Den einen wirklich brauchbaren Ratschlag, den wir bei der Verkündung meiner Schwangerschaft erhalten haben, war dieser: „Lest keine Ratgeber zu Kindererziehung.“ Also taten wir das nicht.
Was will man denn auch bei einem Baby großartig erziehen, sind eh alle grundverschieden, und wenn ihr schon mehrere habt, könnt ihr mir unter Umständen zustimmen. Was bei einem Kind geklappt hat, kann beim anderen zur Verzweiflung führen. Das eine Kind liebt Routine und schläft nach wenigen Wochen durch, weil es jeden Abend um Punkt 7 schlafen gelegt wird; das andere Kind ist auch mit zwei Jahren immer noch jede Nacht mindestens einmal wach – Routine hin oder her.
Doch dann werden sie älter. Sie kriegen Geschwister. Sie schlagen Kinder auf Spielplätzen. Sie beißen Mama. Sie wollen urplötzlich nur noch Nudeln mit Butter essen. Aber wir wollten doch kein Kind, dass nur Nudeln mit Butter isst! Unser Kind soll ein Sushi liebendes Großstadt-Vorzeigekind sein! Mit Geschmack und erweitertem Horizont! Was tun? Spätnachts im Internet auf Blogs und bei Amazon rumrecherchieren, ob andere Menschen, die auch keine Ahnung von nichts haben, ihren Senf zum Thema Kindererziehung abgegeben haben. Am besten kinderlose Menschen, die Kindererziehungsexperten sind! Die sind nämlich so fein ausgeschlafen und haben genug Zen um die Bratzen aller anderen Kinder schön analysieren zu können! Und dann gehen sie abends nach Hause und essen Dinkelnudeln mit Süßrahmbiobutter und gehen um Punkt 7 schlafen, weil Routine.
Nichts da. Wenn schon Erziehungsratgeber, dann welche, die man auf den ersten Blick nicht ernst nehmen kann. Vielleicht lernt man dann eher etwas, weil man mit einem kritischen und einem ungläubigen Auge liest.
Rotzlöffel dank liberaler Kindererziehung?
Einer dieser Verfasser von Erziehungsratgebern und selbst erklärter Gegner von selbigen, der werte Herr David Eberhard, ist Schwede, Vater von sechs (!) Kindern und Psychiater(?). Letztes Jahr hat er ein bisschen die Medien aufgemischt mit seinem Kinder an der Macht. Die monströsen Auswüchse liberaler Erziehung. Es lag nun ein Jahr lang in meinem Bücherregal rum, bis ich vor kurzem mal wieder eine Fahrt in einem Kinderabteil der Deutschen Bahn überleben musste. (An dieser Stelle eine grandiose Buchidee: Ich fahre mit Nachwuchs im Kinderabteil quer durch Deutschland und berichte, na, wäre das etwas für euch?)
Ich hatte vergessen, dass es in manchen ICEs Kinderabteile mit ACHT Plätzen gibt. Und da die meisten Eltern ihren Kindern ja keine Sitzplätze reservieren, kann es gut sein, dass sich sechs Erwachsene mit je zwei Kindern in einem Kinderabteil befinden. Alles schon erlebt. Nun gut. Letztens war da also eine Mama mit vier Kindern. No biggie. Ich bin geborene Mennonitin, kenne auch viele Baptisten, bei uns ist eine Familie mit weniger als drei Kindern wesentlich ungewöhnlicher als eine mit mehr als vier.
