Hauptstadtmutti

Elternrechte? Das Interview mit Sandra Runge & Nina Straßner

Liebe Nina und liebe Sandra, wie schön, dass ihr Zeit und Lust hatte, uns ein paar Fragen zu beantworten. Wir verfolgen eure Arbeit schon lange und sind euch sehr, sehr dankbar, für alles, was ihr online und offline leistet! Wir freuen uns sehr, dass ihr beide uns einen Einblick in euren Job gebt, und uns helft, unsere Rechte besser zu verstehen. 

Ganz blöd gefragt: ihr seid beide richtige Anwältinnen, korrekt? (So wie bei The Good Wife?)

Nina: Ja. Leider haben wir aber keine Assistentinnen die ständig rauchen und zwielichtige Gestalten kennen, die uns in ihrer Freizeit wichtigste Infos besorgen, Hacker kennen und Lederjacken tragen. Wir tragen auch nur Pumps wenn es sich nicht vermeiden lässt. Aber wir haben echte Roben und zumindest ich trage die ständig. Leider sagte man mir aber mal am Arbeitsgericht Berlin, das wäre in Berlin unangebracht. Sandra? Was ist da los?

Sandra: Im Arbeitsgericht Berlin (übrigens ein ehemaliges Möbelhaus) geht es tatsächlich etwas lockerer zu, hehe. Der Dresscode ist eher casual, Jeans und Blazer-Style. Tatsächlich wird man blöd angeschaut, wenn man mit Robe im Arbeitsgericht auftaucht. Meine liegt übrigens gerade in der Faschingskiste, weil sich meine Jungs damit gerne als Vampir verkleiden. Sie wird nur dann ausgepackt, wenn ich Gerichtstermine in anderen Städten wahrnehme.

Seid ihr spezialisiert oder könntet ihr theoretisch heute eine Scheidung durchführen und morgen einen Arbeitgeber verklagen und dann wieder Betreuungsplätze klarmachen?

Nina: Wir haben die „Befähigung zum Richteramt“, ohne die kann man in Deutschland keine Anwältin sein. Wir müssen also in allem fit sein und werden in zwei sehr schlimmen Staatsexamen, von denen ich heute noch Alpträume habe, quasi auf alles vorbereitet und dürfen auch alles machen. Was wir aber nicht tun, denn man kann nie in allem gut genug sein und hat ja auch Verantwortung. Wenn man möchte kann man sich dann spezialisieren und eine weitere „Fachanwaltsprüfung“ machen. Wir haben das beide für Arbeitsrecht gemacht, das heißt wir mussten umfangreiche praktische Erfahrung nachweisen und nochmal Klausuren schreiben. Ich will NIE wieder eine Klausur schreiben. So viel steht fest.

Sandra: Theoretisch können wir in alle Rechtsgebieten tätig sein, es ist aber fast immer so, dass sich Anwälte ein bestimmtes Rechtsgebiet aussuchen und dann weiter spezialisieren. Mir hat Arbeitsrecht schon immer Spaß gemacht. Früher habe ich Arbeitgeber vertreten, heute sind es hauptsächlich Arbeitnehmer*innen. Wenn mich jemand anruft und sagt, dass er Hilfe braucht, weil er gerade über eine rote Ampel gefahren ist oder eine Bank ausgeraubt hat, nehme ich das Mandat nicht an und empfehle Kolleg*innen, die darauf spezialisiert sind.  

Gibt es die ein Rechtsfrage, die ihr jeden Monat wieder klären müsst?

Sandra: Ich erkläre ganz oft den den Unterschied zwischen Elternzeit und Elterngeld. Da kommen viele durcheinander, weil die Voraussetzungen ähnlich sind und beides oft parallel beansprucht wird. Beliebt ist auch die Frage, welche Tricks man anwenden sollte, um mehr Elterngeld zu bekommen. Für viel Verwirrung sorgt auch der Teilzeit-Anspruch während der Elternzeit, der vom Gesetzgeber völlig bescheuert geregelt wurde.

Nina: Also diese Teilzeit-Fragen sind schon sehr häufig. Und „Was kostet ein Anwalt.“ Leider kann man die Frage nie beantworten, das ist wie „was kostet ein Auto“.

Was war der speziellste Fall, den ihr klären musstet?

Nina: Also lustig war der Typ der sich für die Wiedergeburt von Lady Di hielt und Urheberrechte für Candle in the Wind einklagen wollte. Aber das sind keine ernsthaften Mandate. Speziell war wirklich bei mir eine Beratung eines Unternehmens, die sich vorgenommen hatten, innerhalb von 3 Jahren den Frauenanteil auf 50% zu bekommen und alle Führungspositionen in Teilzeit auszuschreiben.

Sandra: Ich hatte mal einen sehr verrückten Fall, bei dem der Arbeitgeber während der Elternzeit spurlos verschwunden ist. Die Mutter, die ich beraten habe, wußte nicht, wo sie am ersten Arbeitstag nach der Elternzeit auftauchen sollte, da der Firmensitz des Arbeitgebers mehrmals in andere Städte verlegt wurde und alle Geschäftsführer irgendwo unerreichbar im Ausland waren. Keiner hat mir ihr geredet, alle Briefe kamen mit dem Vermerk “unzustellbar” zurück. Ich war schon kurz davor einen Detektiv zu beauftragen, als dann immerhin ein Signal von einem Rechtsanwalt kam: nämlich die Kündigung des Arbeitsvertrages im Auftrag des Arbeitgebers..

Welchen Basic Fact sollten zukünftige Eltern verinnerlichen (oder realisieren?) wenn sie erfahren, dass sie ein Kind bekommen werden?

