Ey meine Freundin letztens so: Ich schreie Menschen an, die bei Rot über die Ampel gehen, weil ich wütend bin

Meine Freundin hat ein Hobby, für das ich sie liebe. Sie erzieht wildfremde Menschen an der Ampel. Letztens meinte sie so zu mir:


„Ich darf meine Kinder nicht schlagen, ich habe keine Zeit für Sport, ich möchte nicht drogenabhängig sein, ich kann nicht noch mehr trinken, sonst werde ich Alkoholikerin, ich arbeite in einer Agentur, in der ich den ganzen Tag freundlich und dienstleistungsorientiert agieren muss und ich habe keinen Grund, meinen Mann anzuschreien, weil er ein toller Mann ist, und sich um alles und noch viel mehr kümmert. Aber. Ich weiß nicht wohin mit meinen Aggressionen und deshalb rufe ich passiv-aggressive Sachen an Berliner Kreuzungen.“

Zunächst einmal: Uhm. Ok? Frauen und Wut ist ja immer so ein Thema. Ich muss euch nicht daran erinnern, dass Ärzte mal Orgasmen gegen weibliche Hysterie verschrieben haben. Dass man sehr gerne mal gefragt wird, ob die Periode eingesetzt hat, wenn man gerade etwas angespannt oder tatsächlich aggressiv ist. Und Gott bewahre, man ist einfach mal wütend, weil einfach alles nicht nach Plan läuft, und gerade kein Personal Yoga Trainer zur Seite steht, um schnell zu meditieren. ‚Schnell meditieren.’ Alle reden von Achtsamkeit, und Yoga, und organic Mandel-Smoothies mit Grünkohl-Algen Pulver. Alle wollen sich beruhigen. Alle sind vegan. Alle ziehen ihren Kindern hübsche Sachen an und haben Eukalyptus auf dem Tisch. (Ja, ich höre gerade Kids von Marteria, also denkt euch den Beat.)

Alle? Nee, dann wurde Trump Präsident, Teen Vogue politisch und die Frauen zogen sich Pussy Mützen an und waren sauer. Ich hab mir ein Schnitzel gefreut. Wütende Frauen, die wütende Sachen geschrien haben. Doch das machten sie wegen wichtiger politischer Themen. Im Alltag blieben sie lieb und freundlich und zuvorkommend und wollten mit allen auf der Welt befreundet sein. Meine Freundin ist voll tough, und voll die krasse Businessfrau, sehr kompetent, ich habe sie schon einige Male im Büro erlebt. Aber. Sie sagt mir, dass sie Angst hat, dass sie KollegInnen nicht mehr mögen, wenn sie mal Ansagen macht. Sie wünscht sich nichts mehr, als ein bisschen mehr ‚scheiß egal’ im Blut zu haben. Wie kriegt man das?*

*Man kann z.B. „Rattatatam, mein Herz“ von Franziska Seyboldt lesen. Da geht es um ihr Leben mit ihrer Angststörung. Ich hätte mir eine wesentlich kleinere Schriftgröße gewünscht, denn so muss man gefühlt alle 30 Sekunden umblättern, aber sonst hab ich da nicht viel zu meckern, schönes und wichtiges Buch.

Angst ist nicht übertrieben. Sie meint, dass sie richtig Zustände kriegt, dass Menschen sie nicht mögen könnten. Die anderen Mamas in der Kita, wildfremde Menschen an der Supermarktkasse, der Busfahrer, die Praktikantin, die Nachbarn. Alle sollen denken, dass sie alles unter Kontrolle hat, immer cool gestylt ist und jederzeit weiß, wer in ihrem Bezirk gerade Bürgermeister ist.

Das muss anstrengend sein. Das ist anstrengend. Ich kenn das auch. Nicht ganz so extrem. Ich bin froh, wenn ich grad weiß, wer bei Dortmund Trainer ist, wie die Erzieherin des Kindes heißt und wann ich Geburtstag habe. Ich habe keine Zeit, Smoothies herzustellen, weil man danach viel saubermachen muss, und weil der Smoothie auf Büroklamotten dezent unprofessionell wirkt. Smoothies würden mich also nicht weniger wütend machen, sondern hauptsächlich aggressiver, also esse ich Knäckebrot, da fühlt sich jeder Biss wie ein laut krachendes in sich zusammenfallendes Gebäude an – so stelle ich mir das Patriarchat in den letzten Jahren vor.

