„Wut und Jammern hilft nicht viel“ im Gespräch mit Ilka Piepgras

Eine Zeit lang habe ich auf Reisen probiert, die Wohnungen berühmter Autoren zu besichtigen. Unter anderem habe ich mir Dostojewskis Bude in St. Petersburg angeguckt. War bei Ibsen in Oslo. Immer die gleiche Leier: Sie konnten sich voll aufs Schreiben konzentrieren, ihre Kinder haben sie dann und wann mal gesehen, Papa durfte nicht gestört werden. Erst als ich selbst anfing, ernsthaft und in echt an meinem Buch zu schreiben, habe ich erkannt, was für ein Privileg es ist, ganz in Ruhe arbeiten zu können. Als Frau, als Mutter, als Arbeiterkind und auch als Migrantin.

In Schreibtisch mit Aussicht versammelt Herausgeberin Ilka Piepgras 24 Schriftstellerinnen und lässt sie vom Schreiben, Muttersein, Frausein und von Ruhe erzählen. Genau darüber haben wir uns auch in diesem Gespräch unterhalten. Ilka könntet ihr vom ZEITmagazin kennen, wo sie für alles rund um Literatur und schreibende Menschen zuständig ist. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin und wird von uns auch auf Instagram im MomCrushMonday vorgestellt.

Im Gespräch mit Ilka Piepgras

Liebe Ilka, stell dich bitte vor.
Ich bin festangestellte Redakteurin beim ZEITmagazin, Buchautorin und Mutter von achtzehnjährigen Zwillingen sowie Patchworkmutter von vier Kindern im Alter von 28, 33 und 34 Jahren. Bis zur Geburt meiner Kinder habe ich Vollzeit gearbeitet, zuletzt in einer Führungsposition, nach der Elternzeit dann Teilzeit (50 Prozent). Ich bin 56 und 1991 von München nach Berlin gezogen, habe mich seither durch alle möglichen Viertel der Stadt gewohnt – angefangen beim Ostkreuz über Prenzlauer Berg und Charlottenburg bis aktuell nach Zehlendorf.

Ich wollte dich auf Instagram stalken, konnte das aber nicht. Nutzt du Social Media?
Ich habe mich vor einiger Zeit bei Facebook abgemeldet, nutze Twitter und Instagram weitgehend passiv aus journalistischen Gründen, poste sehr selten etwas auf Instagram. 

Unter dem Hashtag #schreibtischmitaussicht finden sich viele hübsche Bilder deines doch sehr fotogenen Buches und ausschließlich positive Bewertungen. Gab es irgendjemanden, der das Buch bisher nicht mochte? 
Bislang haben mich tatsächlich nur positive Rückmeldungen erreicht und davon sehr viele. Die einzige mir bekannte – und sehr berechtigte – kritische Anmerkung bezog sich darauf, dass wir in den Texten weitgehend das generische Maskulinum verwendet, also oft von „Autoren“ gesprochen haben. In der zweiten Auflage habe ich das gesamte Manuskript daraufhin überprüft und es dort verändert wo es möglich war, ohne den ursprünglichen Kontext oder die Intention der Autorin zu verändern. 

Wie kam es zu der Idee mit dem Buch? Wie bist du auf die Texte gekommen, oder wie hast du die Frauen fürs Buch gewinnen können?Die Initialzündung war ein Essay von Anne Tyler, in dem die große amerikanische Autorin beschreibt, wie sie ihre Arbeit an einem Roman immer wieder aufschiebt und dem Leben kreative Zeit „in kleinen, harten Spänen abtrotzt“: Erst wird das Kind im Summer Camp krank, dann kommen überraschend iranische Verwandte ihres Mannes zu Besuch, der Hund muss entwurmt werden und so weiter. In gewisser Weise beschreibt der Text den Alltagswahnsinn, den alle berufstätigen Mütter durchmachen – und legitimiert den Wahnsinn dadurch. Mich persönlich jedenfalls hat die Lektüre getröstet und gestärkt – viele Male, denn ich habe den Text in unterschiedlichen Lebensphasen immer wieder neu gelesen.
Dieser fantastisch lebenskluge, warmherzige und vielschichtige Text von Anne Tyler gab also den Impuls, weitere Erfahrungsberichte zu sammeln und zu veröffentlichen. Die deutschsprachigen Beiträge sind weitgehend Originalbeiträge für die Anthologie, das heißt, ich habe sie selbst in Auftrag gegeben. Die internationalen Texte habe ich über einen längeren Zeitraum hinweg gesucht und übersetzen lassen, sie erscheinen fast alle zum ersten Mal auf deutsch. Die Auswahl der Autorinnen ist rein subjektiv und beruht auf meinen persönlichen Vorlieben – es ist das schönste Privileg einer Herausgeberin.

