Googelt ihr noch Paartherapie oder eher Scheidungsanwalt? Huch, da steigt sie aber drastisch ein. Joah, was willste machen, nach dem Jahr, nicht wahr? Es soll ja Paare geben, die seit letztem Jahr ihr Sexleben verbessert, noch ein Kind gekriegt oder ihre Sauerteig-Skills verbessert haben. Und dann gibt es alle anderen. In einer Beziehung sein, dann noch mit Kindern, war vielleicht noch nie so anstrengend. Auch weil man sich mit fast nichts ablenken konnte.
Vielleicht war es auch hart, plötzlich so viel Zeit miteinander zu verbringen, weil es euren Bedürfnissen nicht entspricht? „Eigentlich war alles gut, als wir immer unterwegs waren, doch jetzt…“ Muss man sich da direkt trennen? Wir haben mit Diplom-Psychologin Nele Sehrt gesprochen. Sie ist Paar- und Beziehungstherapeutin – bekannt aus TV-Formaten wie „Liebe leicht gemacht“, „The Biggest Loser oder ihrer Welt-Kolmune“ und hat genau zu diesem Thema einen neuen Ratgeber geschrieben. Übrigens mit dem festen Vorsatz, Wunsch und Willen, die ein und andere kränkelnde Beziehung wieder zu gesunden.
HSM: Liebe Nele, stell dich doch einmal bitte vor.
Klar, gerne. Ich bin Nele Sehrt, Diplom-Psychologin und Sexual- und Paartherapeutin mit Praxis in Hamburg. Außerdem bin ich noch Buch-Autorin und Kolumnistin – auch wenn ich nicht so oft zum schreiben komme, wie ich es gerne möchte. ich liebe meinen Beruf und bin dankbar, dass ich ihn ausüben darf. Gerade weil jeder Tag anders ist.
HSM: Nele, wie empfindest Du persönlich die momentane Zeit und die vergangenen Monate?
Ich finde, wir leben in einer guten Zeit. Auch wenn die Veränderungen gerade groß erscheinen oder auf vielen Ebenen passieren. Wir zeigen uns mehr, als Mensch und auch in unseren Empfindungen und Schwächen. Das ist toll. Probleme und Emotionen werden sichtbarer – dadurch werden wir echter und greifbarer für unsere Umwelt. Wir schauen seit einiger Zeit endlich mal weg von der Norm hin zu dem Außergewöhnlichen und das tut uns als Gesellschaft gut. Denn es macht uns freier, in unserer Entwicklung und in unserer Akzeptanz – uns und auch anderen Menschen gegenüber.
HSM: Dein Buch heißt „Liebe passiert, Beziehung ist Arbeit“ – ergibt sich eine gute Beziehung nicht von allein, wenn die Liebe einen trifft?
Das wäre natürlich schön. Aber wer davon ausgeht, dass man sich nur seinen Gefühlen hingeben muss und die Beziehung läuft dann ganz von allein – der hat gute Chancen, enttäuscht zu werden. Denn es gibt große Unterschiede zwischen der meistens glückseligen ersten Phase des Verliebtseins und den Herausforderungen, die eine lange und erfüllte Beziehung an uns stellt.
HSM: Wie geht‘s los?
Am Anfang ist die Liebe wie ein Rausch, dem man sich gar nicht entziehen kann. Sie macht dich unfassbar glücklich, haut dich um und lässt dich über Wolken schweben. Du musst nichts dafür tun. Das Gehirn setzt neurochemische Prozesse in Gang, die dich mit Botenstoffen überschwemmen. Eine unglaublich spannende und aufregende Zeit.
HSM: Freunde und Bekannte kann das nerven?
Das kann durchaus passieren. Verliebte zeigen ein ähnliches Verhalten wie manische Menschen in der Psychiatrie. Sie sind sorglos heiter, übertrieben optimistisch, brauchen kaum noch Schlaf, essen weniger, haben eine gesteigerte Libido und hören einem deutlich weniger zu. Für Außenstehende kann das auf Dauer befremdlich oder nervig sein, für die Verliebten selbst ist es aber pures Glück.
