Seit einigen Wochen ergebe ich mich Donnerstagabends einem Ritual, das ich so zuletzt Anfang der 2000er pflegte. Ich gucke ‚And Just Like That‘, die ‚Sex and the City‘ Fortsetzung, und das gerne.
Im Februar 2004 wurde ich 17 Jahre alt und die letzte Sex and the City Folge ausgestrahlt. Für beide Anlässe war ich in den USA. Dort lief die Serie zensiert auf allen möglichen Sendern, aber die aktuellen und unzensierten Folgen nur auf HBO. Nur durch einen großen Akt der Liebe und mein wahrscheinlich nervtötendes Teenager-Betteln beschloss meine Gastmutter, die finanzielle und unmoralische Bürde auf sich zu nehmen, und HBO zu bestellen, damit ich die finale Staffel schauen konnte. Unmoralisch, weil das böse F-Wort so oft vorkam, und das actual fucking. Mir bedeutete diese Serie damals so viel, dass ich nicht nur SJP mindestens so sehr anhimmelte wie Brody Dalle, sondern mir T-Shirts mit SATC Zitaten selbst bedruckte, Fotos vom Fernseher schoss und Scrapbook-Einträge der Serie widmete. Ich war obsessed.
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Ich war so weit entfernt von Manhattan, teuren Labels und einer eigenen Wohnung wie Carrie von einer richtigen Altersvorsorge, aber ich träumte. Bei Payless und Deichmann gab es Billo High Heels und dann und wann bestellte ich einen Cosmo, auch wenn mir Bier besser schmeckte. Es war zum Träumen schön und genau das war es, pure Träumerei. Es war amerikanisch und zwar extrem. Oder wie Carrie es sagen würde, ’not American, New York‘!
Ich war ein Kind und die Serie war für mich genauso realistisch wie Friends, Gilmore Girls und GZSZ. Oder was auch immer Stefan Raab abwechselnd mit Ingolf Lück zu dem Zeitpunkt im deutschen Privatfernsehen veranstaltete. Es war so gutes Fernsehen, dass ich später jedes Mal, wenn in Seminaren The Sopranos als bahnbrechend für ‚das neue amerikanische Fernsehen‘ genannt wurde, sofort ‚Und Sex and the City!‘ hinterhergerufen habe. Vielleicht weil ich diesen New Yorker Essay von Emily Nussbaum sehr, sehr oft 2013 gelesen habe und weil es stimmt.
Yet until that last-minute stumble it was sharp, iconoclastic television. High-feminine instead of fetishistically masculine, glittery rather than gritty, and daring in its conception of character, “Sex and the City” was a brilliant and, in certain ways, radical show. It also originated the unacknowledged first female anti-hero on television: ladies and gentlemen, Carrie Bradshaw.
Emily Nussbaum, ‚Difficult Women‘
SATC war wichtig und änderte so viel, das muss auch anerkannt werden. 25 Jahre später zu kritisieren, was damals sowohl en vogue als auch revolutionär oder schlicht gang und gäbe war, macht aus medienwissenschaftlicher Sicht wenig Sinn. Aber hey, gönnt euch.
Ich habe in irgendeinem Moment von kulturellem FOMO alle Friends Staffeln geguckt und mich permanent fremd geschämt. Das gleiche Gefühl habe ich selbstverständlich auch mitunter bei The Prince of Bel Air, Gilmore Girls und New Girl. Fat- und Slutshaming ist noch mit Abstand das netteste, was in diesen Serien passiert.
Doch Friends empfand ich zusätzlich dazu als extrem unwitzig. Ich habe weiter geguckt und gehofft, dass noch irgendwas passiert, aber nope, nichts. Weil: You had to be there und als Friends zuerst ausgestrahlt wurde, war ich einfach mal sieben Jahre alt. Interessanterweise enden SATC und Friends aber im gleichen Jahr. Warum packt mich die eine Serie, wenn es die andere nicht tat? Zunächst einmal aus dem gleichen Grund, warum ich mir mit 15 regelmäßig die Vogue kaufte, Seiten rausriss und in Collagen oder Wanddeko verwandelte: ich träumte.
