Hauptstadtmutti

Zwischen Bauern und Berlin: Mahlzeiten

Die Autorin spricht in dieser Kolumne nicht von Überforderung, sondern von Genervtheit, bevor hier wieder die ersten rumnörgeln ‚Das bisschen Haushalt.‘

Vor ein paar Jahren hab ich mir vorgenommen, kein Geschenkpapier mehr zu kaufen. Und Leute, ich war Geschenkpapiersüchtige vom schlimmsten Kaliber. Habe immer noch Geschenkpapier vorrätig obwohl seitdem nichts mehr neu gekauft. Genauso geht es mir mit Notizblöcken, Notizheften, Wochenplänen, schicken To-Do-Listen. Süchtiger Süchtling! Ich darf nichts Neues mehr kaufen, hab ich gesagt, bis die alle mal weg sind. Die Küchenpsychologie muss da nicht lang überlegen, man kauft sich Ordnung. Ich kaufe mir die Absicht, alles unter Kontrolle zu haben. Nicht beim Geschenkpapier, das finde ich einfach nur schön, aber es ist wirklich wahnsinnig unsinniger Müll. 

Ein son Buch ist son schickes Wochenplaner, To-Do-Liste, Einkaufsliste und Essensplanübersicht in einem. Mit fetter Ringspirale. Es steht zwischen den Kochbüchern, falls ich mal an einem Montagmorgen aufstehe und mir denke, boah, und jetzt Essensplan schreiben. Wäre niemals auf die Idee gekommen, bis halt Corona passierte. Von jetzt auf gleich hatte der Mann sehr wenig zu tun, und ich sehr viel. Zu dem Zeitpunkt hatten wir ein großes Baby und ein großes Vorschulkind im Haus. Zwei Selbstständige in einer Bubble von Freizeit und kreativem Arbeiten ohne Homeschooling oder Homeoffice. Ja, ein Privileg. Anstrengend, klar, trotzdem.

Von 50/50 zu 50er Jahre

Unser 50/50 Modell verwandelte sich ruckartig in einen umgedrehten 50er Jahre Lebensentwurf, in dem einer alles machte, und die andere nur arbeitete. Es war die logische Konsequenz und es funktionierte in jedem Bereich reibungslos. Ich akzeptierte, dass andere Menschen Wäsche anders aufhängen, auch wenn ich nach wie vor davon überzeugt bin, dass ein Paar Wäscheklammern die gleiche Farbe wie das aufgehängte T-Shirt haben sollte, aber gut, dann leben wir halt in Anarchie. 

Der eine machte absolut alles? Nun, nicht ganz. Der Bereich in dem es nicht klappte: Mahlzeiten. Ich wollte erst Essen hinschreiben, aber ich meine nicht das Essen, ich meine Mahlzeiten. Ich meine das Denken und das Herstellen von warmen Mahlzeiten, Snacks, Aufläufen und Sonntagskuchen. Zu Beginn der Pandemie war Fütterung nicht umsonst  das absolute Thema in meiner Clique. Ich bringe das Wort zurück, weil ich Bubble nicht mehr hören kann. Und höre dann immer Clique von Jay Z. Seit 2013 ohne Bindestrich, bitte. Zeichen setzen. Oder weglassen. 

Was gibt es heute zu essen?

Zurück zum Essen. Ich erhielt Nachrichten von Freundinnen, die mich verzweifelt anschrieben: ‚Sag mir was du heute kochst. Egal was, ich koche es nach. Ich habe keinen Nerv mehr, mir auszudenken, was es heute geben könnte.‘ Im Normalfall hätte ich gesagt, bestell was ey, aber wisst ihr noch? Eine Zeitlang hatte alles, ALLES dicht! Ich scrollte Food Accounts rauf und runter und begann Sachen zu speichern. Vorher Memes und Beyoncé Videos, jetzt dann halt wie viele Gerichte man mit 2kg Pellkartoffeln hinkriegt. (Viele.)

Wir alle hatten einen Breaking Point. Denn urplötzlich waren wir von aufwachen bis einschlafen dafür zuständig im gefühlt 90 Minuten Takt eine Mahlzeit herzustellen. Klar, das begann lockerflockig mit Äpfeln und Brezeln, und schönen Suppen, und wurde richtig schnell zu Tiefkühl-Cordon Bleus und Waffeln mit Puderzucker. Sie wurden nicht satt. Sie hatten immer Hunger. Sie wollten immer essen. Nicht nur die Kinder. Auch die Großen. Mein Breaking Point war irgendein Resteessen, als jedes Familienmitglied eine andere Essenskonstellation auf dem Teller hatte und der Mann mich fragte, warum denn jetzt das große Kind eine Bratwurst von gestern gekriegt hat, und er nicht. Leckt mich doch alle am Arsch habe ich gesagt und bin aufgestanden. Das war nach drei Wochen Dauerkochen. Ich hatte die Schnauze voll.

Ich übergab den Kochlöffel und sagte so. Ich spiele jetzt mit den Kindern wie ein 1950er Vati und du kochst in der Zeit wie die Mutti. Nicht, dass das hier irgendjemand falsch versteht, und nicht, dass ich mich rechtfertigen müsste. Aber essen koche am liebsten ich. Erstens: weil ich schneller bin. Zweitens: weil ich Reste verwerte. Weil ich mit einem Scan sehe, welche Saure Sahne verarbeitet werden muss, und dass die Pilze gegessen werden müssen. 