Eine Bahnfahrt im Kinderabteil, die ist nicht lustig
Leute, vier Kinder, alle wesentlich jünger als durchschnittliches Einschulalter, einmal Zwillinge, alle völlig von der Rolle. Bevor ihr eure mit schadstofffreiem Nagellack lackierten Nägel Richtung Kommentarfunktion wandern lasst: Ich weiß, dass es beschissene Tage gibt, ich weiß, dass es abends war, und dass die gute Frau alleine war. Ich habe sie angelächelt, ich habe ihr beim Aussteigen meine Hilfe angeboten, sie sollte sich nicht von mir scheiße behandelt gefühlt haben. Tat sie nicht. Der ging’s gut. Und Toma-Luca (kein Scherz) und seinen drei Geschwistern, die zeitweise, seien wir ehrlich, eigentlich die ganze Zeit, auf meiner Kopflehne tobten, ging es ebenfalls prächtig! Wenn sie nicht gerade schrien, heulten, flennten, dann räumten sie meinen Rucksack aus, kletterten auf meinen Koffer, zogen meinem Kind die Schuhe aus. Fand ich nicht so geil. Ganz ehrlich. Fand ich scheiße. Die Mutti sprach weiterhin in ganzen Sätzen, zählte alle Vornamen auf und drohte immer wieder mit Dinkelkeksentzug, alles in einem Singsangton, der in mir den Hulk weckte. Doch ich sagte nichts. Warum nicht? Hast doch sonst so eine große Klappe, Elina! Uhm. Weil ich mein Leben nach dem „You have to pick your battles“-Prinzip lebe, also es versuche, sagen wir es mal so. Das war es nicht wert.
Doch zu Hause angekommen, erinnerte ich mich an das Buch des Herrn Eberhard. Und da ich eh grad in Anti-Bullerbü-Bratzen-Laune war, fing ich an diesem Abend noch an zu lesen und musste ein bisschen nicken. (Ich habe es noch nicht durchgelesen, aber Brigitte MOM hat hier eine schöne Zusammenfassung.) Und warum musste ich so nicken? Ihm zufolge ist es kein Wunder, dass ich im Zug nichts gesagt habe. Dass wir alle keine verzogenen Bratzen mögen, das versteht sich ja von selbst, aber Eberhard geht auch auf den Aspekt der „verlorengegangenen Elterngemeinschaft“ ein:
„Früher gab es eine Gemeinschaft der Erwachsenen. Man hatte die gleichen Werte, was die Erziehung anging. Wenn sich ein Kind danebenbenahm, ging man hin und sagte: Hör auf damit! Diese Übereinkunft gibt es nicht mehr. Wir Erwachsenen stehen nicht mehr füreinander ein, wir stehen nur noch für unsere Kinder ein.“
Ich würde es niemals wagen, ein anderes Kind zurechtzuweisen, vor allen Dingen nicht, wenn die eigenen Eltern(teile) anwesend sind und sich dafür entscheiden, nichts zu tun. Klar, ich bitte das Kind, etwas zu lassen, was mir oder meinem Kind körperliche Schmerzen verursachen könnte, aber ein anderes Kind schelten, nur weil es mich nervt? Ich bin doch nicht blöd. Schaut doch mal, wie ich hier um den heißen Brei herumtanze, weil ich bis zu einem gewissen Grad auch Angst vor euren Kommentaren habe.
So weit ist das gekommen. Man will ja niemanden verletzen, ich möchte, dass alle Mütter auf sich stolz sind, und ich möchte unterstützend sein! Auf der anderen Seite habe ich gerade in Berlin sehr, sehr, sehr oft das Bedürfnis, fremden Kindern ein dickes fettes NEIN zu entgegnen, wenn sie sich in meinen Augen daneben benehmen. Doch das sind ja meine Augen, und die haben nichts zu melden. Und bevor hier nachgefragt wird: Ja, ich finde es in Ordnung, wenn andere Erwachsene meinem Kind sagen, dass er etwas in den Müll schmeißen kann, ihren Hund nicht anfassen soll oder ruhiger sein könnte, weil da gerade ein Baby schläft.
Der Eberhard sagt auch:
„Heutzutage müssen gebildete Eltern auch alles im Griff haben, wenn es darum geht, wie oft und wie lange das Kind den Schnuller haben darf und ob man die mathematische Intelligenz des Kindes fördert, wenn man es beim Lesen von Sudokus zuschauen lässt. Man muss das Kind nicht nur in den Schlaf wiegen, man soll auch noch ganz früh im Leben des Kleinen mit ihm singen und Bücher lesen. Darüber hinaus soll man lachen und fröhlich sein. Sonst ist alles für die Katz gewesen.“
Man macht sich schon wirklich viele Gedanken. Wir wollen ja alle einfach nur alles richtig machen. ALLES! Und man hat viele Menschen um sich herum, gebildete Eltern, wie er es sagt, die sich auch Gedanken machen, und dann redet man am Spielplatz oder nach der Kita oder in der Mittagspause oder man liest und man verschwindet in dieser Sorgenspirale und denkt denkt denkt andauernd an das Kind, über das Kind und was dem Kind wohl fehlen könnte. Ist das wirklich neu? Kümmern wir uns zu viel? Oder ist unser ewiges Kümmern der Grund, dass die Sterberate bei Geburten (Mütter und Kinder) und auch SIDS noch nie so niedrig war? War das früher anders?