HSM: Offenbar hat die Natur das so angelegt?
Ja, aber nur für eine gewisse Zeit. Sie schickt einen Hormoncocktail, der einem natürlichen Drogenrausch gleicht. Damit fühlen wir uns sauwohl. Negatives wird ausgeblendet und unsere Kuschelhormone bauen die Bindung auf. Intimität und Nähe sind so plötzlich ganz leicht. Und diese Phase hat auch eine wichtige Funktion: Man sammelt Glück für schlechte Zeiten.
HSM: Was heißt das für Paare bzw. Eltern, die zusammenbleiben wollen?
Ein Paar muss nicht nur dieses Tal überwinden, sondern auch noch viele weitere Beziehungsphasen meistern. Eine große Herausforderung kommt dazu, wenn man Kinder bekommt und sich dadurch zu der Paarebene auch noch die Elternebene gesellt. Das ist ein ganz neuer Abschnitt, in der man oft auch die eigenen familiären Strukturen hinterfragt. Beide Partner haben bestimmte Erfahrungen im Kopf, möchten schöne Dinge wiederholen und unangenehme Erlebnisse besser machen. Das muss nicht immer zusammenpassen. Wie viel Freiheit, wie viel Struktur gibt man weiter? Und wie viel Platz möchte man der Eltern- und der Paarebene geben – da kann es sinnvoll sein, in Phasen zu denken. In Phasen, wo der Sex erstmal eine kleinere Rolle spielt oder die Paarebene an Priorität verliert.
Wer trotz scheinbar unüberwindbarer Positionen den Mut hat, unsichere Zustände auszuhalten, lösungsorientiert ist und auf sich selbst achtet – ohne den anderen zu vergessen – hat gute Chancen. Wer Probleme löst, gibt dem Körper die Möglichkeit, Glückshormone wieder aus eigener Kraft zu produzieren.
HSM: Manchmal erscheint eine Trennung aber leichter?
Sogar immer wieder. Das Trennungsangebot schwirrt ständig mit. Es kann auch sehr schön sein, sich nach einer Krise wieder neu für den Partner zu entscheiden – und damit auf einer tieferen und ehrlicheren Ebene nochmal ‚Ja‘ zu sagen. Wer ein Leben lang oder über Jahrzehnte zusammenbleiben möchte, kommt an Krisen nicht vorbei. Und manche Krisen brauchen Jahre, weil wir uns alle weiterentwickeln – und nicht immer entwickeln sich beide Partner im selben Tempo. Sehr selten sogar. Da hilft nur Geduld, Respekt und Interesse. Eine Krise kann sehr herausfordernd sein, weil sie uns sagt, dass die bisherigen Lösungswege nicht mehr funktionieren und man sich auf die Suche machen muss, neue zu finden. Das kann zermürbend sein. Aber umso schöner ist es dann, wenn die Krise überstanden ist und man seinem Partner echter und näher ist als zuvor.
HSM: Wie hat sich deine Arbeit durch und seit Corona verändert? Hast Du mehr Arbeit oder verändern sich die Themen in deiner Praxis?
Die Arbeit ist seit Corona anders und mehr geworden, auch die Themen haben sich innerhalb des letzten Jahres verlagert. Manchen Paaren geht es viel besser, da sie nun endlich mehr Zeit miteinander verbringen, andere Paare kriechen auf dem Zahnfleisch, weil sie eine kleine Wohnung, wenig Rückzugsmöglichkeiten und Home Schooling mit Home Office irgendwie unter einen Hut bringen müssen. Das kann sehr kräftezehrend sein. Insgesamt werden dann oft Paarthemen verstärkt, die aber als Grundthema oft schon vorher da waren. Die Corona Pandemie intensiviert unser grundsätzliches Verhalten – ob Angst, Aggression oder Verzweiflung. Bei Singles oder frisch Getrennten geht es beispielsweise um Einsamkeit. Viele Strategien, die wir früher genutzt haben, damit es uns besser geht, funktionieren nicht mehr – und abwarten bis alles wieder so wird wie vorher, ist eine Strategie, die eher weniger geeignet ist und zu mehr Frust führt. Das Leben möchte neugestaltet werden und die Psyche möchte lernen, besser mit Unsicherheiten und individuellen Themen umzugehen. Das kostet Kraft und Zeit, die nicht alle haben.