Gibt es einen Lieblingstext?
Ich liebe alle Texte der Anthologie. Vielleicht den Text von Anne Tyler ein kleines bisschen mehr, weil er mich schon so lange begleitet und nachhaltig begeistert.

Hätten es noch sehr viel mehr Texte werden können? Oder wolltet ihr einen literarischen Adventskalender schaffen?
Es hätten noch sehr viel mehr Texte werden können, gar keine Frage. Einige Autorinnen sind nicht vertreten, weil sie gerade mit einem anderen Projekt ausgefüllt waren und keine Zeit hatten. Deborah Feldman und Nino Haratischwili zum Beispiel hätte ich sehr gern dabei gehabt. Von anderen habe ich leider nichts gefunden, was gepasst hätte – etwa von Nora Ephron, meiner Ikone. 

Inspiration oder Frustration?

Viele betonen zu Recht, wie inspirierend ‚Schreibtisch mit Aussicht‘ ist. Mir ging es zeitweise anders beim Lesen. Es frustriert mich zu lesen, dass manche Autorinnen abwägen müssen, wann sie zum Schreiben kommen können und wann welche Windelpackung als nächstes leer wird. Besonders gefühlt habe ich das beim Text von Antonia Baum, die meiner Meinung nach mit Stillleben sowieso schon eines der besten Bücher zum Thema geschrieben hat. Soll dein Buch wütend machen oder inspirieren?
Das, was dich frustriert, findet meiner Meinung nach in der Anthologie nicht statt. Man findet dort keine bitteren Klagetexte, sondern leidenschaftliche persönliche Berichte herausragender Autorinnen über ihre Arbeit. Mein Buch als Wutschrift zu verstehen, wäre ein Missverständnis. Es ist reine Inspiration und Freude. Was nicht heißen soll, dass Wut in den Texten keine Rolle spielt. Im Gegenteil zieht sich Zorn auf die strukturelle Benachteiligung wie ein roter Faden durchs Buch. Aber es ist eine sympathische, nach vorn gerichtete Wut. Keine bittere, resignierte Wut. 

Es gibt zum Beispiel das Buch „Rage Becomes Her“, das seit einer Ewigkeit auf meiner Wunschliste steht, ich es aber nicht bestelle, weil ich denke, Himmel, kann ich denn noch wütender werden?
Gegenfrage: Hilft es, die eigene Wut in Büchern abgebildet sehen zu wollen? Ich verstehe den Reflex sehr gut, denn ich habe damals, als meine Kinder klein waren, unzählige Erfahrungsberichte erschöpfter Mütter verschlungen. Damals war es tröstlich, sich durch die Lektüre nicht allein zu fühlen. Rückblickend empfinde ich es aber als Zeitverschwendung. 

Weißt du denn noch, was du da gelesen hattest?
The Bitch in the House zum Beispiel, eine von Cathi Hanauer herausgegebene Anthologie, die leider nicht auf Deutsch erschienen ist. Der Titel sagt eigentlich schon alles. Die Frauen haben sich selbst gewundert, warum sie denn so unzufrieden, also so bitchy geworden sind, was natürlich der Situation geschuldet war. Das meiste, was ich damals gelesen habe, war auf Englisch, da die deutschen Bücher wirklich irre brav waren. Die Amerikanerinnen haben ziemlich deutlich ihre Meinung gesagt. „Böse Mütter“ von Ayelet Waldman ist auch so ein Buch oder „Perfect madness“. Auch die „Mommy Wars“ waren damals ein großes Thema, also die konträren Perspektiven von Vollzeitmüttern und berufstätigen Müttern. 2011 erschien dann ein sehr toller Roman, in dem ich mich total wiedererkannt habe:  „I don’t know how she does it“ von Allison Pearson. Den gibt’s auch auf deutsch, aber in der Übersetzung ist leider viel Ironie auf der Strecke geblieben, also bitte unbedingt im Original lesen.

