‚Ich erkenne sie sogar auf der Straße‘, sagt meine Freundin als wir abends zusammen sitzen. Ich sehe sie an und erkennt es sofort, das gleiche Trauma. C meint Mütter, die aus toxischen Beziehungen kommen. Die klein gemacht und manipuliert wurden, die Übergriffen ausgesetzt waren, die abgelehnt wurden, aber nicht gehen durften. Eine toxische Beziehung kann man durch den Umstand eines gemeinsamen Kindes oft schwer verlassen.
Ich erkenne sie auch, die Frauen, das sofortige Verständnis, das ‚Ich weiß wie es ist, ich habe es auch erlebt.‘ Die Geschichten sind alle ähnlich. Nehmen wir zum Beispiel die meiner Freundin A.
A ist jung, ein Mann wird ihr Verehrer, sie ist nicht wirklich zugetan aber die Aufmerksamkeit gefällt ihr. Er ist verlässlich da , immer erreichbar, bereit alles zu tun. Er sagt, du, du und keine andere, du bist die Mutter meiner Kinder, ich bin da. Meine Freundin A, emotional bedürftig wie die meisten von uns, macht dann einen Fehler, von dem sie nicht wissen kann, dass es ein Fehler ist, denn erst die Erfahrung kann es einem sagen: sie verwechselt Aufmerksamkeit mit Interesse an ihr.
Ist es Interesse?
Das Interesse liegt aber im „Haben wollen“, der Mann will sie haben, will die Faszination von ihr haben, will sie für sich haben, denn Ablehnung wäre das schlimmste. Und wenn man einmal jemanden hat, dann darf dieser Jemand auch nicht mehr gehen. Sie gehen zusammen ins Bett, durch Zufall wird meine Freundin schwanger, und dieses ungeborene Kind wird zum Bindeglied, die Elternschaft fixiert das „Haben“ und wie ein Kind, dass intensiv mit einem Spielzeug gespielt hat, solange bis es kaputt geht und es frustriert in die Ecke wirft, landet auch meine Freundin bei den ausrangierten Dingen. Aus „die Mutter meiner Kinder“ wird ein, „bitte schlafe nicht immer bei mir, ziehe zu mir in die Wohnung aber du darfst keine Sachen mitnehmen, bekomme mein Kind, aber lass mich mit der Schwangerschaft in Ruhe, ich will nichts damit zu tun haben.“
Und so sitzt meine Freundin A schwanger alleine in der Wohnung, in der sie keine Sachen mitnehmen durfte, oder liegt mit dem Kind im Bauch bei Freundinnen, damit der Mann auch mal seine Ruhe hat, jetzt wo sie bei ihm wohnen muss, dass muss sie verstehen, er kann ihre emotionale Seite nicht jeden Tag ertragen, das Ganze sei eh schon eine Zumutung, besser gesagt sie, aber sie müssen jetzt zusammen bleiben, das Kind bindet sie, sie will dem Kind doch nicht den Vater nehmen, was für eine Person sei sie denn eigentlich. Und so sitzt meine Freundin A zu Hause, der Mann kommt manchmal und viel öfter nicht, oder in anderen Bewusstsseinszuständen, er betrügt sie, sagt, sie, mit dem Bauch und ihrer ganzen Art kann auch nichts anderes erwarten, sie kann froh sein, dass er noch da ist .Das Kind, ein kleines Mädchen, wird geboren, meine Freundin macht alles, der Mann macht nichts.
TW: häusliche Gewalt, Gewalt in Beziehungen
Wenn er seine Ruhe möchte geht sie mit dem Baby ins Badezimmer, er findet, dass sei einfach fair, wo er sie halt die ganze Zeit schon ertragen muss und sie nicht mal einen Kühlschrank ordentlich einräumen kann. Die Abwärtsspirale geht immer weiter, die Übergriffe auch, aber auch das Gaslighting, vielleicht hat er ja Recht, vielleicht hat sie das wirklich verdient. Vielleicht war das Essen, das er vom Tisch wirft wirklich schlecht, vielleicht hat sie ihn wirklich falsch verstanden.
Geschichte müssen erzählt werden
Was passiert wenn er lacht und sagt, das war nicht schlimm und sie zweifelt, denn wenn man nicht krankenhausreif geschlagen wird, ist es dann wirklich schlimm oder stellt sie sich nur an, als er sie an Haaren zu Boden zieht, sie einsperrt, sie beschimpft und demütigt, ihr Getränke über den Kopf schüttet. Meine Freundin A. geht, sie flüchtet, nachdem ein letzter Streit so ausartet, dass sie weiß, hier kann ich nicht bleiben, aber vor allem: hier kann ich kein Kind aufziehen. Sie setzt sich in einen Fernbus, das kleine Mädchen auf ihrem Schoß und geht. Überlebt.
Ich erzähle die Geschichte, weil ich weiss, wie wichtig es ist, dass man damit nicht allein ist. Dass Flucht manchmal die einzige Möglichkeit ist. Dass man danach weiter machen kann. Weil Gewalt gegen Mütter ein Thema ist, das Raum verdient. Und weil sich nichts so gut anfühlt wie der Moment in dem man realisiert, dass man niemals weder zu dem Mann zurück muss. Es ist eine Geschichte für meine Freundinnen, denen sie passiert ist und auch für alle anderen Müttern, die es gerade erfahren oder erfahren haben: Ich sehe (es) euch (an).
Beratung zum Thema häusliche Gewalt
Weisser Ring
ProFamilia
Hilfetelefon
Der heutige Gastbeitrag stammt von Antonia aus Berlin. Sie ist Anfang 30 und lebt mit ihrer siebenjährigen Tochter in Berlin. Sie ist Bühnentänzerin und studierte Psychologin, arbeitet als Creative Business Coach und schreibt auf Instagram über pop-psychologische Themen. Ihr findet sie auch bei Instagram, ebenso das Kollektiv.
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