Wann ist der beste Zeitpunkt zum Abstillen? Ansichten einer Mutter

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Foto: Sebastian Hamel/Unsplash

Ich habe mein Kind 16 Monate lang gestillt. Meine Großmutter konnte nicht stillen. Meine Mutter konnte nicht stillen. Eine Bekannte konnte nicht stillen. Beim zweiten Kind hat sie es erst gar nicht probiert. Immer und immer wieder sprach sie von der „Stillmafia“.

Sie war die einzige Frau mit kleinem Kind, also Mutter, die ich in meiner kinderlosen Zeit kannte. Ich ging einfach davon aus, dass ich nicht stillen können werde. Wollte es aber probieren, denn stillen ist ja bekanntlich das Beste fürs Kind. In der ersten Nacht nach der Geburt hat mir mein Kind die Brustwarze auch ohne Zähne derart gekonnt zerbissen, dass ich durch mein Nachthemd blutete. Abstillen kam aber nicht in Frage, trotz Schmerzen. Ich hatte das Gefühl, dass das Kind doch immensen Hunger haben müsste, doch ich verließ mich auf Ratgeber, Hebamme und Ärztin. Alles war gut. Der Milcheinschuss kam, ich begann die schönste Stillzeit meines Lebens. Ich stillte nach Bedarf, immer und überall, wann und wie ich wollte. Rausgeschmissen hat mich niemand dafür. Auf all unseren Reisen hat es uns sehr geholfen, es gibt nichts praktischeres. Und dennoch sage ich, dass ich früher hätte abstillen sollen. Warum?

Frühes Abstillen –  da kennt die Stillmafia kein Pardon

Ich verstand erst sehr spät, was meine Bekannte mit der Stillmafia meinte. Es gibt sie wirklich. Hätte ich nicht gestillt, wäre sie mir vielleicht früher aufgefallen. Doch als ich begann, darüber nachzudenken, vielleicht bald abzustillen, meldete sie sich. Allein der Versuch, abstillen zu googlen hatte den Beigeschmack von „wenn du unbedingt meinst“. Jeder Artikel war pro Stillen. Und nicht nur das. Auf Instagram gibt es Accounts, die sich dem Langzeitstillen widmen. Was es nicht gibt: Accounts von Frauen, die sagen, dass sie gar nicht gestillt haben, weil sie das nicht wollten, oder die nach wenigen Wochen oder Monaten abgestillt haben, weil sie sich nicht mehr wohl damit gefühlt haben. Wenn Frauen auch nur im Entferntesten eine solche Aussage tätigen, gibt es einen Shitstorm, von Frauen, die sich um das Wohl der nichtgestillten Kinder sorgen. Diese Shitstorms werden sehr schnell sehr persönlich.

Beim nächtlichen Rumdaddeln auf Instagram vor ein paar Tagen stieß ich auf den Account von Monica Ivancan und dieses Bild ihrer neuen Milchpumpe, die sie im Übrigen „ihre kleine Freiheit“ nennt:

Die Kommentare gingen sehr schnell von „Die hab ich auch“ und „Boah, die sind jetzt so klein?“ zu:

„Am besten noch das Argument „es ist meine Sache“ NEIN! Es geht in erster Linie um das Kind. Aber Hauptsache mama musste sich nicht überwinden. Hoffe, ihr achtet inzw mehr auf die Bedürfnisse eurer kleinen…“

 „Das ändert nix an der tatsache, dass du an der person mutter selbst kritik übst und nicht an der nahrung allein. Aber schön, wenn bei dir alles reibungslos klappt und du niemals wege einschlagen musst, die vom „gewünschten“ und „genormten“ abweichen. Schönen abend.“

