Hauptstadtmutti

Ey meine Freundin letztens so: „Alles unter zwei Kindern ist keine Familie“

Seit einiger Zeit sind wir also zu viert. Das bedeutet, dass hier neben großem Kleinkind auch ein Baby lebt. Mehr nicht. Das beinhaltet auch alle logistischen Hürden eines Babys und den Schlafmangel. Jajaja, ganz viel Liebe, jaja, aber halt auch die veränderte Logistik. Man ist abgebrüht, ist das der richtige Begriff? So fühlt es sich an, das beste Gefühl, viel mehr scheiß egal als Grundeinstellung. Man hört nicht mehr so richtig hin, wenn die Ratschläge kommen nach der Geburt. Während der Schwangerschaft auch, aber da ich meine zweite Schwangerschaft ziemlich erfolgreich für mich behalten konnte, und man fast bis zuletzt nichts sah, hatte ich da meine Ruhe.

Ich hab geträumt davon, dass man beim zweiten Kind ja schon alles weiß, und so richtig entspannt an die Sache rangehen kann, aber dass es wirklich so sein wird, wie man sich das ausmalt, das konnte ja niemand wissen. So hab ich mir das ausgemalt, aber wie krass scheißegal einem die Meinung der Mitmenschen beim zweiten Kind ist, hat mich dann doch etwas überrascht. Zumindest ist das in meinem Fall so. Völlig Latte. Ein Ohr, anderes Ohr.

Ich lüge auch gerne. Wenn mich jemand mit Enkeln fragt, wie die Nächte sind, sage ich SPITZE! Wenn mich jemand Männliches fragt, ob es ein liebes Baby ist, sage ich NATÜRLICH! Bei den meisten Mitmenschen lohnt es sich zu lügen, weil es sie nicht wirklich juckt, ob dein Baby durchschläft, oder nicht. Sie wollen Smalltalk betreiben und da du nun Mutter bist, gibt es ja kein anderes Thema auf der Welt als dieses Baby. Also gibst du den Omis und Opis und wildfremden Männern an der Bushaltestelle die Antwort, die sie hören wollen, damit du das kriegst, was du brauchst: Ruhe. Bei anderen Eltern bin ich ehrlich, immer. Denn oho, ich habe gelernt aus meiner dämlichen Ehrlichkeit der ersten Runde. Und wem hat das was gebracht, wenn ich mich übers zahnende Baby beschwert habe? Niemandem! Deshalb: Immer fein lügen oder einfach ignorieren, wirkt Wunder.

Aber. Große Ausnahme. Dieser eine Spruch, der bejahend, zustimmend, und positiv gemeint war. Ein großes Willkommensschild in die Welt der echten Familien. Mutter Vater Kind von jedem eins der spießbürgerliche heteronormative Traum! Und dann auch noch alle blond!

„Alles unter zwei Kindern ist keine Familie“

Bitte was? Ich dachte ich fall vom Stuhl. Eins ist keins, gibt es ja auch, sagen manche. Leckt mich doch alle am Arsch, das habt ihr also in den letzten Jahren über uns Einzelkindeltern gedacht? Ist das die geheime Absprache zwischen Eltern von mehreren Kindern und den Eltern von nur einem Bratzenblag? Denn let me tell you: Eins ist eins und zwei sind eins und eins.

Wir sind ja alle aufgeklärte Menschen und ich möchte an dieser Stelle nicht erörtern, dass man natürlich auch mit nur einem Kind eine echte Familie ist. Man ist auch ohne Kinder und ohne Trauschein eine Familie. Man ist in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung eine Familie und man ist mit einem Meerschwein und einem Hund und einer Dreierbeziehung eine Familie. Und man ist auch als Single und Freundeskreis eine Familie.

Wenn wir alle mal aufhören würden ständig zu definieren, was denn jetzt eine Familie ist, dann könnten wir einfach unsere familiären Beziehungen ausleben und gut ist.

Diese Begrifflichkeit ist nicht mein Problem, sondern dieses seltsame Etappenziel. Es fehlt doch wirklich nur noch der Stab, den ich beim Staffellauf gepaart mit extra Hürden der nächsten Frau in die Hand drücke und sage, so jetzt du. Denn selbstverständlich kommt nach dem ersten Kind das zweite. Und wie selbstverständlich wird nach dem zweiten regelmäßig nach dem eventuellen Dritten gefragt. Denn wenn jede Frau um mich herum Kinder kriegt, habe ich Kinder zu kriegen, wenn alle zwei Kinder kriegen, kann ich nicht Mutter von einem bleiben und wenn meine beiden Kinder das gleiche Geschlecht haben, habe ich es ein drittes Mal zu probieren.