Vor kurzem schrieb ich etwas über zwei Eheratgeber aus den 50er-Jahren, einmal DDR, einmal BRD. Believe it or not, beide haben auch etwas zu Kindererziehung zu sagen! Auch wenn es bei beiden nur wenige Seiten sind, möchte ich euch meine (neudeutsch) Learnings nicht vorenthalten.
Erziehungsratgeber aus der guten, alten Zeit: DDR
„Aufgeklärte Eltern wissen, dass die Erziehung ihrer Kinder am ersten Tage beginnt.“
Hier würden gerade Anhänger der Bindungstheorie nach Bowlby wahrscheinlich vehement widersprechen. Oder je nachdem, was man unter Erziehung versteht. In beiden Büchern wird nämlich darauf hingewiesen, dass die Vorbildfunktion der Eltern ungemein wichtig ist, und völlig unabhängig vom gesprochenem Wort.
„Lange bevor der kleine Mensch sprechen kann, beobachtet er. Hierbei kommt es viel mehr darauf an, was die Eltern tun, als auf das, was sie sagen, bzw. mehr darauf, wie sie etwas sagen. Man kann deshalb das Paradoxon wagen: Nicht die Eltern erziehen die Kinder, sondern die Kinder die Eltern – falls nämlich die Eltern etwas von Erziehung verstehen.“
Snap. Yup. Plötzlich ist nichts mehr mit Pizza auf dem Sofa (außer ab und an), oder popeln oder Sachen rumliegen lassen. Schöner ausgedrückt:
„Wenn man sich in einer kinderlosen Ehe noch einigermaßen gehen lassen könnte – sobald kleine Kinder in der Familie aufwachsen, kann man das nicht.“
Nun, man sollte es vielleicht nicht. Es wirkt schon arg heuchlerisch, wenn man das Kind zum Aufheben und Wegräumen ermahnt und die eigene Kaffeetasse vom Frühstück abends noch auf dem Schreibtisch steht. Oder auch das Fluchen. Wenn man einem Schulkind vielleicht erklären kann, was Wörter für Erwachsene sind, ein Kleinkind wird ein neugelerntes „Scheiße!“ so oft wiederholen wie es mag. Vielleicht muss man den inneren Ozzy Osbourne doch ausschalten, Scheibenkleister!
„Mehr und mehr sind die Eltern darauf angewiesen, die Einsicht der älteren Kinder zu gewinnen und ihre Selbsterziehung anzuregen. Ihr Wesen hält den Eltern noch einmal den Spiegel vor. Da unsere Kinder das Produkt der Umwelt sind, die wir durch Worte und Taten in achtzehn langen Jahren geschaffen haben, so stellen sie in ihrer Person und in ihrem Verhalten zugleich die treffendste Kritik unserer Ehe dar.“
Autsch. Ist das so? Ihr Eltern mit Teenagern und fast Zwanzigjährigen, was sagt ihr dazu? Ich denke, was der Autor damit sagen möchte, ist, dass wir schon echt gewaltig aufpassen sollten, wie wir uns verhalten und was wir sagen, wenn unsere Kinder in der Nähe sind. Eigentlich ist so eine Familie ja auch eine nie enden wollende WG, immer ärgert man sich über seine Mitbewohner, und das schlimmste: Man ist alleine oder zu zweit dafür verantwortlich, sie auch noch am Leben zu erhalten und zu brauchbaren Mitgliedern dieser Gesellschaft zu erziehen. Wenigstens hat unser Loser-Mitbewohner aus dem Studium es regelmäßig geschafft, sich eine Pizza zu bestellen. Also schnell zu großartigen, selbstständigen Wesen erziehen!
