Meine Freundinnen sind sich einig: Besuchskinder sind entweder zauberhaft oder schreckenserregend. Viel Raum dazwischen scheint nicht zu existieren. Mitunter schieben wir es aber auch auf das Urteilsvermögen unserer eigenen Kinder. Irgendwas läuft da so falsch, dass wir mal dringend einen Workshop für unseren Nachwuchs benötigen, in dem die dann lernen, wie man sich vernünftige Freunde sucht. Schließlich habe ich ausschließlich vernünftige Freunde und bin eine vernünftige Freundin. Hust, hust.
Nun hat aber eines dieser nicht vernünftigen Kinder bei meiner Freundin zu Hause den Vogel abgeschossen. Keine Sorge, keine verletzten Tiere, ich rede einfach nur so. Meine Freundin liest viel, es verbindet uns. Sie liebt ihren E-Reader und zieht alles sofort drauf, was irgendwo empfohlen wird und liest das dann fast genauso schnell. Wir reden pausenlos über Bücher, Sexszenen, Autorinnen und das Schreiben an sich. Wenn wir blockiert sind und wenn wir nicht weiterwissen. Besonders weiß ich zu schätzen, dass wir uns auch gegenseitig Textstellen schicken, die wir verfasst haben, und die wir besonders gut finden.
Eigenlob stinkt nie.
Ich erkläre das vorab, um zu betonen, dass es sowohl mein Job als auch der Job meiner Freundin ist, dass wir viel lesen und rumdenken. Was doch auch wieder Blödsinn ist, dass ich rechtfertigen möchte, was als nächstes passiert. Nun hat also meine Freundin während des Aufenthaltes eines Besuchskindes auf dem Sofa gelegen und gelesen. Woraufhin das besagte Besuchskind besorgt an meine Freundin herantrat und fragte: „Bist du krank?“
Als mir diese Geschichte erzählt wurde fiel mir doch tatsächlich die Kinnlade Richtung zweites und drittes Kinn und ich entgegnete nur noch ein „Nein!“ und sie konnte nur noch „Doch!“ sagen und wir beide „Boah!“
So war das und nicht anders. Wir schüttelten unsere hübschen Köpfe und stellten allerlei Theorien über die Sozialisierung des Besuchskindes auf. Hauptsächlich einigten wir uns darauf, dass das Besuchskind die eigene Mutter wohl nicht so oft auf dem Sofa sieht. Nie. Gar nicht. Selten.
Außer sie ist halt krank.
Aus unserer blökenden Entrüstung wurde stilles traurig sein. Mir geht es gar nicht ums Viel-Lesen, das ist jetzt das Beispiel meiner Freundin und mir. Andere meditieren, gehen zur Maniküre, machen Sport oder trinken ihren Kaffee im Sitzen.
Das Lesen ist Gönnung pur, weil ich nichts anderes in dem Moment machen kann. Meine Aufmerksamkeit ist voll im Buch. So wie bei einer Massage. Meine Mutti-Freundinnen sind eigentlich ziemlich gut im Gönnen, das muss ich ihnen lassen. Wir verzweifeln genauso an dem Wahnsinn des Alltags, der Care Arbeit, der Wahlen und an unserem Umfeld, aber bei einer Sache sind wir uns einig: kein falsches Märtyrertum. Das bringt niemandem was. Auch nicht den Kindern.
Was signalisiert also die Mutter, die sich hinlegt und ein Buch mitten am Tag liest, während die Kinder mit den Besuchskindern spielen? Ist sie wissbegierig, faul oder gar eine schlechte Mutter? Wenn das Besuchskind nach Hause kommt, erzählt es dann, dass die Mutter von dem guten Freund auf dem Sofa lag und las? Und was denkt dann die Mutter von dem Besuchskind? Juckt uns das? Manchmal ja, meistens nein.
Wenn ich ein Buch, das ich gerade lese, in den Stories poste, kann ich jedes Mal die wenigen Sekunden runter zählen, bis die erste DM mit der Frage „Wann liest du das denn alles?“ kommt. Die kurze Antwort ist „immer“, aber die Erklärung dahinter ist, dass ich nicht alleinerziehend bin, dass ich kein Baby habe (was auch Bullshit ist, ich hab nie so viel gelesen wie mit den Babys) und dass ich das brauche, das Lesen. Ich könnte seitenlange Liebeserklärungen an Büchereien und an die Literatur an sich verfassen und doch wäre es nicht annähernd so wichtig wie die Tatsache, dass mein Gehirn nur dann abends runterkommt, wenn ich das Handy um 22 Uhr ausmache und noch eine Stunde lese.
Zeit zum Lesen finden – wie?
Inzwischen weiß ich so gut wie immer, ob mich ein Buch packen wird. Ab und zu werde ich noch überrascht, aber natürlich lese ich um so lieber, wenn mich der Roman auch interessiert. Ich rate wirklich allen, sich mal ordentlich durch die Bücherei zu lesen. Bücher abzubrechen, sie zurückzubringen und noch mal eine Ladung holen. Oder: leiht euch die Bücher aus, die eine Literaturbloggerin empfiehlt, der ihr folgt. Es könnte sein, dass ihr dann die meisten Empfehlungen von ihr mögen werdet. Es gibt unzählige gehypte Bücher und Bestsseller, die ich furchtbar fand und alle anderen geliebt haben.
Ich empfehle deshalb von Herzen die Accounts Mareike Fallwickl und Maria-Christina Piwowarski. Mareike, aka The Zuckergoscherl ist brutal im Abbrechen von Büchern aber mindestens genauso leidenschaftlich wenn es um die Buchliebe geht. Maria ist diejenige, die mich sehr geprägt hat als lesende Mutter. Seit Jahren erzählt sie immer mal wieder davon, wie sie auf dem Spielplatz und zu Hause, whenever wherever, gelesen hat. Und als Leiterin der Berliner Buchhandlung Ocelot kann sie euch sicherlich auch persönlich mal beraten.
Die Kinder meiner Freundin sind ein paar Jahre älter als meine, aber ich hoffe, dass ich irgendwann wie sie am helllichten Tag auf dem Sofa liegen werde, um zu lesen. Ich werde es feiern.