Hauptstadtmutti

Khuê Phạm: „Anders zu sein, war nie einfach, aber immer ein Antrieb“

Natürlich wusste ich fast nichts von deutsch-vietnamesischer Geschichte bevor ich ‚Wo auch immer ihr seid‘ von Khuê Phạm las – nähere ich mich gefühlt immer noch erst meiner russlanddeutschen Identität an. Doch das Buch ist nicht nur spannend und absolut lesenswert, es ist zudem wichtig, denn Literatur von Deutschen mit Einwanderungsgeschichte oder eigener Migrationserfahrung und Literatur von Müttern aus Einwandererfamilien gibt es meiner Meinung nach noch nicht genug. Ihr findet Khuê auf Instagram oder über ihre Website. Nun aber zum Interview!

Liebe Khuê, stell dich doch mal bitte vor. 
Ich bin eine Journalistin beim Zeit Magazin und habe gerade meinen ersten Roman geschrieben, was eine lange Reise war. Er heißt ‚Wo auch immer ihr seid‘ und basiert lose auf der Geschichte meiner eigenen Familie. Außerdem bin ich seit anderthalb Jahren Mutter. Mein Sohn kam im Jahr vor dem Buch auf die Welt, das ist auch eine ganz schöne Reise.

Du bist Berlinerin, ne?
Ich bin aufgewachsen in Reinickendorf, meine Eltern wohnen immer noch da. Ich bin ‘82 geboren und habe noch ganz grobe, verschwommene Erinnerungen an Mauerstücke, die wir in den Tagen nach dem Mauerfall eingesammelt haben. Den Mauerfall selbst haben wir aber nur im Fernsehen verfolgt, weil mein Bruder zu dem Zeitpunkt geboren wurde. 

Wenn du das Kindsein mit dem Muttersein in Berlin vergleichst, gibt es da Unterschiede, wie du die Stadt wahrnimmst?
Das Berlin meiner Kindheit war das Berlin der 90er Jahre. Da, wo ich aufgewachsen bin, war es recht spießig. Leute wie wir galten als exotisch. Heute wohne ich in Friedrichshain, und die ganze Stadt ist  so, so, so viel internationaler geworden. Mein Sohn geht hier um die Ecke in eine Kita und dass er aus einer gemischten Familie kommt, ist einfach normal. Es gibt ein deutsch-asiatisches Mädchen in seiner Gruppe, aber ich habe mit der Mutter noch nicht einmal darüber gesprochen. 

Kindheit und Mutterschaft in Berlin

Ich bin zu einer seltsamen Zeit Mutter geworden, kurz vor dem ersten Lockdown, und war dann während der Pandemie in Elternzeit. Die Welt habe ich also so oder so völlig anders wahrgenommen. Mit dem Kind wechselst du in einen anderen Zustand, du bekommst eine neue Identität und einen neuen Blick auf die Welt. Auf die Wege! Welche Kinderwagen schieben die anderen, wo ist der nächste Spielplatz?

Mir fallen immer noch Bagger auf und dann freu ich mich kurz, obwohl mein Kind schon lange aus dem ‚Oh, ein Bagger‘-Alter raus ist. 
Ich suche auch bewusst Orte, die für uns beide cool sind. In Friedrichshain gibt es den ‚Spanischen Spielplatz‘ an der Simplonstraße in der Nähe eines Kolumbianischen Cafés, und wenn man sich da etwas zu Essen bestellt, dann bringen die das auch zum Spielplatz!

Das wunderschöne Kranhauscafé in Schöneweide ist direkt an der Spree und auch sehr zu empfehlen. Überall ist Sand, mit dem Kinder spielen können, aber es ist auch sehr nett, wenn man ohne Kinder unterwegs ist. 

Ich empfehle auch nach wie vor den Zollpackhof gegenüber vom Kanzleramt, da ist auch ein kleiner eingezäunter Spielplatz, sehr praktisch.

