Als ich auf der Edition F Award Show diesen Sommer war, merkte ich mir genau einen Namen der Gewinnerinnen: Natalya Nepomnyashcha. Sie stand vorne, nahm ihren Preis entgegen und in ihrer Dankesrede sagte sie den Satz des Abends für mich. Ihr müsst nicht alle Geld spenden, ihr könnt mir, uns und Organisationen wie Netzwerk Chancen auch durch eure Kontakte, eure Netzwerke und eure Beziehungen helfen. So oder so ähnlich zumindest, Natalya hat Recht. Das mindeste, was ich tun kann, ist sie euch vorzustellen, also, viel Spaß mit dem Interview über soziale Herkunft als Diskriminierungsmerkmal mit Natalya Nepomnyashcha.
Liebe Natalya, stell dich bitte vor!
Hallihallo. Ich bin 32 Jahre alt, wohne in Berlin und arbeite bei einer großen Unternehmensberatung. Nebenberuflich und ehrenamtlich habe ich ein soziales Unternehmen gegründet, Netzwerk Chancen. Mittlerweile beschäftige ich 7 Mitarbeitende und kämpfe mit ihnen zusammen für sozialen Aufstieg und Chancengleichheit in Deutschland.
Du kommst aus Bayern, lebst inzwischen in Berlin. Wie sieht dein Alltag in der Hauptstadt aus?
Eigentlich ganz normal. Tagsüber gehe ich meinem Job danach, meistens im Home Office. In der Mittagspause und abends beschäftige ich mich mit meinem Ehrenamt, spreche mit meinen Mitarbeitenden oder gebe Vorträge oder Interviews zu sozialer Diversität. Am Wochenende versuche ich, möglichst zu entspannen, gehe gerne zur Massage oder essen, ins Kino oder ins Theater. Und ich besuche gerne Freund*innen, die Kinder haben. Ich liebe Babys.
Mit allem, was du um dich herum mitkriegst, würdest du Kinder haben wollen?
Ja, auf jeden Fall. Ich liebe Kinder.
Du hast ohne Abitur im Ausland studiert. Findest du das Konzept des deutschen Abiturs, inklusive NC und Studiumsplatzverteilung noch zeitgemäß?
Richtig. Ich bin in Kyiv geboren und in Bayern aufgewachsen. Meine Eltern sind Nichtakademiker und sprechen auch kein Deutsch. Aufgrund meiner sozialen Herkunft durfte ich nicht aufs Gymnasium, entsprechend schwierig war mein Bildungsweg. Ich habe zwei schulische Ausbildungen abgeschlossen und durfte erst danach studieren. Und auch das nicht in Deutschland. Ich musste nach England, um mir den Traum von einem Hochschulabschluss zu erfüllen.
Insgesamt denke ich, dass wir auf jeden Fall die Mehrgliedrigkeit abschaffen müssen. Studien zeigen, dass zu oft die soziale Herkunft entscheidet, auf welche weiterführende Schule ein Kind kommt. So werden Barrieren aufgebaut, wie in meinem Fall. Stattdessen brauchen wir sehr gute Gemeinschaftsschulen mit individueller Förderung, an denen jedes Kind die Chance auf jeden Abschluss hat. Länder, die den Bildungserfolg weitestgehend von der sozialen Herkunft entkoppelt haben, lassen die Kinder bis zum ersten Schulabschluss gemeinsam lernen.
Wie ist die Entstehungsgeschichte zu Netzwerk Chancen?
Ich hatte selbst einen so schwierigen Bildungsweg und wollte unbedingt etwas ändern. Deshalb habe ich Netzwerk Chancen gegründet. Ich wollte einerseits politisch etwas bewirken, so zum Beispiel dafür kämpfen, dass die Mehrgliedrigkeit abgeschafft wird. Andererseits direkt junge Menschen bei ihrem sozialen Aufstieg unterstützen. Und ich bin sehr stolz darauf, was wir bisher geschafft haben.
Derzeit fördern wir über 1.700 junge Erwachsene kostenfrei mit Coachings, Workshops, Jobs, Mentoring und einem starken Netzwerk.
Warum muss die soziale Herkunft als Diversity-Faktor anerkannt werden?
Soziale Herkunft ist nachweislich ein Diskriminierungsmerkmal. Wer aus einer unteren sozialen Schicht kommt, hat wesentlich schlechtere Chancen auf einen Top-Job in der Wirtschaft, selbst, wenn er oder sie studiert hat. Gleichzeitig bringen soziale Aufsteiger*innen besondere Fähigkeiten mit. So sind sie durch ihren Weg besonders oft lösungsorientiert, durchsetzungsstark und kreativ. Alles Fähigkeiten, die derzeit gesucht werden.
Ist Berlin ein guter Ort zum Leben?
Ja, für mich auf jeden Fall. Es ist ein Klischee, aber ich mag, wie bunt die Stadt ist, dass ich an einem Tag ganz unterschiedliche Atmosphären erleben kann. Außerdem überzeugt mich das kulturelle Angebot. Die Mietpreise sind allerdings ein Punkt, der gegen Berlin spricht.
Kann man Netzwerk Chancen mit Spenden unterstützen?
Klar, wir sind ein gemeinnütziges Unternehmen und auf Spenden und finanzielle Unterstützung angewiesen. Hauptsächlich, da ich Mitarbeitende bezahlen muss, die das tolle kostenfreie Förderprogramm für unsere Mitglieder organisieren und weiterentwickeln. Wir freuen uns also immer über Spenden. Außerdem kann man uns auch ehrenamtlich unterstützen. Und wer als Unternehmen etwas Gutes tun und nebenbei tolle Leute rekrutieren möchte, für den ist eine Unternehmenspartnerschaft das Richtige.
Foto: Kai Senf
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