 „dem Kind ist es doch egal ob ich stille oder nicht. Weiß gar nicht was ihr für Probleme habt. Es SCHADET NICHT!!!!!! Ich gebe meinem Kind viel. Ich liebe sie über alles ich verdiene gut und bin ihr eine gute Mutter. .. ich finde es einfach nicht toll, dass man schlecht gemacht wird, nur weil man nicht Stillen will… Vllt still ich ja mein nächstes Kind. Das weiß ich noch nicht. Aber beim nächsten will ich auch ein ks. Werde ich jetzt auch nieder gemacht?? Jeder entscheidet selbst. Und nich einmal. Mein kind ist fast 4. Bekommt jetzt weder Pulver noch muttermilch. Sie ist super ernährt und entwickelt. Sowohl körperlich als auch geistig. Sue ist sehr weit für ihr Alter und hat keine Allergien. Es reicht jetzt langsam.“

Das alles weil eine einzige Mutter es gewagt hatte, folgendes zu sagen:

natürlich hat jeder seine Meinung, aber dann solltet ihr die UNTERSCHIEDE auch mal akzeptieren. Und ich habe auf meinen Körper gehört und habe mein 2. Kind nicht gestillt.“

Ich habe mein Kind vor einem Monat abgestillt. Es war völlig unkompliziert. Eine Woche lang wurde es nur noch abends gestillt, dann haben wir auch diese Stillmahlzeit durch die Flasche ersetzt. Den einzigen Unterschied, den wir nach dem Abstillen feststellten: Unser Kind schlief plötzlich durch. Einfach so. Von heute auf morgen. Und wir dachten fast anderthalb Jahre lang, dass dieser Tag nie kommen würde. Vielleicht hängt es mit dem Abstillen zusammen, vielleicht auch nicht.

Fakt ist, dass unser Kind ein beschissener Schläfer war, und wir immer dachten, wir könnten nichts dagegen tun. Nach neun Monaten ersetzten wir die nächtlichen MahlzeitEN (Plural) durch Flaschenmilch, zunächst noch abgepumpte. Und dann bekam er sie: seine erste chemische, industriell hergestellte Milchpulverflasche! Und siehe da. Nichts passierte. Er trank, schlief besser, manchmal sechs oder sieben Stunden am Stück, bis wieder irgendwelche Zähne kamen und nur noch die Brust gut genug war. Das Kind war so fixiert auf mich, dass ich Probleme hatte, tagsüber zu funktionieren. Bei starken Zahnphasen hing es stundenlang an der Brust. Ich war so glücklich, für ihn da sein zu können. Ich fühlte mich pudelwohl als menschlicher Schnullerersatz, den er natürlich von vornherein nie genommen hatte.

Ich genoss meine Rolle als mütterliche Märtyrerin, denn ich opferte mich ja für mein eigen Fleisch und Blut auf. Social Media gab mir Recht, ich war eine Heldin, ich sollte noch Monate, vielleicht sogar Jahre so weitermachen, dies war meine Bestimmung.

Doch ein ganz anderes Gefühl machte sich langsam breit in meinem vermütterlichten Hirn: Sehnsucht nach ein bisschen mehr Freiheit. Unabhängigkeit. Mal eine Nacht weg. Mal wieder mehr als ein, zwei Bier. Ich hätte mehr auf dieses Gefühl hören sollen, und ich hätte früher abstillen sollen, denn ich habe irgendwann nicht mehr so gern gestillt wie am Anfang. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass mein Kind gesünder ist als andere, oder dass es klüger oder schlanker ist. (Es ist so oder so das klügste und schönste Kind, aber das denken sie alle, die Muttis, ne?)

Lasst euch doch mal gegenseitig in Ruhe!

Liebe Stillmafia, liebe Bio-Mamas, liebe Langzeitstillverfechterinnen, das hier ist kein Angriff gegen euch, sondern ein Appell, andere Mütter endlich mal in Ruhe zu lassen. Es ist echt nicht einfach, heutzutage Mutter zu sein, aber das letzte, was man braucht, sind andere Mütter, die nicht unterstützend sind. Stillen ist eine persönliche Entscheidung und hat auch viel damit zu tun, was die Mutter braucht, nicht nur das Kind. Dem Kind wird es gut gehen. Ganze Generationen wurden mit Flaschenmilch groß (oder wie in meinem Fall mit roher Kuhmilch)!