“It’s all right to feel angry. It’s all right to feel anything, in fact.” Laurie Penny

Wann wurde Mama sein so anstrengend? Seitdem alle ihre Wohnungen und ihre Mahlzeiten auf Instagram hochladen? Und dann grinsend in den Stories erzählen, dass sie grad vom Gym kommen und noch voll auf den Endorphinen des Workouts schweben. Ich will nicht schweben, ich will stampfen. Deshalb folge ich auch gerne Accounts wie @mother_pukka, @ultimategirlgang und @sweary_tattoed_mother_of_4. Denn wenn jemand in seine Bio ‚A lot of wine and a lot of honesty’ schreibt, dann folg ich der Ollen in no time.

„Women who I’ve spoken to this week described themselves as regularly feeling angry and „combative“ toward men. They are no longer reacting with passive fatigue to catcalling, mansplaining, or a stranger’s hand on their waist in a bar. But it’s not anger with men as individuals, really. Maybe blame falls on them domestically because they’re within reach. But they are just a consequence. The man who told me to cheer up is simply a representation. A by-product of the system I can no longer stomach.“

Emily Sargent (Women need to stay angry in 2018, VICE)

Da ich keine Freundinnen habe, die mit mir joggen würden, oder zum Pilates gehen (ich danke euch dafür), verabrede ich mich mit meiner Freundin, um an Kreuzungen zu stehen. Das Ganze läuft so ab: Wir stehen mit unseren kognitiv starken (sagt die Psychiaterin) Kleinkindern an der Kreuzung, und warten, dass irgendein Horst bei Rot über die Ampel läuft. Es sind zu 98% Männer und zu 80% Senioren. Per Definition also der alte weiße heterosexuelle Mann, der unser Leben schwer macht, weil er Frauen nicht einstellt, die schwanger werden könnten. (Also Frauen an sich.)

Und dann rufen wir, so laut, so aggressiv, dass unsere gesamte aufgestaute Wut über den Berliner Asphalt schwebt:

GANZ GENAU SCHATZ, NUR BEI GRÜN ÜBER DIE STRAßE GEHEN!
NIEMALS BEI ROT!
MAUSEBÄR, DAS IST RICHTIG GEFÄHRLICH BEI ROT ÜBER DIE STRAßE ZU GEHEN! SOWAS MACHT MAN NICHT! DA KANN GANZ VIEL PASSIEREN!
RICHTIG, NUR BÖSE MENSCHEN GEHEN BEI ROT ÜBER DIE STRAßE!
NEIN, SCHATZ, DER MENSCH IST NUR FARBENBLIND, DER KANN DEN UNTERSCHIED ZWISCHEN ROT UND GRÜN NICHT ERKENNEN.

Es mag euch völlig bekloppt vorkommen, aber es hilft, wildfremde Menschen indirekt anzuschreien. Hey, es gibt Leute, die geben Schrotthändlern Geld dafür, alte Autos mit dem Baseballschläger einzuschlagen. (Nächste Weihnachtsfeier?)

Viele Männer drehen übrigens um. Wirklich. Und dann gucken sie schuldbewusst und sagen zum Kind: ‚Deine Mama hat recht.’ Bei allen anderen reden wir uns ein, dass es Touristen sind. Vielleicht sollten wir das Spiel mal auf Englisch am Rosenthaler Platz spielen. Aber die verstehen die Dramatik des Über-Rot-gehens nicht.

Scheißt auf ladylike. Seid sauer. Seid wütend. Kotzt euch aus. Hört auf zu bügeln. Sagt nein. Habt keinen Bock. Bleibt liegen. Lasst eure Kinder fernsehen. Lest ein Buch. Guckt noch einmal Mean Girls. Esst mehr Kohlenhydrate. Und hört nicht auf mich. Macht was ihr wollt.

„No, you can’t demand a smile from me. I hate you for asking, and I hate myself for obliging every time until now. When did I first decide to smile, laugh, or make noises in bed when I didn’t feel any of it for real, to flatter or assuage you or persuade you to leave me alone? When did I begin to forget that this was my body? My body. My hands. My lips, which perform for you in this world we’ve built. Can’t you see that this is broken?“

Emily Sargent (Women need to stay angry in 2018, VICE)

2 Kommentare zu “Ey meine Freundin letztens so: Ich schreie Menschen an, die bei Rot über die Ampel gehen, weil ich wütend bin

  1. Elina! I oh! love you so much. Jedes Wort könnte meines sein. Ich denk ich probiere das mit der Kreuzung auch mal aus. Hab quasi gleich eine vor der Türe.

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