Nun ist es soweit. Was mit einer teils wutentbrannten, teils sich wundernden Kolumne begann, was mir seit meiner Mutterschaft immer und immer wieder nur Rätsel aufgab, ist endlich als Buch erhältlich. Migrantenmutti ist wirklich da. Und weil ich beim letzten Buch die Ehre hatte, von Olga Grjasnowa interviewt zu werden, dachte ich mir, frage ich dieses Mal wieder nicht nur eine Expertin, was das Migra-Eltern-Life angeht, sondern auch mich. Daya von Muttimachmal kennt mich nicht nur schon sehr lange, sie ist eine dieser echten Freundinnen von ganz früher, die zudem auch mein berufliches Leben nachvollziehen kann. Wir bewegen uns in ähnlichen, wenn auch sich selten überschneidenden Kreisen, und eine Person zu haben, die beides kennt, die auf meiner Hochzeit war, die meine Eltern kennt, die immer da war, ist einfach unfassbar. Danke, Daya, für alles.
Daya: Du sagst MigrantenMutti ist nicht dein Buch, sondern unseres. Was meinst du damit und wer ist „uns“?
Elina Penner: Wir alle, die die uns nicht zur Mehrheitsgesellschaft zählen. Und im ganz engen Sinn auch für dich und mich und all meine Freundinnen. Ich bin stolz auf mein Netzwerk und die Frauen, die es zu einem unfassbaren Erlebnis machen, aber auch zu einem Schatz. Unsere Unterhaltungen, dieser Austausch, ob in Form von Reels oder langen Berliner Nächten…ich könnte nicht ohne. Aus diesen Gesprächen heraus hat sich erst ‚Ey meine Freundin letztens so‘ und dann Migrantenmutti entwickelt.
Und auch weil nicht nur ich zu Wort komme, sondern auch viele andere Frauen, mit und ohne Migrationshintergrund. Es ist meine Perspektive, ganz klar. Als weiße Frau, als absolut und ohne Diskussion als Deutsche wahrgenommene Person, also christlich sozialisierte und erzogene, deren Diskriminierungserfahrungen sich auf ein paar Kommentare von bayerischen Beamten und blöden Sprüchen von Fremden zusammenfassen lassen. Ich kann reale und symbolische Räume betreten und beobachten, keine U-Bahn-Fahrt wird zur Tortur, weil ich rassifiziert oder aufgrund meiner Religion belästigt werde. Dessen bin ich mir bewusst. Es ändert nichts an meiner Migrationsgeschichte, an meiner Wahrnehmung und vor allen an meiner Empathie gegenüber anderen, die noch viel mehr durchmachen als Migra in diesem Land.
Auf Plautdietsch haben wir ein Wort, das ich in meinem Debütroman Nachtbeeren viel verwendet habe: Ohnse, vielleicht am ehesten mit die unsrigen übersetzbar. Dass Menschen ‚von uns‘ sind. Wir, die wir nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehören, warum auch immer, wir spüren dieses ‚uns‘. Zumindest sollten wir das und mehr Zusammenhalt schadet doch nicht, oder? Darin sind ‚wir‘ doch so gut, nicht wahr, im Banden bilden, im vernetzen und und zusammenhalten, das wird ‚uns‘ doch vorgeworfen? Dass wir unter uns bleiben? Na dann, dawai, lasst UNS zusammenhalten, im Schmerz, in der Trauer und in unserem Glück.
Daya: Ist das Buch nur für andere Migrantenmuttis gedacht, oder gibt es gute Gründe für „Bio deutsche“ Muttis es zu lesen? Und wer sollte dein Buch lesen?
Elina Penner: Es geht ja wirklich nicht nur um Mutterschaft, bzw. Elternschaft, sondern vor allen Dingen auch über das Aufwachsen in den 90ern als Migra Kind. Ich habe ein Kapitel drin, in dem ich explizit dazu aufrufe, bitte keine Kinder zu bekommen, wenn man keine Kinder möchte. Ich bin es so leid, dass Eltern bewusst kindfreien Menschen ständig einreden, dass sie es bereuen würden, keine Kinder zu kriegen. Bullshit.
