Dass ich mitunter nicht mehr ganz mitkomme was Social Media angeht, habe ich ja schon ein paar mal beschrieben. Umso erstaunter bin ich dann immer, wenn junge Mütter wie Vanessa von @mother.ink.stinct und MAMAlocker Diskussionen entfachen, von denen ich nicht wusste, dass sie existieren. Deshalb hier ein Interview mit ihr, indem sie uns erzählen kann, was eigentlich ein Sharepic ist.
Liebe Vanessa, stell dich doch mal vor.
Na Bravo, geht ja gut los hier mit meiner absoluten Lieblingsfrage. Nicht! Fand Vorstellungsrunden schon immer scheiße, egal ob in der Freizeit, in der Uni oder – brandaktuell – bei Mutter-Kind-Gruppen o.ä.. Ich neige dann dazu irgendnen klassenclownartigen Mumpitz von mir zu geben, um mein Unbehagen zu überspielen. Naja.
Mein Alter und ein paar hard facts bekomm ich so grad noch zusammen: Vanessa, 34, seit bald 2 Jahren Mutter einer kleinen Rabaukin. Leben zu dritt (Mutter-Vater-Kind) am mehr oder weniger schönen Niederrhein und das bisschen Freizeit, das ich habe, verballer‘ ich gern auf Instagram, wo ich zwischen Alltagsschnipseln und Familienchaos ungeschönt über Mutterschaft schreibe. Ja, auch über das Kleingedruckte!
Was ist denn nun eigentlich ein Sharepic?
Für mein Verständnis sind „Sharepics“ ne spezielle Art von Beiträgen, die Teile der Caption, also der Bildunterschrift, bereits auf dem Foto platzieren. Manchmal kommen die Sharepics sogar ganz ohne ausführliche Bildunterschrift aus, sie leben ja im Grunde genommen von ihrer Kürze und Knackigkeit. Dazu sind die Inhalte meistens hübsch verpackt: Egal ob persönliche Meinung, steile These, sachliche Infos oder, von mir aus auch ganz simpel, romantische Gedichte: Sharepics zielen, wie der Name schon sagt, darauf ab, so häufig wie möglich geteilt zu werden und viele Menschen zu erreichen.
Warum sind Sharepics deiner Meinung nach problematisch?
Ich find Sharepics nicht grundsätzlich problematisch! Es gibt ja auch ne Menge seriöser Accounts, große Nachrichtenportale zum Beispiel, die sich dieser Art von „Layout“ sach ich jetzt mal, bedienen. Über Sharepics können wichtige Informationen pointiert und schnell verbreitet werden. Schräg wird‘s erst, wenn fancy Schriftarten oder hübsche Farbkompositionen im Fokus stehen und Beiträge schneller geteilt, als Inhalte hinterfragt werden.
Wie reagierst du, wenn dir online ein Sharepic begegnet?
Ich behandle genau diese toxischen und stereotypen Mutterschaftsideale schon seit ner Weile auf meinem eigenen Account und die Resonanz ist tatsächlich jedes Mal gigantisch. Die Reaktionen reichen von „man kann auch echt überall ein Haar in der Suppe suchen“, über „Danke, dass du zum Nachdenken anregst, so hab ich das noch nie gesehen“, bis hin zu „Wow, deine kritischen Worte helfen mir, die Angst vor dem Muttersein und dem Druck, den Ansprüchen nicht gerecht zu werden, abzubauen“.
Ersteres ist hier die Ausnahme, letzteres kam so und so ähnlich mittlerweile schon mehrfach und das – Achtung! – von Frauen, die noch gar keine Mütter sind und sogar, wie sie teilweise von sich sagten, noch „meilenweit davon entfernt“. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, find ich. Dass da draußen Frauen sind, die von dem vorherrschenden Rollenbild der „perfekten“ Mutter so eingeschüchtert sind, dass sie unter Umständen eher den eigenen Kinderwunsch hinten anstellen, statt das Risiko einzugehen, öffentlich „zu scheitern“.
Long story short: aus dem Grund hab ich mir angewöhnt, Beiträge, die Mutterschaft meiner Meinung nach stark verkürzt, romantisiert, sexistisch, exklusiv, und vorbei an vielen, vielen Lebensrealitäten, in denen Mutterschaft nun mal auch stattfindet, abbilden, zu kommentieren und die Dinge gerade zu rücken. Für mehr Realität auf Instagram quasi.
Realität auf Instagram?
Was aber, wenn mit genau diesem Sharepic mehr Realität auf Instagram gezeigt werden soll?
Den Ansatz seh ich total. Das Ding ist einfach, dass es viele große Communitys gibt, die ähnliche Aussagen über’s Muttersein gerne mit einer mal mehr, mal weniger subtilen Art von Allgemeingültigkeit ins WWW schicken. Wenn man sich nicht eingehender mit der Materie befasst, reflektiert oder vielleicht in Bezug auf die eigene Mutterschaft ohnehin schon verunsichert ist, lesen sich Dinge schnell als totale Wahrheit, die leise Zweifel am eigenen Tun aufkommen lassen oder bestehende noch weiter befeuern. Das passiert meiner Meinung nach ohne Kontext noch viel schneller und der Umgang mit Mutterschaftsbildern, Stereotypen, Romantisierung, Glorifizierung, aber auch mit dem Mythos der Selbstaufgabe, die immer wieder mitschwingt, muss einfach sensibler werden!
Dieses Thema scheint dich nicht zu ermüden. Wieso greifst du es immer und immer wieder auf?