Die Jahre 2005 bis 2011 waren ja ungefähr der Zeitraum, in dem es mit diesem klassischen ‚Mom Blogging‘ angefangen hat. Als es noch darum ging, ein Outlet zu haben, um die eigene Frustration zu verarbeiten. Damals waren die Texte sehr viel düsterer, es ging um Depressionen und Wut.
(Hier eine kleine Auswahl zum Thema:  NY Times, Vox, Washington Post, NY Post und Chicago Tribune. Anm. der Redaktion)

Ja, stimmt, das ist eine gute Beobachtung: Es gibt wirklich eine Entwicklung auf dem Gebiet: Weg vom weinerlichen Beschreiben, hin zur kämpferischen Energie. Das ist gut.

„In der Literaturgeschichte haben Frauen keine Tradition.“

Blöd gefragt: Warum?
Für die Literatur gilt das genauso wie für alle anderen Künste, für die Wissenschaft, Wirtschaft und Politik: Frauen hatten da jahrhundertelang nichts zu sagen und zu suchen, sie wurden nur als Minderheit gesehen und gehört. Männliche Schriftsteller haben sich untereinander auf ihre Werke bezogen und den Diskurs unter sich ausgemacht, auch in den Feuilletons und Verlagen. Das hat sich strukturell verfestigt. Mit der Frauenbewegung sind die Strukturen aufgebrochen worden und in jüngster Zeit sind gewaltige Veränderungen zu beobachten: Die letzten großen Literaturpreise gingen beispielsweise alle an Frauen.

Früher habe ich Frauen in Interviews gefragt, wie sie das denn so zu Hause hinkriegen, vereinbaren oder arrangieren. ‚Und wie macht ihr das so?‘ Ich wollte, dass sie mir Tipps geben, wie man das alles besser hinkriegt. Jetzt finde ich das scheiße von mir, im Nachhinein. Hast du einen Tipp, was ich stattdessen fragen könnte?
Warum findest Du das jetzt scheiße? Kann ich schlecht nachvollziehen, ist doch eine legitime und gute Frage. Vielleicht konkreter fragen: Was sind die guten Momente und wie kriegt man die am besten hin?

Das wäre auch eine gute Möglichkeit! Das Problem ist für mich der Klassiker. Väter bekommen diese Frage einfach nicht gestellt, weil davon ausgegangen wird, dass es jemand für sie hinkriegt. Alexandra Zykunov beispielsweise hat auf die Telefonlistenproblematik der Kindergärten und Schulen aufmerksam gemacht. Meistens ist nur Platz für eine Nummer, da steht dann auch noch oft genug ‚Mama‘ über der Spalte. Selbst wenn die Nummer des Vaters mit angegeben wird, möchte man ihn nicht bei der Arbeit stören.
Klar, da hast Du recht. Schriftsteller werden auch nicht auf Lesereisen gefragt, wer gerade auf ihre Kinder aufpasst oder wie sie das während Schreibklausuren organisieren. Schriftstellerinnen schon.

Mental Load und denken müssen – wie geht das?

Wenn man nicht zum Denken kommt, weil man an Geburtstagsgeschenke denken muss oder an Snacks, dann nennen wir das heute Mental Load. Es gibt Ratgeber, die Mental Load erklären, und versuchen, Lösungen dafür zu finden. Kannst du einen Text aus dem Buch empfehlen, der dieses Thema behandelt?
Schwierig, denn das Buch versteht sich nicht als Ratgeber. Aber der – übrigens sympathisch wütende – Text von Antonia Baum beschreibt diesen Zustand bestens und vielleicht kann man sich da was abgucken.
Allgemein kann man sein Mental Load, glaube ich, nur abbauen, indem man Teile davon dem Partner aufhalst. Dazu gehören dann konsequenterweise aber auch durchaus schöne, zeitraubende Seiten – wie etwa Kinderklamotten kaufen oder den Vater zur Schulaufführung schicken. Eine Kollegin von mir hat ihren Partner die Grundausstattung des Babys kaufen lassen. Sie ist in der Hierarchie bewundernswert weit gekommen. Ich persönlich wäre viel zu sentimental, um solche Sachen zu delegieren. Aber wenn man konsequent gleichberechtigt lebt, gehört das vermutlich auch dazu – und schafft Freiraum. 

