Diversity in Kinderliteratur, ein Thema, das uns eigentlich schon immer wichtig ist, und deshalb werden wir nicht müde, euch bei jeder Gelegenheit Kinderbücher übers Anderssein zu präsentieren. Solange wir in einer weißgewaschenen, heteronormativen, kapitalistischen Gesellschaft leben, ist man nämlich richtig schnell ein bisschen anders. Wenn wir dann auch noch das 1-Frau-Unternehmen von Dayan Kodua vorstellen können, in einem Gespräch über Vielfalt in Kinderbüchern, Hamburg vs. Berlin und Mutterschaft, dann sind wir zufrieden.
Dayan Kodua ist eine dieser Personen, für die man sehr, sehr viele ‚&‘ braucht, wenn man sie beschreibt. Sie ist Schauspielerin, Sprecherin & Autorin, aber selbst das trifft es nicht ganz. Sie gründete den Gratitude Verlag, gab ‚My Black Skin‘ heraus und produziert zusätzlich zum Kinderbuch ‚Odo‘ auch die dazu passenden Puppen, unter fairen Bedingungen.
Hauptstadtmutti: Hallo Dayan, stell dich doch mal vor!
Sehr gern, Dayan Kodua heiße ich. Ich bin in Ghana geboren und lebe seit meinem zehnten Lebensjahr in Deutschland. Aufgewachsen bin ich in Kiel. Ich bin Schauspielerin, Autorin, Sprecherin und Verlegerin. Ich bin mit meinem besten Freund verheiratet und wir haben zwei wunderbare Kinder.
Hauptstadtmutti: Du bist unter anderem Schauspielerin. Was sind die Vorteile und Nachteile deines Jobs in Hinblick auf eine klassische Festanstellung?
Ich denke im Büro zu arbeiten kann auf der einen Seite vielleicht etwas „einfacher“ sein. Da brauchst du eine gewisse Ausbildung, den entsprechenden Job und dann sieht es unter Umständen und wenn das dein Ziel war, schon sehr gut aus. Als Schauspieler*in kannst du eine Ausbildung haben, aber einen Job hast Du damit noch nicht. Anderseits hast Du natürlich viel Freiheit die Dinge zu tun die Dir wirklich am Herzen liegen, wenn Du Deine Zeit „frei“ einteilen kannst. Schutz vor der Quarantäne oder unerwarteten Dingen hast du natürlich nicht. Was das Schauspiel betrifft: Es sind so viele Menschen involviert, die eine Entscheidung für oder gegen dich treffen „dürfen“. Manchmal wird man nicht besetzt weil man einfach zu groß oder zu klein ist. Zu Dick oder dünn, und und und. Und das alles ist vollkommen unabhängig von deiner schauspielerischen Ausbildung.
Hamburger Familienleben
Hauptstadtmutti: Gibt es Modelabels aus Hamburg, die du empfehlen würdest? Ich kenne keine speziellen Labels, die ich empfehlen kann! Ich kaufe fast überall ein. Ich bin nicht so das spezielle „Labels Mädel“. Ich schaue einfach was ich toll finde und wenn es mir gefällt und ich es brauche, kaufe ich es. Viele Sachen sind über die Jahre durch meine Reisen zusammengekommen. Und manchmal bekomme ich maßgeschneiderte Sachen aus Ghana zugeschickt. Das finde ich großartig!
Hauptstadtmutti: Was machst du gerne in Hamburg mit deinen Kindern?
Ich bin gerne mit den Kindern draußen! Im Wildpark Schwarze Berge oder im Kiekeberg Museum im südlichen Teil Hamburgs. Oder in der Hafencity im „Miniatur Wunderland“, wenn das Wetter nicht so prickelnd ist. In Berlin liebe ich die Vielfalt und habe viele Jahre in Berlin-Mitte gewohnt. Zu der Zeit habe es immer genossen alles um mich zu haben. Aber im Moment liebe ich es in Hamburg zu sein. Ist ein wenig gechillter.
Hauptstadtmutti: Und ohne Kind?
Ich liebe es entspannt mit einem Buch im Mutterland oder im Elbgold in Winterhude abzuhängen oder ich treffe Freunde zum Essen. Sushi bei Gong oder thailändisch in der Hafencity. Und danach gemütlich spazieren gehen.
Hauptstadtmutti: Was liest du zur Zeit? Von Bernhard Moestl: „Shaolin. Du musst nicht kämpfen, um zu siegen!: Mit der Kraft des Denkens zu Ruhe, Klarheit und innerer Stärke“ und von John Strelecky „The Big Five for Life. Was wirklich zählt im Leben.“ Ach, und Don Miguel Ruiz „Die Vier Versprechen. Ein Weg zur Freiheit und Würde.“ Ich lese immer mehrere Bücher gleichzeitig.
Hauptstadtmutti: Was liest du gerne mit deinen Kindern?
Ich lese alles mit meinen Kindern. Mein Großer findet Thabo von Kirsten Boie ganz toll und liest auch gerne Tom Gates, Greg’s Tagebuch und natürlich mein Kinderbuch Odo. Aber meine Kinder kennen natürlich auch schon die Fortsetzungen von Odo.
