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Yasmin Polat: Mutterschaft ist keine Marke und kein USP, den man aufbaut

Yasmin Polat hat ein Buch geschrieben, um das ich zunächst einen großen Bogen gemacht habe. Warum, lest ihr im Interview. Ich jedenfalls bin froh, dass ich es dann doch noch in die Hand genommen habe und einen Grund hatte, sie endlich in echt zu treffen. Wer wissen will, wer ihre Lieblings-Kardashian ist und worum es bei Im Prinzip ist alles okay eigentlich geht, der sollte weiterlesen.

HSM: Liebe Yasmin, stell dich bitte vor.
Hi, ich bin Yasmin, 35 Jahre alt, Podcast-Host, Autorin, Berlinerin… Äh, oh Gott ich merke gerade in diesem Moment, dass ich nicht nur Vorstellungsrunden hasse, sondern auch ganz einfach, mich vorzustellen. Identitätskrise, sofort.

HSM: Wie sehr identifizierst du dich als Berlinerin? Macht das was mit dir?
Hm, echt eine gute Frage. Ich würde sagen, ich identifiziere mich eher als Berlinerin, als als Deutsche. Aber ich identifiziere mich offenbar sowieso nicht so gern. (siehe erste Frage) Habe direkt etwas über mich gelernt, nach nur zwei Fragen von dir!

HSM: Wo wären denn deine Lieblingsorte in Berlin?
Es wechselt wöchentlich! Ich liebe alle Gegenstände im Laden „Makäni“ in der Goltzstraße. Ansonsten gibt es einen richtig guten Taco-Laden namens „Club del Burro“, wo die vegetarischen Optionen echt gut sind. Das beste Sushi gibts bei „Hachiko Japanese Cuisine“ in Schöneberg. Und richtig cool für Kinder ab circa 5: Das Planetarium! Für mich ein Gamechanger. Man kann auf eine riesige Leinwand gucken und lernt noch was dabei.

HSM: Wie würdest du deinen Alltag beschreiben?
Ich stehe gegen 7 Uhr auf, knuddel mein Kind, trinke Kaffee, ziehe es an, bespreche den Tag mit meiner Familie, lese / bearbeitete Podcast-Skripte, nehme im Studio Folgen für die Podcasts auf („Verdammt Berühmt“ und „hdgdl“), Interviewtermine, habe Meetings, schreibe Mails, Kurzgeschichten, scrolle auf dem Handy, poste Sachen, trinke noch mehr Kaffee, telefoniere, hole das Kind aus der Kita, sofern es da war.

HSM: Wo treffen wir dich an einem Sonntagvormittag und was würdest du immer in einer Bäckerei kaufen?
Gar nicht, meist treffe ich Menschen sonntags erst ab Nachmittag. Oder im Museum. Ich kaufe Laugenzeug oder so Quark-Gebäck. Plunder finde ich auch immer geiler, je älter ich werde. Das Wort ist halt schrecklich. Plunder. Plunder! Plunder, mein Pullunder.

HSM: Was trinkst du, wenn du feiern gehst?
Nichts mehr, ich vertrage nichts mehr.

HSM: Wo kann man denn noch gut feiern?
Frag mich nicht, bin froh, wenn ich mal ins Kino gehe!

HSM: Und welcher war dein letzter Kinofilm und welches Kino?
„Ernest und Celestine“ im Yorck-Kino, mit meiner Familie. Hab natürlich unkontrolliert gehuelt am Ende. Wollte unbedingt „Ellbogen“ von Aslı Özarslan schauen, aber alle Berlinale-Tickets waren sofort weg. Werde also spätestens im Herbst wieder ins Kino. 

HSM: Wie ist dein Umgang mit und Verhältnis zu sozialen Netzwerken?
Nicht ich nutze Social Media, Social Media nutzt mich.

HSM: Bitte deine Lieblings Kardashians einmal von best to least auflisten. Und warum!
Endlich fragt das mal jemand! Okay: Kourtney Kardashian, ihr trockener Humor, ihre mir-ist-wirklich-alles-egal-Haltung ist für mich so inspirierend, weil ich davon meilenweit entfernt bin. Ihr ist halt wirklich vieles egal. Dann kommt für mich Kim, weil sie manchmal einen lustigen Satz raushaut. Dann Kylie, weil die hält sich aus allem eigentlich raus. Dann Khloe, ich find sie hat ein großes Herz, aber auch ein großes Ego. Kendall, sehe ich nur auf Pferden und sonst nirgendwo.

HSM: Wie schreibst du am Liebsten?
So, dass mein Physiotherapeut und jeder orthopädisch-logisch arbeitende Mensch in einen Meryl-Streep-Big-Little-Lies-Schreikrampf verfällt: Mit dem Laptop auf dem Bauch oder den Beinen, krummer Rücken auf der Couch oder angelehnt an meine Nackenkissen im Bett. Ich habe mir neulich extra einen ergonomischen Bürostuhl für den Schreibtisch geholt, aber ich hasse es , darauf zu schreiben. Ich bilde mir ein, dass mit dem 90 Grad Winkel in den Armen meine Gefühle gestreckt werden und nicht mehr vernünftig auf die Seite kommen.

