Hauptstadtmutti

Eva Ladipos Räuber und viel guter Sex

‚Räuber‘ von Eva Ladipo ist richtig gut. Warum? Das erklären wir gerne an anderer Stelle, denn heute geht es hier um ihren Gastbeitrag. Wir wünschen viel Freude beim Lesen!

Ein vernichtendes Urteil: Viel guter Sex

Ich habe einen Brief bekommen. Ein berühmter politischer Journalist, einer der besten seiner Zunft, hat meinen Roman gelesen. Ich bewundere ihn seit vielen Jahren. Kaum jemand besitzt ein so hellseherisches Gespür für Politik, kann so elegant darüber schreiben, vermag die Zeitläufte so klug miteinander zu verbinden. Weil mein Buch sehr politisch ist, wollte ich unbedingt, dass er liest und, naja, auch meine Hellsicht erkennt. Die Geschichte handelt von den Gründen für die Preisexplosionen auf dem Immobilienmarkt und von den Folgen. Von Gewinnern und Verlierern, von Revolte und Selbstjustiz. Alles brandaktuell, schließlich steigen Mieten und Hauspreise unaufhörlich, keine Pandemie kann sie aufhalten.

Mein Herz schlägt schnell, der Brief ist lang. Was hält er denn jetzt von meinem Werk, von seiner politischen Stoßrichtung, dem aufklärerischen Antrieb, der dahintersteckt? Letzter Absatz, endlich, sein Urteil. Was? Ich muss es nochmal lesen. Als was bezeichnet er mein Buch? Wie fasst er zusammen, was ich geschrieben habe? „Ein Roman mit viel Sex“. Sein Fazit. Wie bitte? Viel was? Ich bin vollkommen perplex. Ausgerechnet der namhafte Kollege, dieses politische Tier, hält das, was die ungleichen Protagonisten auf zugegeben intensive Weise miteinander tun, für bemerkenswerter als den Rest der Handlung?

Viel Sex – aber wo?

Aber warum nur? Verblüfft zähle ich nach. Vier Szenen sind es insgesamt, mehr nicht. Eine einzige ist über eine lange Strecke im Detail auserzählt, bei den anderen schwenkt die Kamera mehr oder weniger dezent ab. Vier Liebesszenen auf fünfhundert Seiten sind doch nicht „viel Sex“! Wir leben (und lesen) doch längst jenseits von „Feuchtgebiete“!

Da es also offensichtlich nicht an der Quantität liegen kann, stellt sich die Frage: woran dann? Und da beginne ich zu begreifen. Während ich anfange, über Frauen und Sex in der Literatur nachzudenken, geht mir langsam auf, dass der sonst so wortgewandte Kollege ein entscheidendes Adjektiv vergessen hat. Er meinte nicht, dass in meinem Buch außergewöhnlich viel Sex vorkommt. Er hat Tausende andere gelesen, die mehr bieten. Nein, was er vielmehr meinte – und womit er Recht hat – ist die Tatsache, dass selten so viel guter Sex beschrieben wird. Sex, der niemanden beschämt, niemandem weh tut, niemanden ins Unglück stürzt, der nicht irgendwie doppeldeutig, verkorkst, unangenehm oder verhängnisvoll ist. Ungefährliche Lust haben Frauen in der Literatur nämlich bis heute praktisch nie.

Madame de Renal ist eine der Ersten, die fürs Liebesspiel mit einem Jüngeren mit dem Leben bezahlt. In Stendals „Rot und Schwarz“ überlebt sie zwar die Schüsse ihres jungen Liebhabers, folgt ihm wenig später trotzdem in den Tod. Emma Bovary und Anna Karenina bringen sich um. Effi Briest stirbt aus Verzweiflung. 

Die Tradition des schlechten Sex wird im zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhundert fortgesetzt. Für Frauen bleibt die körperliche Hingabe gefährlich, Sex ist häufig eine Falle. Im positiven Sinn schamlose Romane, in denen die Heldin stolz und dankbar ist für unvergessene Liebesakte, wie Benoîte Grouits „Salz auf unserer Haut“ sind selten. Stattdessen handeln selbst vermeintlich lustbejahende, emanzipatorische Werke wie die berüchtigten „Fifty Shades Of Grey“ von Manipulation und Unterwerfung. Seit „Me too“ sind Geschichten über schlechten Sex ohnehin gefragter denn je.

Sex als Wundermittel

Nur so ist zu erklären, dass mein Roman allem Anschein nach sexuell auffällig ist. Auch meine Heldin betrügt ihren Mann mit einem Jüngeren, noch dazu – wie Madame de Renal – mit einem niederen Standes, einem Bauarbeiter. Doch statt traditionellen Mustern zu folgen und sie in Hader und Selbstzweifel zu stürzen, wirkt der Sex wie ein Wundermittel. Er ist der Treibstoff, der sie herausreißt aus der Müdigkeit einer jungen Mutter, der sie verwandelt und ihr Mut, Erfindungsreichtum und kriminelle Energie verleiht.

Das Buch ist durch und durch politisch, wie gesagt. Was die Heldin dank des Zaubertranks bewerkstelligt, gleicht einer kleinen Revolution. Doch wenn das in den Hintergrund tritt, wenn die Kulisse überlesen wird, weil der Sex so gut ist, dann kann ich damit leben. Ich habe mich entschlossen, das vernichtende Urteil der Koryphäe als Kompliment zu verstehen.

Eva Ladipos zweiter Roman “Räuber” ist im Blessing Verlag erschienen.

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