Man ist, was man isst, oder auch: man ist, was man konsumiert. Um das näher auszuführen, machen wir eine kleine Zeitreise ins Jahr 2015. Meine Tochter ist ein Jahr alt, ich bin quasi die einzige in meinem Freundeskreis, die schon Mutter ist, offiziell studiere ich noch und meine Peer Group ist (noch) in der Nicht-häuslichen-Phase. Ich habe deswegen eher weniger Kontakt zu anderen Eltern, weil die Unterschiede die Gemeinsamkeit des Elternseins nicht ausgleichen können. Statt Pekip also Eröffnungen und Dinner, statt Eltern Talk Gespräche über Liebe, Leben, Sex, Reisen.
Im Frühjahr 2015 ist meine Tochter ein Jahr alt, im besten Spielplatz-Alter, wir sind in Berlin, ich stecke sie in den Buggy, sie hat ein erwartungsfrohes Lächeln im Gesicht, wir gehen los, kommen an und dann setze ich sie in den Sand und mich auf die Bank. Meine Tochter macht, was Kleinkinder im Sand tun, ich sitze auf der Bank und mache, was Erwachsene so tun (vermutlich was mit dem Handy). Neben meiner Tochter sitzt eine Mutter mit ihrem Kind im Sand und backt Sandkuchen, sie freuen sich beide, die Mutter ruft immer laut Good Job (das kann meine Erinnerung jetzt auch einfach dazu gedichtet haben, weil das immer so enthusiastisch klingt), beide lachen, das sieht nett aus, finde ich.
Mein Framing bröckelt ein wenig, meine Tochter sitzt im Sand und hat offensichtlich auch eine gute Zeit, aber vielleicht könnte sie ja eine noch viel bessere haben. Vielleicht entgeht ihr gerade eine elementare Erfahrung, Mitleid gepaart mit einem schlechten Gewissen kommt hoch. Meine Tochter soll auch gelobt werden, sie hat auch ein Good Job verdient, was weiß ich schon von Erziehung, denn wenn ich mich umblicke, sehe ich keinen anderen Elternteil mit Kleinkindern auf der Bank sitzen. (Ich sollte vielleicht anmerken, dass die Szene im Prenzlauer Berg stattgefunden hat, das erklärt dann vielleicht einiges).
Über das (fehlende) Gefühl von Zugehörigkeit
Ich bin nicht unbedingt gerne Außenseiter. Außenseiter im Sinne von: Ich brauche Abgrenzung, um eine Identität zu bilden. Gruppen und Gruppenprozesse sind immer interessant, aber das Zugehören schließt automatisch ein Nicht-Zugehören (woanders) mit ein. Im Laufe der Jahre, in denen das Leben meiner Tochter noch mit meinem eng verbunden ist, aber bereits eigene Interessen verfolgt, und dazu gehören z.B. Besuche auf dem Spielplatz, ändert sich automatisch und schleichend meine Peer Group. Ich bin auf gewisse Informationen angewiesen, gefühlt zumindest. Kita, Kleidung, Fahrräder, Ernährung, Interior, Terrible Two und Threenagers.
Ich möchte auch, dass meine Tochter bei der “richtigen” Kita angemeldet ist, ich muss wissen, welche Grundschulen gut sind, welche Brotbox am besten und welche Trinkflasche am sichersten ist, ich möchte, dass sie auch die Möglichkeit hat, im besten Sportkurs auf der Warteliste zu stehen, dass sie Fahrrad fahren lernen kann auf einem leichten Rad, dass ihre Winterschuhe warm, nicht aus Plastik und gut für ihre Füße sind. Denn das sind Themen, um die man kaum herumkommt, wenn man ständig davon umgeben ist.