Hauptstadtmutti: Wie sieht euer Alltag als Großstadtfamilie aus?
Ich stehe um 5:30 Uhr auf. Dann tue ich die Dinge für mich, die mich in meine Mitte bringen: Meditation, Schreiben und Lesen! Mein großer Sohn steht um 6:30 Uhr auf und wird für die Schule vorbereitet und dort abgeliefert. Dann komme ich nach Hause, bis dahin hat mein Mann unseren Jüngeren für den Kindergarten fertig gemacht! Wenn der Kleine dann im Kindergarten ist, trinken mein Mann und ich einen Hafer Latte Macchiato und besprechen den Tag. Dann gehen wir je nach Terminen eine Stunde joggen oder spazieren. Anschließend geht jeder seinen Aufgaben für den Tag nach.
Hauptstadtmutti: Was macht denn dein Mann?
Er ist Unternehmer, wir sind also beide selbstständig. Je nach Aktivitäten der Kinder, spiele ich auch mal Taxi und wenn ich am Set bin oder Proben bzw. eine Lesung habe, übernimmt mein Mann und unsere Kindersitterin die Betreuung der Kinder. Wenn ich mit meinen Terminen oder der Arbeit fertig bin, koche ich meistens und am Abend sitzen wir dann gemeinsam beim Essen und jeder erzählt von seinem Tag. Es geht immer los mit … Mein Tag war schön… ich bin aufgestanden, etc. … Danach machen wir die Kinder bettfertig und es wird etwas vorgelesen, wobei mein Großer allein liest. Und dann wird gekuschelt und danach haben Papa und Mama Zeit zum Reden oder einen Film zu schauen . Oder ich bin so platt, dass ich mich direkt hinlege, ihr kennt das.
Hauptstadtmutti: Wie war denn der Übergang von einem Kind zu zwei Kindern für euch?
Beim ersten Kind war ich noch ein wenig unsicher mit dem „schlafen lassen“. Da hab ich dann viele Bücher gekauft, sie aber nie zu Ende gelesen.
Eines Tages sagte mir meine Mama: „… in Afrika schläft ein Kind in der Regel nicht allein und kein Tier lässt sein Neugeborenes oder ‚Junges‘ alleine schlafen. Dein Verhalten ist vielleicht zu europäisch. Erinnere dich daran, wer du bist. …“ Da hat es bei mir Klick gemacht. Seitdem sind wir mega entspannt gewesen. Den Zwang und den Stress, dies MUSS so sein und das muss anders gemacht werden, das alles haben wir sein gelassen. Und beim zweiten Kind haben wir uns dann gar nicht mehr gestresst.
Wir schlafen alle gut! Manchmal wachen wir morgens sogar alle in einem Bett auf. Mein Großer schläft aber nicht mehr bei uns. Er sagt inzwischen „Keine Lust“, haha. Alles regelt sich also von ganz allein. Aber unser Kleiner ist sechs Jahre alt und kommt noch regelmäßig zu uns ins Bett. Wir sind happy damit und er ist es auch. Ich habe die Kinder auf die Welt gebracht und mein Mann war bei beiden Geburten dabei. Ich habe beide Kinder ca. zwei Jahre gestillt, auch abends und nachts, mein Mann musste nicht aufstehen. Es reicht, wenn einer müde ist und nicht beide Eltern.
Elternschaft und Dazulernen
Hauptstadtmutti: Hast du Tipps für schwangere Frauen oder frische Mütter?
Hör‘ immer auf Dich selbst. Du bist mit allem ausgestattet was du brauchst, um eine gute Mutter zu sein. Oft hören wir überall und auf alles Mögliche und vergessen wer die eigentliche Mutter ist. Jeder weiß es besser! Ich denke, wenn man unsicher ist, kann man ruhig auf vertraute Menschen hören! Aber danach sollte man sich trotzdem immer noch einmal die Zeit nehmen und sich selbst fragen, ob man es selbst wirklich gut findet und beherzigen möchte, was man gesagt bekommen hat.
Hauptstadtmutti: Wie hat Corona euer Familienleben dieses Jahr beeinflusst? Habt ihr etwas Neues gelernt, oder etwas, was ihr vorher über euch nicht wusstet?
Corona hat uns beigebracht noch mehr als Familie zusammenzuhalten und daran zu arbeiten unsere Mitte zu finden. Denn wenn man die Mitte findet, ist man nicht zu sehr im Außen und man wird nicht mit so vielen schlechten Nachrichten überschüttet. Man kann probieren, das Gehirn dazu zu bringen, sich nicht zu sehr auf das Negative zu konzentrieren, auf Ängste und Ohnmacht. Sondern eher darauf, dass wir gestärkt daraus hervor kommen werden. Das ist natürlich Arbeit, weil das Gehirn sich gerne auf das Schlechte konzentriert.
