Hauptstadtmutti

Von jungen Vätern und Pseudo-Omas: Eine Zugfahrt, die es in sich hatte.

Kennt ihr das, wenn ihr trotz zwei Vollzeit arbeitenden Eltern, Kindern, Haushalt und Leben trotzdem manchmal an euren Wochenenden über Stunden in den Zug oder in das Auto setzen müsst, um anderen Menschen die Freude zu machen, sie an ihrem Geburtstag zu besuchen? Man freut sich ja selbst auch, aber man würde genauso gerne einfach nur auf dem Sofa liegen, im Jogginganzug, Sushi bestellen und mit den Kindern Disney Filme gucken.

Stattdessen stellt man den Wecker auf 5 Uhr morgens, scheißt aufs Duschen, zieht sich irgendwie an, versucht das Kind nicht zu wecken, schleppt sich zum Bahnhof und holt sich einen Kaffee und ein Franzbrötchen.

„Wann kommt der Zug?“

-„6:04.“

„Welches Gleis?“

-„Ich guck mal, warte. Uhm. Oh shit. Sei nicht sauer, aber unser Zug kommt erst um 7:49.“

Mein Mann ist nicht sauer, mein Mann wird selten sauer. Hätte er die falsche Zeit rausgesucht, wäre ich wahrscheinlich mächtig sauer gewesen. Kennt ihr das, wenn Partner*innen dann extra gelassen bleiben, nur damit sie euch zeigen können, was für tolle entspannte Menschen sie sind? Wir also zurück nach Hause, gut, dass wir nur fünf Minuten vom Bahnhof entfernt leben.

Um 7:49 wir also tatsächlich im Zug. Seitdem das Kind laufen kann, reservieren wir eigentlich kaum noch im Kleinkindabteil, meistens ist es eh voll und noch mehr meistens hat das Kind Hummeln im Arsch, da lohnt sich das nicht, weil ich dann alleine im Kleinkindabteil mit fremden Kindern sitze und Mann und Kind unterwegs sind.

Also suchten wir freie Plätze. Und fanden einen Vierer, an dem ein adretter junger Kerl saß, Anfang 20, unter Umständen auch 19. Wo der am Samstagmorgen in seinem Anzug hinwill hab ich mich gefragt, aber geht mich ja nichts an, wird schon irgendeine Messe oder Kongress zu besuchen haben. Jedenfalls war das Kind beängstigend ruhig. Wir lasen Bücher über Möwen, Robben und Walfische. Gesnackt wurden Äpfel und Kekse. Für uns ein beschaulich ruhiger Samstagmorgen.

Doch nicht für den armen jungen Anzugträger. Er versuchte eine Zeitung zu lesen. Er hatte genug Platz, er wurde nicht von uns mit Essen beschmissen, niemand weinte, alles tutti, dachten wir. Nach 15 Minuten schüttelte er vehement den Kopf, stand auf, packte seine Sachen und suchte sich einen Platz auf einer Zweierbank. Oh well, suit yourself. Was sitzt er auch alleine im Vierer, das sind mir eh die Liebsten.

Alles nahm friedlich seinen Lauf. Neben uns im Vierer saß, wie ich zunächst dachte, eine Oma, mit Tochter, und zwei Enkeltöchtern. Die zwei jüngeren Mädchen waren beide im Grundschulalter. Schnell stellte sich heraus, dass die Oma gar nicht die Oma war, sondern irgendeine ältere Frau, die anscheinend auch sehr unbequem saß, denn sie bewegte sich immer so seltsam auf ihrem Platz hin und her. Zuckte jedes Mal zusammen, wenn unser Kind „Möwe!“ oder „Windrad!“ rief und ihren Mitfahrerinnen im Vierer immer wieder erklärte, wie viel Platz auf dem Tisch ihr zusteht.

