Woanders leben: Nina und ihre Familie in Schweden

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Ach ja, Schweden! Wo die roten Holzhäuschen auf saftigen Wiesen stehen, wo die Menschen hübsch und die Kinder sorgenfrei sind, wo Gleichberechtigung von Mann und Frau praktisch vollendet ist und niemand Wortkonstrukte wie „Vereinbarkeit“, „Wiedereinstieg“ oder „Teilzeit-Falle“ kennt. Da bin ich vor ziemlich genau einem Jahr hingezogen. Mit der Familie ins Ausland. In das Traumland der Familienfreundlichkeit und Gleichberechtigung. Hach ja!

Seitdem werde ich natürlich immer wieder von den alten Bekannten aus Deutschland und gerne auch von wildfremden Personen (die von meinem Umzug Wind bekommen haben) gefragt: Stimmt denn das eigentlich alles so? Ist das da wirklich so ein Paradies? Tja, wie eigentlich fast immer, gibt es auf diese Frage keine absolute Antwort. Und natürlich hat auch hier die Medaille zwei Seiten, ist nicht alles Gold was glänzt und überhaupt ist alles relativ. Aber der Reihe nach:

Kinderbetreuung ja

Was ich definitiv nicht aus Deutschland vermisse, ist die mir zumindest in Berlin untergekommene, unerträglich aufwändige Suche nach einem Kita-Platz. Kita-Besuch, Gespräch, Aufnahme auf die lächerlich lange Warteliste, Follow-Up, Einschleimen, weiteres Interesse bestätigen und am Ende nirgendwo einen Platz bekommen. Ich stand während meiner ersten Elternzeit auf ca. 20+ Listen und das Ergebnis war eine glatte Null. In Schweden bekommt jedes Kind (0-6) garantiert allerspätestens 4 Monate nach Anmeldung einen Kita-Platz in einer benachbarten Einrichtung. Alle Einrichtungen sind mehr oder minder gleich (es gibt kaum private Kitas) und kosten nie mehr als €100 pro Kind. Außerdem ist (zumindest bei uns) der Betreuungsschlüssel besser und die Öffnungszeiten sind in der Regel von 6 Uhr morgens bis 7 Uhr Abends und auch darüber hinaus gibt es Lösungen. Die Kita schließt praktisch nie ohne zumindest eine Notfallbetreuung anzubieten (also auch Weihnachten und Silvester). So weit so gut.

Mitspracherecht nein

Aber es gibt auch Unterschiede, die mir nicht so gut gefallen. Einer davon ist die Abwesenheit einer Elternvertretung. Und vorab: ich bin weiß Gott nicht diejenige, die sich in Deutschland um den Job des Elternvertreters  gerissen hat! Anfangs war ich sogar ganz froh, diesem Stress mit Elternabenden, Mailverkehr über den nächsten Kita-Ausflug und Nicklichkeiten unter Eltern entkommen zu sein. Aber mit der Zeit wurde mit klar: Elternvertreter sind echt keine schlechte Sache. Denn hier in Schweden ist es durchaus spürbar, dass die Eltern in der Kita (und übrigens auch in der Schule) keine Lobby haben und nicht organisiert sind. Nicht nur ist es merklich schwerer als Eltern miteinander in Kontakt zu kommen und gemeinsam etwas zu unternehmen, es gibt auch zahlreiche Regeln, die ganz klar in Deutschland an keiner Elternvertretung vorbeikämen. Mit Recht im Übrigen.

Du bist krank? Dann bitte mit den Kindern!

Ich gehe mal ins Detail: die Regeln rund um den Betreuungsanspruch des Kindes werden in Schweden sehr viel strenger ausgelegt. Der Anspruch auf einen Vollzeit-Platz kann sich täglich den Bedingungen anpassen und auf einen 15-Stunden-Platz (pro Woche) gekürzt werden. Gründe dafür sind: ein Elternteil hat Urlaub, ein Elternteil ist mit einem kranken Geschwisterkind Zuhause, ein Elternteil ist krank, ein Elternteil ist in Elternzeit. Um das mal an einem Beispiel zu illustrieren: wenn ich mit Magen-Darm-Grippe oder Schlimmerem kotzend über der Kloschüssel hänge, erwartet die Kita von mir, dass ich meine beiden Kinder aus der Vollzeit-Betreuung hole, weil ich ja Zuhause bin und damit nicht arbeite. Genau! (Ihr spinnt wohl!) Gleiches gilt, wenn ich mit dem dritten frischen Baby alle 2 Stunden dauerstille und im Wochenbett liege, muss ich meine zwei anderen nicht nur aus der ihnen geliebten Betreuung holen, ich habe auch neben einem Säugling noch zwei weitere Kinder Zuhause, die bespaßt werden wollen (weil Papa ja arbeitet). Ich denke wenn hier die Eltern mitbestimmen würden, dann gäbe es solche „elternfeindlichen“ Regeln nicht. Natürlich kann man auch argumentieren: wenn der Staat mehr für Eltern tun soll, dann muss der Staat auch darüber bestimmen dürfen, wie das abläuft. Be careful what you wish for… Trotzdem hätte ich gerne mehr zu sagen und würde auch gern mehr mitbestimmen, was und wie meine Kinder lernen.

Aber wahrscheinlich haben jetzt viele gestresste deutsche Lehrer Herzchen in den Augen und planen schon einmal die Auswanderung, weil sie keine weitere Auseinandersetzung mit pushy Eltern mehr durchstehen können. Womit wir wieder bei der Medaille und den zwei Seiten wären. Und der Kreis schließt sich. Am Ende wäre mir ein Mittelweg am liebsten. Und das ist eigentlich sehr schwedisch. Denn hier gibt es sogar ein Wort dafür: lagom. Das bedeutet: nicht zu viel, nicht zu wenig, sondern genau richtig.

Text & Foto: Nina Schattkowsky

Und hier könnt ihr noch mehr lesen:

Wiebke lebt mit ihrer Familie in Brasilien und Anna lässt euch an ihrem Familienleben in Barcelona teilhaben.

 

2 Kommentare zu “Woanders leben: Nina und ihre Familie in Schweden

  1. In weiten Teilen Deutschlands verliert man ebenfalls seinen (Vollzeit-)Platz, wenn man in Elternzeit geht. Finde ich auch nicht schlimm! Kein Kind muss Vollzeit in die Kita, wenn man selbst „“nur““ zuhause ist. Vor allem in der rar gesäten U3-Betreuung…

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