Im besten Falle bringt es Migras zum Lachen, das hoffe ich wirklich, und vielleicht können sie ein bisschen Frieden schließen mit ein paar Dingen, vielleicht auch mit der Wut, von der sie nicht wissen, wohin damit. In den letzten Jahren habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Migrantenmutti Texte schon dazu führen, dass sogenannte ‚Bio deutsche‘ Eltern vieles überdenken. Schadet außerdem nie, etwas intersektionaler zu denken. Und vielleicht hatte ich die Schnauze voll, nicht mehr nur immer ‚Check your privilege‘ sondern auch ‚Muss schön sein, solche Probleme zu haben‘ zu sagen. Ich kann nicht mehr. Ich bin an dem Punkt, an dem ich soviel aus dieser weißen, westdeutschen, wohlhabenden Elternblase nicht mehr ertrage.
Ich hätte Migrantenmutti gebraucht und bei Gott, ich brauche es immer noch. Ich hätte jemanden gebraucht, der Fernsehen nicht verteufelt und sich selbst dafür lobt, die eigenen Kinder nicht zu schlagen. Dass das schon eine Leistung sein kann und genug sein sollte. Weil ‚wir‘ ganz woanders als Eltern begonnen haben, als andere. Weil das so fucking hart ist mit der ganzen Scheiße, die wir alle durchgemacht haben, während die alle diskutiert haben, ob Dänemark oder Italien Urlaub. Dann Kinder zu kriegen, ist auch einfach eine tägliche Retraumatisierung der eigenen Kindheit. Eigentlich lebst du einen Spagat zwischen Neid und Verachtung.
Daya: Ich erinnere mich an ein Gespräch, ich wurde gerade das erste Mal Mutter. Du hast mich gefragt „Klopfst du dem Kleinen auch auf den Hintern, wenn du ihn beruhigen willst?“ -„Na, klar!“ – „Deutsche Eltern machen das nicht! Achte mal drauf. Teilweise sind sie sogar schockiert!“ und du hattest recht. Ich war die einzige, die ihrem Baby sanft, aber hörbar auf den Hintern klopfte, um es zu beruhigen. Es gibt unzählige kulturell bedingte unterschiedliche Verhaltensweisen. Wo siehst du auch Unterschiede in der Haltung und den Werten in der Erziehung migrantischer Eltern?
Elina Penner: Der größte Unterschied ist für mich, dass wir Kinder ehrlich mögen. In einem so kinderfeindlichen Land aufzuwachsen wie Deutschland ist massiv unangenehm. In so einem familienfeindlichen Land aufzuwachsen ist hart und anstrengend. Nicht umsonst schwärmen immer alle von ihren Urlauben in Italien oder Dänemark, sind den Glückstränen nahe, nur weil sie nicht permanent wegen ihrer Kinder angemacht wurden. Ich habe keine Ahnung, was ich gemacht hätte, wenn dann meine Familie auch noch so wäre. Also keinen Bock auf Babys, keinen Bock auf Kleinkinder, Kinder überhaupt unangenehm zu finden oder, fast noch schlimmer, sie permanent auf ein Podest zu stellen, wie eine richtig gute Projektpräsentation.
Daya: Warum ist Erziehung und damit auch dein Buch politisch?
Elina Penner: Dass mein Buch politisch ist, hat Ninia LaGrande behauptet. Hehe. Im Buch stelle ich die These auf, dass man es sich leisten können muss, wenn Kinder sich scheiße aufführen. Das Gleiche gilt auch fürs Aussehen. Ein weißes Kind in verlotterten Klamotten ist boho chic, bei einem PoC Kind wird das Jugendamt gerufen. Wenn der Vater zweimal hintereinander das Sportzeug vergisst, wenn die Mutter auf Dienstreise ist, lacht man drüber, wenn es die alleinerziehende Mutter macht, dann wird sie gefragt, ob alles ok ist. Es geht viel um Ängste, um Scham, und auch um Mord. Die Angst vor Polizeigewalt, die Angst, dass ein Aufenthaltsstatus ungewiss bleibt, die Angst, dass das eigene Kind dank eines Nachnamen schlechtere Noten kriegt. Und natürlich fucking Johanna Haarer.
Daya: Was du aber spillen musst: warum gibt’s bei Almans eigentlich so wenig Glitzer und Gewürz?
Elina Penner: Meine Vermutung beim Glitzer ist die Sorge, dass Glitzer ähnlich wie Zucker und Fernsehen direkt zum sozialen Abstieg führt. Und aus dubiosen Pick Me Girl Gründen oder internalisierter Misogynie wird alles abgelehnt was auch nur im entferntesten als tussig erkennbar wäre. Was natürlich legitim ist, ist Glitzer aus Planetengründen abzulehnen. Glitzer ist wirklich Horror für die Umwelt.