Erziehungsratgeber aus der guten, alten Zeit: BRD
Auch hier wird sie sofort erwähnt, die Vorbildfunktion:
„Das, was man von seinen Eltern sieht und hört, sei für den „moralischen“ Menschen das wichtigste. Erziehen heißt demnach nichts anderes als Vorbild und Beispiel sein.
Wer erziehen will, muss zuerst sich selbst erzogen haben, um Vorbild sein zu können. Das ist strapaziös, und deshalb unterlässt man es gern. Man macht dann beim Erziehen liebe viele tönende Worte, man redet, mahnt, zupft hier und da an den Kindern rum, nörgelt und predigt am laufenden Band und wundert sich, wenn alle die schönen Worte nichts fruchten, weil die Dauerberieselung durch Mahnen, Schelten und Klapse die Kinder völlig abgestumpft hat.“
Mmmmh. So ging es mir mit der Frau im Zug. Dass sie gar nicht müde wurde, sie hat zwei Stunden lang ohne Pause gebeten, ermahnt, gedroht und kam nicht mal aus der Puste. Ich will ihr nicht vorwerfen, dass sie zu Hause auf der Sofalehne turnt, vier Kinder sind schließlich vier Kinder und eine Zugfahrt ist kein Zuckerschlecken, aber ich muss sagen, bei unserem Kind hilft „Gelaber“ null. Nur Konsequenz. Entweder ich nehme ihm das jeweilige Ding weg, mit dem er gerade Schabernack anstellt oder ich kann mich dumm und dusselig reden. Aber unser Kind ist ja klein. „Nein“ ist für ihn immer noch Grund, einen Lachkrampf zu kriegen, auch wenn wir meistens nur versuchen zu verhindern, dass er sich mit Messern, Steckdosen oder im Straßenverkehr versucht umzubringen.
„Es ist gar nicht so schwer, Kindern ein gutes Benehmen oder Höflichkeit beizubringen, wenn man sich selbst gut benimmt und höflich ist, und zwar nicht nur vor Fremden oder außerhalb des Hauses, sondern vor allem innerhalb der eigenen vier Wände.“
Ja, das hört sich auch ein bisschen nach Wunschdenken an. Haha, selbst die besterzogensten Kinder schmeißen sich mal auf den Boden. Außer natürlich die französischen Kinder, ist klar.
„Da ist, um nur ein Beispiel zu nennen, die gemeinsame Mahlzeit. Sie soll nicht nur der Nahrungsaufnahme dienen, sondern eine schöne Ausdrucksform des Familienlebens sein. Das kann nie der Fall sein, wenn jeder kommt und geht, wann er will, wenn der Vater beim Suppelöffeln die Zeitung liest, die Mutter hin und her rennt, die Kinder sich bei Tisch nicht von ihrem Spielzeug trennen. Alles das sind Unarten und Unhöflichkeiten, durch die man zeigt, dass man die Gesellschaft des anderen nicht für so wichtig hält wie die Zeitung oder das Spielzeug.“
Ersetze Zeitung durch Smartphone und Spielzeug durch Tablet und wir sind im Jahre 2016 angekommen. Schnell Instagram checken, auf diese Email reagieren, Oma und Opa noch ein Video vom Spielplatz schicken. Ertappt. Das ist wirklich etwas, woran wir und viele andere Familien sicherlich arbeiten müssen. Gemeinsame Mahlzeiten, wenigstens eine am Tag, sollte Familienzeit sein, je nach Möglichkeit. Das heißt ohne Geräte.
„Auch die Liebe zum Tier kann man bei seinen Kindern am besten dadurch wecken, dass man selbst die Natur mit all seinen Geschöpfen liebt und schützt. Nicht die sentimentale Vermenschlichung des Tieres, die dem Tierschutzgedanken schon so viel geschadet hat, ist das Ziel, sondern die Anerkennung des Tieres als fühlendes, empfindliches Wesen und als Kamerad, zu dem man gut und menschlich sein muss.
Man sollte also schon beim Kleinkind nicht dulden, dass es sein Stofftier schlecht behandelt, es herumpufft oder in kindlichem Forschungstrieb zerfleddert.“
Auch hier soll man mit gutem Beispiel voranschreiten, auf Spaziergängen nicht absichtlich Käfer zertreten und fremde Katzen nicht mit Steinen vom eigenen Grundstück jagen, the basics, you know. Frau Dr. Oheim ermahnt die LeserInnen auch, dass das Schlachten von Tieren vor kleinen Kindern per Gesetz verboten ist. Ah, gut.
