Vor fast drei Jahren habe ich zum ersten Mal meine „Ey meine Freundin letztens so“ Kolumne veröffentlicht. In diesen Kolumnen erzählten Frauen mir ihre Geheimnisse. Manchmal, als sie betrunken waren, aber genauso oft als sie neben mir auf dem Spielplatz standen und mich nicht kannten. Es waren Mütter, die ich seit dem Tag kannte, an dem ich selbst Mutter wurde. Es waren Mütter von Kindern, die mein Kind gebissen haben und von denen ich nicht einmal den Vornamen kannte.
Ich liebe es, Kolumnen zu schreiben. Überspitzt, sarkastisch, und dramatisch, ja, doch, so schreibe ich. So rede ich auch gerne mal! Und doch, diese erste Kolumne war etwas so Besonderes, weil die Geschichte dazu damals von einer meiner liebsten Freundinnen kam. Inzwischen ist Daya vor allen Dingen als @muttimachmal auf Instagram bekannt geworden und Menschen lieben sie dafür, dass sie so ehrlich ist. Sie macht sich angreifbar durch ihre Offenheit und sie hat schon so manche Diskussion losgetreten. Ich kenne sie seit über zehn Jahren und nichts daran überrascht mich, die ist wirklich so, glaubt mir. Die G’schichten, die ich euch erzählen könnt, mei!
Ich habe Daya gefragt, was sie empfindet, wenn sie die Kolumne heute liest und das hat sie geantwortet:
Jetzt sitz ich hier und stille mein zwei Wochen altes Baby und hab den Text gerade zum ersten Mal seit der Veröffentlichung damals gelesen und ich kann das noch so gut nachvollziehen, wie das war und hab direkt wieder einen Kloß im Hals. Das war so ein Schlag in die Fresse und dann noch von einer anderen Frau, was ich eigentlich noch viel schlimmer find, da wir doch einfach alle im selben Boot sitzen. Wir wissen doch alle, wie schwierig das ist, und wie herausfordernd das ist! Und warum sorgen wir dafür, dass das Boot der anderen auch noch kentert, anstatt ihr einen Rettungsring zuzuwerfen? Das werd ich einfach nie verstehen.
Mein Mann sagt immer, es gibt zwei Dinge, die man nicht zurücknehmen kann: eine abgeschossene Kugel und das gesprochene Wort. Das merk ich immer noch, dass mich das aufwühlt, wenn ich des les. Es regt mich aber nicht auf, weil ich da persönlich gekränkt worden bin, sondern weil ich jetzt nach drei Jahren Mutterschaft mich frag, was wir tun können, damit sich das verändert. Dass Frauen in sich selbst, in ihre Fähigkeiten und in ihre Entscheidungen vertrauen können – egal in welchem Bereich. Aber auch, dass sie es anderen Frauen zugestehen.
Was braucht es, damit wir einfach dieses Selbstwertgefühl aufbauen können? Das ist das, was mich am meisten aufwühlt, nach all der Zeit, und weil sich das in den letzten drei Jahren immer wieder gezeigt hat, dass es das Thema ist unter uns.
Ich hab da auch selber noch keine gute Lösung gefunden außer das zu machen, was ich mir wünsche, nämlich offen auf andere zuzugehen, sie anzulächeln, wenn sie einen scheiß Tag haben, und ich sehe, wenn jemand einen scheiß Tag hat, und ihr die Hand zu reichen, in der Hoffnung, dass sie merkt, wie geil das war, und dass sie es das nächste Mal bei irgendwem anders, genauso macht.
*Dieser Text wurde aus dem Oberpfälzer Bayerisch ins Hochdeutsch übersetzt.
Und jetzt viel Spaß mit Dayas Geschichte und meinem wirren Erzählstil von vor drei Jahren!
Freundinnen und fremde Frauen kotzen sich gerne bei mir aus, und ich glaube sie tun das, weil sie wissen, wie ich reagieren werde. Sie wissen, wie ich zu Mutterschaft, Elternschaft und Gleichberechtigung stehe. Sie wissen, dass ich selten etwas verurteile, es sei denn es verletzt andere. Ich habe noch nie einen Satz mit ‚Jeder kann ja machen, was er will, aber…’ begonnen. Glaub ich. Keine Ahnung. Vielleicht habe ich das.