HSM: Hast Du denn auch mehr Themen bei Eltern feststellen können bzw. gibt es nochmals einen Unterschied zwischen Paaren und Eltern?
Es kann für Eltern schwer sein, in solchen Zeiten die eigenen Anforderungen an das Eltern-Sein aufrechtzuerhalten. Für Eltern kommt meistens erst das Kind und dann man selbst. Aber ich kann auch nur für mein Kind da sein, wenn es mir gut geht. Und Kinder merken und spüren mehr, als einem oft lieb ist. Je klarer und selbstverständlicher die Eltern mit der Pandemie umgehen, desto besser geht es den Kindern. Denen ist die Krise viel weniger wichtig als die Souveränität der Eltern, wie sie damit umgehen.
HSM: Erstmals seit 2012 sind mehr Scheidungen zu verzeichnen und leider auch 6% gestiegene häusliche Gewalt. Setzt Du das in direkten Bezug zur Pandemie? Oder ist eine Corona-Trennung nicht der Pandemie geschuldet, sondern ein Katalysator dafür, dass eine Partnerschaft schon brüchig war und man verlernt hat miteinander zu leben und den Partner oder die Partner*in wahrzunehmen?
Oft entsteht in Krisen nicht nur etwas Neues, sondern bestehende Verhaltensweisen verstärken sich. Deshalb ist der Anspruch, in solchen Phasen weiterhin zu funktionieren, meist kein hilfreicher. Manchmal unterstützt uns so eine Krise auch, weil man sich endlich traut, etwas zu tun, was man schon lange hätte tun wollen. Das kann eine Trennung sein oder ein Gespräch zu einem bestimmten Thema.
HSM: Es gibt auch positive Geschichten, also, dass Paare / Eltern die Zeit des engen und stetigen Zusammenseins wieder näher zusammenbringt. Was genau macht also diese Zeit mit uns, warum ist Corona für Manche ein Beschleuniger im Schlechten, für Andere aber auch im Guten?
Das kommt immer ganz auf das Bedürfnis der jeweiligen Partner*innen nach Nähe und Distanz an – aber es ist auch abhängig von ihrem individuellen Leben, ihren Jobs und der erlernten Blaupause im Elternhaus – also wie wir gelernt haben, unsere Bedürfnisse wahrzunehmen und zu kommunizieren. Tut beiden Menschen Nähe gut und wurde sie lange vermisst und erfolglos eingefordert, kann das vergangene Jahr wunderschön gewesen sein. Bricht aber der Job weg und hat man Existenzängste, kann der Genuss einer gemeinsamen Zeit sehr schwer werden. Und jetzt haben wir uns noch nicht ausgemalt, wenn einer in Kurzarbeit ist und der andere viel mehr arbeiten muss als vorher. Es kann nur individuelle Schwierigkeiten und Lösungen geben. Möglicherweise ist es sinnvoll, sich zu vergegenwärtigen, dass man sich in einer Ausnahmesituation befindet. Und dass wir uns selbst Zeit geben, uns an diese neue Situation anzupassen. Nicht übereilig handeln, aber auch nicht zu lange bleiben – das ist eine große Herausforderung.
HSM: Ist dieser Umstand vielleicht auch unserer Zeit geschuldet, dass viele von uns keine wirklichen Nöte jemals erlebt haben? Bzw. dass es Paare gibt, die eine stete Abwechslung im Alltag brauchen, um als Paar oder als Eltern daheim überhaupt zu funktionieren?
Wir sind in dieser besonderen Form nicht krisenerprobt und müssen alle erstmal lernen, damit umzugehen. Und manche lernen das etwas schneller und andere langsamer – aus ganz vielen guten Gründen. Für die Meisten von uns ist es einfach die erste Pandemie!