Eine (kinderlose) Bekannte hat mal zu mir gesagt, dass die Autorinnen mit Kindern, die sie kennt, einfach frühmorgens oder spätabends schreiben. Wenn alle schlafen ist das Haus besonders ruhig. Ich habe sie daraufhin gefragt, wann denn die Autorinnen schlafen würden. Sie war dennoch felsenfest davon überzeugt, wenn man schreiben will, findet man einen Weg. Es würde nur an der eigenen Disziplin liegen. Warum müssen Frauen/Mütter scheinbar lediglich an ihrer Selbstdisziplin arbeiten, Männer/Väter wird derweil der Rücken freigehalten. Ist das so, oder ist das ein Klischee?
Totales Klischee – jedenfalls heute. Früher war das sicher so, in den Fünfziger Jahren, der Generation meiner Mutter. In zeitgenössischen Beziehungen handeln Männer und Frauen das gleichberechtigt miteinander aus, oder? Ich kenne viele sehr selbstdisziplinierte Männer. Und viele Frauen, die unter anderem deswegen an einem großen Rad drehen, weil ihre Partner sie unterstützen.

Im besten Fall ja, aber ist das nicht auch die Perspektive deines persönlichen Umfelds? Hat nicht gerade 2020 uns gezeigt, wie hinterher die meisten Beziehungen in punkto gerechte Aufteilung von Arbeitszeit sind? Jede Minute konzentriertes Arbeiten und jedes Meeting im Lockdown war ein Anlass zur Diskussion für viele. Initiativen wie Eltern in der Krise oder #proparents machen darauf aufmerksam, dass es Eltern nicht gut geht und dass viele Mütter erschöpft sind. 
Ich urteile aus meiner Bubble heraus, stimmt. Und meine Bubble ist privilegiert beziehungsweise meine Kinder sind bereits so selbständig, dass es in der Arbeitsaufteilung weniger Konflikte gibt. Ist bei uns jetzt eher ein technisches Problem, weil vier Personen an vier Computern gleichzeitig zoomen und arbeiten müssen. 

Elternsein während Corona

Mental Load, fehlende Zeit zum Reflektieren oder auch einfach für Ruhe oder zum Nichtstun betrifft ja nicht ausschließlich Autorinnen. Die Burnout- und Depressionsfälle sind so hoch wie nie, Mutter-Kind-Kur-Einrichtungen sagen, dass die Frauen in all den Jahrzehnten vorher nie so fertig waren und Corona hat nicht geholfen. Was zur Hölle muss getan werden, damit Mütter nicht irgendwann kollektiv alle an die See müssen?
Ich fürchte, dass liegt weitgehend in der Hand jeder einzelnen Frau. Bitte versteh mich nicht falsch – aber ich glaube, Wut und Jammern hilft nicht viel. Beziehungsweise ist nur dann angebracht, wenn es sich um systemische Benachteiligung handelt (in solchen Fällen ist es nach wie vor unsere Pflicht, gegen Ungerechtigkeiten zu kämpfen). Im persönlichen Bereich kann man nur selbst etwas an den Gegebenheiten ändern. Es ist ja nach wie vor ein Mythos, dass sich Beruf und Muttersein miteinander vereinbaren lässt – in Wahrheit addiert man die beiden Rollen, Bereiche, whatever. Alles gleichzeitig sein zu wollen, funktioniert nicht. Oder eben nur um den Preis der totalen Selbstausbeutung und der damit verbunden Mega-Erschöpfung. 
Was hilft, ist die Haltung ändern: Wenn man das, was man tut, als Privileg empfindet und sich der schönen Seiten bewusst ist, funktioniert es oft besser. Ich lasse mich in Krisenzeiten gern von amerikanischen Autorinnen wie beispielsweise www.kellycorrigan.com inspirieren – nicht in erster Linie aus ihren Büchern, sondern über ihren Lebensstil. Unfassbar, was Corrigan neben dem Bücherschreiben und Muttersein noch alles auf die Beine stellt: Gesprächsrunden moderieren, Nonprofits gründen, Podcasts, Reden schreiben etc. Und in ihren Büchern verwandelt sie Krisenerfahrungen in persönliche Triumphe. Sehr amerikanisch !