Wie geht es dir inzwischen mit dem Muttersein?
Mutter zu sein ist der härteste Job der Welt! Momentan bin ich die Mutter von einem anderthalbjährigen Sohn, Redakteurin beim Zeit Magazin und ich habe ein Buch rausgebracht. Das alles zusammen ist manchmal ganz schön viel, aber auch ganz toll, weil es so unterschiedliche Dinge sind. Ich möchte interessante Interviews führen, auf die Frankfurter Buchmesse fahren und mein Buch vorstellen. Ich freue mich aber genauso, wenn ich die Zeit habe, meinen Sohn nachmittags von der Kita abzuholen und draußen mit ihm spielen zu gehen. 

Oft habe ich das Gefühl, dass der Tag zu kurz ist, um all das unterzubringen, was ich jetzt in meinem Leben habe. In den ersten Monaten, nachdem ich wieder in den Job eingestiegen bin, habe ich mich häufig gefragt, wie eigentlich all die anderen Working Moms das packen. Ich habe wirklich großen, großen Respekt vor all den Frauen, die das alles hinkriegen: ihre Kinder großziehen, Laternen Basteln, im Job alles geben, die Familie zusammenhalten. Wahnsinn, was Frauen so leisten! 

Ein besonders persönlicher Roman

Ich bewundere immer die, die noch bügeln. Aber beim Basteln bin ich auch raus. Wann hast du denn dein Buch geschrieben?
Ich habe in den Jahren vor der Geburt meines Sohnes viel recherchiert und geschrieben, drei Tage vor der Geburt habe ich mein überarbeitetes Manuskript abgegeben. Vier Monate danach saß ich dann wieder am Schreibtisch für die nächste Überarbeitungsrunde. Das war sehr zäh. Ich war übermüdet und nicht so konzentriert wie vorher, ich hatte auch nicht so viel Kraft. Ich war von meinen eigenen Sätzen genervt und fand dieses ständige Bearbeiten und Verfeinern echt mühselig. Außerdem war ich durch die Mutterschaft emotional in einem anderen Zustand als zu dem Zeitpunkt, an dem ich das Buch ursprünglich geschrieben hatte. 

Jetzt, wo es auf dem Markt ist und ich Reaktionen darauf bekomme, denk ich ganz neu darüber nach. Alleine wegen der Fragen, die mir gestellt werden. Ich sehe neue Dinge, weil die Leser*innen neue Dinge sehen. Es entwickelt sich, und das ist total schön. 

Was mir besonders gut gefällt, ist dass du die Rolle der Vorfahren hervorhebst. Die Verantwortung gegenüber denjenigen, die uns Kinder mit Migrationsgeschichte in ein anderes Land geboren haben – oder hergebracht haben in meinem Fall. Wie nimmst du die Präsenz der Vorfahren wahr?
Ich glaube, dass es für viele Leute aus Einwandererfamilien eine große Rolle spielt, was ihre Eltern erlebt haben, bevor sie nach Deutschland gekommen sind. Es sind ja auch oft Situationen, die mit dem privilegierten bürgerlichen Leben in Deutschland wenig zu tun haben. So ist es auch bei der Ich-Erzählerin im Buch, die erst nach und nach erfährt, wie sehr die Geschichte ihrer Familie von Flucht und Krieg geprägt ist.

Am Anfang des Buches kennt sie diese Geschichten zwar noch nicht, aber sie ahnt, dass es etwas in ihrem Leben gibt, das sie formt. Sie hat Eigenheiten, die sie sich selbst nicht genau erklären kann. Sie spricht z.B. über bestimmte Sachen nicht oder verschweigt ihrem Freund ganz viel von ihrem Innenleben. Die Neurosen ihrer Familie sind ihre Neurosen. Das ist etwas, was ich mit dieser Figur beschreiben wollte, aber was bestimmt ganz viele Leute kennen. 