Es gibt einen schönen Satz: Leid ist nicht vergleichbar. Klar kann man sich andere vorstellen, denen es schlechter geht und wenn einem das hilft, mit dem eigenen Leben besser klarzukommen, ist das prima. Aber meist ändert nichts daran, dass man für sich neue Lösungen finden muss – da kann es auch wirklich sinnvoll sein, nach Hilfe zu fragen.
HSM: Wenn es seit dem Frühjahr 2020 knirscht im Paar- bzw. Elterngetriebe, triffst Du dann auf Seiten der Paare eher Ratlosigkeit oder gestiegene Aggression?
Also grundsätzlich knirscht es in jedem Getriebe, mal leiser und mal lauter. Und jeder versucht, mit den Anforderungen und dem Stress umzugehen – ob durch Kampf, Flucht oder Ignoranz. Ob das so sinnvoll ist, wie man das macht, ist eine andere Frage. Und da kann es sich lohnen, mal draufzugucken.
HSM: Welche Paare betrifft es am ehesten? Wo ist die Not am größten?Jüngere Paare bzw. Eltern oder auch solche, die schon länger beisammen sind und daheim samt Homeoffice, Homeschooling, Kurzarbeit etc. enorm viel stemmen müssen?
Da erhebe ich keine Statistiken. Es ist vielmehr die Menge an Themen. Wir leben auf verschiedenen Säulen im Leben: Privatleben, Freunde, Familie, Arbeit und Beziehung beispielsweise. Wenn jetzt Themen in der Beziehung aufkommen und angeguckt werden möchten, ich bei der Arbeit aber in Existenznot bin und noch ein Familienmitglied habe, das krank ist und für das ich nicht da sein kann – wo soll ich da die Kraft hernehmen?
HSM: Glaubst Du, dass es bei den Paarproblemen jetzt mehr um finale oder vorübergehende Trennungen geht und sich viele wieder einfinden, sobald das Leben vor der Tür mehr stattfindet, die Kinder wieder regelmäßig in die Schule oder die Kita gehen?
Hui, da würde ich nicht spekulieren wollen. Wenn ich eines gelernt habe durch meine Praxis, dann dass jedes Paar und jede Familie anders ist und jeder seine eigene Lösung finden muss. Wir können als Therapeuten den Prozess zwar begleiten und steuern, aber die Lösung ist immer in dem, der vor uns sitzt.
HSM: Wie ist die jetzige Zeit und die jetzigen Eltern-Paar-Probleme von Krisen in „Normalzeiten“ zu unterscheiden oder ist sie das gar nicht?
Corona ist auch eine Chance. Eine Chance, das Leben neu zu ordnen. Zu schauen, was einem wirklich wichtig ist im Leben – und meist ist es nicht noch mehr Produktivität oder der Leistungsanspruch. Freundschaften helfen, eine gute Zeit mit mir selbst, ich kann Beziehungen verändern und anders gestalten. Ich kann mich fragen: Was will ich mit diesen neuen Informationen anfangen? Was ist mir wirklich wichtig im Leben? Da kann ein Reset oder ein Neustart wichtig sein – mit neuen Werten, einer anderen Einstellung oder einem neuen Fokus. Die wirklich grundlegenden Themen verändern sich nicht so schnell, die brauchen oft Zeit.
HSM: Was können wir durch diese Zeit für die Zukunft lernen: für uns als Partner*innen und für die Partnerschaften? Wie lautet dein Rat?
Wenn sich das Leben um einen herum ändert – verändere dich mit. Das braucht Mut. Woher sollen wir denn wissen, dass das Neue schlechter ist als das, was vorher war? Vielleicht ist es ja besser?
Vielen Dank, liebe Nele!
Alle Fotos von Claudia Timmann
Nele Sehrt: Liebe passiert, Beziehung ist Arbeit. Wie eine gute Partnerschaft gelingt
Paperback, 224 Seiten, 16,99 Euro
ZS Verlag, ISBN 978-3-96584-068-3