Auf einmal schrie die Alte auf. Mein erster Gedanke war natürlich Zugunglück, atomarer Weltkrieg oder ein Terroranschlag, aber nein, eines der Mädchen hat ihren Kakao verschüttet. Dabei gelangten ein paar Tropfen, kaum merklich, auf ihre Hose. Sie schrie weiter von Reinigung, ungehobelten Kindern und dass die Mutter ihr das ersetzen muss. „So ist das in Deutschland! Wo kommen wir denn dahin?“

Die Mutter hatte währenddessen ganz andere Sorgen und ignorierte die schreiende alte Frau. Sie hatte nämlich gesehen, dass der noch brühend heiße Kakao komplett auf den Beinen ihrer jüngeren Tochter gelandet ist, die neben der hysterischen Pseudo-Oma saß. Nochmal für alle: Die etwa Sechsjährige hat unter Umständen verbrühte Beine, während die ältere Frau ein paar Tropfen auf ihrer Gerry Weber Hose hat. Prioritäten, wa.

Die Mutter fing an, dem Kind die Hose auszuziehen, es zu trösten, es weinte nämlich ganz leise und hatte sichtlich Angst vor der älteren Frau. Ein Mann hinter uns fing an Taschentücher von allen einzusammeln und der Frau zu helfen, ich lud die ältere Tochter ein, bei uns zu sitzen, gab der Frau eine Windel von uns, damit sie die auf den kakaoisierten Sitz legen konnte. Ich fand mich ziemlich genial in dem Moment, muss ich sagen.

Niemand beachtete die kreischende Frau. Es war ein wunderschöner Moment voll von Hilfe, Nächstenliebe und Verständnis. Dem Kind ging es soweit gut woraufhin die Mutter mit ihm einen neuen Kakao holen ging. Sobald die Mama weg war, knallte die ältere Frau der älteren Tochter ein Notizbuch vor den Latz und sagte „Du schreibst mir jetzt eure Telefonnummer und Adresse auf. So leicht kommt ihr mir nicht davon.“

Ich bat sie, das bitte mit der Mutter zu klären, und das Kind in Ruhe zu lassen. Sie schnaufte und nahm ihr Notizbuch wieder zurück. Die Mutter kommt zurück, und erst als alle ihre Töchter in Ruhe sitzen, alle wieder runtergekommen sind, spricht sie die Frau wieder an.

„Verstehen Sie eigentlich, dass das ein Versehen war? Dass Sie niemanden absichtlich mit Kakao bespritzt hat? So ist das Leben. Sowas passiert.“

-„Sie müssen ihre Kinder besser kontrollieren. Und die Hose bezahlen Sie mir! Ich nehme an, mit solchen Kindern hat man eine private Haftpflicht?“

Die Mutter blieb eiskalt. Schrieb ihre persönlichen Informationen auf und kümmerte sich weiterhin um ihre Kinder. Ich tobte innerlich aber bewunderte die Ruhe der Frau. Vielleicht war das nicht das erste Mal, dass sie oder ihre Töchter so behandelt wurden.

Wie hätte die ältere Frau reagiert wenn ein älterer Geschäftsmann gestolpert wäre, und seinen Kaffee über ihr verschüttet hätte? Hätte sie dann auch nach seiner Haftpflichtversicherung geschrien? Was kostet die Reinigung einer Hose? 8€? Aber es ist genau, wie die Frau das gesagt hat, sowas passiert, und könnte jedem passieren, Kinder hin oder her.

Als die ganze Geschichte einigermaßen überstanden war, setzt sich eine ältere Frau zu uns. Sehr schick, sehr gestylt, ordentlich, adrette. Wir hatten Angst. Oh Gott, was ist, wenn wir jetzt auch gleich angeschrien werden?

Und das war das Schlimmste. Das wir das Gefühl hatten, uns entschuldigen zu müssen, weil unser Kind laut Möwengeräusche macht, wenn in seinem Buch eine Möwe zu sehen ist. (Die Eulengeräusche sind etwas niedlicher.) Sie lächelte nur und las ihr Buch.