Dass Stillen ‚besser’ ist, ist wahrscheinlich so. Auf dem Land leben ist auch besser. Kein Plastik mehr zu benutzen ist auch besser. Nur noch bio einzukaufen ist auch besser. Die Haare nicht zu glätten ist auch besser. Keinen Alkohol zu trinken ist auch besser. „Sie vergleicht Stillen mit Plastik benutzen!“ Tut sie. Was sie meint ist, dass wir gerade hier in Berlin in einer sehr, sehr großen Weltverbesserungsbubble leben. Das ist großartig! Ich finde alles super, was Menschen tun, um unseren Planeten zu retten, wenn das denn noch möglich ist. Ich möchte nicht, dass wir hier in 20 Jahren so leben wie in Karen Duves Roman „Macht“, der wirklich mal ein gruseliges Zukunftsszenario entwirft.

Was ich aber möchte, liebe Mütter, Väter und Menschen, ist, dass wir mit diesen Schuldgefühlszuweisungen bezüglich der Ernährung eines Kindes aufhören. Auch mit den versteckten à la „Jeder kann ja machen, was er will, aber wenn ich ein Kind hätte…aber als Mutter solltest du…aber ist das denn das Richtige für dein Kind?“ Wann hat denn dieser ganze Blödsinn angefangen? Frauen werden aus Restaurants, Bussen und Geschäften verwiesen, weil sie stillen, andere Frauen werden im Internet fertig gemacht, weil sie nicht stillen.

Auf der anderen Seite ist Stillen das neue Nonplusultra – ohne geht gar nichts mehr, so scheint es. Nach und nach traf ich im ersten Lebensjahr des Kindes Mütter, die nicht gestillt hatten oder schon abgestillt hatten. Mit ‚schon’ meine ich nach einem halben oder ganzen Jahr. Ich muss ehrlich zugeben, die meisten waren froh. Sie hatten gerne gestillt, aber sie haben auch gerne abgestillt. Doch diese Haltung wird mir in Blogs, den Medien und vor allen Dingen Instagram selten präsentiert. Immer und immer wird Frauen, die nicht gestillt haben, oder ‚früh’ abstillten (was auch immer heutzutage gerade als früh eingestuft wird), blanker Hass von stillenden Müttern entgegengebracht. Wer mir nicht glaubt, sollte mal auf Facebook oder Instagram den folgenden Satz posten: „Ich hatte keine Lust, mein Kind zu stillen.“

Nicht zu stillen ist nicht das Ende dieser Welt. Nach einem halben Jahr abzustillen ist nicht das Ende dieser Welt. Unterstützt euch gegenseitig, es ist doch egal, was das Kind isst, solange es gesund ist, oder?

 

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5 Kommentare zu “Wann ist der beste Zeitpunkt zum Abstillen? Ansichten einer Mutter

  1. Beim ersten Kind hatte ich genau das gegenteilige Gefühl, nämlich, dass mich die meisten Mütter für bescheuert und eine Ober-Glucke halten, weil ich noch stille. Selbst von meiner Mutter kam immer „warum tust Du Dir das an?“. Dabei finde ich Stillen total praktisch. Ich mußte nicht eine riesen Tasche mit Thermoskanne etc rumschleppen, sind spontan im Garten von Freunden versackt, hatte mein Kind trotzdem genug zu essen. Ich mußte nachts nicht aufstehen und Wasser kochen, sondern hab einfach mein weinendes Baby auf meinen Bauch gelegt und weitergeschlafen. Trotzdem wurde ich ständig gefragt, wann ich denn endlich mal abstillen will. Ich bin nach 7 Monaten arbeiten gegangen und war sogar auf Geschäftsreisen, ich war auf Hochzeiten und selbst wieder schwanger hatte ich nicht das Bedürfnis endlich abzustillen, obwohl mein Umfeld mich für total bescheuert hielt und befand mit Flasche wäre doch alles so viel einfacher. Vermutlich ist die Wahrnehmung einfach sehr entscheidend. Jede Familie sollte selbst entscheiden, ob und wie sie stillen will und das sollte respektiert werden. Für echte Wahlfreit ist es aber eben wichtig über das Stillen aufgeklärt zu sein, da gebe ich Goldwaendlerin recht, und das sind leider nicht mal alle Hebammen und Schwestern auf Geburtsstationen. Gerade solche „Horror“-Stillstartgeschichten sind leider häufig auf fehlende bzw. falsche Betreuung begründet. Ich arbeite inzwischen nach der zweiten Elternzeit wieder. Meine Stillkinder sind inzwischen 1 und 3 Jahre alt. Ich bin selbstbewußt genug, dass mir egal ist, was andere Mütter davon halten und erkläre auch gerne meinen Ärzten, dass es für das meiste auch stillverträgliche Therapien gibt.. Meine Große hat übrigens trotz Stillens recht schnell durchgeschlafen, die Kleine ist häufig nachts wach – auch wenn sie von Papa die Flasche bekommt, wenn ich nicht da bin. Es kütt wie es kütt 🙂

