Wenn man ein Kind bekommen hat, gehört es leider immer noch dazu, dass alle möglichen Leute ungefragt verschiedene Lebensbereiche kommentieren. Wie schnell man wieder beim vorigen Gewicht ist zum Beispiel, oder dass man das Baby doch nicht ständig tragen kann, damit würde man es verwöhnen. Noch schlimmer wird es, wenn es um die Ernährung geht. Fläschchen oder Stillen? Schnell wird es emotional und ideologisch. Das ist schade und überhaupt nicht hilfreich.
Stillen ist das beste für Ihr Kind – aha
Die Hebammen sagen es, Frauen- und Kinderärzt*innen sagen es, sogar die Pre-Milch-Packungen sagen es: Stillen ist das beste für Ihr Kind. Stillen Sie es, wenn Sie können. Das zu kommunizieren mag eine gute Intention haben, aber ich finde auch, dass ganz schön Druck aufbaut. Lasst uns bitte mal eben festhalten, dass Säuglingsnahrung einen krass hohen Standard hat und ein absolut adäquater Ersatz für Muttermilch ist. Es ist so gut, dass es diese Milch gibt. Auch Hashtags aus den sozialen Medien tun hier ihr Übriges: #stillenistliebe zum Beispiel. Als wäre nicht stillen in irgendeiner Form mit weniger Liebe verbunden.
Nicht Stillen ist total in Ordnung
Es gibt verschiedene Gründe, nicht zu stillen. Erst einmal medizinische (oder auch psychische): es klappt einfach nicht. Es kommt nicht genug Milch, oder gar keine. Oder die Frau muss Medikamente nehmen, die notwendig sind und die nicht mit dem Stillen vereinbar sind. Es kann auch sein, dass Mütter ganz schnell wieder arbeiten wollen oder müssen und das mit Muttermilch kaum darstellbar wäre. Oder aber, die Mutter hat keine Lust zu stillen, möchte nach 10 Monaten Schwangerschaft ihren Körper wieder selbst erobern können. Auch das ist in Ordnung. Diese Entscheidungen sollten jeder Familie selbst überlassen sein, sie gehen schlicht niemanden anderen was an. Die Kinderärzte vielleicht grade noch so, aber Tante Erna und die Superschlaue aus dem Rückbildungskurs sollten sich da echt raushalten.
Let’s be clear: Stillen kann eine super Sache sein
Das soll jetzt gar nicht so klingen, als sei ich gegen das Stillen. Ich habe beide Kinder gestillt. Die eine sechs Monate voll und bis zum 11. Monat, die andere fünf Monate voll und bis zum 10. Monat. Dann sind beide Kinder auf Pre-Milch umgestiegen. Ich wollte meinen Körper und meine Brüste zurück haben, nicht mehr gebissen werden, ins Büro und auf Konzerte gehen und keine Milchflecken mehr auf Shirts vorfinden. Beide Kinder haben das total gut mitgemacht. Ich mochte bei beiden Kindern, grade am Anfang, die Innigkeit des Stillens. Zudem ist es praktisch: Man muss nicht nachts aufstehen und Milch anrühren, sondern hat immer alles dabei. Naja, dafür muss ich als Mutter halt dabei sein, eine Flasche kann von allen verantwortungsbewussten Personen gemacht werden.
None of your Business!
Es geht einfach niemanden was an, der nicht direkt betroffen ist. Wenn jemand Stillendes (oder eben Nicht-Stillendes) Gesprächsbedarf hat, wird die Person das schon mitteilen. Schlaue Ratschläge, ungefragt, zu solchen komplexen Themen, sollte man sich einfach verkneifen. So haben Freunde von mir zum Beispiel ein Kind direkt nach der Geburt adoptiert. Ich erzählte das anderen Freunden und die waren vor allem mit der Frage beschäftigt, dass dieses arme, arme Baby ja nun gar nicht gestillt werden konnte. Bitte? Das Kind war von seinen Eltern nicht gewollt und zur Adoption freigegeben. Es kam direkt in eine liebevolle Familie, wo es bis heute sehr geliebt und gut behandelt wird, da kann das doch nicht ernsthaft ein Thema sein.
Die Milchpackungen
Auf den Pre-Milchpackungen steht immer groß drauf, dass Stillen das Beste für das Kind ist. Das ist wohl wirklich so, Muttermilch ist einfach krass ausgeklügelt und voller Antikörper, die dem Kind zugute kommen und all das. Wichtig zu verstehen ist aber, dass die Pre-Milch auf einem sehr hohen Niveau nur ein bisschen weniger gut ist. Dieser Satz, der da auf die Packung gedruckt sein muss, tut so vielen Eltern weh. Nämlich denen, die so gerne stillen würden und es nicht funktioniert. Und denen, die sich aus verschiedenen anderen Gründen dagegen entschieden haben – oder die Entscheidung gar nicht bestand, wie bei dem Adoptions-Beispiel. Diese Menschen kriegen bei jeder Fläschchen-Zubereitung mitgeteilt, dass sie grade nicht das allerbeste für ihr Kind machen. So ein Quatsch! Sie ernähren ihre Säuglinge auf absolut angemessene Art und Weise. Ich wäre sehr dafür, diese Aussagen von den Packungen zu nehmen, oder differenzierter ins etwas kleiner gedruckte aufzunehmen.
Kein schlechter Mittelweg: Zwiemilch
Die Vorteile der Muttermilch und die des Fläschchens lassen sich oft auch kombinieren. Die meisten Babys akzeptieren einen Wechsel zwischen Brust und Flasche (oft wird geraten, nicht sofort damit zu beginnen, wiederum passiert es oft auch genau in den ersten Tagen, wenn es Stillprobleme gibt). Das hat den Vorteil, dass man das gute aus beiden Welten haben kann. Stillen und Flexibilität. Hierfür kann abgepumpt werden oder auf Pre-Milch zurückgegriffen werden. Klappt nicht immer, aber ist vielleicht ein Versuch wert. Bei meiner großen Tochter ging das ganz problemlos – Brust, abgepumpte Milch und Premilch, sie hat alles getrunken. Meine Kleine hat sich lange vehement geweigert, aus der Flasche zu trinken und als es dann irgendwann doch geklappt hat, hat sie selber relativ schnell abgestillt. Whatever works, sag ich mal.
Hier findet ihr aktuelle Test-Ergebnisse für verschiedene Pre-Milch-Anbieter.
Und hier gibt’s ganz tolle Hilfe, falls das mit dem Stillen nicht so klappt, wie ihr es euch vorgestellt habt: bei der La Leche Liga.
Happy Feeding!
Nach 18 Jahren Berlin ist Anna gerade wieder in ihre Heimat Kassel gezogen. Remote-Work macht’s möglich. Auf @schrekelhucki postet sie allerlei Schabernack, auf ihrem LinkedIn-Profil geht es ein bisschen seriöser zu. Anna hat schon selber Blogs betrieben und unter anderem für bento, enorm und den Re:Blog Beiträge verfasst. Und jetzt auch auf Hauptstadtmutti, wie cool ist das denn?!
Beitragsbild und Header: Franzi Schädel / @franzi_schaedel_fotografie
Noch mehr von Anna
Streetstyle mit Statement: Anna steht auf Punk – aber fair!
#MomCrushMonday: Anna von @schrekelhucki
Berlin: Hier sind eure Sachspenden gut aufgehoben