Hauptstadtmutti

Ist Schule die Spitze der elterlichen Verantwortung?

Während im Babyjahr quasi noch alle Entscheidungen, die man für sein Kind trifft von immenser Bedeutung erscheinen und Konsequenzen herauf beschworen werden, die es einem schwer machen, entspannt an die ganze Sache „Kinder aufziehen“ heranzugehen, bleibt Eltern von größeren Kindern nur noch die Frage nach der passenden Wahl der Schule.

Die akademische Mittelschicht möchte dabei vor allem: kein Leistungsdruck, Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse des Kindes, Förderung der Talente und viel Spaß beim Lernen. Die eigenen Erfahrung von Scheitern, dem Gefühl, nicht ins System zu passen, veralteten Methoden und inkompetentem Lehrpersonal sollen auf keinen Fall wiederholt werden, denn:

Schule soll ein schöner Ort sein. 

Die meisten Eltern sitzen also irgendwann im letzten Kitajahr da, analysieren ihr Kind (sportlich /künstlerisch /sensibel / kann schon lesen / wächst bilingual auf ( aber nur die „guten Sprachen“ wie Englisch Französisch oder Spanisch), schauen sich Schulen im Internet und am Tag der offenen Tür an. Im Prenzlauer Berg, wo ich lange gelebt habe, kollidieren dann die zur Schau getragenen „woken linken Ansichten“ mit der Einzugsschule im Wedding und das Gegenargument der mangelnden Deutschkenntnisse der anderen Kindern, fällt an Spielplätzen nicht nur einmal. 

Die Wahl der Schule, die Wahl der richtigen Schule, hat aber tatsächlich Konsequenzen (im Gegensatz zur Beikost) und legt Grundsteine zur weiteren Entwicklung des Lebens und die Möglichkeit, dies kontrollieren zu können, durch weise Entscheidungen, klingt sowohl sehr gut, aber bringt natürlich auch die immense Verantwortung, die man als Eltern trägt, noch einmal richtig ans Tageslicht. Schule, quasi Spitze des Eisberges der Verantwortung. In der psychologischen Diagnostik im Bereich Intelligenz spricht man zum Beispiel bei Kindern nicht mehr von Hochbegabung, sondern von einer Veranlagung zur Hochbegabung. Bei fehlender oder verminderter Förderung wird man das Potenzial nie ausschöpfen können.

Und genau das bringt uns zum eigentlichen Punkt: Bei Schule, neben all den netten Features wie Hortfahrt, AGs, Projektwochen, mehr Sport für Talente und eigener Streichelzoo (Waldorf Berlin Mitte) geht es am Ende der Grundschulzeit doch darum Lesen, Rechnen und Schreiben zu können. Und um das Drumherum wie Selbstorganisation, strukturiertes Arbeiten, und die Fähigkeit Lernen zu können.

Lesen lernen ist nicht wie Laufen lernen

Nicht alles entwickelt sich so natürlich wie, dass die meisten Babies irgendwann Laufen lernen. Manche Dinge muss man tatsächlich lernen. Das Einmal Eins hat weniger mit Verständnis zu tun, als damit, es auswendig zu wissen. Grammatik ist kein Nice-to-have sondern macht schriftlichen Ausdruck erst möglich. Es besteht ein signifikanter Unterschied zwischen Leistungsdruck und der Situation, dass man manchmal Dinge nicht sofort, und auch nicht beim zweiten Mal beherrscht, aber dass man sie erlernen kann und auch muss, damit man eine Grundlage hat um weitere Dingen lernen zu können. 

Und wenn jetzt das Argument kommt von, jedes Kind hat seine eigene Zeit: ja, das stimmt, auch wenn die Unterschiede meist nicht signifikant sind, aber nicht alle Familien können diesen Faktor mit ausgleichen. Wenn ich es ok finde, dass mein Kind erst richtig Lesen in der 3. Klasse lernt und den moralischen Zeigefinger auf Eltern richtet, die ihr Kind „im System“ haben, dann muss ich allerdings auch berücksichtigen, dass andere nicht die Ressourcen haben, diesen Rückstand auszugleichen.

Unabhängig, was nach der Schule kommt, sollte man sich doch alle Möglichkeiten offen halten. Wie bei so vielen Dingen im Leben geht es darum die Balance zu halten, im Fall Schule zwischen Leistungsdruck und gar kein Druck. Bei Leistungsdruck sind wir uns alle ziemlich einig wie falsch er ist, aber auch kein Druck kann negative Konsequenzen haben. Als Kind integriert man schnell Erfahrungen in das eigene Selbstbild und kein Druck kann auch gleichgesetzt werden mit: ich glaube nicht, dass du es kannst und mir ist es eigentlich auch egal. 

Wie lernt man Lernen?

Ich habe lange geglaubt, dass Schule egal sei, das hat nichts mit mir oder meinem Kind zu tun. Das Leben findet woanders statt. Allerdings habe ich da den Fehler gemacht, zu vergessen, dass alles, was wir als Kind lernen, wir dann halt auch können, als Erwachsene. Und eben alles was wir nicht lernen, uns dann mühsam aneignen müssen. Und, so ehrlich muss man sein, nicht jeder hat den Ehrgeiz oder die Kraft, dies leisten zu können. Good Will Hunting ist eher die Ausnahme als die Regel. 

Lernen, und das hat mir der Schulbesuch meiner Tochter wieder in Erinnerung gerufen, macht zum großen Teil nicht so richtig Spaß. Ich bin selbst ein Kind, dass im Schulsystem auf der höheren Schule untergegangen ist. Ein Mangel an Konzentrationsfähigkeit in Kombination mit einer Holden Caulfield Attitude machten es mir einfach nicht möglich, gut zu sein.

Erst im Studium, oder besser gesagt im Psychologiestudium, konnte ich lernen wie man überhaupt lernt. Denn während der 3 Semester Theaterwissenschaft, die ich erst mal nach der Schule studiert hatte und in denen ich durch Verständnis oder auch Blendung gut zurecht kam, holte mich das Psychologiestudium wieder sehr auf den Boden der Tatsachen zurück. Nicht nur, dass die Menge an Wissen, die ich durch reines Lernen in meinen Kopf kriegen musste, wirklich groß war, nein, auch die Genauigkeit war wichtig. Und es hat mich ca. 8 Semester gekostet, bis ich meine Strategien, die ich benötigte um überhaupt lernen zu können, etabliert hatte und dadurch vorhandenes intellektuelles Potenzial ausschöpfen konnte. 

Wenn Schule die Spitze des Eisberges der elterlichen Verantwortung ist, zeigt sie ziemlich klar, dass bei Kindern nicht alles von alleine läuft. Egal, welche Schule ich wähle, ums Lernen kommt man nicht drum rum und schon frühzeitig Strategien zu vermitteln, tools weiter zu geben, die es dem Kind erleichtern überhaupt Lernen zu können ist ungemein wichtig. 

„Having expectations does also mean: I care about you“

Der heutige Gastbeitrag stammt von Antonia aus Berlin. Sie ist Anfang 30 und lebt mit ihrer siebenjährigen Tochter in Berlin. Sie ist Bühnentänzerin und studierte Psychologin, arbeitet als Creative Business Coach und schreibt auf Instagram über pop-psychologische Themen. Ihr findet sie auch bei Instagram, ebenso das Kollektiv

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