Man ist was man konsumiert, und meistens konsumiert man das, was direkt vor einem ist. Menschen, die viel miteinander zu tun haben, fangen nach einer gewissen Zeit an, ähnlich zu sprechen. Paare, die länger zusammen sind, kommen sich optisch im Stil immer näher. Die meisten von uns kennen die Fotoreihe von Brad Pitt, der immer so aussah wie seine aktuelle Freundin (Google: Brad Pitt Aussehen Freundin). Wir leben alle in unseren Bubblen und wenn sich die nicht mischen, kommt es einem nach einer Weile so vor, als wäre die eigene Realität auch die Realität von anderen.
Im Grunde habe ich keine Meinung zu Zuckerfrei oder Medien, ich finde es irgendwie verschwenderisch, sehr viele hunderte Euros für Fahrräder oder Schultaschen auszugeben, aber whatever works. 2015 bin ich froh, uns finanziell halten zu können, alle sind gesund, freitags ist Fun Day, donnerstags immer Dinner Night (liebe Alliterationen).
Aber, und das ist ein sehr großes Aber: mein “Framing”, sozusagen mein weltbildlicher Bezugsrahmen hat sich verändert, und zwar so, dass ich in meiner eigenen Welt oder Bubble nicht gut abschneide. Als ich schwanger war, habe ich mir vorgenommen, meine Tochter mit Musik und Kunst zu füttern, ihr verschiedene Lebensmodelle zu zeigen, ihr zu verstehen zu geben, dass ein erfülltes Leben neben materieller Sicherheit noch etwas braucht, das man nicht kaufen kann. Dass sie eine Stimme hat.
Wer verurteilt eigentlich wen?
Und während wir unser Leben leben, in unserer zwei Zimmer Wohnung mit dem kleinen Balkon, wo im Winter die Kleidung auf der Heizung am Morgen, damit sie beim Anziehen warm ist, wo wir so etwas machen wie: das gute Geschirr rausholen und ich ihr ein Puppenhaus baue, habe ich trotzdem Komplexe, wenn Kinder zum Spielen da sind, die aus, sagen wir, eher bürgerlichen Haushalten kommen, in denen alles seinen Platz und Ordnung hat, deren Eltern beim Abholen in unsere Wohnung kommen, verwundert, dass man als alleinerziehende Mutter nicht unglücklich ist, über die zusammengewürfelten Möbel, über das Wohnzimmer in dem mein Bett steht.
Vielleicht hat aber auch niemand ge-judged, man denkt ja immer, man sei viel interessanter für andere als man dann tatsächlich ist.
Solange es aber für mich real war, hatte es zumindest einen negativen Nebeneffekt. Weird zu sein. Das Gefühl von Zugehörigkeit ist elementar. Ein Bedürfnis. Das Gefühl, falsch zu sein, fehl am Platz, verbesserungswürdig, das Gefühl, sich in einer Gruppe einsam zu fühlen, ist furchtbar. Es braucht Selbstbewusstsein, um sagen zu können: Auch wenn es für viele funktioniert, für mich funktioniert es nicht.
In wenig anderen Bereichen als in der Elternschaft wird man so stark mit sich selbst und seinen Wünschen und Vorstellungen konfrontiert. Dass es keine perfekte Mutter gibt, kein objektives Richtig oder Falsch, macht es sehr schwer, seinen Platz in dem Ganzen zu finden. Viele Alleinerziehende kennen es, wenn man im Freundeskreis die Einzige ist, die keine normative Kleinfamilie lebt. Die gute Nachricht: durch das Internet oder auch gerade durch die sozialen Medien hat man die Möglichkeit, seine Peer Group zu finden, Role Models, die es so machen, wie man es auch gerne machen möchte. Es ist okay auf der Bank zu sitzen, es ist ok im Sand zu sein. Es gibt sie nicht, die Mutter, nur den Mythos, aber es gibt sie, andere Mütter, die sich weniger verunsichern lassen als ich in meinen 20ern. Es gibt so viele Gegenbeispiele für Mutter als nur den deutschen Mythos.
Wichtig ist es nur, sich zu reflektieren, ob das Framing, in dem man sich gerade bewegt, auch wirklich zu einem passt. Und sich eine Peer Group zu suchen, die zu einem passt.
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