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Wie finde ich ein gutes Buch? – Über Literatur aus Berlin und den Berliner Verlagspreis 2022

Nichts lässt einen so ernüchtert zurück wie ein mieses Buch.
6 Tipps für mehr Orientierung und gute Gründe, sich durch Berlin zu lesen.

Eine Freundin lieh mir mal ihr absolutes Lieblingsbuch. „Sooo gut, Du wirst es liiiiiiiiiiieeeben!“ bewarb sie es. Eigentlich borge ich mir keine Bücher. Ich will das Gelesene jederzeit wieder hervorholen können, um nach einer markierten Stelle zu suchen oder die Stimmung eines besonders schönen Absatzes nochmal aufzusaugen. Ich will sie besitzen, sie sehen, mich an sie erinnern. Sie sind mit mir verbunden, denn ich habe Ihnen meine Zeit gewidmet. Dieses Lieblingsbuch meiner Freundin also entpuppte sich jedoch als die anstrengendsten 312 Seiten, die ich je gelesen habe. Ich war froh, als ich es zurückgeben konnte.

Wir wollen natürlich gute Bücher lesen – Bücher, die uns unterhalten, staunen lassen, bereichern. Niemand will sich mit Textwüsten quälen, die einem das Gefühl geben, man wäre doch lieber beim Zahnarzt. Nur gute Bücher liest aber leider niemand. Logischerweise ist auch mal ein Text dabei, der einem gar nicht gefällt. Das schult und hilft dabei, rauszufinden, was man will. Und hier geht das Problem erst richtig los. Wer gern Bücher liest, hat nämlich die Qual der Wahl. Allein im vergangenen Jahr sind 63.992 neue Bücher in Deutschland erschienen. Laut einer Forsa Umfrage aus dem Jahr 2015 lesen rund 58% der Deutschen Bundesbürger zwischen 5 und 10 Bücher pro Jahr, 27% schaffen mehr und nur 14% lesen gar nicht.

6 Tipps um gute Bücher zu finden

Das heißt, aus einer schier unendlichen Anzahl muss man seine Rosinen erstmal finden. Aber wie? Hier sind 6 Tipps wie ihr Eure wertvolle Zeit nicht mit schlimmen Empfehlungen von lieben Menschen verschwendet. Wie ihr klug auswählt und vor allem Orientierung bekommt abseits der Bestseller, denn dort wird das Buch erst richtig interessant. Besonders in Berlin.

  1. Das Wichtigste zuerst: Geht in die Buchhandlungen! Hier könnt ihr mit echten Büchermenschen sprechen und Literatur bei Lesungen sogar live erleben. Besonders gute, inhabergeführte Läden, die sich einem ambitionierten literarischen Engagement widmen, z.B. mit Veranstaltungen zur Lese- und Literaturförderung beitragen, werden mit dem Deutsche Buchhandlungspreis vom Bundesministerium für Kultur und Medien ausgezeichnet. Neben den drei Gewinnern, ehrt das Gütesiegel für richtig gute Buchhandlungen pro Bundesland weitere herausragende Geschäfte. In Berlin gibt es neun Läden, die sich diese Auszeichnung verdient haben.
    Die Übersicht findet ihr hier.
  2. Wer gar keinen Plan hat, aber mehr lesen will, orientiert sich an der Weltliteratur und liest schlicht das, was die literarische Welt als das Nonplusultra ansieht. Dann kann man wenigstens mitreden, wenn´s um immer wieder zitierte Klassiker geht. Vorteil: die gibt es oft in günstig von Reclam oder Second Hand. Einfach Google fragen und zeitlich eingrenzen, denn je älter die Werke, desto erklärungsbedürftiger sind Inhalt und Bedeutung.
  3. Buchblogger kennen sich aus und schreiben umfangreiche Zusammenfassungen ihrer Lese-Auswahl. Das hilft, öffnet den Blick und gibt Orientierung. Weil ihr diesen Text auf Hauptstadtmutti lest und demnach Interesse an weiblichen Themen habt, empfehle ich Euch den Instagram Account von der österreichischen Schriftstellerin Mareike Fallwickl: @the_zuckergoscherl. Nicht nur ihre eigenen Bücher sind exzellent, sie liest hunderte (!!!) Neuerscheinungen im Jahr, zumeist Werke von Frauen, und empfiehlt ihre Highlights mit fundierten Rezensionen.
  4. Literaturpreise geben ebenfalls Orientierung. International ist der Nobelpreis am renommiertesten und weil es den schon seit 1900 gibt, sollte es für ein paar Jahre Lesestoff reichen. Ähnlich verhält es sich mit den höchsten literarischen Auszeichnungen in anderen Ländern. Der Prix Goncourt ist z.B. maßgeblich in Frankreich, der Premio Strega ist der wichtigste italienische Literaturpreis. Diese Werke erscheinen zumeist auch auf Deutsch. Hierzulande sind der Deutsche Buchpreis oder der Preis der Leipziger Buchmesse fundamental wichtig für den heißen Scheiß der Gegenwartsliteratur. Mit der jeweiligen Shortlist sind die meisten Deutschen Leser dann schon ein Jahr beschäftigt. Die Preise werden jährlich verliehen. Es gibt rund 1000 weitere Preise, die deutschsprachige Literatur auszeichnen und unterschiedliche geistige Paten haben. Diese zeigen zumeist eine bestimmte Richtung an.
  5. Die Spiegel Bestseller-Liste ist ebenfalls eine Möglichkeit der Orientierung. Diese wöchentlich, immer mittwochs aktualisierte Liste zeigt, welche Bücher gerade am besten laufen. Aus der Anzahl der verkauften Exemplare je Titel ergibt sich die jeweilige Reihenfolge in den Rankings. Diese Auflistung ist ein bisschen das H&M des Buchmarktes. Eine Beliebtheitsskala, die einen Mehrheitsgeschmack aufzeigt. Letztlich findet man hier auch ein Abbild der kritischen Fragen oder Themen unserer Zeit. Das kann helfen, muss es aber nicht. Zudem gilt das Gesetz: Je größer der mediale Wirbel um einen Titel, desto höher der Absatz. Ein Perpetuum mobile des Buchinteresses. Wer drin ist, wird noch mehr gelesen. Aber auch der blinde Griff nach Büchern mit dem orange-roten Aufkleber kann enttäuschen und belohnt letztlich auch die Marketingbudgets großer Verlagshäuser. Deswegen ist der nächste Tipp ein richtiger Berlin-Tipp.
  6. Schaut Euch die Verlage an, die der Berliner Verlagspreis jedes Jahr ehrt. Seit 2018 wird der mit über 68.000 Euro dotierte Preis von der Berliner Senatsverwaltungen für Kultur und Europa sowie für Wirtschaft, Energie und Betrieb gemeinsam vergeben. Berlin ist Bücherhauptstadt. Laut dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels gab es im Jahr 2020 insgesamt 149 Verlage in Berlin. Darunter viele Indie-Buchmacher, die ihre Projekte nicht selten mit einem hohen wirtschaftlichen Risiko umsetzen. So entstehen Bücher mit Herz und Verstand. Wegen der Leitidee „Idealismus vor Geld“ finden diese Bücher leider viel zu oft jenseits der Bestsellerlisten statt. Sie sind folglich weniger sichtbar. Umso wichtiger ist es, dass ihre Arbeit über andere Wege Anerkennung findet, z.B. mit dem Berliner Verlagspreis. Er zeichnet herausragende Programme und besonderes verlegerisches Engagement aus. Berliner Literaturperlen also. Die Shortlist der diesjährigen Kandidaten für den Berliner Verlagspreis findet ihr hier.