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Ich träumte von ziemlich genau dem Leben, das ich jetzt habe und es hat wenig mit dem Palaver von Friends zu tun. Halleluja, und Halleluja auch, dass es relativ bald, also als ich dann wirklich mal in meinen späten Zwanzigern war und damit eigentliche Zielgruppe von SATC, diese ganzen klugen Artikel gab, warum Carrie eigentlich ein mega problematischer Mensch und die Beziehung zu Big vor allen Dingen toxisch war. Es war ein paar Jahre sehr wichtig zu betonen, wie sexistisch, homophob, rassistisch, age-ist diese Serie rückblickend war. Und ist.
So why is the show so often portrayed as a set of empty, static cartoons, an embarrassment to womankind? It’s a classic misunderstanding, I think, stemming from an unexamined hierarchy: the assumption that anything stylized (or formulaic, or pleasurable, or funny, or feminine, or explicit about sex rather than about violence, or made collaboratively) must be inferior.
Emily Nussbaum, ‚Difficult Women‘
Hinterher ist man immer schlauer
Trotzdem kannten wir alle diese Serie in und auswendig und freuten uns über SATC-Outfit-Accounts auf Instagram, oder? Die Filme waren auch relativ erfolgreich, oder? Und SJP verdient mit ihren Schuhen auch nach wie vor gutes Geld, oder? Ich träume immer noch davon, diese Bustour in New York zu machen und ich würde wahrscheinlich ein bisschen schreien, wenn ich eine der Ladies mal in echt treffen würde. Vielleicht nicht ganz so laut wie bei Lauren Graham, aber das ist ein anderes Thema.
Nun also ‚And Just Like That‘. Ich habe mich drauf gefreut, ich habe die erste Folge geheult wie ein Schlosshund, aber nicht einen Moment habe ich mir gedacht, och nö, weiß nicht, das passt nicht. Vielleicht weil ich die Interviews der drei Hauptdarstellerinnen, Produzentinnen und in Cynthia Nixons Fall, auch Regisseurin, rauf und runter geguckt habe. Ich habe gesehen, dass es den dreien mehr als wichtig war, dass diese Welt nur zurückkommen darf, wenn sie ein ernsthaftes Update erhält.
Zu diesem Update gehörten dann auch die Vergewaltigungsvorwürfe gegenüber Chris Noth. Dazu sag ich nur ‚Believe Women‘.
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!!Ab hier mit Spoilern!!
Über AJLT zu schreiben oder zu sprechen, ohne zu Spoilern, ist schwer, deshalb probiere ich es erst gar nicht. Ab hier also mit Spoilern. Ich gucke die Serie gerne, weil sie mich mit 34 Jahren genau wie damals mit 16 Jahren, etwas beobachten lässt, wovon ich zu diesem Zeitpunkt noch gar keine Ahnung habe. Meine Eltern sind so alt wie Carrie und die anderen. Wer übrigens noch nicht so alt wie Carrie ist, aber gute zehn Jahre älter als ich sind die Xennials, die vor allen auf Instagram erzählen, was alles schlecht an der Serie ist.
Wobei ich schlecht schon wirklich hochgestochen finde, da ich von den meisten weiß, dass sie vollkommen unironisch die Friends-Shirts von H&M tragen. Ganz davon abgesehen, dass schlecht zudem ungemein subjektiv ist und leider auch dazu führte, dass Emily in Paris mal wieder erfolgreich wurde, ist die Serie selber äußerst unterhaltsam. Ich gucke sie gerne, weil ich es hart realistisch finde, was mit Miranda passiert. Die Person, die zynischer nicht sein konnte, die nie glücklich schien oder vielleicht sogar schlichtweg unglücklich? Die ist mit 55 nicht glücklich und zufrieden jeden Sonntag mit Steve brunchen? Oder Charlotte? Der oberflächlichste Mensch der Welt, der Fortpflanzung als absolute Priorität im Leben hatte sowie ihr Image innerhalb dieser ChiChi-Society? Dieser Mensch soll sich nicht mit Botox und Fillern aufpeppen lassen? Oh come on.
Her friends went through changes, too, often upon being confronted with their worst flaws—Charlotte’s superficiality, Miranda’s caustic tongue, Samantha’s refusal to be vulnerable.
Emily Nussbaum, “Difficult Women‘ (2013!)
Ich applaudiere, dass Charlotte und Harry nicht mit der Entwicklung ihres 12-jährigen Kindes klarkommen oder dass Miranda sich zum Deppen macht an ihrer Uni. Diese Frauen sind Mitte 50! Und man darf es ihnen zugestehen, auch als unrealistische Charaktere, dass sie nicht unbedingt mit allem mithalten und upkeepen, denn ich weiß, dass das letzte, was ich mitgekriegt habe, Sheesh war.