Nina: Berufstätigkeit, wie sie mal war, ist erstmal vorbei. Wer aber nicht oder weniger berufstätig ist verdient kein oder weniger Geld. Keinesfalls ist es automatische Aufgabe der Mutter kein Geld zu verdienen und trotzdem keine Nacht mehr durchzuschlafen. Also: Wie bezahlen wir denjenigen von uns, der seinen Beruf reduziert. Ich wünschte ich hätte da mehr drüber nachgedacht damals.

Sandra: Eltern sollten sich schon vor oder während der Schwangerschaft Gedanken über den Wiedereinstieg nach der Babypause machen und die richtigen Weichen stellen, das passiert oft viel zu spät. Wer Form & Fristen einhält, eine Rechtsschutzversicherung für den Ernstfall abschließt und schlauer ist als der Arbeitgeber, erspart sich oftmals eine Menge Ärger.  

Wie sieht euer Alltag aus?

Nina: Ich überlebe zwischen Wutanfällen, Unverständnis,  Streit, endlosen Diskussionen über Kleinigkeiten, Schlichtungen, Erklärungen, Vorlesen, über schwierige Fragen grübeln und Freude über große Leistungen. Und dann gehe ich nach Hause zu den Kindern

Sandra: Ich jongliere von 7.00 bis 23.00 Uhr Kita, Schule, Büro, Rechtsakten, Urteile, Gerichtssaal, Hausaufgaben, Sportverein, Lego Ninjago, Wäscheberge und Brotboxen hin und her. Danach falle ich erschöpft, aber glücklich ins Bett und wundere mich, dass kein Ball runtergefallen ist.

Seid ihr mehr vor Gericht oder mehr im Büro?

Nina: Ich bin mehr im Büro.

Sandra: Im Büro.

Ich weiß von Sandra, dass sie sich mal gewünscht hat, dass mehr Fälle vor Gericht landen würden. Vieles wird außerhalb geklärt. Hat sich das inzwischen geändert?

Sandra: Schwierig. Mein Gefühl ist, dass Mütter selbstbewusster werden, besser informiert sind und sich wehren wollen, wenn sie ungerecht behandelt oder diskriminiert werden. Den Schritt zu Klage ergreifen viele jedoch nur, wenn eine Kündigung des Arbeitsvertrages auf dem Tisch liegt und das Arbeitsverhältnis sowie im Eimer ist. Aufhebungsverträge, die unter Druck abgeschlossen wurden, zu Unrecht abgelehnte Teilzeitanträge und Diskriminierungsfälle verschwinden oft unter dem Radar. Das sollte sich ändern. Wir brauchen hier mehr Mut und Risikobereitschaft – und vor allem viele Urteile, auf die sich auch andere Eltern berufen können.

Nina: Es wird sogar weniger, finde ich.

Wenn arbeitende Eltern vor Gericht ziehen, warum auch immer, gewinnen sie eher oder der Arbeitgeber?

Nina: Die Eltern. Formal. Aber wer seinen Arbeitgeber verklagen muss hat eigentlich immer verloren. Deswegen muss sich das System dringend ändern.

Sandra: Das Problem ist, dass ein bestehendes Arbeitsverhältnis vergiftet ist, wenn geklagt wird. Nehmen wir mal die ungerechtfertigte Ablehnung eines Teilzeit-Antrages während der Elternzeit. Hier klagt kaum einer, der nach der Elternzeit weiter bei seinem alten Arbeitgeber arbeiten möchte. Das ist doof. Es müsste umgekehrt sein. Dem Teilzeit-Antrag müsste unterstellt werden, dass er gerechtfertigt ist. Wenn nicht, soll doch bitteschön der Arbeitgeber klagen.

Ihr habt beide einen Blog, und ihr habt beide fantastische Bücher, die man eher zur Geburt schenken sollte, als Baby-Spielzeug. Gibt es noch andere Parallelen?

Nina: Wir haben beide jedes Jahr einen harten Kindergeburtstags-Iron-Man durchzustehen. Unsere Söhne sind im gleichen Jahr am 01.01. geboren. Da macht Kuchenessen und singen morgens um 7.00 Uhr extra Freude!

Sandra: Mal abgesehen davon, dass wir gleichzeitig in den Wehen lagen und verkatert Kindergeburtstag feiern müssen, ein großes Herz für mehr Mütter und Elternrechte!

Muttersein in Berlin: Ist das noch einmal eine andere Nummer oder gibt es die gleichen Herausforderungen in jeder deutschen Großstadt?

Sandra: Es sind im Großen und Ganzen die gleichen Probleme, die durch den großen Wachstum der Stadt allerdings verschärft auftreten: zu wenig Kita-Plätze, Grundschulen, Kreißsäle, Hebammen, Kinderärzte, Erzieher, Lehrer. Nervig ist auch, dass es so große Unterschiede in de zwischen den einzelnen Bezirken gibt, z.B. die unterschiedlichen Verfahrensweisen bei Kitaplatz-Wartelisten. Und die Bearbeitung von Elterngeld-Anträgen, die kann hier manchmal ewig lange dauern. Das macht viele Eltern arm und ist total unsexy.

Nina: Eure KiTa Situation in Berlin möchte ich nicht haben und die Kinderärztesituation auch nicht. Aber vermutlich ist das auf dem Land in Vorpommern auch nicht gerade rosig. Ich glaube das nimmt sich nur in Einzelaspekten viel.

Dankeschön ihr beiden!

Und weil wir rechtliche Themen natürlich ziemlich spannend finden und immer wieder neue Fragen auftauchen, beantwortet Sandra in den nächsten Wochen so einige davon.

Wir es ganz eilig hat, kann natürlich auch in den Büchern der beiden lesen:

Nina Straßner „Keine Kinder sind auch keine Lösung“                       Sandra Runge„Don’t worry, be Mami'“

Foto von Blogmamablog

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