„Man kann also nur gut miteinander auskommen, wenn jeder das Wesen des anderen respektiert. Auch zu dieser Duldung, zur Anerkennung der Persönlichkeit des Partners, kann man schon Kinder erziehen, und zwar wiederum durch gutes Beispiel. Dass das Maß an Toleranz, das die Eltern untereinander sich entgegenbringen, auch auf die Kinder wirkt, steht außer Zweifel. Kinder, die Tag für Tag mit ansehen müssen, wie die Mutter am Vater oder umgekehrt, der Vater an der Mutter herumkritisiert, werden kaum einen wirklichen Begriff von Duldsamkeit oder Freiheit bekommen.“
Soviel zum Thema streiten und meckern vor den Kindern. Man kann sich ja giftige SMS schicken, hihi. Ach nee, Smartphones vor den Kindern soll man ja nicht. Also ich weiß nicht. Ich kenne auch Freunde, die aus allen Wolken gefallen sind, als ihre Eltern sich haben scheiden lassen. Sie kannten Friede, Freude, Eierkuchen und plötzlich Trennung. Ab und zu sollte man vielleicht den Kindern zeigen, dass es auch ok ist, unterschiedlicher Meinung zu sein, oder traurig oder auch wütend zu sein. Gerade Mädchen wird oft gesagt, dass sie lieb und nett sein sollten und weibliche Wut wird seit Jahrhunderten gerne als Hysterie abgetan (bis heute).
„Natürlich müssen Kinder den Geboten ihrer Eltern folgen. Aber man sollte ihnen im Rahmen des erzieherisch Vertretbaren doch möglichst viel Freiheit und Entwicklungsmöglichkeit lassen.“
„Nicht jedes Kind sitzt, um ein ganz banales Beispiel zu nennen, beim Lesen gern brav auf seinem Stühlchen, es liegt beim Schmökern lieber flach auf dem Boden. Viele Kinder mögen keinen Spinat oder wollen ihr Gemüse lieber auf einem Extrateller und nicht zusammen mit Fleisch und Kartoffeln. Solange solche Eigenwünsche die Allgemeinheit nicht stören, sollte man Nachsicht dafür haben. Vor allem die Väter, die so gern ihre Prinzipien reiten und ihren Frauen vorwerfen, dass sie solche Prinzipien nicht hätten.“
Dr. Oheim fordert „kleine Oasen der Selbstständigkeit und Freiheit“ für alle Familienmitglieder! Beispielsweise ein Fach für das Kind, das es selbst mit Spielzeug einräumt, dass man jeden in der Familie lange schlafen lässt, der gerne lange schläft, und dass man die Sachen des anderen, auch die heißgeliebten Stifte des Kindes, nicht nimmt.
„Nichts ist schädlicher für ein Kind, als wenn man durch unentwegtes Erziehen seine Persönlichkeit einschnürt.“
Also, was haben wir nun über Kindererziehung gelernt? Am Ende des Tages zählt wahrscheinlich, dass man als gutes Vorbild und mit viel Liebe, Geduld, aber auch Konsequenz durchs Leben schreitet. Dazu gehört auch mal Pizza-Bestellen oder ein Notfall-Zeichentrickfilm, weil man dringend etwas erledigen muss, und dass man dem imaginären Freund einen Teller hinstellt. Und die Mama im Zug? Ich finde es schade, dass ich Angst hatte, etwas zu sagen. Aber so ist das halt im öffentlichen Leben, man sieht und erlebt bestimmt vieles, was einem nicht gefällt. Es ist nicht meine Aufgabe, ihre Kinder zu erziehen, aber das nächste Mal, wenn es mir wirklich reicht, dann sag ich was! Versprochen!