Ich finde wirklich, dass jeder und jede machen kann was sie oder er will. Ich will nur, dass wir uns alle darüber im Klaren sind warum die Strukturen so sind, wie sie sind. Bleiben Frauen drei Jahre zu Hause, weil sie das wollen, oder glauben sie, es ist das beste für das Kind, oder lohnt es sich finanziell irgendwie nicht, und ach, eigentlich passt es ja so wie es ist? Ich möchte, dass wir ehrlich darüber reden, warum so unfassbar viele Mütter in Teilzeit arbeiten gehen. Oder dass wir uns fragen, wieso wir alle glauben, dass Menschen (Mütter und Väter) nur dann ‚Karriere‘ machen können, wenn sie von morgens bis abends in einem Büro hocken. Ich möchte, dass wir darüber reden, warum ich immer die Weißweinschorle und mein Mann das Bier serviert bekommt, vom gleichen Kellner, der unsere Bestellung entgegen genommen hat. Jedes Mal. Weil sogar Alkohol gegendert ist und ich nicht in Ruhe ein fucking Bier trinken kann, ohne dass ich ‚cool‘ oder ‚anders‘ bin. Gerstensaft, einfach nur Gerstensaft!
Heul doch! Nee wirklich, heulen hilft
Dieses Jahr wurden in meinem Freundeskreis richtig viele Kinder geboren. Und richtig viele Mütter hatten Stillprobleme. Passiert. Und mit Stillproblemen rede ich nicht von Unannehmlichkeiten sondern von Schläuchen in der Brust, Operationen und Babys, die nicht zunehmen. Ich reden von Freundinnen, die weinend ans Telefon gehen und nicht mehr weiter wissen, aber trotzdem weiterstillen.
(Man kann das Stillen übrigens auch lassen, wenn man einfach keinen Bock hat. Ist wirklich so.)
Und ich sage ihnen, dass es ok ist, wenn sie aufhören wollen. Sie müssen nicht stillen. Niemand muss stillen. Und dann sagen sie wirklich, dass das noch niemand gesagt hat zu ihnen. Dass sie sowas noch nicht gehört haben. Einfach so: Du musst gar nicht stillen. Es geht nicht darum, dass ich hier die coolste Socke vom Block bin, und voll locker flockig meinen Freundinnen die besten Ratschläge ever gebe. Mein Gott, ich bin doch hier nicht die zentrale glückliche Mutter Beauftragte?! Es muss doch im Leben einer jungen Mutter mehr Leute geben, die ihnen sagen, dass sie Sachen machen können, die sie glücklich machen? Nicht wirklich. Es gibt ganz andere.
Ich erzähle auch einfach gern Geschichten. Neudeutsch: Storytelling.
Meine Freundin ging ins Fitnessstudio. Mit ihrem Baby. Das Fitnessstudio hat eine Kinderbetreuung. Die Kinderbetreuung grenzt an den Cardio Bereich und hat eine Glaswand. Meine Freundin wollte mal wieder laufen. Das kann sie nicht mit dem Baby, weil, you know, never shake a baby, und so. Meine Freundin liebt es zu laufen. Sie definiert sich über den Sport, der Sport macht sie glücklich. Sie ist ein wunderschöner, sportlicher Mensch, der auch mal zu viel hat. Der auch mal dunkle Gedanken hat. Viele Frauen haben das. Kurz nach der Geburt. Sport hilft.
Meine Freundin möchte also das schlafende Baby abgeben. Eine andere Mutter mit Kleinkind gesellt sich dazu, fragt nach dem Alter des Babys und sagt, dass meine Freundin selbstsüchtig ist.
Ins Gesicht. Sie sagt meiner Freundin einfach so, ohne dass sie irgendjemand danach gefragt hat, dass meine Freundin selbstsüchtig wäre.
Sie sagt ihr das ins Gesicht und vor der Fitnessstudioangestellten. Die andere Mutter, die also ihr Kleinkind abgeben möchte, sagt meiner Freundin, dass das Baby nichts dafür kann, dass meine Freundin zu viel an sich denkt. Sie ist jetzt nicht mehr alleine auf der Welt, da ist noch jemand anderes. Meine Freundin ist unverantwortlich.
Meine. Freundin. hätte. kein. Kind. kriegen. sollen.
Das sagt sie meiner Freundin, die Jahre auf dieses Kind gewartet hat. Die Hormone gespritzt bekommen hat. Die sich nichts sehnlicher als dieses Kind gewünscht hat. Oh, es hat mir das Herz rausgerissen als ich die Sprachnachricht gehört habe. Oh was hätte ich der Alten alles antun wollen, wäre ich dabei gewesen.