Diese Ängste über das Älterwerden, diese stete Unsicherheit als Frau/Partnerin und dieses konstante Sorgen über die richtige Art von Mutterschaft, mmmmmmmhhhhh, woher kenne ich das nur…ach ja, hey, aus der westdeutschen Xennial Insta Blase! Servus!
Vielleicht fühlen sich die Eltern der älteren Generation Alpha (alle Kinder ab 2009) einfach zu sehr an sich selbst erinnert? Während Gen Z selbstbewusst egal welchem Körper ein Crop Top anzieht, diskutieren die älteren Millennials, jungen Gen X oder halt die Xennials ob es denn jetzt Fatshaming oder Body Positivity ist, Newsflash, wir sind wohl bei Neutrality angekommen.
But “Sex and the City” ’s real strength was its willingness not to stack the deck: it let every side make a case, so that complexity carried the day.
Emily Nussbaum, ‚Difficult Women‘
Diese Frauen Ende 30 bis Mitte 40, die SATC geguckt haben, als sie in ihren 20ern waren, haben es damals ausnahmslos gefeiert, höre ich immer wieder. Wie toll das war! Wie befreiend! Und jetzt sind sie sich auch wieder einig, nee also, AJLT ist ja auch etwas zu deprimierend. Doof. Besonders doof, weil sie vielleicht genauso ‚Trapped‘ wie Miranda fühlen, aber es nicht realisieren wollen. Weil sie denken, dieses große wundervolle Leben, das war in den 20ern, oder in den 30ern, und jetzt? Was Jetzt? Dann kommen da drei Frauen in ihren 50ern und auf ihre sehr privilegierte Art und Weise, fangen noch einmal neu an oder entwickeln sich weiter. Das kann ja nicht nur wieder amerikanisches Träumen sein, oder?
Wobei auch das bei AJLT nicht vergessen werden sollte. Niemand zuckt mit der Wimper, wenn die Kleider fürs Klavierkonzert von Charlottes Tochter von ‚Oscar‘ (de la Renta) sind, aber dass Miranda trinkt, mmh, nee das ist ja unrealistisch. Sie sollen also glaubhaft und realistisch sein, aber trotzdem in einer New Yorker Luxus Fantasie Welt leben und das alles aber auch pretty please so amerikanisch wie möglich?
When the initial showrunner, Darren Star, and his mostly female writing staff adapted Bushnell’s columns, they transformed that icy Carrie, pouring her into the warm body of Sarah Jessica Parker. Out popped a chatterbox with a schnoz, whose advanced fashion sense was not intended to lure men into matrimony.
Emily Nussbaum, ‚Difficult Women‘
Das, was da bei AJLT passiert, ist das Leben, oder neudeutsch Life. Und Life ist halt auch Struggle. Aber wie viel geiler ist bitte dieser Struggle in diesen Outfits? Outfits, die endlich für die Liebe an Outfits existieren und nicht um irgendwas zu kaschieren, zu betonen oder um einen Mann zu kriegen? Und wie nice ist es bitte, dass es wirklich weitergeht? Vielleicht ein bisschen holprig zwischendurch, oder ist das nur unsere Wahrnehmung, weil wir so unfassbar kritisch geworden sind? Weil wir verwöhnt sind von dieser Menge an ‚gutem‘ Fernsehen, dass wir ohne SATC vielleicht nicht so gekriegt hätten. Doch jetzt wissen wir, wie es weitergeht und ich gucke gerne weiter.
The show always had a realpolitik directness about such social pressures; as another HBO series put it recently, winter was coming. And then, in the final round, “Sex and the City” pulled its punches, and let Big rescue Carrie. It honored the wishes of its heroine, and at least half of the audience, and it gave us a very memorable dress, too. But it also showed a failure of nerve, an inability of the writers to imagine, or to trust themselves to portray, any other kind of ending—happy or not. And I can’t help but wonder: What would the show look like without that finale? What if it were the story of a woman who lost herself in her thirties, who was changed by a poisonous, powerful love affair, and who emerged, finally, surrounded by her friends? Who would Carrie be then? It’s an interesting question, one that shouldn’t erase the show’s powerful legacy. We’ll just have to wait for another show to answer it.
Emily Nussbaum, ‚Difficult Women‘