Hauptstadtmutti

Der leere Kinderwagen // Ein Märchen

Es war einmal eine junge berufstätige Mutter, die lebte in der großen Stadt zwischen all den hoffnungslosen Fuckbois, den anderen Müttern und Vätern und all den fremdbetreuten Kindern, die „später bestimmt einmal psychologische Schäden davontragen werden, weil sie schon mit einem Jahr in der Kita waren“. Sie lebte dort auch irgendwie so ganz ok und vielleicht oberflächlich gesehen auch glücklich, war nicht geschieden und versuchte, einen Vollzeitjob und ihr Goldkind unter einen Hut zu bekommen.

Es begab sich aber zu einer Zeit, als dass das Goldkind sich dem dritten Lebensjahr näherte und nicht mehr bei der Tagesmutter sein konnte und zu einem echten Kindergarten wechseln musste. Dieser Lebenseinschnitt betrübte die junge Mutter, denn die Tagesmutter befand sich nur drei Gehminuten von ihrem bescheidenen Zuhause entfernt und besaß einen Abstellraum für alle Kinderwagen der dort betreuten Kinder.

Der neue Kindergarten war nun aber mehrere Meilen entfernt und hatte keinen Platz für keinen einzigen Kinderwagen. Dies sollte sich schon bald als echte Herausforderung für die junge Mutter und den jungen Vater herausstellen. In den warmen Sommermonaten schwangen sich die jungen Eltern leichten Herzens auf ihre Drahtesel, doch schon bald begann die dunkle und stürmische Herbsteszeit. Regen und Gewitter erschwerten die Fahrradfahrt, sodass sie mitunter auf den Bus zurückgreifen mussten.

Kaum war das Goldkind glücklich bei seinen geselligen Kumpanen abgegeben worden, fröhlich jauchzend, dass es nun wieder mit der verwunschenen Eisenbahn spielen konnte, musste die Mutter erneut in den Bus einsteigen, doch dieses Mal, oh Schreck, mit einem leeren Kinderwagen!

Sie stand an der Bushaltestelle als es hinter ihr langsam begann zu kichern und zu husten, gleichzeitig. Ein Mann trat näher und flüsterte in einem übertrieben unwitzigen Ton: ‚Holde Maid, in Ihrem Kinderwagen fehlt das Kind!’ Alsbald donnerte sein Gelächter über die gesamte Bushaltestelle. Die junge Mutter runzelte die Stirn und versuchte den Mann zu ignorieren.

Sie verbrachte viel Zeit in ihrem Leben damit, fremde Männer zu ignorieren.

Sie wollte in den Bus einsteigen. Doch, oh Schreck, es standen schon drei Kinderwagen darinnen und in allen lag ein frisches, nicht fremdbetreutes Kind! Die Mutter blickte schuldbewusst auf ihren Kinderwagen. Hatte sie das Recht, mit einem leeren Kinderwagen öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen? Die junge Mutter seufzte doch es erklang eine Stimme der Hoffnung in ihrem Kopf: ‚Du hast doch den übertrieben teuren Designer Buggy! Mit einem Klick ist der so groß wie eine Aktentasche!’ Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und klickte den Kinderwagen auf klein und setzte sich, um sogleich arbeitsrelevante Emails im Bus zu lesen, damit sie wenigstens das schon erledigt hatte während sie wie immer nicht ganz pünktlich im Büro erscheinen wird.

Kaum stieg die junge Mutter aus dem Bus, hatte sie auch schon den leeren Kinderwagen aufgebaut und wollte von dannen ziehen. Obacht! Erneut trat ein Mann auf sie zu und lachte ihr ins Gesicht: ‚Sie haben das Kind zum Kinderwagen vergessen!’ Die junge Mutter verspürte sogleich einen gewissen Brechreiz und floh.

Aus Gassen, an Straßenecken, an jeder Ampel traten Männer auf sie zu und erinnerten sie daran, dass sie einen leeren Kinderwagen vor sich herschob. Sie beschloss, den jungen Vater anzurufen und jammerte verzweifelt: ‚Unser Kinderwagen! Er ist verwunschen! Ich werden von fremden Männern belästigt, die mir mitteilen, dass mein Kinderwagen leer ist, aber ich weiß doch, dass er leer ist! Was kann ich nur tun?’ Der junge Vater seufzte. Er wusste, dass dieser Tag kommen würde. ‚Meine Liebe, ich wusste dass dieser Tag kommen würde.’

(Männer sagen gerne genau das gleiche noch einmal. Es ist die Steigerung von Mansplaining, nennt sich: Hepeating.)