In unserem Fall war das 2020 so: Hätte es den Lockdown nicht gegeben, weiß ich nicht ob mein Buch fertig geworden wäre. Erwerbsarbeit fiel für beide aus und die Care Arbeit hing zu 100% bei ihm, damit ich schreiben konnte. Ich musste lernen, das Schreiben als Job zu sehen, sonst kommt man nicht dazu. 
Es empfiehlt sich, konkret auszuhandeln, wie Du trotz allem gut zu Schreibzeit kommst. Katharina Hagenas Text in der Anthologie beschreibt übrigens sehr schön und plastisch, wie ihr Mann mit den Kindern in den Urlaub fährt, damit sie freie Zeit zum schreiben hat – und als sie bei der Rückkehr noch nicht fertig ist, nimmt er am nächsten Tag die Kinder und fährt gleich noch mal los. Ich selbst verbringe die heiße Arbeitsphase meiner Bücher (=reine Schreibzeit) grundsätzlich woanders als in der Familie. Am liebsten miete ich mich irgendwo in der Uckermark ein, idealerweise im Februar, wenn kaum jemand hinfährt und man leicht eine Unterkunft findet.

Das Schriftstellertum ist sehr männerfixiert. Eine Bekannte sagte zu mir, dass sie in ihrem Literaturwissenschaftsstudium nicht nur fast ausschließlich Männer gelesen hat, sondern auch felsenfest davon überzeugt war, dass Schreiben nur mit Zigarette und Rotwein funktioniert. In einem Gespräch sagte sie zu mir, wenn sie an ein literarisches Werk denkt, denkt sie sofort an den Mann, der es erschaffen hat. Nur durch ihre eigene Recherchearbeit in den letzten Jahren konnte sie das Bild in ihrem Kopf bekämpfen. Inwiefern helfen uns da Buchhandlungen wie She Said Books in Berlin? Oder ist das einer Bubble vorbehalten, die sowieso auf eine ausgewogene Leseliste achtet?
Siehe oben: Dass die Werke von Frauen viel weniger sichtbar und weniger Teil des öffentlichen Diskurses sind, liegt an der strukturellen Benachteiligung über viele Jahrhunderte hinweg. Ich persönlich finde spezielle Schutzräume für Bücher von Frauen zwar sympathisch, aber der Sache nicht dienlich:

Wenn wir uns nicht in den Mainstream und, wie Du sagst, außerhalb der Bubble einmischen, verfestigen wir uns selbst in der Rolle der Minderheit. 

Ilka Piepgras

Familienalltag mit (sehr) großen Kindern

Wie sieht dein Alltag aus?
Mein alltäglicher Alltag gestaltet sich fließend, je nach Anforderungen und was gerade anliegt. Normalerweise stehe ich um sieben auf, räume ein bisschen im Haushalt rum und/oder gehe mit dem Hund raus. Ab halb neun/neun sitze ich am Schreibtisch (entweder in der Redaktion oder zuhause). Unterbrochen durch Essenszeiten, Kochen für die Kinder etc. geht das bis fünf oder sechs Uhr. Dann mache ich oft Sport (Pilates, Yoga, Joggen, Radfahren) und schalte dadurch um in den Familienmodus. Später spiele ich mit meinen Kindern Schach oder schaue mit ihnen Serien, wir gehen zusammen mit dem Hund raus oder ich helfe ihnen bei irgendwelchen Schulthemen.
Der nicht-alltägliche Alltag besteht aus Recherchereisen oder konzentrierter Schreibzeit. Da gelten ein bisschen andere Regeln, weil ich für die Familie unerreichbar bin. Als die Kinder klein waren, musste ich mir die Abwesenheit mit viel Vorausplanung und Orga erkaufen. Heute läuft es von selbst.