  2. Liebe Gastbloggerin

    Als ich gestern deinen Text gelesen habe, bin ich etwas ins Grübeln gekommen. Wieso? Ich finde es zwar etwas schade, dass du den für dich richtigen Zeitpunkt zum Abstillen nicht gefunden hast, aber ehrlich gesagt, berührt mich das nicht wahnsinnig. Es ist mir egal, ob du stillst oder nicht. Und selbstverständlich stimme ich dir völlig zu, dass keine Frau für die Entscheidung, was sie mit ihrem Körper macht oder nicht macht, je beschimpft oder gedemütigt werden sollte. Trotzdem hat mich etwas an deinem Text gestört und es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, was es ist.

    Ich finde, sich zu beklagen, man habe länger gestillt als gewollt, weil der gesellschaftliche Druck zu gross war, gleicht der Klage, man müsse als Frau ja wieder arbeiten gehen, weil das von einem erwartet werde. Beides ist schade für die betroffene Person, aber es übersieht das Wesentliche. Es geht bei Stillförderung eigentlich nicht darum, die Wahl der Einzelnen zu beeinflussen, sondern es zu ermöglichen, eine echte Wahl zu haben. Zwar hat sich seit der Generation unserer Mütter oder Grossmütter viel getan, sowohl in Bezug auf Frauenrecht als auch auf Stillen, aber im Alltag fehlen Vorbilder und Erfahrungswerte immer noch. Genauso wie es für eine Frau schwer ist, in einer männerdominierten Arbeitswelt ohne Unterstützung Fuss zu fassen, genauso ist das Stillen in einer Gesellschaft erschwert, wo die Mehrheit der Frauen nicht lange gestillt hat (vor allem wenn man die ältere Generation mit zählt) und sich Stillmythen hartnäckig halten. Frauen, die sich fürs Stillen einsetzen als „Stillmafia“ zu bezeichnen, ist etwa so konstruktiv, wie von „Kampfemanzen“ oder Ähnlichem zu sprechen, um den Vergleich weiter zu ziehen. Ohne Frage sollte jede Frau respektiert werden, egal ob sie stillt/nicht stillt, Kinder hat/keine Kinder hat, berufstätige Mutter/Hausfrau ist. Aber solange so viele Frauen „nicht stillen konnten“ (offenbar auch in deinem Umfeld), weil gute Beratung, Vorbilder und Unterstützung immer noch zu oft fehlen, braucht es auch Stillförderung, auch in den sozialen Medien und so lange hat #normalizebreastfeeding eine Bedeutung.

    Liebe Grüsse

    Goldwaendlerin

  3. Danke für diesen Artikel. Ich habe nach 8 Wochen abgestillt, weil es nur Quälerei war. Die komischen Blicke und Bemerkungen beim Auspacken der Fläschchenmilch kenne ich auch zur Genüge. Ich selbst bin aber eine viel entspanntere Mutter, seit ich mit dem Stillen aufgehört habe.

  4. Ich stille sehr gerne – aber ich freue mich auch schon darauf etwas mehr Freiheit zu haben! Und ich finde es auch echt schlimm dass man so fertig gemacht wird wenn man nicht stillt oder nicht „so lange “ stillt. Dass ist echt furchtbar – als würde es nix wichtigeres geben.

    Ich finde es super dass du darüber geschrieben hast!!

    Gruß Dani

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