Durch meinen biographischen Hintergrund war Weihnachten mir immer egal. Seitdem es Netflix gibt und ich über die Feiertage nicht mehr an das Fernsehprogram gebunden bin, das wirklich furchtbar ist, fand ich die Feiertage eigentlich auch ganz entspannt. Ich brauchte sie in manchen Jahren, um mich von Chanukka zu erholen und ein paar freie Tage ohne Stress, soziale Verpflichtungen und einer angenehm leeren Großstadt waren meistens extrem angenehm. Dann fingen meine Kinder an, einen deutschen Kindergarten zu besuchen. Einen konfessionslosen wohlgemerkt.
Von November an beschäftigten sie sich mit dem Weihnachtsmann, Wichteln, Nikolaus, Adventskalendern, Christkindern und vielen weiteren Dingen, die ich zwar gegoogelt hatte, aber schon wieder vergessen habe.
Abstriche, die man als Minderheit in einer Mehrheitsgesellschaft bringt.
In diesem letzten Kindergartenjahr wurde die Situation milde ausgedrückt extrem. Sie kennen das Stichwort sicherlich besser als ich, es heißt „WhatsApp“-Gruppe und kostet mehr Anstrengung als eine Vollzeitbeschäftigung, wird aber nicht entlohnt. Die „WhatsApp“-Gruppe hat einen Adventskalender gebastelt, man sollte doch jeden Tag Fotos von den mitgebrachten Geschenken schicken. Diese wurden ausdiskutiert, genau wie die Frage nach den Weihnachtsgeschenken für die Erzieher*innen, wer diese überreicht, was sie kosten sollen und so weiter und so fort.
Alles natürlich in einer noblen Absicht, aber für einen Menschen, die ihrem Mann noch nie etwas Originelleres als eine Bratpfanne geschenkt hatte, eine interessante Erfahrung. Ausgestiegen bin ich, als der Versuch unternommen wurde es „divers“ zu gestalten und Weihnachtsgeschichten aus aller Welt zu integrieren. Aus einem mir unerklärlichen Grund gehört Israel dazu.
Zur Klarstellung: Natürlich wird in Israel Weihnachten gefeiert, genau wie Ramadan eingehalten wird und viele weitere Feste und es etwas Wundervolles ist und zu Israel dazugehört. Aber Chanukka ist nicht Weihnachten und eine Chanukkia ist kein Weihnachtsbrauch, wie dies das Cover des entsprechenden Buches suggeriert. Zudem gibt es in Berlin, wie in ganz vielen anderen Ländern Menschen, die kein Weihnachten feiern und das sollte man vielleicht zwischendurch auch anerkennen.
Es geht mir weder darum Weihnachten abzuschaffen, oder jemanden die Weihnachtsfreude a la Grinch zu verbieten, aber das Adjektiv „besinnlich“ hat mich getriggert. Sich auf andere zu besinnen, heißt eben auch sich mit anderen Feiertagen zu beschäftigen, oder diese zumindest anzuerkennen und als offizielle Feiertage vielleicht nicht nur die christlichen zu begehen.
Happy Holidays, Germany
In England und den USA, zwei Länder in denen es sowohl Antisemitismus, als auch Rassismus und viele Probleme gibt, wünscht man einander dennoch „Happy Holidays“. Hier ist es immer nur Weihnachten und macht genau deswegen so viel Spaß. Während es auf Deutsch noch nicht einmal eine Handvoll Kinderbücher über Channuka gibt, existieren auf Englisch Dutzende. Und selbst die amerikanische Puppenmanufaktur „American Girl“ hat Puppen-Channuka-Sets im Angebot. Repräsentation ist wichtig, sie steht zwar nur für den Anfang, aber wenigstens diesen könnte man sich besinnen.
Über die Autorin
Olga Grjasnowa, geboren 1984 in Baku, Aserbaidschan. Längere Auslandsaufenthalte in Polen, Russland, Israel und der Türkei. Für ihren vielbeachteten Debütroman „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ wurde sie mit dem Klaus-Michael Kühne-Preis und dem Anna Seghers-Preis ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihr „Gott ist nicht schüchtern“. Der Roman wurde zum Bestseller und hat sich 50 000 mal verkauft. Olga Grjasnowa lebt mit ihrer Familie in Berlin.
Foto Portrait: Kai Senf
Foto Header: Tetiana SHYSHKINA on Unsplash
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