HSM: Wie kam es zu der Idee mit dem Buch & wie war der Schreibprozess? Auch: worum geht es in deinem Buch
Den Wunsch, ein Buch zu schreiben hatte ich schon sehr früh. Ich erinnere mich an einen spezifischen Moment an einer Ampel in Friedenau, nähe meines Zuhauses. Die Ampel wechselte auf grün und mir kam einfach so der Gedanke: „Ich möchte ein Buch schreiben, irgendwann.“ Da war ich so um die 11 oder 12 Jahre alt. Dann musste ich noch ein bisschen Leben leben, Mutter werden, Instagram und TikTok nutzen, mich mit dem Konzept Selbstliebe auseinandersetzen (streiten). Und dann hat eine ehemalige Schulfreundin sich selbst geheiratet. Darauf nahm alles so seinen Lauf. 

HSM: Worum geht es denn in Im Prinzip ist alles okay?
In meinem Buch geht es um Miryam Topal, die auf eben dieser Selbstliebe-Hochzeit ist. Sie ist gerade vor ein paar Monaten Mutter geworden und erstmal sieht es so aus, als hätte sie alles im Leben geschafft, wovon sie geträumt hat. Sie strahlt richtig. Über die nächsten Kapitel erfährt man, dass sie nicht ansatzweise so glücklich ist, wie sie nach außen vorgibt und wie ihre gewaltvolle Kindheit sie, auch nach abgeschlossener Therapie, weiterhin bestimmt und einengt. Sie möchte unbedingt den Gewaltkreislauf durchbrechen, am liebsten eine perfekte Mutter sein und ein Mensch, der sich selbst liebt, mit sich im Reinen ist, alles im Griff hat. Aber irgendwann droht sie, an diesem – für sie überlebensnotwendigen – Anspruch zu zerbrechen.

Der Schreibprozess war für mich heilsam, schmerzhaft, anstrengend, alles verlangend und auf ewig befreiend.

HSM: Für wen ist dein Buch?
Für jeden Menschen mit einer Kindheit. Wie auch immer die aussah.

HSM: Die Themen in deinem Buch sind sicherlich für viele krass, vielleicht sogar schockierend. Wie erklärst du dir das?
Ich verstehe das schon. Ich glaube, viel intimer als in die Kindheit, in die Wunden dazu, in all das, was man emotional wegsortiert hat, geht es nicht. Ich glaube, viele sind von den Themen schockiert, ja – aber vor allem getroffen. Und je nachdem, wie sie das Leben angehen, wehren sie es ab oder sortieren ein paar Dinge nochmal neu. Viele empfinden das Buch als hoffnungsvoll, Mut machend, ich bekomme so oft Nachrichten von Menschen, die sich gesehen und umarmt fühlen, was für mich das schönste Kompliment ist. Aber manche Themen sind eben krass und nicht jeder Mensch hat da Lust drauf – das ist auch komplett richtig so. Zum Beispiel, als Miryam mit Schrecken feststellt, dass die Gewalt, die ihr angetan wurde, auch in ihr wabert, sie Gewaltpotenzial hat – das ist etwas, da muss man als Leser*in bereit für sein und das auszusprechen ist schwierig. Aber dafür bin ich ja da.

HSM: Ich versuche seit Jahren Agenturen und Verlagen klarzumachen, dass ich keine Bücher lesen will, nur weil es in ihnen grob um Mutterschaft geht. Immer wieder denken sie, ich würde diese Themen suchen, dabei will ich eigentlich nur eine gute Geschichte lesen, eine, die mich mitnimmt, mich denken lässt. Das hast du geschafft. Warum geht es dann im Klappentext trotzdem ums Stillen und um Insta Moms?
Danke dir, das freut mich total und war mir fast am wichtigsten bei allem! Mir geht es genauso wie dir. Weil Mutterschaft ja einfach nur eine von sehr vielen Erfahrungen ist. Es ist für mich eine existenzielle, ja – aber da gibt es auch andere Möglichkeiten. Es ist keine Marke, kein USP, den man aufbaut und herausstellt. Das sollte mit Absicht nebenher laufen, genau wie Miryams Social Media Nutzung. In den Alltag integriert, selbstverständlich und als Klammer. Es geht bei Miryam nicht unbedingt ums Mutter sein, sondern um ihr Kind sein. Und das ist etwas, damit können eigentlich alle connecten. Es geht um Generationentraumata und wie wir versuchen, ihnen zu entkommen und was einen Erfolg diesbezüglich definiert. Zum Klappentext versteh ich deinen Gedanken, ich muss aber dazu sagen, ich glaube, es war und ist nicht einfach, das Buch auf ein paar Zeilen einzustampfen.

Danke, Yasmin Polat!

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