Der junge Vater erklärt den Fluch

‚Es ist ein alter Fluch, der auf allen Männern liegt. Es ist ein Zwang, immer irgendetwas sagen zu müssen, dämliche Witze zu reißen und einfach nicht die Fresse zu halten. Der Fluch zwingt uns, zu denken, dass unsere Meinung zählt, auch wenn niemand danach gefragt hat! Wir glauben, dass Frauen ohne uns nicht wissen würden, dass sie einen Rock tragen oder große Brüste haben. Wir müssen es ihnen mitteilen, der Fluch zwingt uns.’

Wie kann man den Fluch brechen? Wie konntest du den Fluch brechen?

‚Der Fluch wird geschwächt, wenn man zum ersten Mal Vater wird, weil es zum ersten Mal einen anderen Menschen gibt, der tatsächlich mehr Aufmerksamkeit bekommt, als man selbst. Aber das hält nicht lange an. Es gibt nur einen Weg, den Fluch zu brechen.’

Sag es mir, wie, ich halte das nicht mehr aus! Sie kichern auf eine debile Art und Weise, die mir Angst macht!

‚Du musst den Kindergarten wechseln und einen finden, bei dem man den Kinderwagen abstellen kann.’

Du hast wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank, du weißt genau wie ich, wie schwer es war, überhaupt einen Platz zu finden. SAG MIR WIE ICH DEN FLUCH BRECHEN KANN, SIE HABEN MICH UMZINGELT, ÜBERALL SIND MÄNNER DIE MIR SAGEN, DASS SICH IN MEINEM LEEREN KINDERWAGEN KEIN KIND BEFINDET! Jetzt fragen sie wo das Kind ist! Sie wollen wissen ob ich weiß wo mein Kind ist!

‚Hör mir gut zu. Geh in unsere gemeinsame Spotify Liste ’90s 4eva‘ und mach Lied Nummer 17 an. Nach dem ersten Refrain gehe sofort zu Lied Nummer 12 und ende mit Lied Nummer 1.’

Nein nicht Nummer 17! Dann hab ich den ganzen Tag wieder den gleichen dummen Ohrwurm und kann mich nicht konzentrieren!

‚Es geht nicht anders. Tu es. Sie werden es hören und sofort reagieren.’

Die junge Mutter wusste nicht was geschehen würde, aber sie drückte auf Wiedergabe. Die Männer starrten sie an.

Yo, I’ll tell you what I want

What I really, really want

So tell me what you want

What you really, really want

 Die Männer begannen sich zu bewegen, erst langsam, dann immer kontrollierter. Die junger Mutter konnte ihren Augen nicht glauben. Doch dann: Sie sangen mit!

Sie kannten jedes Wort zu Wannabe!

Schnell drückte sie auf Lied Nummer 12. Die Männer standen alle still. Wie mit einer einzigen Stimme schrien sie über die Kreuzung:

Shut up

Just shut up

Shut up

Shut it up, just shut up

Shut up

Just shut up

Shut up

Shut it up, just shut up

Die Männer sangen in absoluter Harmonie den nervtötenden Refrain zu ‚Shut Up’ von den Black Eyed Peas. Lied Nummer 1. Jetzt. Während das Lied begann zu spielen, begannen alle Männer langsam aber sicher auf die Knie zu gehen. Tränen liefen ihre Wangen hinunter. Sie schienen befreit. Die junge Mutter wusste nicht, was passieren würde, wenn der Refrain beginnen würde, doch sie hatte keine Zeit mehr, nachzudenken, denn Gwen Stefani war schneller:

Don’t speak

I know just what you’re saying

So please stop explaining

Don’t tell me ‚cause it hurts

Nach dem letzten Klang des Liedes erhoben sich die Männer, als wäre nichts gewesen und sagten gleichzeitig „Entschuldigung, war blöd, wir hätten dich auch einfach in Ruhe lassen können.“

Die junge Frau hatte den Fluch des leeren Kinderwagens gebrochen. Nie wieder würde ihr ein Mann erklären, dass in ihrem leeren Kinderwagen das Kind fehlt.

An diesem Tag ging die junge Mutter um 17 Uhr aus dem Büro, ohne zu erklären, warum sie so früh ging. Sie ging einfach. Der junge Vater hatte auf dem Weg zur Kita den leeren Kinderwagen abgeholt. Die junge Mutter setzte sich in ein Sushi Restaurant und bestellte die Platte für 2 und ein großes Weizen. Nach dem ersten Schluck rief die junge Mutter ihre Freundin an und sagte ihr, dass sie mal wieder auf eine 90er Party gehen sollten. Und sie tanzte durch die Nacht und wanted ihr Leben nur noch that way.

(Falls irgendjemand einen direkten Kontakt zu Nick Carter hat. Ich liebe dich immer noch Nick. BSB 4eva und 90s auch.)

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