Ich muss dazu ein wenig ausholen, am besten bestellst du dir noch ein Bier (;
Ich bin immer wieder schockiert, wie tief alte Denkmuster sitzen, was natürlich auf das Patriarchat zurückzuführen ist, in dem Frauen und in logischer Konsequenz auch Mütter, nun mal eine stark untergeordnete Rolle spielen. Entsprechend werden wir sozialisiert, vielleicht nicht mehr so drastisch, wie in den 50ern, aber ja, auch heute in 2021, stecken die Ausläufer der mehr als eingestaubten Rollenbilder von damals noch in den Köpfen. Und da kommen wieder die Sharepics ins Spiel, die mit diesen Klischees kokettieren, sie versuchen, mit nem Augenzwinkern zu verkaufen und darauf abzielen, dass möglichst viele traurige, einsame Muddis sich abgeholt fühlen, sich mit den abstrusesten Sätzen identifizieren können. Ich nenn als Negativbeispiele gern „Der einzige Spa-Moment, den ich [als Mutter] kenne, ist, wenn mir der heiße Dampf des Geschirrspülers in Gesicht bläst“ oder „Wenn dein Mann dich schlafen lässt ist das toll. Wenn er auch noch die Schlafzimmertür schließt, ist es Liebe!“. I mean, wtf? Solche Bilder werden zehntausendfach geliked und – natürlich – geteilt. Und jetzt stell dir vor, du bist ne junge (werdende) Mutter und dir begegnen ständig solche Postings. Irgendwann glaubst und – noch schlimmer – verinnerlichst du den ganzen Scheiß.
Mutterschaft = Selbstaufgabe.
11.573 Müttern gefällt das; 11.573 Mütter lügen doch wohl nicht. Oder? Dass die Frauen, die diese Inhalte konsumieren und augenscheinlich feiern, oft die gleichen sind, die allabendlich völlig ausgebrannt zu Hause sitzen, mit ihren Partner:innen streiten und sich nix sehnlicher als gleichberechtigte Elternschaft oder Urlaub vom Muttersein wünschen, geht aus diesen super funny Sharepic-Sprüchen natürlich nicht hervor.
Und genau deswegen, ich hatte es eingangs erwähnt, hab ich mir angewöhnt und auch so n bisschen auf die Fahne geschrieben, das unrealistische und ungesunde Bild, dass einfach schon viel zu lang Bestand hat, ein wenig aufzubrechen, indem ich immer und immer wieder kritisch kommentiere. Genau diese Kommentare sind aber nicht gern gesehen und werden häufig gelöscht; wie oft ich deswegen mittlerweile von größeren „Mama-Community“-Pages schon blockiert wurde, weiß ich grad gar nicht. Unterm Strich werden die Kommentare unter vielen Beiträgen von den Betreiber:innen der jeweiligen Accounts also bewusst homogen gehalten, was wiederum dazu beiträgt, dass die ollen Kamellen sich munter weiter manifestieren, ungefiltert reproduziert werden und so weiter und so weiter.
Ich fand euren Umgang mit meiner Kritik an einem eurer Sharepics mega, allein schon, weil ich überhaupt ne Antwort bekommen habe. Und dann auch noch ne konstruktive. Deswegen musste ich auch unbedingt noch mal drauf eingehen und hab @hauptstadtmutti in meiner Story als positives Beispiel aufgeführt, wie wertschätzender Umgang bei unterschiedlichen Ansichten eben auch aussehen kann. Und viel öfter sollte.
Alexandra Zykunov hat das Thema dann ebenfalls behandelt, du hast also eine kleine Welle damit losgetreten. Welche Reaktionen kamen bei dir an?
Ich bin mir sicher, dass Alexandra aka the Queen of Rants die Thematik schon weit vor mir behandelt hat. Aber sie ist damals tatsächlich über eine meiner ersten Stories diesbezüglich bei mir gelandet und hat mich dann repostet. Die Resonanz war überwältigend und für mich war es tatsächlich auch ne Ehre, dass eine Alexandra Zykunov, die so tief in dem Thema drin ist, es tagtäglich auf sämtlichen Ebenen differenziert und fundiert betrachtet, meine 2 Cents dazu für relevant genug hält, diese zu reposten. Wow! Die Reaktionen waren mindestens hunderte klatschender Hände in meiner Inbox, um es mal in „quick reactions“ auszudrücken. Und ne Menge Dankbarkeit in Form von „endlich sagt es mal jemand“ oder „ich dachte schon, ich wäre die einzige, der diese stereotype Kackscheiße auf die Nerven geht“.
Hat sich seitdem etwas zu deiner Sharepic-Einstellung geändert?
Ich bin insgesamt kritischer geworden und gucke immer erst 2x hin, ehe ich etwas teile. Völlig unabhängig von der Thematik übrigens. Ich hab immer diesen ominösen Algorithmus im Hinterkopf, der die Relevanz von Beiträgen ja angeblich immer höher einstuft, je öfter interagiert und geteilt wird, und den Bullshit dann wiederum noch öfter ausspielt.
Deswegen abschließend vielleicht noch n Tipp: wenn ihr euch über irgendeinen Beitrag aufregt oder aufzeigen wollt, warum etwas problematisch ist, macht nen Screenshot und nutzt nicht die share-Funktion. Die sorgt nämlich nur für Reichweite und spielt den Urheber:innen im Zweifel nur in die Karten und eure Kritik geht ganz schnell nach hinten los.
Danke, Vanessa.