das möchten wir so gerne glauben und dann schreibt Caroline Rosales ein Buch und wir begreifen plötzlich, dass wir so bleischwer im normativen Schlamassel feststecken wie Federvieh nach einer Ölkatastrophe.
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Ein Debütroman wie eine kluge Freundin
In ihrem ersten Roman „Das Leben keiner Frau“ skizziert die Autorin und Journalistin das Leben von Melanie, die ihren 50. Geburtstag feiert und nun ja…altert. Sie, die Protagonistin des Buches, ist erfolgreich, hat eine Tochter und lebt allein. Die vielen Kerben in der Lebenslinie sind tief und wirken nach. Mit fortschreitendem Alter fühlt sie sich mit ihrem lebenshungrigen Begehren immer mehr in einer Endzeitstimmung gefangen. Was in jungen Jahren noch ein von Jugend und Schönheit gekleidetes Spiel mit Weiblichkeit und Macht war, ist nun bei schwindender Straffheit nur noch ein Gebärden von Bedürftigkeit und Verzweiflung. So echot jedenfalls ihr Umfeld.
Aber sie hat ja noch ihr Leben und will doch nur ein kleines bisschen Glück. Sie ist kämpferisch, noch nicht bereit sich zu ergeben, abgemeldet zu sein oder einsam und alt wie ihre Mutter. Zu ihr hat sie seit jeher ein schwieriges Verhältnis, denn diese glaubt noch an den männlichen Retter und hält das Leben ihrer Tochter ohne schützenden Partner für verfehlt. Melanie hat ein solches Abhängigkeitsverhältnis mit Unverständnis abgelehnt, alleinerziehend Karriere gemacht und wundert sich nun über das klassische Rollenbild, das ihre eigene Tochter so kompromisslos lebt. Aber der fruchtbare Nährboden einer Gesellschaft, die nach Jugend giert und Frauen in der immerwährenden Schleife der sanften Zurückhaltung stets gefügig macht, hat auch in Melanies Leben viele Blüten getragen. Jetzt ist ihr nur noch blümerant zumute.
Das Buch „Das Leben keiner Frau“ beschreibt drei Frauengenerationen, die ihre jeweiligen Ideen vom guten Leben gegenseitig ablehnen und verurteilen. Jedoch, so offenbart es Rosales gekonnt, sitzen sie letztlich im selben Boot des gnadenlosen Anspruchsdenkens gegenüber Frauen. Nur bleibt die Frage: Schwimmen oder Untergehen?
Caroline Rosales zeigt uns unterhaltsam, klug und witzig, wie hart die Gesellschaft mit alternden Frauen umgeht. Dieses Buch mit dem kenntnisreichen Blick auf Frauen, ihre Prägungen, Krisen und Leben ist der Fingerzeig auf die nebulösen Mechanismen, durch die sie ihr Leben lang das Gefühl haben, es niemandem recht machen zu können. Es ist eine literarische Warnung, denn sollten wir unser Leben danach ausrichten, es ständig zu versuchen, kann das kein glückliches Ende haben.
Der gesellschaftliche Tadel des Alterns
Liebe Caroline, Deine Protagonistin ist gerade 50 geworden. Sie hadert mit dem Älterwerden und erlebt, wie sie zunehmend ins Hintertreffen gerät. Sie fasst diese Erfahrung in einem prägnanten Satz zusammen: „Es ist das Gefühl, alles zu haben, aber nichts zu bekommen.“ Was steckt dahinter?
Wenn Frauen älter werden, leiden sie darunter, dass sie zwar alles, was sie selbst erreichen konnten, erreicht haben, tolle Jobs hatten, Bücher geschrieben, Kinder bekommen und sich ein tolles Leben aufgebaut haben, aber ab einem gewissen Alter lässt die Wertschätzung der Gesellschaft dafür nach. Die Härte in der Bewertung dieser Lebensleistungen nimmt zu, sodass Frauen das Gefühl bekommen, unsichtbar geworden zu sein. Dem wohnt ein gesellschaftlicher Tadel des Alterns inne, der aber nur für Frauen gilt. Die Gesellschaft will einerseits, dass Frauen sich „instand halten“, sich botoxen und glätten, wo es nur geht und urteilen dann andererseits extrem hart darüber, dass alternde Frauen sich nicht ihrem Alter entsprechend kleiden oder der Lippenstift plötzlich zu grell ist.
Mit Melanie im Zentrum schwingt die Perspektive in dem Buch wie ein Pendel zwischen ihrer Rolle als Tochter und Mutter hin und her. Das Spannungsverhältnis von Prägung und den feministischen Ideen unterschiedlicher Generationen wird dadurch sehr deutlich. Die Frauen bewerten sich ständig in ihren Lebensentwürfen, sodass es eigentlich nie wohlwollend zugeht. Wie kommen wir aus dieser Bewertungsfalle raus?
Melanies Mutter und auch Melanie haben anerzogen bekommen, sich immer auf ihr Aussehen zu verlassen. Und wenn dieses Kapital irgendwann weg ist, wird man wütend und nicht selten auch wütend auf die Jugend seiner Tochter. An einer Stelle in meinem Buch heißt es, dass diese Missgunst durch die Generationen durchtrieft wie durch eine feuchte Zimmerdecke. Die Bewertung beginnt schon bei Kleinigkeiten. Ich beobachte selbst, wie ich Kommentare zur Kleidung meiner Tochter abgebe, sodass sie mit 8 Jahren schon verstanden hat, dass es nicht egal ist, wie man aussieht. Wenn Frauen beginnen, mit sich zu hadern wegen ihres schwindenden äußerlichen Kapitals wird das oft weitergegeben an Töchter, Arbeitskolleginnen oder Konkurrentinnen.