Es gibt natürlich hochwissenschaftliche Texte dazu, warum vor allen Dingen die Post-Great-Depression Bevölkerung so auf ungewürztes Essen stand, das mag auf manche der deutschen Nachkriegsgeneration ebenfalls zutreffen. Wenn man ein paar Jahrhunderte zurückgeht, war es sogar so, dass der Adel oder halt alles, was reich war, irgendwann beschloss, gänzlich auf Gewürze zu verzichten, weil es nicht mehr special genug war, als alles es sich leisten konnten. Es macht mich bekloppt, ich weiß es nicht. Salzen ist nicht Würzen.
Daya: Wann hast du das erste Mal gemerkt, dass deine Eltern dich anders erziehen, als nicht migrantische Eltern?
Elina Penner: Als ich das erste Mal in diesen unfassbar leisen Häusern meiner Freundinnen war.
Daya: Was ist deine liebste Anekdote, wenn du an Begegnungen mit anderen Eltern denkst?
Elina Penner: Ich hätte auf all diese Erfahrungen liebend gern verzichtet, aber letztens haben wir eine Schifffahrt gemacht und seit ein paar Jahren fällt mir auf, dass wenn wir uns in Rentnerfreundlichen Gefilden begeben, diese unbedingt mit meinen Kindern reden möchten. Also nicht, weil sie Kinder irgendwie mögen, sonder sie möchten, dass meine Kinder sofort und in dem Moment alle Fragen beantworten, die ihnen diese wildfremden alten Menschen stellen. Es ist super seltsam und unangenehm. Das Ding ist ja, meine Kinder haben Großeltern und auch Urgroßeltern. Sie hängen ständig mit älteren Menschen rum und das sehr gerne. Sie sehen es nur nicht ein, für wildfremde Menschen während einer Schifffahrt den Enkelersatz zu spielen. Dann werden diese Fremden aber aggressiv, und finden meine Kinder unhöflich. Und letztens meinte dann eine Frau: „Kinder sind ja ganz nett, aber auch sehr dumm.“ Die gleiche Frau, die dachte, dass ein Schiff in einer Schachtschleuse mit einer Hebebühne hochgefahren wird.
Daya: Du hast mir vielen Migrantenmuttis für deine Essays gesprochen und sicher viel geschmunzelt, zustimmend genickt oder den Kopf geschüttelt. Neben all der Nostalgie, gab es dort sicherlich auch Raum für Schmerz. Wie hast du in der Zeit des Schreibens auf dich geachtet?
Elina Penner: Das ist eine sehr typische und liebe Daya-Frage, du bist so ein Herz. Schreiben war dieses Mal ein Exil-Prozess. Ich bin weggefahren in einen sogenannten Schreibaufenthalt, ich glaube viermal für 2-3 Nächte. (Man könnte also behaupten, ich habe dieses Buch in zwei Wochen geschrieben.) Und da konnte ich dann durchschreiben, durchheulen, durchfressen, alles rauslassen. Die Gedanken selber habe ich natürlich seit fast einem Jahrzehnt. Ich bin ja mit 27 Mutter geworden, damit war ich in Berlin eine Teen Mom. Durch den Umzug von Berlin nach Ostwestfalen hat sich mein gesamter Familienkosmos auch noch einmal gedreht, ich bewege mich also nicht nur seit Beginn meiner Mutterschaft in immer gleichbleibenden Kreisen. Es hilft also zu sehen und zu hören, dass so viele so ähnliche Erfahrungen machen und so vieles nicht verstehen, was die Eltern der Mehrheitsgesellschaft stresst, während wir uns Gedanken um ganz andere Dinge machen.
Daya: Abschließend: was haben wir Eltern alle gemeinsam?“
Elina Penner: Dass wir Kinder haben.
Fotos: Kai Senf
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Liebe Elina,
ich habe gerade „Migrantenmutti“ gelesen und fand es großartig! Ich habe gelacht und geweint, du hast mir aus der Seele gesprochen. Ich liebe es, wie du mit Worten umgehst. Ich bin auch eine „Migrantenmutti“, 1990 mit 14 Jahren nach Deutschland gekommen.