Vermeintliche Muttersprache

Im Buch zeigst du auch ganz toll, wie es ist, wenn man die vermeintliche Muttersprache nur auf dem Niveau eines Kinder beherrscht.
Dass sie die vietnamesische Sprache nicht wirklich beherrscht, ist für Kiều ein wichtiger Grund, warum sie sich ihren Verwandten so fern fühlt. Dass sie nicht ihr ganzes erwachsenes Ich ausdrücken kann. Doch es ist nicht nur der Mangel an Vokabular, es gibt gleichzeitig auch eine emotionale Sprachlosigkeit. Und die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen, die in ihrer Familie herrscht. Im Buch gibt es ja auch die Figur einer Tante, die gehörlos ist. 

Ergreifst du Maßnahmen, um dich der Sprache wieder anzunähern? Gerade als Mutter?
Ich habe in der Vergangenheit immer mal wieder Vietnamesisch-Unterricht genommen, um ein wenig Lesen und Schreiben zu lernen. Ich beherrsche die Alltagssprache ganz ok, aber ich kann keine Zeitungen lesen. Seit ich Mutter geworden bin, spreche ich wieder ein bisschen mehr Vietnamesisch, damit mein Sohn es auch von mir, nicht nur von meinen Eltern, hört. 

Es ist etwas, was ich sehr gerne richtig verbessern würde, aber ich finde es so schwierig, es in mein deutsches Leben zu integrieren. Der große Schritt wäre eigentlich, für eine Weile nach Vietnam zu gehen und dort zu leben. 

Wie erklär ich es meinem Kind?

‚Deine hellblaue Heimat‘ ist ein wunderschöner Brief, den du deinem Sohn geschrieben hast und erschien im Zeit Magazin. Wie kam es dazu?
Mir war aufgefallen, was sich seit seiner Geburt in mir verändert hatte. Am meisten hat mich überrascht, dass es mir plötzlich wichtig war, dass meine Eltern mit ihm Vietnamesisch sprechen. Ich hatte vor der Geburt nicht darüber nachgedacht, ob er die Sprache lernen sollte oder nicht. Das kam dann plötzlich, als er auf der Welt war und ich anfing, mir Gedanken darüber zu machen, was er wohl für ein Mensch sein würde und wie andere Menschen auf ihn reagieren werden. 

Ich habe mit vielen Frauen aus Einwandererfamilien gesprochen, die ein ‚deutsches‘ Leben führen, aber plötzlich genau die gleichen Gedanken hatten. Sie haben zum Teil große Anstrengungen auf sich genommen, um die Kinder in einen bilingualen Kindergarten zu bringen. Das war für mich der Punkt, an dem ich wusste, dass sich so ein Thema für einen Essay gut eignen könnte. Es wurde zwar schon viel über die Frage ‚Wo kommst du her?‘ geschrieben. Aber was es bedeutet, Mutter zu sein und so einen Hintergrund zu haben, dazu gibt es noch nicht so viel. Für die, die es betrifft, ist es aber ein Riesenthema. Und es wird in Zukunft immer mehr Menschen betreffen.

Wie reflektierst du rückblickend deine eigene Kindheit, jetzt als Mutter?
Ich möchte, dass mein Sohn bestimmte Dinge nicht erlebt, wie ich sie in den 90er Jahren erlebt habe. Ich möchte aber neben der Sprache auch die Erfahrung, anders zu sein, an ihn weitergeben. Anders zu sein, war für mich nie einfach, aber es war immer auch ein großer Antrieb. Es war und ist der Grund, zu schreiben. Ohne meine Identity Struggles würde es meinen Roman nicht geben. Wenn ich meinen Sohn ansehe, möchte ich nicht, dass er unter dem Zwang steht, etwas ganz Bestimmtes zu sein, aber ich möchte etwas von diesem Drive an ihn weitergeben. Ich möchte, dass er schon ganz früh sieht, dass es mehr als einen Blick auf die Welt gibt, mehr als eine Kultur, in der man aufwachsen kann.

Das beste Beispiel ist das deutsche Abendbrot. Mein Freund hat nichts dagegen, aber ich und der vietnamesische Teil der Familie würden lieber sterben, als abends kalt zu essen. 

Liebe Khuê, vielen Dank für das Gespräch!

Alle Fotos von Kai Senf

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