Ich versuche, bei meiner Tochter ganz klare Botschaften zu senden. Manchmal bekommt meine Tochter z.B. einen Kommentar zu ihrem Aussehen, das wertend ist, da steuere ich sofort gegen. Mir ist wichtig, dass meine Kinder verstehen, dass sie in ihren Lebensentwürfen frei sind. Ich z.B. war das nicht. In der Schule hatte ich eine Freundin und die wurde mir verboten. Ich durfte nicht lesbisch sein. Erst als ich mit einem Freund ankam, war die Welt wieder in Ordnung. Ich will meine Kinder nicht einschränken in ihren Entscheidungen. Das finde ich wichtig, sodass sie ihren eigenen Weg finden können und den muss man zugestehen, egal wohin der führt.
Das Verhältnis von Kindern zu ihren Eltern ist oft von Konflikten geprägt, auch wenn Kinder längst erwachsen sind und Eltern eigentlich keinen Zugriff mehr haben. Auch Melanie arbeitet sich auch mit 50 noch an ihrer Mutter ab. Wieso ist es manchmal so schwer, sich einfach lieb zu haben?
Weil es so schwer ist, sich von den eigenen Vorstellungen zu lösen. Wenn die eigenen Eltern älter werden und abbauen oder sich überhaupt nicht mehr weiterentwickeln, ist das wahnsinnig schmerzhaft und frustrierend. Man ist hilflos, weil man rein gar nichts dagegen tun kann. Wenn man erkennt, dass man die Menschen, die man liebt, nicht steuern kann, dass man sie lassen muss, egal ob Mutter oder Tochter, löst das oft Wut aus und ein Gefühl der Verlorenheit. Vielleicht ist es auch gerade bei Melanie und ihrer Mutter der angstvolle Blick in die eigene Zukunft, der dieses kritische Urteil ausmacht.
Was bedeutet ’50‘ eigentlich
Melanie hat ihr Leben super gemeistert und weite Strecken auch ohne Mann gelebt. Sie kann sich aber nicht frei machen von dem Glauben, dass sie die Liebe eines Mannes braucht, um glücklich zu sein. Ihr Selbstwert hängt davon ab. Sind wir da nicht schon weiter?
Diese Erzählung, dass es wichtig ist, einen Mann zu haben, kenne ich auch aus meiner eigenen Prägung. Mein Großmutter hat meine Mutter noch auf dem Sterbebett gefragt: „Und hast Du einen Mann?“. Diese Denke ist doch noch gar nicht so lange her. Auch meine Mutter hat immer sorgenvoll auf meinen Status als Unverheiratete geblickt. Das wirkt alles noch nach. In meiner Kindheit wurde Homosexualität noch als Krankheit gehandelt. Das habe ich als Konsens erlebt und eben auch die Bedeutung einer Frau und ihres Lebens, die daran gemessen wird, ob sie auch in „ordentlichen“ Verhältnissen lebt. Das schüttelt man nicht einfach ab, nur weil es heute auch andere Möglichkeiten gibt.
Melanie ist 50. Markiert dieses Alter für Dich einen Wendepunkt für Frauen?
Ja, es ist ein Alter in dem nicht mehr ganz klar ist, ob man noch zu den Jungen oder schon zu den Alten gehört. Mit dieser Zahl, also mit ihrem Geburtstag verändert sich auch Melanies Blick auf sich selbst. Sie wird kritischer mit sich selbst und ihrem Leben. Was kippt in der Woche nach ihrem Geburtstag tatsächlich und was bildet sie sich vielleicht nur ein? Mit dem Ratgeber-Credo 50 ist das neue 40 erfährt sie, dass sie sich doch bitte noch ruhig verhalten soll. Sie soll zufrieden sein, die Füße stillhalten, weiter konsumieren, vielleicht mal Töpfern ausprobieren. Das ist doch unerträglich, was Frauen in diesem Alter da suggeriert wird: „Bitte geht niemandem auf die Nerven!“
Melanie hingegen nimmt aber noch eine ganze Menge Platz ein, regt sich auf, raucht, trinkt, geht aus und will noch nicht die Klappe halten. Das stößt natürlich auf Kritik und gipfelt dann ja letztlich auch in dem Fazit, dass sie das Leben keiner Frau führt, weil sie als gar keine Frau gut genug ist.
Danke, liebe Caroline.
Die Autorin:
Caroline Rosales, geboren 1982 in Bonn, ist eine deutsche Journalistin. Sie ist Autorin verschiedener Sachbücher rund um gesellschafts- und frauenpolitischer Themen sowie eines Kinderbuches. Seit 2021 ist sie Redakteurin bei Zeit Online. Im August 2021 erschien ihr erster Roman Das Leben keiner Frau bei Ullstein. Rosales lebt mit ihrer Familie in Berlin.
Das Leben keiner Frau ist am 30.08.2021 bei Ullstein erschienen, hat 240 Seiten und kostet 22 Euro.