„Außerdem – die Zeit rollt, und die ausgleichende Gerechtigkeit sorgt schon dafür, dass sich die Kinder eines Tages als Vierzig- oder Fünfzigjährige die einst geübte Kritik an den älteren selbst gefallen lassen müssen.“
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Bei unserer letzten Zugfahrt im Abteil hat uns die Dame gegenüber angesprochen ;). Wir waren mit ihr allein! Der Film den die Kinder (4,6) angeschaut hatten war gerde zu Ende: ob die Kinder denn jetzt schlafen könnten und bei Hunden und Katzen würde man so Tropfen geben. Ich weiss nicht ganz genau wer darüber lachen sollte oder war das Ernst gemeint…
Als junge Mutter von drei Kindern (kleiner Junge,2 , Mädchen 5 & 8), die gerade eine siebenstündige Zugfahrt hinter sich hat (nur die Kinder und ich, Kleinkindabteil bereits ausgebucht) kann ich von meiner Seite sagen, dass ich es total toll finde, wenn andere Leute auch den Kindern ihre Meinung sagen. Ich gehöre nicht zu den super relaxten Müttern und war wirklich danach reif für die Insel, weil ich – vielleicht wie die beschriebene Mutter – permanent am ermahnen (psssst!, nicht das, nicht dies, das stört die anderen..) war. Und zwar nicht nur für mich selbst, d.h. ich musste nicht nur für meine eigenen Grenzen sorgen – was an sich schon echt hart ist in so einer Situation (kleiner Tobejunge 7 Stunden im Zug) sondern in vorauseilendem Gehorsam auch für das gesamte Abteil an selbstverständlich ohne Kindern Reisenden. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr finde ich, dass das eine Last ist, die man einer Mutter (denn selbst wenn Väter dabei sind, nimmt doch meistens jeder die Mutter in den Fokus) ungerechtfertigt aufbürdet. Es wäre soviel einfacher, wenn jeder nur seine eigenen Grenzen zu setzen hat und das auch tut, und wenn ein Kind DANN (wenn es von einer Person eine Rückmeldung/Reaktion erhalten hat, wie soll es das denn vorher auch wissen? Soll die Mutter für alle Leute und deren potenzielle Grenzen mitdenken? In Maßen vielleicht, aber so generell?) nicht aufhört/reagiert – DANN sollten die Eltern einschreiten… Wenn die betroffene Person das Kind auch noch hilflos anlächelt – wie machtlos ist man dann als Mutter, stellvertretend ständig zu betonen, dass das doch den/die andere stört. Tut es Kindern nicht gut, von Erwachsenen, von vielen verschiedenen Erwachsenen zu lernen, dass jeder seine eigenen Grenzen hat? Auch zum Thema Konsequenz möchte ich etwas sagen. Sicherlich bin ich da – vor allem in Stresssituationen, und das Zugfahren mit lauter stillen Mitreisenden, wo ich mit den Kindern DER Störfaktor schlechthin bin (rein krafttechnisch ist das alleine Transportieren von entsprechendem Gepäck und dazu Spielzeug für die Fahrt begrenzt, und selbst wenn ich Filme in Dauerschleife auf einem Tablet angeboten hätte, hätte ich streitfrei drei Kinder auf zwei Sitzen um das Gerät herum positionieren müssen inkl Kopfhörern…) ist ab einer bestimmten Dauer wirklich echt anstrengend – auch nicht mehr so toll überlegt, welche Konsequenz jetzt am sinnvollsten ist. Dennoch – welche Konsequenzen darf man ziehen? Unter totaler Beobachtung? Auch ich habe Spielsachen weggenommen, aber dann muss man auch da durch, dass das betroffene Kind dann mal schreit/heult. Oder dann schnell ein Bonbon geben, damit die Mitreisenden wieder ihre Ruhe haben? Es ermahnen dass es still sein soll, wo es sowieso wütend auf mich ist? Es anschreien? Ach, ich kann nach unendlich Details und Situationen aufführen, und alles läuft im Endeffekt darauf hinaus, dass die Mutter G A N Z allein verantwortlich ist und das ist einfach in manchen Momenten viel. Sowie ich oft das Gefühl habe, dass in Deutschland generell gilt „Wenn man schon Kinder in die Welt setzt, dann muss man auch.. sich alleine drum kümmern/sich das leisten können/etc etc“. Und das vor dem Hintergrund, dass Kinder und die damit verbundene Lebendigkeit /Geräusche hier einfach nicht mehr zum Alltag dazugehören. Das erzeugt einen unheimlichen Druck und eine Einsamkeit, die auf Eltern und den in der Realität oft hauptzuständigen Müttern lastet.