„Das ist schwer, das kriegst du nicht, das ist doof“ – so sind wir aufgewachsen. Manchmal kann man sich auch fragen, warum man gerade diese Erfahrungen sammeln muss, und versuchen, etwas zu lernen. Ich glaube daran, das Glas halbvoll zu betrachten. Das ist umso schwieriger, wenn das Glas leer ist, denn dann ist es leer. Als Familie sind wir intakt und es geht uns wirklich gut. Es ist schön das zu wissen und gelernt zu haben.
Das Kinderbuch Odo
Hauptstadtmutti: Wie ist die Entstehungsgeschichte von Odo?
Die Idee zum Kinderbuch hatte ich schon 2010. Mir fehlte einfach die Vielfalt in Kinderbüchern. Und ich wollte etwas schreiben für mein „jüngeres Ich“. Anderen schwarzen Kindern die Möglichkeit geben, sich in Büchern sehen zu dürfen! Dann hatte ich das Buch liegen gelassen und wusste erstmal nicht wie ich es weitermachen oder fertigstellen kann. Ich habe gelernt, dass Dinge reifen müssen, also lag es lange da und irgendwann habe ich es wieder rausgenommen.
Dann habe ich mit Jando einen Lektoren gefunden, der mir Odo überarbeitet hat und dann habe ich für die Bilder schließlich meine Illustratorin Robby Krüger gefunden.
Es war mir aber von vornherein klar, dass ich einen Verlag gründen werde. Auch wenn mir ganz und gar nicht klar war, wie das eigentlich funktioniert. Es war letztlich nicht so einfach wie ich dachte aber aufgeben war keine Option. Und es hat ja funktioniert. Mein Verlag, „Gratitude Verlag“ ist gelistet bei Libri und KNV. Und das freut mich wirklich sehr und macht mich stolz.
Hauptstadtmutti: Erzähl gerne mehr über die Puppen.
Die Idee zu den Puppen hatte ich schon 2018. Aber weiter getraut habe ich mich erst Ende 2019, als ich Odo, das Buch verlegt habe. Und außerdem hat es dann noch sehr lange gedauert, bis ich die richtigen Menschen gefunden hatte, um mit mir den Weg weiter zu gehen, die Puppen endlich zu produzieren.
Die ersten Puppen wurden in Spanien, Alicante hergestellt. In einem kleinen Atelier von zwei großartigen Damen. Die Puppen sind alle Handarbeit, jede ist einzigartig und jedes Kind kann seinen oder ihren Ghanaischen Wochennamen in einer Liste, die mitgeschickt wird, finden und ihn auf die Puppe schreiben.
Hauptstadtmutti: Es gab mitunter auch Stimmen, die das vermittelte Afrika-Bild in deinem Kinderbuch ‚Odo‘ kritisiert haben. Wie siehst du das?
Natürlich darf jeder sagen was er oder sie denkt, wenn er oder sie das Buch gelesen hat. Odo lebt in einem wunderschönes Dorf. Es geht ihr gut. Sie ist glücklich und zufrieden. Außer dass sie einen Wunsch hat und ihre Mama ihr diesen nicht erfüllen kann. Ich kenne genug Eltern in Deutschland, die ihren Kindern auch nicht alles kaufen können. Also ist es kein „Afrika Problem“, sondern ein menschliches Problem. Außerdem habe ich in genau so einem Dorf gelebt. Wer also nach Afrika fliegt und Safari macht oder in einem 5 Sterne Hotel übernachtet, wird vielleicht Probleme haben die Bilder und die Geschichte in dem Buch zu verstehen. Ob das dann ausreichend dafür ist, das „vermittelte Afrika-Bild“ zu kritisieren weiß ich allerdings nicht.
Denn Afrika ist ja viel, viel mehr als NUR arme Menschen und karge Gegenden, oder reiche Industrien-Gegenden. Afrika, oder in diesem Buch eben Ghana bietet ganz traumhafte Oasen – wie in Odos Dorf und das hat mich interessant. Die Geschichte hätte auch in Accra spielen können. Aber Accra ist für mich zu hektisch um dort Odo zu Hause sein zu lassen. Und am Ende des Tages ist die Geschichte über Odo einfach „Story-Telling“ mit meinem Erinnerungen.
Hauptstadtmutti: Diversity in Kinderliteratur ist dieses Jahr quasi zum Trend avanciert. Plötzlich war Antidiskriminierungserziehung in aller Munde. Besser spät als nie?
Naja! Besser jetzt als nie. Aber das zeigt einfach wieder mal wie wir Menschen ticken. Jeder möchte gerne mit auf dem Zug aufsteigen. Aber der Zug stand, obwohl es ihn ja gab, bislang leer! Und wurde ignoriert! Und zwar seit vielen Jahren. Ich hoffe es ist jetzt nicht nur ein Trend! Denn jetzt ist es natürlich einfach zu rufen „Diversity ist geil“ und ich hoffe es bleibt so. Ich hoffe dass wir alle verstehen und lernen, dass wir nicht zwangsläufig unsere Hautfarbe, Kopftücher, Figur oder auch die Sommersprossen und die roten Haare rechtfertigen, bewerten und miteinander vergleichen müssen. Wir sind alle eins und jede individuelle Geschichte zählt dennoch und darf auch erzählt werden.
Danke, Dayan!
Fotos von Paul Zimmer