Essen planen, einkaufen, zubereiten und kochen ist Mental Load

Genau das habt ihr mir geantwortet in unseren Instagram Stories. Ihr wollt spontan und flexibel entscheiden können, was es zu essen gibt. Irgendwann machte ich mich mal über Smart Kühlschränke lustig. Das hatte einen guten Grund, da ich weiß was ein echter Smart Fridge leisten müsste, und eine billig Kamera mit Wlan Funktion einzubauen ist es nicht. Männererfindung nannte ich es. Frauen würden zu jedem Zeitpunkt wissen, was im Kühlschrank ist. ‚Beweis es‘ sagte der Mann und stand auf. Ich wusste nicht nur was im Kühlschrank war, ich wusste auch wo es stand. ‚Das ist nicht normal‘ sagte er dann. 

Wahrscheinlich nicht, bzw. was heißt normal, aber was es vor allen Dingen ist: Mental Load. Der Platz in meinem Gehirn, in dem drin ist, was im Kühlschrank drin ist, da sollte drin sein, was in einem Long Island drin sein sollte. Ich weiß nur: Keine Cola. Ich kann fühlen, dass die Kinder gleich hungrig sein werden, bevor sie es selbst wissen. Denn wenn sie langsam hungrig werden, werden sie unerträglich. Takes one to know one, also, same same, will ich damit sagen. Essen kochen nervt, wenn beide viele arbeiten. Deshalb bin ich ein großer Fan vom deutschen Abendbrot. Herrlich. Schnittchen sind beste. Paar gekochte Eier, Spiegeleier oder Obazda und frisches Brot. Mega. Alle kriegen was jeder will und gut ist. Aber Mittagessen? Wir können ja nicht jeden Tag Raclette machen. 

Ich hatte also die gesunde Phase und die TK Phase durchstanden und ging über zur allgemein beliebten ich hab keinen Bock mehr Phase. Der Mann und ich diskutierten aus, wie wir das am besten lösen könnten. Sein Vorschlag war der beste: Ein Essensplan. Mein Albtraum. Doch da wir eh schon ganz brav nur einmal die Woche einkauften, würde ein zur Einkaufsliste konformer Essensplan Sinn machen. Ich kann ja mit vielem Spießigen umgehen und es zelebrieren, aber ein wöchentlicher Essensplan? 

Der Mann war klug. Er gab zu, sich nicht merken zu können, wann was verarbeitet werden müsste im Kühlschrank und dass ihn das Kochen stressen würde, gerade mit zwei Kindern. Also fing er an, vorzukochen und zu planen. Wie banal eigentlich, aber sich keine Gedanken mehr ums Essen machen zu müssen, reinigte mein blockiertes Autorinnengehirn. Nicht eine Sekunde hatte er das Gefühl, versagt zu haben, als Ernährer (haha). Es gab für ihn ein Problem, und das erforderte eine Lösung. Diese Lösung war, dass wir miteinander redeten und dass er einfach mal mind. 5 Tage vorausplante. 

Ist ein Wochen-Essensplan die Lösung?

Den Wochenplan habe ich schon vor Jahren eingeführt. Ein paar Monate lang noch als DIN A4 Zettel am Kühlschrank, doch der sah irgendwann aus wie Rorschach Test. Ein Whiteboard musste her. Eins, wo man wegwischen konnte, was ausfiel. Doch das Essen durchzuplanen, wie den Rest unseres Lebens erschien mir extrem. Essen ist doch Liebe, Sinnlichkeit, Nährstoffe für unsere Körper! Mens sana in corpore sano! ARGH WHATEVER. Es ist vor allen Dingen eins: für viele Familien das einzige Ma(h)l, bei dem man zusammen ist. Es könnte also auch einfach mal schmecken, schnell gehen, unkompliziert sein. Letztes Mal ging es um das Fernsehen. Da erwähnte ich die TK-Kost schon am Rande. Doch auch jetzt ist es wieder ein ähnlicher Fall: In Ruhe einkaufen, Bio, vollwertig, nachhaltig und plastikfrei, das dann in Ruhe zubereiten, garen, so dass keine Nährstoffe verloren gehen, ist hart privilegiert. Es ist Borderline Bonze. Denn in Ruhe zu kochen, jeden Tag, mehrfach, bedeutet auch: man hat die Energie, frisch und gut zu kochen. 

Der Sinn von Essensplänen war ja auch mal tatsächlich das Sparen, Rationieren, und mit Bedacht einzukaufen. Während des Lockdowns haben unsere Kinder vor allen Dingen gelernt: Dinge dürfen auch mal leer werden. Wir werden wieder einkaufen, und dann wird wieder was da sein. Meine Oma hat immer gesagt: Der Supermarkt hat morgen auch wieder auf. Und am Ende hilft es ja alles nichts. Menschen essen und Menschen haben Hunger. Dann müssen Menschen halt auch kochen. Oder Essen bestellen. Wäre halt cool, wenn Menschen, die zusammenleben, sich das aufteilen. Denn gefühlt zehnmal am Tag Mahlzeiten zubereiten nervt irgendwann.

Ich habe das große Kind übrigens zu Beginn des Lockdowns gefragt, was es dann am meisten am Kindergarten vermisse und die Antwort war ‚Nachtisch‘.

Foto: Kai Senf

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