Ab wann sind die Kinder nicht mehr klein?
Schwierige Frage! Am Anfang ist es ja vor allen Dingen so eine physische Anstrengung und man muss wirklich jede Minute covern, weil immer jemand beim Kind sein muss. Später ist das nicht mehr so, aber es wird anders anstrengender, weil du sie gedanklich begleiten musst. Die Schule kommt dazu und du musst wirklich mit ihnen lernen. Es kommen anstrengende Diskussionen mit Teenagern. Es kommt dieses Gegenhalten, Gegenhalten, Gegenhalten. Das finde ich fast noch anstrengender als die Babyzeit die sich ganz gut organisieren lässt und in der man die Betreuung delegieren kann. Die Diskussionen später kann man nicht delegieren. Da geht es auch um eine geistige Weiterentwicklung und genau diese zerebrale Auseinandersetzung zieht auch noch mal richtig Energie. Mit 12 Jahren ungefähr ziehen sie sich mehr zurück und beginnen wirklich ihren eigenen Kram zu machen. Das ist aber auch genau die Zeit, wo man genau hingucken muss, wie entwickeln sie sich, wo muss ich gegensteuern. Themen wie elektronische Medien sind da glaub ich Reizthemen in allen Familien. Hässliche Auseinandersetzungen, jahrelang. Ich glaube tatsächlich, dass es nie wirklich aufhört. Auch nicht die Sorgen. Meine sind jetzt 18 und ich habe das Gefühl jetzt, mit 56 Jahren, kommt noch mal was ganz Neues. Um Deine Frage zu beantworten: Spätestens wenn sie ausziehen!

Wie sieht euer Alltag als Großstadtfamilie aus? 
Als die Kinder kleiner waren, habe ich sie wahnsinnig viel mit dem Auto rumkutschiert. Das hat meinen Arbeitsalltag sehr zerrissen und die produktive Arbeitszeit empfindlich eingeschränkt. 

Was macht dein Kerl/Mann/Partner?
Er ist ebenfalls Journalist. 

Hast du Tipps für andere oder werdende Eltern?
Ganz wichtig (und immer wieder schwer, obwohl es so einfach klingt): Prioritäten setzen! Wichtiges zuerst erledigen. Vieles, was nicht so wichtig ist und deshalb liegen bleibt, erledigt sich dann interessanterweise oft von selbst. 
Bewusst abgrenzen gegen all die Impulse, die etwa über Social Media über uns hereinbrechen – all die Buchtipps, Filmempfehlungen, Lippenstiftfarben, Erziehungsratschläge und neuen Songs öfter mal ignorieren und stattdessen lieber ein einziges Buch WIRKLICH mal zu Ende lesen.

Die große Herausforderung unserer Zeit liegt in der Zerstreuung auf allen Ebenen. 

Und: Es muss nicht alles gleichzeitig geschehen – also kleine Kinder großziehen UND Bestseller schreiben. Große Kinder behutsam in ihrer Entwicklung begleiten UND so wohnen wie es in Architectural Digest aussieht. Alles hat seine Zeit. Ich spüre mit 56 eine ungeheure Kraft und Energie – und fühle mich jünger als etwa im Alter von Mitte/Ende vierzig. Da geht noch was. Rückblickend wünschte ich, ich hätte die Zeit mit den Kindern kompromissloser genossen und mich weniger unter Druck gesetzt (Hier nachzulesen.)
Und schließlich: Fordert Hilfe ein, macht euch bemerkbar und auch unbeliebt, seid unbequem. Anders kommt ihr – zumal als Angestellte – nur schwer weiter. Ich beobachte an meinen jüngeren Kolleginnen, dass sie sich viel offensiver einbringen und mehr einfordern als meine Generation. Das ist gut!

Danke, Ilka!

Mehr zum Buch erfahrt ihr auch in diesem kurzen ARTE Beitrag.

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