Es gibt viele Ambitionen, die übertrieben sind. Mit dem eigenen Körper in Peace zu kommen, ist es nicht. Uschi Bonaparte dachte viele Jahre, die breitesten Schultern, die dicksten Arme, die unterschiedlichsten Brüste, die größte Nase, den hässlichsten Bauch der Welt zu haben. Hat sie nicht. Hat niemand. Verquere Selbstwahrnehmung bricht Dir das Genick.
„Ihre Brüste sind völlig in Ordnung. Wenn Sie etwas machen wollen, dann die Stirn. Da kann man viel retten, wenn man jetzt beginnt.“ Ich atme ein und guck so, wie man guckt, wenn man nicht weiß, ob man gerade träumt oder etwas wirklich passiert. „Sie tragen viel Frustspeck mit sich. Ihnen geht es nicht so gut, das sieht man, dann hat alles eine andere Form. Wenn sie wieder abgenommen haben, können Sie wiederkommen, wenn Sie die Brüste dann noch anders haben wollen.“ (Wann hab ich ihr gesagt, dass ich abnehmen will?) Ich schaue sie fragend an. „Mann, Haus, Kinder, ich versteh das. Hab gleich gedacht, als Sie zur Tür reinkamen, da ist sie, Bridget Jones! Aber hey. Die hat auch wieder abgenommen.“
Bridget Jones. Geht’s noch?
Fünf Minuten und 50 Euro später sitze ich im Auto und rauche eine Zigarette. Bridget Jones. Geht’s noch? Aber ja, sie hat recht. Wenn mal eine Sekunde Stillstand ist, wird alles in sich reingefuttert, was greifbar ist. Hilft nichts anderes. Seit über zwanzig Jahren kenne ich dieses Spiel jetzt schon. Nach dem Duschen, nackt vorm Badspiegel, weiß ich selten, zu welcher Baustelle ich zuerst schauen soll. Zum großen Bauch, der sich wölbt wie ein Sandkasten, in dem ein Kind mit einer Figur Rillen gezogen hat. Zu dem breiten Loch in der Mitte, was früher mal ein Bauchnabel war. Zu den von dreimal Stillen in Mitleidenschaft gezogenen Brüsten, die früher mal prall waren und heute das sind, wovor man sich mit 18 fürchtet („Hast du die riesigen Nippel gesehen? Und wie die hängen? Hoffentlich wird das bei uns mal nicht so!“) Zwanzig Kilo mehr, gut erkennbar an Armen, Innenschenkeln und Doppelkinn.
So what? Schluss mit dem Gejammer!
Mein Körper hat jahrelange Schwerstarbeit geleistet. Macht er immer noch. Seit sechs Jahren wie ne Verrückte durch die Bude rennend, versuchend, das Chaos im Zaun zu halten. Dafür, dass ich mich in den Schwangerschaften verdoppelt habe, sehe ich doch schon wieder spitze aus. Und statt ‚Ben&Jerry‘-Eisbecher die Woche, brauche ich jetzt nur noch drei Schokomuffins am Tag. Die Vorstellung, wie ich durch 100 Squats am Tag den Po bekomme, den ich immer haben wollte oder mit Baby in der Trage durch Millionen Situps das Bauchfett angehe, das schon seit meiner eigenen Geburt nie weggehen wollte, blieb eine Vorstellung. Schlimm kann es nicht sein, sonst würden die Hände meines Mannes nicht dauernd zu mir wandern. Doch die Hoffnung, dass das Muttersein die problematische Beziehung zu meinem Körper löst, ging nicht auf. Ist da – mit Mitte 30 genau wie mit 14.
Egal, welche Zahl auf der Waage stand – die Selbstzweifel blieben gleich.
Wenn ich großes Glück hab, bekomm ich nochmal so viele Jahre geschenkt. Und wenn ich nicht bis 95 vor jedem anstehenden Event nen Diät-Countdown starten will, muss was passieren. Meine „absolut okayen“ Brüste und Bridget Jones fahren nach Hause. Es ist Januar. Meine Kleine gerade erst in der Kita eingewöhnt und ich hielt es also für eine gute Idee, einen der ersten kinderfreien Vormittage seit Ewigkeiten mit dieser Frau zu verbringen.
Es gibt viele Menschen, die den Großteil ihres Lebens mit Komplexen überlagern. Deren Selbstwertgefühl ganz früh ganz doll mit Füßen getreten wurde und die als junge Knospe dadurch nicht zur stolzen Rose heranwachsen konnten, das Herz voller Schmerz und Selbsthass. Viel mehr als man denkt.
„10 Kilo abnehmen“, schrieb ich mit zehn Jahren in mein Tagebuch. „Ab jetzt: 1. Korsage tragen, 2. keine Schokolade mehr!“, mit 35 auf Kühlschrank-Post-Its. Ich stelle mir so oft vor, wie erst fünf, dann zehn, dann 20 Kilo fehlen. Die Kilos bleiben. Und dann beginnt das, was leichter fällt, als zufrieden zu sein: sich zu verteufeln, es nicht besser hinzubekommen. Es muss doch so leicht sein: sich gesund ernähren, viel bewegen. So viele Jahre habe ich damit verbracht, mich zu hassen, weil es mir nicht leicht fällt, intuitiv zu essen oder Disziplin zu zeigen. Selbst die, die Nahrung verweigern, hab ich beneidet. Wissend, wie bizarr und falsch solche Gedanken sind.
Was ich mir für meine Kinder wünsche
Wenn meine Kinder groß sind, wünsche ich mir, dass sie ihren Körper akzeptieren. Sie können mich dann für die Klamotten oder Frisuren, die sie getragen haben, verfluchen. Ich hoffe nur, dass sie niemals so viel Zeit dafür verwenden wird, Listen zu schreiben an Dingen, die ‚optimiert werden müssen‘. Dann wird das Leben ganz schnell zu einem “erst, wenn ich das und das erreicht habe‘. Und ’sich okay fühlen‘ etwas weit Entferntes, etwas Unbekanntes, etwas, was noch nicht da ist, vielleicht nie da sein wird. Drei Kinder halten mir den Spiegel vor die Nase: ‚Mama, die Zeit, dich zu lieben, ist jetzt. Wir brauchen Dich, wie Du bist, wie niemanden sonst auf dieser Welt‘.
Ich beginne täglich zu laufen, in der Küche zu tanzen, kaufe mir neue Kleider in der neuen Größe und liege mit meinen schönen Brüsten ab und an zur Entspannung einfach im Bett. Ob und wenn ja, wieviele Kilos schwinden, werd ich nicht erfahren, die Waage ist weg. Ob meine Brüste mal operiert werden – sag niemals nie – aber gerade würde ich sagen: ich glaube nicht.
PS: Bei Menschen, die mit ihrem Gewicht sehr schwanken, steckt meistens eine Geschichte dahinter. Wenn jemand, den du kennst und magst, plötzlich extrem zu-oder abnimmt, dann befrag sie/ihn nicht zum Gewicht, sondern frag: wie geht es dir? Ist irgendwas los?
Uschi Bonaparte ist Mutter von drei Kindern und tippt heimlich auf dem Klo Insta-Texte über Krisen, Komplexe und internationale Ehemänner ins Telefon. Auf Steady läuft ihre Sprechstunde, in der sich Frauen getrauen, Gleichgesinnte zu finden.Über Themen, die man am Schultor, auf dem Spielplatz oder im Kitachat selten bespricht.
Ihr findet sie auf Instagram unter @uschi_bonaparte oder auf Steady.
Mehr von Uschi
Streetstyle mit Uschi Bonaparte
Uschis Kolumne, die Erste