Ich hätte der Alten eine geknallt
Es ist scheißegal wie alt das Baby war. Absolut scheißegal. Meine Freundin hat sich eiskalt für die Hinweise bedankt, ist aufs Laufband und dann nach Hause, um den Rest des Tages zu heulen. Tagelang hat sie geweint. Und ich mit ihr. Ich hab die Geschichte allen erzählt. Meinem Mann, meinem Vater, dem Schaffner im Zug. Die Männer waren fassungslos. Weil sie das nicht kennen. Jedenfalls waren sich die Männer, denen ich die Geschichte erzählt habe, einig, dass man die Alte hätte rausschmeißen sollen.
Wenn mein Mann bescheuerte und lebensgefährliche Sachen mit unserem Kind macht, kommen manchmal Väter auf ihn zu, und fragen, ob sie ein Foto für ihn machen sollen. True Story.
Entschuldigung, aber ich geh doch auch nicht im Supermarkt auf jemanden zu, der Bacardi und Apfelsaft kauft, und erkläre ihm, dass er ein widerlicher Sack ist und dass die Menschheit wegen Entscheidungen wie diesen zugrunde gehen wird?
Jedenfalls wusste meine Freundin, warum sie mir so eine Geschichte erzählt. Sie wusste, dass ich sie allen erzählen werde. Und sie wusste, dass ich sie irgendwann aufschreiben werde, damit sie auch andere Menschen erreicht. Freut euch Leute, ich packe sie jetzt alle aus. All die Geschichten.
Es ist ein kleines Ereignis im Leben einer jungen Mutter, aber sie wird diesen Moment nicht vergessen, und ich auch nicht. Die Worte der urteilenden Mutter, die nicht weiß, was die andere durchmacht. Die es auch einfach nichts angeht, wie alt ein Baby ist, dass im Fitnessstudio für 45 Minuten abgegeben wird. Während es schläft.
Wir diskutieren viel über Geburtstrauma und emotionale Gewalt, aber selten realisieren wir, was wir uns gegenseitig antun. Es gibt viele Texte da draußen, wunderschöne, ermutigende Texte, die echte Schwesternschaft und Unterstützung einfordern, aber vielleicht braucht es diesen einen auch noch.
Niemand hat das Recht, jemand anderen dumm von der Seite anzuquatschen und der Person zu erklären, wie sie ihr Leben zu Leben hat. Vielleicht bin ich schon zu lange in Berlin, aber nur weil jemand neben mir auf der Bank am Hermannplatz sein Koks auspackt, ist es doch nicht mein Job, seine persönliche Suchtberaterin zu spielen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen, wenn sie die Meinung von Anderen hören wollen, einfach nach deren Meinung fragen können. Verrückt, ich weiß, aber das funktioniert tatsächlich!
Ich habe noch nie erlebt (weder ich selbst mit meinen Kindern noch befreundete Mütter), dass sich Freunde, fremde Menschen oder entfernte Bekannte auf solch eine negative, anschuldigende Weise eingemischt haben… Ganz im Gegenteil. Vielleicht sind die Frankfurter Frauen einfach mehr solidarisch …
Viele wissen gar nicht, was sie mit ihren Worten anrichten. Drehen sich um und die Situation ist für sie vergessen, aus dem Kopf. Bei einem selbst nagen die Worte noch 5 Jahre später …
Bei mir sagte eine Ärztin auf der Frühchenstation einen Satz, den ich nie vergessen werde. „Eine Frau R. (Mutter eines viel zu früh geborenen Kindes, welche nicht wusste, ob sie ihr Kind auf Grund vieler schlimmer Komplikationen lebend aus dem Krankenhaus bekommen würde) wäre dankbar, neben ihrer Tochter schlafen zu dürfen.
Ich war also undankbar … undankbar für mein Herzstück, um welches ich seit der 13 SSW bangte. Erst Blutungen, ab der 17 SSW der Hinweis, dass sie nicht richtig wächst, ab der 20 SSW, dass sie Mangelversorgt ist und sie zeitiger geholt werden muss. Drei Wochen später hieß es, bereit halten, sofort ins KH, sobald etwas ist. Ab der 26 SSW musste ich ins KH, weil die Ärzte jeden Tag damit rechneten, dass das Kind kommt. Jeden Tag die Angst, jeden Tag der Hinweis, dass die Tochter viel zu klein und viel zu leicht wäre. Immer im Hinterkopf, wird sie überleben? Behinderungen? Schlaganfälle?