Wenn ich dann an unsere Reisen zurückdenke, wie schön war das in der Mongolei, in Italien, in der Türkei, wenn auch ANDERE Menschen einmal unsere Kinder ansprachen, uns eine Türe aufhielten, eine Meinung losliessen und sogar mit unseren, den fremden Kindern spielten. So viel Gutes unser Land auch hat, an diesem Thema knabbere ich sehr…
Also, ich freue mich sehr, wenn andere ihren Mund aufmachen, egal ob es nun um positives oder negatives geht. Wenn Menschen für sich selbst sprechen, ist das auch keine Einmischung!
Danke Johanna!!! Und Respekt, ich bin letztens erst im „normalen“ Teil Zug gefahren, nur 2,5h und nur ein kleines Kind (auch Tobejunge) und ich war fix und alle danach (die Frau neben mir hat sich sogar weggesetzt) Und niemand lächelt, niemand hilft, niemand will irgendwas mit dir zu tun haben, hab ich im Ausland auch anders erlebt….Deiner Schilderung entnehme ich aber schon, dass du dir mehr Gedanken machst, als die Mama mit der ich unterwegs war. Wirklich gestört hat sie nichts, sie war ziemlich entspannt, wofür ich sie heimlich bewundere, aber ja, ich denke, man hat auch das Recht, mal genervt zu sein. Nicht im Kinderabteil. War nicht die geilste Fahrt, aber ich hab nichts gesagt, die hatte genug an der Backe.Trotzdem hätte ich mir gewünscht, die Kinder wären mir wenigstens nicht permanent auf die Kopflehne gesprungen…und deren Mutter hätte mit etwas mehr Nachdruck versucht, die vier Kinder davon abzuhalten, meinen Koffer auszuräumen. Nochmal, danke, dass du dir die Zeit genommen hast, so ausführlich zu antworten. Das Thema ist echt ein Paradox…
Elina, Danke für diesen Text. Nicht nur, dass ich mich weggeschmissen habe, Du triffst den Nagel einfach jedes Mal auf den Kopf. Ich hadere momentan sehr mit diesen ganzen Attachment-Parenting- Blogs, obwohl ich das Prinzip für Babys absolut richtig finde. Aber diese ganzen Ratschläge der selbsternannten „guten „Mütter machen mich völlig irre. Da wird doch wirklich ernsthaft behauptet, Zähneputzen bei kleinen Kindern sei eine orale Penetration oder wenn das Kind am Abend nicht schlafen will, sollte man es doch einfach mitnehmen, ins Theater oder so…
Für mich fühlt sich alles daran falsch an, trotzdem komme ich ins Grübeln und frage mich, ob ich auch wirklich alles richtig mache. Ich glaube, alle Kinder brauchen Richtlinien, sie brauchen auch Freiräume, aber eben auch Erwachsene, die wissen wie es geht und es Ihnen vorleben müssen.
Und vor allem sollten alle weniger labern und mehr machen! Deshalb: das nächste Mal Mund aufmachen und was sagen! Du bist die Beste!
Anna, danke! Freut mich, wenn es gefällt, auch dass du wohl regelmäßig meine Gefühlsausbrüche und Gedanken verfolgst….BAUCHGEFÜHL. Das ist echt mein Mantra, alles nach Bauchgefühl. Jede Entscheidung. Und dann kommt Oma und füttert dem Kind Kuchen zum Frühstück. Mehr machen, jo, und Konsequenz. Das ist es. Natürlich finde ich es großartig, dass Eltern heutzutage ‚den Dialog‘ mit ihren Kindern suchen, aber Kinder benehmen sich auch mal absichtlich scheiße, sogar mein Kleiner macht das gerne. Da kann ich dann nicht viel erklären und labern. UND ich denke, dass man noch viel weniger über so viele Dinge nachdenken sollte (sagte sie, nachdem sie einen Blogpost drüber schrieb). Es geht uns ganz schön gut, in unserem Land, den meisten jedenfalls, und man hat sehr viel Zeit über so angeblich perfekte und ‚richtige‘ Lösungen nachzudenken…das ist auch nicht immer gut.