Doch dann sitzt man da. Mit Babyglück und Hoffnung, und denkt sich, puh, this too shall pass, bis jemand wieder was Verletzendes sagt, und man sich denkt, ich steh über so viel drüber, dass ich kaum noch kann, deshalb setze ich mich jetzt hin, und empöre mich mal wieder. Macht euch keinen Kopp, ich empöre mich auch in echt, nicht nur hier. Ich konfrontiere sogar ziemlich gerne. Doch der Satz spukt nun seit fast einem halben Jahr in meinem Kopf und ich dachte mir, der wird schon weggehen, viele Gedanken verschwinden, aber der hier wollte nicht weg.

Er wollte vor allen Dingen nicht weg, weil das vielleicht das zweite Kind ist, aber die dritte Schwangerschaft war. Die Person, die mir das sagte, wusste, dass ein Altersunterschied von fast fünf Jahren selten Zufall ist. Frauen dürfen und sollten nicht nach ihrer Familienplanung gefragt werden. Punkt Aus. Wenn sie es euch nicht erzählt hat, warum sie kein/ein/sechs Kind(er) hat, geht es euch nichts an, nachzufragen. Auch nicht im Scherz. Meine Geschichte und viele andere könnt ihr übrigens bei Julia Stelzners wunderschöner Plattform Das Ende vom Anfang nachlesen.

War das wirklich schon immer so? Wurden Müttern und Eltern allgemein schon immer unangenehme Fragen gestellt oder dämliche Kommentare aufgezwungen? Oder meckern wir erst seit der Etablierung von Internet und Blogs und vorher haben alle ihren Mund gehalten?

Dieses Thema macht müde. Manchmal macht das alles sehr, sehr müde. Mutterschaft sowieso. Dann noch mit Baby, Terminen, Arbeit, Ehe, drüber schreiben wir alle immer, oder? Über Mental Lord und Altersarmut und die Schulkrise. Kitakrise ist inzwischen die Durchgangsstation, denn hey, ganz ehrlich, wer kriegt denn überhaupt einen Platz?

Noch viel ermüdender als Mutterschaft an sich, ist auch das Schreiben darüber, glaubt mir. Ich sehe die Entwicklung der letzten Jahre, wie politisch die Blogs geworden sind und dass Frauen wie Teresa Buecker, Judith Poznan, Milena Glimbovski, Mirna Funk, Sandra Runge, Ninia Lagrande, Marlene Hellene, Nina Straßner, Laura Fröhlich und Alexandra Zykonov nicht müde werden, das Thema immer und immer wieder nach vorne zu dreschen. Arbeiten, Elternschaft, Begrifflichkeit, Working Mom, SHM, Gerechtigkeit. Drehen wir uns im Kreis oder wird das noch mal irgendwann was mit dieser ganzen beschissenen Gerechtigkeit? Werden wir noch jahrelang die gleichen Artikel darüber lesen, wer wie was bei wem aufteilt, was wie wann bei wem funktioniert hat und welche Gesetze uns als nächstes ficken werden?

Bis wir wieder auf der Bühne sitzen oder an einer Bar stehen, oder einfach am See liegen und uns der nächste Otto fragt, wer denn jetzt grad auf die Kinder aufpasst. Oder wo die Kinder überhaupt sind. Oder bis unsere Kinder irgendwie älter sind, uns das Thema nicht mehr juckt, weil wir auch älter sind und den Stab weitergeben, damit die Jüngeren sich mal aufregen, das können die so gut, mit ihren untertitelten Insta Stories.

Aber es macht einen Unterschied! Denn seitdem ich nicht mehr in Berlin lebe, ist nichts mehr selbstverständlich! Nennt es Kleinstadt, Provinz oder Landleben, aber traditionelle, ach dieses bescheuerte Wort, also einseitige Aufteilung von unbezahlter Care Arbeit und Mental Load fängt hier erst ganz, ganz langsam an, Menschen zu interessieren. Ja, es macht einen Unterschied. Auch das Posten darüber! Macht weiter! Damit es irgendwann selbstverständlich ist, dass man Erziehungsberechtigt/er auf Kita Formulare statt MUTTER schreibt!

Also schreibt sie auf, eure Gedanken, postet das Selfie, auf dem ihr euch geil fühlt, und um Gottes willen, redet über euer Modell und hinterfragt euer Modell! Und NERVT! Nervt noch viel mehr! Seid die Frauen, die allen auf den Sack gehen! Feiert euch gegenseitig und denkt an mich, wenn ihr euch das nächste Mal empört! Ihr werdet gelesen, ihr werdet gehört, eure Worte haben Wirkung!

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