Teilweise fand ich es mutig, wie direkt du bist, aber genau das brauchen wir! Du bist eine von „uns“.
Übrigens, „Nachtbeeren“ habe ich auch gelesen und freue mich schon auf dein nächstes Buch!
Liebe Grüße
Maria B.
Hallo Elina,
es war das erste -und wohl auch das letzte Mal- dass ich etwas kommentiert habe. Ich habe nicht gepöbelt und gemeckert, sondern mein Unverständnis zum Ausdruck gebracht. Fühle mich durch Ihre barsche Reaktion aber nur abgewatscht und frage mich, warum es die Möglichkeit für Online-Kommentare gibt, wenn Sie sie für sinnlos halten. Das hat mir auch Ihre Reaktion gezeigt.
Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie auf jeden Fall alles Gute, Glück, Gesundheit und Zufriedenheit.
Das wünsche ich Ihnen auch, vor allen Dingen einen wunderschönen Tag und ein erholsames Wochenende. Ob ich barsch war, kann man diskutieren, ich dachte, ich hätte mich Ihrem Ton angepasst, schließlich kommentieren Sie unter einem Interview, welches Sie nur zur Hälfte gelesen haben, zu einem Buch, welches Sie gar nicht gelesen haben. Es gibt viele Dinge, die ich nicht verstehe, tatsächlich ist meine Reaktion dann meistens, mich weiterzubilden oder mich in ein Thema einzulesen. Auch in ‚Migrantenmutti‘ geht es vornehmlich darum, mehr Verständnis füreinander zu entwickeln. Deshalb wird Bezug auf die Zusammenhänge zwischen dem Dritten Reich und dem deutschen Muttermythos genommen. Sehr zu empfehlen ist hier beispielsweise „Die deutsche Mutter: der lange Schatten eines Mythos“ von Barbara Vinken, „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ von Mareice Kaiser oder „Adolf Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind: Über zwei NS-Erziehungsbücher“ von Siegrid Chamberlain.
Hallo Elina,
nachdem ich heute einen Zeitungsartikel gelesen habe, in dem Sie und Ihr neues Buch vorgestellt wurden, schreibe ich diese Zeilen. Ich habe Ihr Buch nicht gelesen und auch das Interview nur zur Hälfte. Das können Sie mir vorwerfen! Aber nachdem Mütter hier als Bio- Deutsche oder Almans bezeichnet werden, hatte ich keine Lust mehr. Ich finde das Thema „Unterschiede von Müttern aus unterschiedlichen Kulturen“ absolut spannend, aber -zumindest bei dem Artikel im Kölner Stadtanzeiger- habe den Eindruck, dass es vielmehr um Wohlstand, Helikopter-Mütter etc. geht, als um kulturelle Unterschiede. Und erschrocken hat mich die Verbindung zu Erziehungseinflüssen zum Dritten Reich! Bitte: Was habe ich (geboren 1966) mit dem Dritten Reich zu tun, nur wenn ich mich um meine Kinder kümmere und das Glück habe (und das habe ich wirklich so empfunden) nicht Vollzeit arbeiten zu müssen? Und wenn ich lese, „den russlanddeutschen Eltern sei es wichtig, dass Kinder sich gut benehmen und den älteren Menschen in der Familie Respekt zollen“, dann bin ich entweder auch eine Russlanddeutsche (was ich aber nicht bin) oder eine verantwortungsvolle, liebevolle Mutter, die ihren Kindern Werte, Regeln und viel Liebe mit auf den Weg gegeben hat.
Vielleicht muss ich aber auch das Buch lesen, um alles zu verstehen…
Hallo Britta,
Ja, es würde helfen, das Buch zu lesen. Der Zusammenhang zwischen Johanna Haarer und generationsübergreifenden Traumata ist gut erforscht, aber auch da müsste man wisschenschaftliche Artikel oder die dazugehörige Sekundärliteratur lesen. Ich habe aber auch einen Artikel zum Thema Online Kommentare und warum ich sie für sinnlos halte. Es entsteht kein Diskurs, die meisten Menschen nutzen die Funktion, um zu meckern oder Halbwahrheiten zu verbreiten, ohne jemals den Artikel ganz gelesen zu haben. Aber hey, quod erat demonstrandum.
Ich habe den Kommentar nur bis zum zweiten Satz gelesen, dann hatte ich keine Lust mehr