Als mein Mann zum Wickeln ging, beugte sie sich vor und sagte zu mir: „Wissen Sie, ich finde das großartig, diese jungen Väter.“

Ich erklärte ihr, dass wir 50/50 versuchen. Dass das die einzige Möglichkeit ist, da wir beide Vollzeit arbeiten und dass dieses 50/50 sehr viel harte Arbeit ist. Dass er die letzten zwei Tage vor 21:00 Uhr nicht zu Hause war, dass ich mich deswegen am WE zurücklehnen würde.

Daraufhin sie: „Genau das meine ich. Selbst das hat es doch bei uns nicht wirklich gegeben. Und wissen Sie warum? Wir haben es nicht eingefordert. Wir haben einfach gemacht, und die Männer machen lassen. Gehen Sie ruhig arbeiten, machen Sie das bitte.“

Mir stiegen fast die Tränen in die Augen, denn noch wenige Tage zuvor war ich auf den Elternbrunch von Fisher Price eingeladen (Letztes Jahr saß unsere Isa noch im Panel.). Thema: Väter 2.0.

 

Ich wurde zwar positiv überrascht, da ich viel Lobduselei auf die ganzen engagierten Väter erwartet hatte, die einmal die Woche ihre Kinder von der Kita/Schule abholen und wissen, welche Schuhgröße ihrer Kinder haben. Stattdessen wurde eine differenzierte Diskussion geführt, was vor allen Dingen an den geladenen Gästen wie dem Spezialisten für Sozialstrukturen Karl Heinz Deutsch sowie der Diplom-Pädagogin Elisabeth Elsner lag. Dennoch waren sich alle einig, dass Väter natürlich ganz anders behandelt werden, wenn sie mit Kind unterwegs sind. Zum Beispiel auf Reisen, oder im Supermarkt. Ich sehe das ja auch bei meinem Mann, er kriegt respektvolle Blicke, Anerkennung für seine ‚Leistung’ sich um sein Kind zu kümmern. Ich kriege Mitleid oder genervte Blicke. Dann ist es wieder schön, wenn Marken ihren Einfluss dafür verwenden, mit Menschen über relevante Themen zu diskutieren, und nicht nur bei Macaroons und Chai Lattes ihre Produkte vorstellen. Weiter so!

Der Sohn der Frau, die sich zu uns gesetzt hatte, hat seit einigen Jahren eine Freundin. Diese hat kürzlich zu ihr gesagt, wenn sie einmal eine Familie gründen werden, werden sie die Oma in der Nähe brauchen. Ob sie sich vorstellen kann, dann nach Köln zu ziehen. „Sofort.“ Hat sie gesagt.

Lieber unbekannter Sohn und unbekannte Freundin, ihr werdet eine großartige Oma haben. Die wird auch nicht nach der Reinigung schreien, sondern einem verschreckten Kind helfen, das neben ihr mit verbrühten Oberschenkeln sitzt.

Am Ende saß unser Kind bei ihr auf dem Schoß und wollte gar nicht mehr weg.

Ein Kommentar zu “Von jungen Vätern und Pseudo-Omas: Eine Zugfahrt, die es in sich hatte.

  1. Ich finde es gut, dass Ihr das Model 50/50 versucht. ich bin der Ansicht, dass es wichtig in einer Familie ist, wenn beide Partner gleichberechtigt arbeiten und sich um die Kinder, sowie den Haushalt kümmern. Bei uns läuft es ähnlich. Dennoch finde ich es immer noch schade, das Väter Lobende Blicke ernten, in der Erfüllung Ihrer Aufgabe gegenüber dem Kind und wir Mütter meistens diejenigen sind, die sich Kritisieren lassen müssen von Außenstehenden.

    Sehr schön auch die Anekdote aus dem Zug. Schade, dass die eine Oma so unglaublich … sch… reagiert hat und um so schöner, dass die andere Oma so unglaublich Liebenswert war. Es ist doch immer wieder beeindruckend, wie sehr die Verhaltensweisen und Denkweisen in den selben Generationen variieren.

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