In einem freien Land muss die Verlagswelt so vielfältig sein wie ihre Gesellschaft –
Der Berliner Verlagspreis setzt sich dafür ein

„Arm aber sexy“ hatte Klaus Wowereit Berlin mal beschrieben. Das gilt leider auch für die unabhängigen Verlage der Bücherhauptstadt. Sie setzen sich häufig leidenschaftlich für Literatur und Meinungsfreiheit ein. Mehr als monetäre Interessen treibt sie nämlich eine gesellschaftliche Verantwortung und ein ambitioniertes Credo, das der berühmte Verleger Kurt Wolff einmal so zusammenfasste: „Man verlegt entweder Bücher, von denen man meint, die Leute sollen sie lesen, oder Bücher, von denen man meint, die Leute wollen sie lesen. Verleger der zweiten Kategorie zählen für uns nicht – nicht wahr? “

So würde auch der Verleger von Assoziation A seine Arbeit beschreiben. Rainer Wendling gehört mit seinem 2001 gegründeten Verlag zu den sechs Kandidaten für den Berliner Verlagspreis 2022. Was ihm eine solche Nominierung bedeutet, hat er mir auf Nachfrage verraten: „Die Nominierung zum Berliner Verlagspreis empfinden wir als großartige Anerkennung unserer jahrzehntelangen Arbeit. Insbesondere freuen wir uns über die Wertschätzung, die uns durch die Jury-Mitglieder zuteil wird, ebenso wie über ihre Offenheit gegenüber einem ausgesprochen linken und kritischen Verlag wie Assoziation A.“

Assoziation A: Stimme der sozialen Bewegungen unserer Zeit

Die Arbeit des Verlages mit Sitz in Berlin und Hamburg steht in der Tradition der Protestbewegungen. Bücher entstehen aus der sozialen Bewegung heraus. Beispielhaft dafür ist das Buch „Glitzer im Kohlestaub – Vom Kampf um Klimagerechtigkeit und Autonomie“ von dem Autor*innen Kollektiv Zucker im Tank. Der Zusammenschluss aus Ativist*innen ist schon lange in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv. Ursprünglich fokussierte sich ‚ZimT‘ auf den Widerstand gegen die Kohleindustrie im Rheinland – inzwischen sind die Aktivist*innen deutschlandweit unterwegs.

Rainer Wendling, Michael Kegler, »Hermann Hesse«, Luiz Ruffato, Theo Bruns.

Verleger Wendling wartet meist nicht darauf, dass ihm entsprechende Titel angeboten werden. Er und sein Verlag regen solche Titel an und beteiligen sich immer wieder auch selbst als Mitherausgeber*innen. Mit einem Programm aus Belletristik und Sachbuch widmen die Macher von Assoziation A sich einem ambitionierten Gesellschaftsauftrag für mehr Emanzipation und Schaffung egalitärer und solidarischer gesellschaftlicher Verhältnisse.

Kultursenator Klaus Lederer (Linke) stellte in seiner Eröffnungsrede heraus, dass er schon die Nominierung als Anerkennung besonderer Leistungen in der Verlagsarbeit verstanden wissen will.

Assoziation A war in diesem Jahr nicht unter den Gewinnern. Der Avant Verlag gewann den Großen Berliner Verlagspreis. Über zwei weitere Berliner Verlagspreise durften sich der Verlag ciconia ciconia und der Elfenbein Verlag freuen. Moderator Knut Elstermann merkte jedoch an, dass Nominierte nicht selten im Folgejahr zu Preisträgern werden.

Rainer Wendling, Theo Bruns. 

Fotos: Verlag Assoziation A

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