Bis zur 30 SSW haben wir es zum Erstaunen der Ärzte gebracht – laut denen war es ein kleines Wunder. Und verdammte Scheiße ja! Sie ist mein kleines Wunder! Mein perfektes, kleines Wunder! Sie wog 990g und war 34cm groß. Und sie ist gesund. In der Zeit wurde ich demütig und bin so unbeschreiblich dankbar.
Und dann kommt so eine sozial inkompetente Tussi und manipulierte mich. 5 Tage nach dem Kaiserschnitt zog ich mit ins Kinderkrankenhaus, dort lag meine Tochter auf der Intensiv. Da ich 300km von der Klinik entfernt wohnte, bekam ich ein kleines Elternzimmer. Das erste Mal nach Wochen etwas Intimsphäre, auch wenn es nur für Minuten war. Toll. Die Zeit war 24h durchstrukturiert. Alle 2h Milch im Extraraum mit zig anderen Frauen abpumpen und aller 2h meine Tochter per Kanüle füttern. Ich war immer bei ihr. Aber ich habe mir erlaubt, eine Mahlzeit der Krankenschwester nachts zu überlassen. Drei Stunden am Stück schlafen. Das gab Kraft. Doch es war mir nicht gegönnt. Hinter meinem Rücken wurde das Zimmer weiter vermietet. Mein Kind wurde auf eine andere Station verlegt, und in „meinem Sinne“ wurde entschieden, dass ich bei ihr (und anderen Kindern) schlafen sollte. In einem Glaskasten, drei Kinder an piependen Monitoren. Ständig schlugen diese Alarm. Aller 2h Füttern, Windeln … ich war durch. Meine Milch blieb aus. Das war alles zu viel. Das Kind im Inkubator, ständig kleine Atemaussetzer, jeden Handgriff absegnen zu lassen, um Erlaubnis fragen zu müssen, wenn man das eigene Kind aus dem Inku oder dann Bett herausnehmen wollte, der Gedanke, der Undankbarkeit – liebe ich sie nicht genug, dass ich eben nicht genießen kann, nachts neben ihr liegen zu dürfen, all das Leid um mich herum, extremer Schlafentzug, Vorwürfe, dass die Milch weniger wird, Kids und Mann weit entfernt. Und dann wagt es diese Frau mir vorzuwerfen, ich wäre undankbar, weil ich mein kleines Zimmer nicht aufgeben wollte. Ja, ich wollte beim Weinen alleine sein … ein paar Minuten Kraft schöpfen um alles ertragen, verarbeiten und funktionieren zu können.
Und ja, Frau R., deren Tochter seit einem halben Jahr auf der Intensiv lag, hätte vielleicht einiges dafür gegeben, neben ihrer Tochter schlafen zu dürfen.
Aber ich bin Frau K. Und ich brauchte die Kraft für meine Tochter.
Eine Schwester holte mich nach 2 Wochen Glaskasten zu sich, vertraute mir an, dass genügend Elternzimmer frei wären und ich von der Ärztin angelogen wurde. Es täte ihr leid und sie schob mir einen Schlüssel für ein neues Zimmer rüber. Ich war ihr so dankbar.
Versteh mich nicht falsch – ich jammer nicht über die Zeit an sich. Ich wußte wofür und das wir das alles schaffen werden. Mir ging es doch mit meinem kleinem Wunder, welches wuchs und gedieh gut. Aber das es Menschen gibt, die einem dermaßen Steine in den Weg legen und einen durch reine Willkür Kraft rauben … es gab mit ihr noch mehr Vorfälle, dass mich sogar andere Ärzte ansprachen, weshalb sie zu mir so komisch wäre. Ich weiß nicht, was oder wen sie in mir sah. Ich weiß nur, dass ich wieder heulen muss, fünf Jahre später.
Danke Frau Dr. Sch. Ich hoffe sehr, wir begegnen uns im Leben nie wieder. Denn ich bin wieder ich und nicht nur eine funktionierendes Ding.
Puh, das war viel, sorry. Aber es musste gerade raus.
Ganz lieben Gruß,
Lea
Hätte ein übermüdeter Mann das Baby angegeben, hätte er noch Mitleid bekommen. Der arme Mann muss sogar sein Kind zum Sport mitnehmen. Das Mütter 24h zuständig sind, sieht keiner. Kann oft nicht mal alleine aufs Klo
❤️
Auch dieser Text wird noch gebraucht. Du hast soooo Recht, man muss sich einfach nicht immer einmischen.
Aber wo ist die Grenze, wenn ich nicht zuständig bin, mir aber trotzdem das Herz wehtut.
Die Sportmama allerdings hätte meine vollste Unterstützung ❤️